XLI. Der Befehl von oben
Claires Sicht:
Betäubt legte ich das letzte Shirt in den Koffer und blickte auf den Haufen von Kleidung herab, der sich in einem mehr oder weniger geraden Turm vor mir aufbaute. Meine Hände zitterten, als ich den Deckel des Koffers zuklappte und ich hatte Mühe, den überfüllten Koffer schließen zu können. Als ich es schließlich schaffte, den Reißverschluss um den kämpfenden Berg aus Kleidung und anderen Dingern zu ziehen, ließ ich mich nach hinten auf meinen Hintern fallen und legte den Kopf in den Nacken.
Die Ärzte hatten mich vor nur zwei Stunden entlassen, obwohl sie mich eigentlich noch etwas länger bei sich behalten wollten. Ich habe so lange mit dem Chefarzt diskutiert, bis er seufzend die weiße Flagge hob und aus meinem Krankenzimmer verschwunden war. Es hatte nicht einmal lange gedauert und ich hatte alles zusammen, um wieder in mein Zelt zurückkehren zu dürfen. Jedoch konnte man den Ärzten ansehen, wie genervt sie von meinem Auftritt waren. Sie hatten mich mit finsterer Miene angesehen, als ich durch den Haupteingang nach draußen an die frische Luft gegangen bin – und ich habe ihre Blicke genossen.
Es war ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass man zu den Wenigen gehörte, wie von der Gefahr auf der Insel wussten. Irgendwie fühlte man sich wie ein Außenseiter, man verstand mehr als alle anderen, durfte jedoch gleichzeitig nicht zu viel sagen, um das Geheimnis zu gefährden. Und trotzdem kam ich mir vor, als stünde ich höher als je zuvor. Die Macht des Geheimnisses war groß und verlockend, Lowery und ich waren ihr nicht gewachsen. Das hatten wir nicht bemerkt, als wir die Flugsaurier herausließen. Ich hatte damals noch gedacht, dass wir dies taten, um Owen zu retten. Dabei haben wir ihn nur noch stärker verletzt, haben ihn fast in den Rollstuhl geschickt und das alles nur wegen dem Indominus. In meinem Brustkorb stach es verdächtig und ich verzog wütend das Gesicht. Wieder fragte ich mich, wie ich nur so dumm sein konnte, um Lowerys Lügen zu glauben. Was mich dazu geritten hatte, ihm blindlinks zu folgen und mich beinahe vergewaltigen zu lassen. Ich wusste nicht einmal, was aus dem Typen geworden war, den Lowery im Kofferraum des Trucks eingesperrt hatte. Sicherlich hatten sie ihn am nächsten Tag gefunden und ausgelacht, weil dieser ein schrecklichen Kater gehabt haben musste. Ich hoffte zu mindestens, dass es so war.
Es raschelte an meinem Zelt und ich schaute augenblicklich hoch, sodass ich Mr. Browns breite Statur im Eingang des Zeltes erkennen konnte.
„Was machen Sie da?", fragte er verwundert und schaute von mir zu dem Koffer und zurück.
„Was denken Sie wohl, was ich mache?", gab ich leicht verbittert zurück und verdrehte die Augen. War es nicht offensichtlich, was ich tat?
„Sie packen Ihre Sachen", meinte er und trat einen Schritt näher. „Aber wieso das ganze?"
„Was hat man wohl vor, wenn man seine Sachen zusammenpackt, Mr. Brown?", fragte ich mit überheblicher Stimme und rappelte mich vom Boden auf. Augenblicklich tanzten vor meinen Augen dunkle Punkte und ich sagte mir, dass ich mich beim nächsten Mal nicht so schnell hinstellen durfte. Ein weiteres Mal bewusstlos zu werden, konnte ich mir nicht erlauben.
Die ganze Zeit über stand mein Gegenüber festgefroren wie ein Stück Eis vor mir und starrte mich ungläubig an. „Sie haben doch nicht vor, zu gehen!", rief er plötzlich aus und verschränkte seine Hände hinter seinem Kopf. Er schien wieder im Stress zu sein, wie immer. Das konnte man deutlich an den Schweißflecken in seinen Achseln erkennen.
„Sie haben es erraten!", sagte ich und schmiss die Arme in die Luft. Etwas monotoner fügte ich hinzu: „Glückwunsch."
„Das können Sie doch nicht machen! Das geht nicht!", knurrte er und er plötzliche Ausdruck in seinem Gesicht ließ mich kurz innehalten. So habe ich ihn noch nie gesehen. Er sah teufelswild aus mit seinen funkelnden Augen und den wildabstehenden Haaren. „Sie können doch nicht einfach hier verschwinden! Wer denken Sie eigentlich, wer Sie sind?! Was wird aus den Verträgen? Sie haben Schulden in Millionen-Höhe!"
Ruckartig ging ich einen Schritt auf ihn zu und drückte meinen Finger gegen seine Brust. „Sie wagen es gerade wirklich, mich in Frage zu stellen? Hören Sie mal genau zu: Bedanken Sie sich bei General Allek, unserem Helden, denn er hat mich dazu gebracht, jeden und alles auf dieser Insel zu hassen. Mir geht es am Arsch vorbei, was mit diesem Drecksloch passiert, haben Sie verstanden? Wegen Allek, ist mein Neffe tot und ich werde nach Hause fahren und meiner Schwester Beistand leisten, auch, wenn ich dafür nur noch länger in den Knast kommen werde!" Atemlos starrte ich ihn an und nahm meine Hand wieder zurück. Ich fühlte mich für kurze Zeit befreit, doch der schwere Kloß in meinem Hals blieb. Er würde eine Weile bleiben, da war ich mir sicher, doch damit müsste ich klarkommen.
„Ich verstehe", meinte er nach einem Augenblick der Stille. „Es tut mir leid, Ms. Dearing. Ich habe nichts davon gewusst."
Ich atmete stoßweise aus und drehte mich von ihm weg. „Ist schon gut. Wenn Sie mich entschuldigen, ich habe noch einen Koffer zu packen."
Ohne ein weiteres Wort verließ er das Zelt und ließ mich alleine zwischen einem vollgestopften Koffer und einen Chaos aus Wäsche zurück. Sie gehörte jedoch nicht mir. Es waren Owens Klamotten, die auf meinem Bett verteilt lagen. Zwar hatte ich versucht, sie so gut wie nur möglich zusammenzulegen, doch ich war eine Niete, wenn es um Ordentlichkeit im Kleiderschrank und zusammenfalten ging. Schnell nahm ich den Wäschehaufen und legte ihn in einen zweiten Koffer hinein. Etwas gröber drückte ich den die Wäsche zusammen, bis es passte, dann schmiss ich noch einige seiner Habseligkeiten in den Koffer und klappte den Deckel um.
Wieder hörte ich, wie sich Schritte meinem Zelt näherten und ich schnaubte schon genervt auf, als ich wieder das Rascheln der Plane wahrnahm. „Mr. Brown, ich sagte doch, ich-"
„Was haben Sie vor?" Allek.
Ich fuhr hoch und ein kurzer, stechender Schmerz schoss in meinen Kopf. Er stand im Zelt und schaute mich mit dunklen Augen an. Augen voller Arroganz und Selbstliebe, sein Charakter war nicht anders als das eines Raptors. Er griff aus dem Hinterhalt an, zeigte keine Gnade und er wusste alles, sah alles und hörte alles. Nichts schien in diesem Lager zu passieren, ohne, dass er es mitbekam. Der Typ hatte seine Ohren überall.
„Muss ich Ihnen auch noch beibringen, was man wohl vorhat, wenn man seine Sachen in einen Koffer packt?", fragte ich ihn und ging einen Schritt auf ihn zu. Seine Nähe drückte auf meinem Brustkorb ein und ließ mich leise nach Luft schnappen. „Ich denke mal, dass sie schlau genug sind, um es herauszufinden."
Er zog die Augenbrauen zusammen und fletschte die Zähne. „Du... du wirst die letzte sein, die diese Insel verlassen wird", knurrte er und kam langsam auf mich zu. Seine Aura schüchterte mich ungemein ein, doch meine Beine waren zu schwer, als dass ich hätte Abstand aufbauen können.
Als er vor mir stand, war meine Stimme nichts weiter, als ein leises Flüstern: „Du hast Zach getötet."
Auf dem versteinerten Gesicht breitete sich ein widerliches Grinsen aus. „Hab ich nicht. Er war einfach nicht gut genug."
„Und das wusstest du", gab ich zurück und spürte, wie sich mein Mut steigerte. „Du wusstest genau, dass er nicht bereit war. Er war psychisch ein Wrack gewesen, wie die anderen Männer, die du in den Wald schicktest!"
Seine Hand legte sich auf meine Schulter. Es war eine Geste, die gefährlicher nicht sein könnte. „Solange ich auf dieser Insel bin, hast du mich wie eine Respektsperson zu behandeln, Claire", brummte er verärgert und drückte langsam meine Schulter zusammen.
„Lenk' nicht vom Thema ab."
Sein Rachen bebte, als ein tiefes Knurren seinen geschlossenen Mund verließ. „Ich würde lieber diesem Rat folgen, sonst werden wir beide noch aneinander geraten." Die Drohung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Doch ich hatte nicht vor unter ihm zu brechen. „Wir sind schon längst aneinander geraten", sagte ich in sein Gesicht und sah deutlich, wie wütend ihn das machte.
„Du kennst mich nicht"; zischte er mit zusammengebissenen Zähnen.
„Richtig, ich kenne dich nicht. Aber kennst du mich?", fragte ich ihn und verschränkte die Arme. Ich sah, wie sich seine Gesichtszüge veränderten. Er wirkte für einen kurzen Moment irritiert, was meine Mundwinkel dazu brachte, auffällig zu zucken. „Nein, du kennst mich nicht. Du hast mich noch nie gekannt."
Es herrschte erdrückende Stille zwischen uns. Diese währte zwar nicht lange, doch diese Sekunden reichten mir schon vollkommen aus, damit mein Herz immer tiefer rutschte. Ich hatte plötzlich Angst, dass er mich anfällt, mich verletzt und mir wehtut. Neben mir fühlte sich die Luft kalt und trocken an. Lieber hätte ich Owen neben mir stehen, der mich bei diesem Streit unterstützte, doch ich musste dies nun alleine durchstehen.
„Na dann, sag mir wer du bist, Claire", murmelte er boshaft und mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ich habe großes Interesse daran, dich kennenzulernen."
Ich starrte ihm in seine dunklen Augen. „Hättest du mich gekannt, hättest du auch gewusst, dass solange ich hier auf dieser Insel bin, ich auch das Sagen habe, General. Ihren Titel können Sie sich sonst wo hinschieben", sagte ich mit einem triumphierten Grinsen im Gesicht, dass mein Gegenüber erstarren ließ. „Sie können mich ruhig durch die Gegend schubsen und mir drohen, aber sie haben wegen Ihren undurchdachten Entscheidungen Menschen auf dem Gewissen und viele weitere Menschen werden sterben. Ich sage Ihnen, dass Sie unverzüglich alle Helikopter und Fähren bereitmachen sollen, um diese Insel endlich zu evakuieren."
Er schnaubte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
Doch ich kam ihm zuvor. Noch nie hatte ich so ein atemberaubendes Gefühl gespürt wie in diesem Moment. „Wenn Sie ihn nicht ausführen, werde ich die für Sie zuständigen Offiziere dazu bringen, Ihnen den Titel als General entfernen zu lassen. Das ist ein Befehl!"
Er schwieg.
„Gehen Sie und verbreiten Sie die Nachricht, dass wir diese Insel verlassen werden – an alle Lager auf dieser Insel", ordnete ich an und entfernte ein kleines Haar von seinem Oberteil. „Die Menschen sollen ihre Sachen zusammenpacken und Verletzte werden als erstes aufs Festland gebracht. Haben Sie verstanden?"
Sein Blick richtete sich auf den Boden. „Ja, Ms. Dearing."
Er musste mich abgrundtief hassen, doch ich hatte selten solch ein Selbstvertrauen gespürt, als in diesen Minuten. „Vergessen Sie nicht das derzeitige Gefängnis, Allek. Die Rückführung von Mr. Grady hat höchste Priorität. Ich will ihn in einer halben Stunde spätestens hier im Lager haben und ich werde die Zeit stoppen. Denken Sie, Sie kriegen das hin als erstklassiger General?"
Er schien sich zusammenreißen zu müssen, nicht vor Wut um sich zu schlagen. Mir gefiel dieser Anblick, obwohl die Angst vor so einem Wutausbruch schon bestand. Dann nickte er jedoch, drehte sich um und verschwand aus meinem Zelt.
Schnell schloss ich Owens Koffer und stellte beide neben den Eingang. Ein Gefühl von Stärke und macht durchfloss meine Adern nun und ich musste aufpassen, ihr nicht zum Opfer zu fallen, wie es auch Allek passiert war.
Als ich durch den Eingang ins Freie gehen wollte, donnerte ein monströses Grollen durch das Lager und ließ mich seufzten. Gewitter war das letzte gewesen, das ich nun gebrauchen konnte. Ich stellte mir vor, wie wir im Starkregen, wenn nicht sogar Hagel, durch das Lager liefen und versuchten, unsere Sachen zu retten. Schnell huschte ich nach draußen und schaute in Richtung Himmel.
Die Sonne strahlte, einige Wolkenfetzen hingen im Himmel fest und schlichen über uns herum. Verdutzt schaute ich mich im Lager um und sah zu den Menschen, die in meiner Nähe standen. Ihre Blicke richteten sich auf mich, in ihren Augen sah ich den Schock und unermessliche Wut.
Dieses Grollen war kein Donner gewesen.
Es war der Indomins.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro