
Verluste
Ich träumte von meiner Mutter.
Sie führte mich mit ihrer Hand durch die Dunkelheit, denn ich war nicht im Stande dazu, zu sehen.
Ich fühlte mich nicht wie ich selbst und eine seltsame Bleie lag auf mir. Dieses Gefühl erinnerte mich an damals. Wir waren im Sommer zum Strand gefahren und ich hatte Dad gebeten, mich im Sand einzubuddeln.
Die Sonne schien angenehm warm auf meiner Haut, während der kühle Sand meinen ganzen Körper bedeckte.
Es war seltsam, denn ich sah die Bilder so klar vor mir, als hätte ich sie gerade erst erlebt.
Plötzlich waren da Geräusche. Ich hörte wie zwei Personen miteinander redeten. Gleichzeitig vernahm ich den altbekannten Geruch von Krankenhaus wahr und seufzte innerlich.
Nicht schon wieder.
Die Wärme verließ meine Hand und ich geriet in Panik.
„Mum? Wo bist du?" Rief ich in die Dunkelheit und drehte mich panisch im Kreis.
Hände legten sich an meine Schultern und schoben mich vorwärts.
„Schätzchen, du kannst jetzt die Augen öffnen. Du hast es geschafft."
Verwirrung machte sich in mir breit.
„Elsie."
Die Stimme meiner Mum vermischte sich mit den Geräuschen um mich herum und ich kämpfte mehr denn je gegen die bleierne Schwere.
Ich konzentrierte mich auf meinen Körper und all die anderen Empfindungen um mich herum.
Schmerz umhüllte meinen Körper und das Atmen fiel mir schwer.
Warum tat mir alles so furchtbar weh?
Verzweifelt versuchte ich mich daran zu erinnern, was als letztes passiert war.
Mein Kopf pochte und ich wünschte mir sogleich die erdrückende Leer wieder zurück.
„Elsie. Kannst du mich hören?"
Das war die Stimme meines Vaters. Sie klang sehr besorgt und ich wollte ihm sagen, dass alles in Ordnung war, doch ich konnte es nicht.
So müde.
Erneut fühlte ich den Druck auf meiner Hand und ich begriff, dass das Dad sein musste, der meine Hand hielt.
Urplötzlich und mit einem Schlag, kamen die Erinnerungen wieder zurück.
Ich sah alles Revue passieren und mein Herz nahm einen hektischen Rhythmus an.
Das Adrenalin pumpte durch meinen Körper und gab mir die Kraft, meine Augen zu öffnen.
Grelles Licht traf auf meine Augen und sofort bereute ich es, sie geöffnet zu haben. Schnell kniff ich sie wieder zusammen und hoffte dadurch wieder zurück zu können. Zurück zu...Mum.
Einzelne Tränen lösten sich aus meinen Augenwinkel und liefen mir heiß die Wangen hinunter.
Meine Hände, über die ich langsam wieder Kontrolle bekam, ballte ich leicht zu Fäusten. Mir fehlte einfach die Kraft dazu, sie vollständig zu ballen.
Angst durchflutete mich.
Ich war angeschossen worden.
Was, wenn die Kugel meine Wirbelsäule getroffen hatte und ich von nun an nicht mehr laufen konnte?
Mit großer Anstrengung bewegte ich beide meiner Beine und als ich feststellte, dass ich sie fühlen konnte, beruhigte ich mich wieder etwas.
„Hey! Ist ja gut. Ich bin hier Elsie. Du wirst wieder gesund, keine Sorge."
Vorsichtig öffnete ich die Augen und blinzelte gegen die Helligkeit an.
Nach einigen Momenten gewöhnten sich meine Augen an das Licht und ich sah mich um.
Verkabelt lag ich da und schaute in das Gesicht meines Vaters.
„H..." Ich hustete und zuckte augenblicklich zusammen.
Ein eiskalter blitzartiger Schmerz zog sich durch meinen Oberkörper durch.
„Ah!" Stöhnte ich und meine Hand wanderte automatisch an die Stelle, an der es höllisch wehtat.
Doch Dad hielt mich auf, indem er meine Hand stoppte.
„Nicht! Es verheilt zwar gut, aber du solltest trotzdem erstmals die Finger davon lassen."
Schnell zog ich meine Hand wieder zurück und ließ meinen Kopf erschöpft ins Kissen fallen.
Dad streichelte über meine Wange und ich brachte ein kleines Lächeln zu Stande.
Es tat so gut ihn wieder zusehen.
„Ich hab dich vermisst." Flüsterte ich und griff zu seiner Hand, die sich ganz rau anfühlte.
Die falte in seiner Stirn vergrößerte sich, als er zurück lächelte und mir einen Kuss auf die Stirn gab.
„Ich dich erst." Flüsterte er zurück.
„Wie lange bin ich schon hier Dad?"
Mein Hals fühlte sich trocken an und meine Zunge klebte unangenehm an meinem Gaumen.
Der Griff an meinem Hals bewegte ihn dazu mir ein Becher mit Wasser zu überreichen.
Dankbar nahm ich es entgegen und trank gierig am Strohalm, der sogar meine Lieblingsfarbe hatte. Gelb.
„Du hast einige Tage verschlafen. Um genau zu sein acht Tage."
Mit großen Augen sah ich ihn an und gab ihm den Becher zurück, den er erneut mit Wasser befüllte.
„Du meinst ich lag im Koma?"
Er atmete lange aus und strich sich mit seine Hand über sein Gesicht, so wie er es immer tat, wenn ihn etwas belastete.
„Ja aber was zählt, ist das du wieder wach bist."
Ich schluckte und schlang gierig auch den zweiten Becher hinunter. Die kühle Flüssigkeit fühlte sich unglaublich gut in meinem Körper an und ich erinnerte mich nicht daran, dass Wasser einmal so gut geschmeckt hatte.
„Hätte es auch sein können, dass ich nicht mehr aufgewacht wäre?"
Ein Knoten bildete sich in meinem Bauch, als ich an meine Erinnerungen aus dem Koma dachte.
„Nein mein Schatz. Die Ärzte sagten mir, dass du ein paar Tage bräuchtest, um dich zu erholen und aufzuwachen. Also mach dir keine Sorgen mehr. Alles wird gut."
Ich nickte und biss auf meiner Unterlippe.
Obwohl mir immer noch ein wenig schwindelig und schlecht war und die Müdigkeit mich größtenteils im Griff hatte, hatte ich das Bedrängnis aufzustehen und mich zu bewegen.
Vorsichtig versuchte ich mich ein Stück höher zu setzten, um meine schmerzenden Glieder in einer anderen Position zu bringen.
Doch der Versuch scheiterte, denn der Schmerz war so groß, dass ich im Bett wieder zusammensank und meine Zähne zusammenbiss.
„Vorsichtig!" Ermahnte mich Dad und ich stöhnte genervt.
„Was hat die Kugel eigentlich bei mir angerichtet?"
Ich schluckte schwer und befürchtete das Schlimmste.
Dass Dad auch noch seine zweite Hand auf meine legte, machte es auch nicht gerade besser.
„Deine Rippe ist durch den Einschuss gebrochen und hat deine Milz stark verletzt. Sie konnten sie nur noch entfernen."
Ich zog scharf die Luft ein.
„Was?" Piepste ich.
Das konnte doch nicht wahr sein.
„Was bedeutet das jetzt? Kann man überhaupt ohne Milz leben? Das wird doch sicher Konsequenzen haben?"
Beruhigend strich er mir über meinen Arm.
„Ja man kann auf jeden Fall ohne Milz leben, man muss nur gewisse Vorkehrungen treffen, damit du gesund bleibst." ,
„Kannst du bitte aufhören um den heißen Brei zu reden? Was bedeutet das jetzt?"
Panik machte sich in mir breit.
Atmen. Ruhig atmen.
„Das bedeutet, dass du von nun an anfälliger für Krankheiten sein wirst. Du musst dich nochmal durchimpfen lassen und darauf achten gesund zu bleiben."
Ich schlug mir die Hände aufs Gesicht.
„Das bedeutet noch mehr Arztbesuche." Jammerte ich.
„Hey. Nicht unbedingt. Wenn du dich gesund ernährst und aktiv bleibst, dann wird das nicht viel mehr sein als jetzt. Du lässt dich ganz normal abchecken und dann wars dass auch."
Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Ich ermahnte mich selber mich zu beruhigen und Dad gab mir auch die Zeit, die ich brauchte, um alles erstmal zu verdauen.
Er versprach mir, dass ich Susan bald wieder sehen würde. Er hatte ihr gesagt, es wäre nichts schlimmes vorgefallen, damit sie sich nicht allzu große Sorgen machte.
Sobald ich wieder Zuhause wäre, würde sie mich besuchen kommen.
Robert war wegen seiner Arbeit viel unterwegs und Susan konnte von der Farm nicht weg, da sie momentan keinen hatten, der sich dort um die Tiere hätten kümmern können.
Und die Frage, was mit Connor und den anderen Androiden war, ließ er unbeantwortet. Er vertröstete mich auf ein paar Tage, bis ich mich einigermaßen von den ganzen Strapazen erholt hatte.
Anfangs war ich sauer und machte mir große Sorgen, doch das erübrigte sich schnell, denn Dreiviertel des Tages schlief ich oder döste vor mich hin.
Die vergangenen Ereignisse hatten meinen Körper in ein Wrack verwandelt.
Aufstehen war eine Tortur, sodass ich freiwillig liegen blieb.
Ein paar Tage später, ließ ich mich nicht mehr vertrösten.
Dad hatte mir gerade ein paar frische Sachen von Zuhause mitgebracht, als ich ihn zum millionsten Mal die gleiche Frage stellte.
„Wo ist Connor? Was ist passiert? Ist Jericho in Sicherheit? Du lässt mich ja noch nicht mal Fernweh schauen! Geht die Welt etwa unter?"
Dad seufzte und setzte sich widerwillig zu mir ans Bett.
„Früher oder später musst du es ja sowieso erfahren aber ich wollte die vor dem Schmerz bewahren. Du solltest dich erst einmal erholen und verdammt nochmal an dich denken!"
Er zügelte seinen Zorn und bedeckte sein Gesicht kurz mit seiner Hand.
„Sag es mir." Flüsterte ich.
Mein Herz raste, als ich meine Hände in die Bettdecke krallte.
Ich hatte mir nicht anmerken lassen, dass ich ununterbrochen an Connor und die Anderen gedacht hatte.
Jeden Tag wenn ich die Augen aufschlug, fragte ich mich, ob Connor vorbei kommen würde, um nach mir zu sehen.
Doch jeden Abend erlosch diese Hoffnung und ich machte mir Sorgen.
Ging es ihm gut? Was war mit ihm passiert?
Wie war ich hierher gelangt?
Und warum kam er nicht?
„Connor und eine Androidin, von der ich den Namen nicht weiß, haben dich ins Krankenhaus gebracht."
Amaya. Schoss es mir durch den Kopf.
Mein Herz klopfte noch schneller und Schweiß bildete sich auf meine Stirn.
Er hatte mich hierher gebracht...
Also lebte er noch. Oder?
„Daraufhin hat mich Connor angerufen und gesagt, dass es dir nicht gut gehen würde und du hier im Krankenhaus operiert wirst."
Wütend knirschte er mit den Zähnen und sein Körper versteifte sich.
Man konnte ihm ansehen, wie wütend er war.
„Ich bin sofort nach hier gefahren und habe mich nach dir erkundigt. Von Connor war keine Spur."
Wütend sah er zu mir rüber.
Ohje.
Das hätte ich mir eigentlich denken können, dass er nicht gut auf Connor zu sprechen war. Jetzt hatte er sich endgültig bei Dad unbeliebt gemacht.
„Ich wartete Stunden darauf, dich wiedersehen zu können und man...hatte ich eine Angst um dich. Ich dachte...ich dachte ich würde dich endgültig verlieren."
Dad fing an zu weinen und schockiert sah ich ihm dabei zu, wie er sich mit seinem Ärmel über das errötete Gesicht rieb.
So traurig hatte ich ihn lange nicht mehr erlebt.
Nun musste ich auch Tränen wegblinzelnd und mir wurde klar, was ich ihm durch mein plötzliches Verschwinden angetan hatte.
„Es tut mir so leid Dad." Sagte ich und versuchte dabei stark zu klingen.
Ich breitete meine Arme um ihn aus und unterdrückte das Stechen in meinem Bauch.
„Mach das nie wieder Elsie. Hast du verstanden?"
Seine Stimme klang nun verzweifelt anstatt wütend und ich nickte, woraufhin er mich ebenfalls in den Arm nahm.
Minutenlang lagen wir uns in den Armen und weinten.
Es tat gut sich auch emotional fallen lassen zu können und ich fühlte mich ein Stück weit befreiter, als ich mich langsam wieder zurück ins Bett fallen ließ.
Geduldig wartete ich, dass er weitersprach.
„Nach stundenlangem Warten und beten kam endlich eine Krankenschwester und sagte mir, dass du es geschafft hättest und in ein Zimmer gebracht worden wärst. Sie führte mich zu deinem Zimmer und unterwegs traf ich ihn dann."
„Connor?" Fragte ich ungeduldig und ein kleines Lächeln bildetet sich auf meinen Lippen.
Hoffentlich fühlte er sich nicht schuldig für das, was CyberLife getan hatte. Er hatte mir nicht wehtun wollen, das wusste ich.
„Ich nickte ihm zu, sodass er wusste, dass du es geschafft hattest. Dann nahm er die Hand der Androidin und ging Richtung Ausgang. Seit dem habe ich ihn nie wieder gesehen. Es tu mir so leid Elsie. Wirklich."
Seine Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht.
Mein Mund klappte immer wieder auf und zu und ich konnte nicht mehr damit aufhören mir vorzustellen, wie sie Händchen haltend aus dem Krankenhaus raus spaziert waren.
„Nein." Sagte ich und Tränen liefen mir hinunter.
„Du lügst!" Rief ich und schüttelte dabei heftig mit dem Kopf.
„Das kann nicht sein. Er...Er hätte mich wenigstens noch einmal besucht oder sich nach mir erkundigt. Das...Das glaube ich einfach nicht."
„Elsie."
Ich entzog mich seinen Händen und biss auf meine Faust um nicht zu schluchzen.
„Elsie!"
Ich sah ihn durch verschleierte Augen an.
„Ich sage die Wahrheit. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du die Krankenschwestern fragen, sie hätten es mitbekommen, wenn sich jemand nach dir erkundigt oder hier gewesen wäre. Es tut mir leid, aber es ist wahr."
Ich verdeckte mein Gesicht mit meinen Händen und schüttelte immer noch mit dem Kopf.
„Bitte lass mich jetzt alleine. Ich will jetzt einfach nur alleine sein." Sagte ich und als ich hörte, dass er die Türe hinter sich geschlossen hatte, schluchzte ich los.
Dad hatte Recht gehabt. Die Wahrheit beeinträchtigte meinen gesundheitlichen Zustand.
Ich geriet in eine depressive Phase und verweigerte das Aufstehen aus dem Bett.
Mehrere Krankenschwestern und ein Arzt mussten auf mich einreden, damit ich endlich wieder aufstand und mich bewegte.
Alles fühlte sich so dumpf und sinnlos an.
Ich baute wieder eine Mauer um meine Gefühle und ließ niemanden an mich ran. Auch Dad nicht.
Obwohl ich wusste, dass er mir die Wahrheit gesagt hatte, wollte ein Teil von mir nicht daran glauben.
Ich hoffte weiterhin jeden Tag darauf ihn zu sehen. Endlich seine Stimme zu hören und ihm wenigstens in den Arm nehmen zu können.
Die Tatsache, dass er sich nicht mehr einmal von mir verabschiedet hatte, machte es so viel schwerer. Ein weiterer Teil von mir gönnte ihm das Glück, endlich die große Liebe gefunden zu haben, aber die Art wie er sich nun verhielt, machte es schwer ihn loszulassen und nicht wütend auf ihn zu sein.
Zwei Wochen später fühlte ich mich immer noch furchtbar. Ich hatte das Gefühl, dass mit jedem Tag der verstrich, ich ihn nur noch mehr vermisste.
Ich musste auch immerzu an Jad und die anderen denken.
Flynn...Er hatte es nicht verdient gehabt so zu sterben.
Das Alles hatte sich zu einer furchtbaren Katastrophe entpuppt.
Immerhin hatten wir es geschafft, dass Jericho in Sicherheit blieb.
In den Nachrichten hatte ich gesehen, dass trotz dieser Nacht die Androiden sich zusammengetan und weiterhin friedlich protestiert hatten.
Es gab sogar einen Anführer, namens Markus, den ich für seine Tat sehr respektierte. Er hatte so viel für sein Volk getan und blieb trotz der Aggressivität der Menschen weiterhin friedlich.
Die Lage hatte sich nun weitestgehend beruhigt und den Androiden hatte man ihre Freiheit gewehrt. Sie durften nun endlich das sein, was sie wirklich waren. Menschlich. Und ich freute mich sehr für sie, dass hatten sie verdient.
Connor konnte nun endlich in Ruhe und Frieden sein Leben leben und mit Amaya glücklich werden.
Eifersucht stieg in mir hoch und tapfer schluckte ich sie jedes Mal, wenn sie zu groß wurde, wieder runter.
Dieses Gefühl würde weggehen. Irgendwann. Vielleicht.
„Süße ich weiß dass du jetzt eine schwere Zeit durchmachst aber es ist wichtig, dass du über ihn hinwegkommst."
Ich erschrak.
Ich war so in meinen Gedanken vertieft gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, das Dad ins Zimmer gekommen war.
„Was?" Fragte ich und rieb mir meine Schläfen.
„Ich sagte, dass du trauern kannst aber du auch versuchen solltest, über ihn hinweg zu kommen. Es wird nicht von jetzt auf gleich gehen, aber es wird besser werden. Versprochen."
Ich nickte und versuchte nicht Trübsal zu blasen.
Es war so öde hier. Wie sollte ich mich ablenken, wenn jeder Tag wie der andere war?
Die Türe öffnete sich schwungvoll und mit großen Augen starrte ich auf Lucy, die grinsend mit Ballons und einer großen Tüte hereinstürmte.
Fassungslos setzte ich mich auf und brachte kein Wort heraus.
„Genau das habe ich mir schon gedacht." Sie prustete los. Wahrscheinlich über mein entsetztes Gesicht.
„Lucy!" Rief ich und breitete die Arme nach ihr aus.
Sofort drückte sie Dad die Ballons und die Tüte in die Hände und nahm mich fest in die Arme. Zu fest.
„Au, Vorsicht. Es tut immer noch etwas weh." Sagte ich aus zusammengepressten Zähnen und rangelte mir ein Lächeln ab, um nicht zu zeigen, wie sehr es mir wirklich weh tat.
„Tschuldige." Murmelte sie und sah mich mitleidig an.
„Dich sollte man in Watte packen, so zerbrechlich wie du bist."
Ich verdrehte die Augen, aber ich wusste, dass sie Recht hatte. Irgendwas war doch immer mit mir.
„Ich freue mich, dass es dir besser geht. Ich hab dich auf dem Campus unheimlich vermisst. Und es tut mir so leid, dass ich mich nicht von dir verabschiedet habe, aber du warst so traurig und da wollte ich dir nicht noch mehr zumuten.
Ich hoffe du kannst mir verzeihen."
Sie zuckte mit den Schultern und ein paar Strähnen lösten ich aus ihrem gebundenem Haar.
Verwundert schaute ich auf ihre Spitzen, die jetzt nicht mehr Orange sondern blau waren.
Sie bemerkte, dass ich sie musterte und biss sich auf ihren Lippen herum.
„Blau ist jetzt total trendy."
Ich lachte und nickte.
„Sieht schön aus, es passt zu dir und nein, ich bin dir nicht böse. Ich freue mich so, dass du jetzt hier bist."
Jetzt strahlte sie bis über beide Ohren und klatschte fröhlich in die Hände, dann nahm sie Dad wieder die Sachen aus den Händen und überreichte sie mir.
Ich sah, wie Dad unsicher hinter Lucy dastand und sich am Nacken kratzte.
„Ich bin dann mal unten und hole mir noch einen Kaffee. Dann habt ihr was Zeit zu quatschen."
Er winkte uns noch einmal zu und verschwand aus dem Zimmer.
Ich begutachtete die bunten Ballons, auf denen etwas geschrieben stand.
„Tut weh, aber ich lächle das weg." Lass ich laut vor.
Ich prustete los und Lucy stimmte mit ein.
„Du bist doch bescheuert, wo hast du das denn her?" Lachte ich.
Sie zwinkerte mir zu und bedeutete mir, für sie Platz zu machen.
„Ist doch egal, Hauptsache es gefällt dir, oder?"
Ich nickte und lächelte breit.
„Die gefallen mir sehr, danke." ,
„Jetzt wirst du immer an mich denken und dabei lächeln wenn du die siehst."
„Das auf jeden Fall." Kicherte ich und sah in die Tüte, die sie mir ebenfalls gegeben hatte.
Sie hatte extra buntes Papier reingestopft, damit ich nicht direkt erkennen konnte, was sie mir da mitgebracht hatte.
Ich griff nach etwas, was sich nach Stoff anfühlte und bewunderte den grauen, dicken Kapuzenpulli.
Als ich ihn mir genauer ansah, erkannte ich ein paar kleine schwarz aufgedruckte Vögel, die auf beiden Schultern zu sehen waren.
Auf der rechten Seite waren nur kleine, vereinzelte zu sehen, die sich aber über den Rücken hin vergrößerten und vermehrt auf der linken Schulter auftauchten und an dem Ärmel ausschwärmten.
„Der ist wunderschön." Mit den Fingern ging ich über den Stoff und sah Lucy dabei in die Augen.
„Dankeschön!" Wieder umarmte ich sie und Tränen bildeten sich in meinen Augen.
Ich hatte große Mühe mich zusammenzureißen, um nicht wieder los zu flennen.
„Gern geschehen. Schön, dass er dir gefällt."
Sorgfältig faltete ich ihn und legte ihn zurück in die Tüte, die mir Lucy dann abnahm und auf den Tisch in der Ecke stellte. Die Luftballons befestigte sie an den griffen der Tüte.
Dann kam sie wieder zurück und setzte sich im Schneidersitz am Fußende des Bettes, sodass wir einander ansehen konnten.
„Also, erzähl was ist passiert? Dein Dad wollte mir am Telefon auch nichts sagen."
Ich seufzte.„Ich weiß, dass du das wissen willst, aber ich fühle mich noch nicht bereit dazu. Er hat mir sehr wehgetan und das meine ich jetzt nicht körperlich, denn das war nicht er." Lucy's Augenbrauen zogen sich zusammen und man sah ihr deutlich an, dass sie nicht verstand, worüber ich redete.
Ich machte eine abfällige Handbewegung.
„Ich erzähle es dir später mal. Auf jeden Fall ist er jetzt mit einer Androidin zusammen. Er hat sich noch nicht mal mehr von mir verabschiedet."
Tränen stiegen wieder in meinen Augen und ich biss mir feste auf die Unterlippe, um sie da zu halten, wo sie waren.
Ich wollte nicht noch mehr weinen. Mein Gesicht war schon verquollen genug.
„Verstehe." Lucy nickte und nahm meine Hände in ihre.
„Das hört sich aber gar nicht nach Connor an, finde ich. Aber gut, soll er doch mit dieser Androidenbitch glücklich werden, er weiß ja nicht, wie sehr er das bereuen wird."
Sie schaute ein wenig grimmig drein und ich musste lächeln.
Es tat so gut, dass sie hier war. Endlich wurde ich verstanden.
„Ich weiß, dass ich drüber hinweg kommen soll, aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass ich das jemals werde."
Ich schluckte hard und Lucy drückte meine Hände.
„Doch dass wirst du! Es erscheint dir jetzt nur so schwer. Du wirst merken, dass die Zeit alle Wunden heilt. Da draußen gibt es noch so viele junge Männer." Sie zwinkerte mir zu.
„Und das aus Fleisch und Blut."
Ich lächelte.
Ja, dass wäre sicher besser.
„Wenn ich ihn auf den Weg sehen sollte, werde ich ihn und seine Bitch überfahren."
Ihr Gesicht verdunkelte sich.
Ich rollte mit den Augen und verneinte. Keine paar Sekunden später lachten wir wieder los.
„Danke." Sagte ich.
„Nichts zu danken." Lächelte sie zurück.
Plötzlich wurde sie hibbelig und ich wusste, dass ihr was auf dem Herzen lag.
„Was ist? Sag es. Ich weiß, dass dir was auf dem Herzen liegt."
Sie zögerte noch einige Sekunden ehe sie mir antwortete.
„Als du im Koma warst, hat sich das wie schlafen angefühlt?"
Ich grinste.
Das war Lucy. Sie stellte immer die richtigen Fragen.
Doch dann dachte ich wieder an den seltsamen Traum vor meinen Aufwachen und mein Gesicht verfinsterte sich.
„Nicht so ganz. Ich hatte schon ein paar seltsame Träume aber die meiste Zeit war es wie dahintreiben."
Sie rückte ein Stück näher zu mir.
„Es ist ein bisschen, als würdest du im Wasser treiben. Du verlierst die Orientierung und wenn da Geräusche sind, weißt du nie, ob du sie dir nur einbildest, oder ob sie gerade in der Wirklichkeit um dich herum passieren.
Du bist nicht im Stande deine Augen zu öffnen, denn dazu bist du viel zu schwach. Es ist, als ob du in Watte gepackt bist. Du fühlst dich beengt und unbeweglich.
Es macht dir Angst aber du kannst nichts dagegen tun und dann driftest du wieder in einer dieser seltsamen Träume ab."
Ich gähnte und streckte mich dabei.
„Man sollte meinen, du hast genug geschlafen."
Ich knuffte sie in den Arm.
„Hey, ich bin angeschossen worden. Dann darf ich das auch!"
Sie kicherte.
Lucy und ich unterhielten uns noch eine Weile, ehe sie auch schon wieder gehen musste.
Da sie nun weit weg zum College ging, würde ich sie nur noch selten zu Gesicht bekommen.
Dementsprechend fiel auch der Abschied aus.
Wir heulten und Lucy versprach in ihren Semesterferien gleich wiederzukommen.
Weitere trostlose Tage vergingen und ich hatte die Nase voll davon, immer nur im Zimmer zu hängen. Also hielt ich mich größtenteils im Außenbereich auf und ging dort im anliegenden Park spazieren.
Zwar konnte ich die frische Luft genießen, doch jeder einzelne Gedanke drehte sich nur um Connor.
Es war furchtbar immerzu an ihn denken zu müssen und sich vorzustellen, dass er all die Dinge die er mit mir gemacht hatte, jetzt mit einer anderen tat.
Eine Woche später, wurde ich endlich entlassen. Ich war froh, endlich aus dem Krankenhaus rauszukommen und als ich ins Auto stieg und wir nach Hause fuhren, wurde mir klar, dass ab jetzt alles nur noch schlimmer werden würde.
Zuhause würde ich niemals zur Ruhe kommen können.
Jede Ecke in diesem Haus erinnerte mich an ihn. Ich konnte ja noch nicht mal in den Park spazieren gehen, ohne dass ich nicht an ihn denken musste.
Von wegen, alles würde jetzt gut werden.
Mein Leben war die Hölle und am liebsten, würde ich niemals mehr nach Hause gehen wollen.
Überall hin, bloß nicht zurück.
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