18
Es war stockdunkel. Einzelne Lichter leuchteten am Armaturenbrett. Musik klang aus den Boxen.
Hell, dunkel, hell, dunkel.
Das Licht der Straßenlaternen drang durch die Fensterscheiben in den Wagen. Mit einem Blick aus dem Fenster sah ich die Landschaft vorbeiziehen. Sie kam mir bekannt vor, doch konnte ich sie nicht so genau zuordnen.
Die ganze Szenerie kam mir irgendwie bekannt vor, so als wäre es ein Deja vú...
Hell, dunkel, hell, dunkel.
Zwei Hände umfassten verkrampft das Lenkrad. Das Fahrzeug beschleunigte. Die Straßenlichter zogen immer schneller am Auto vorbei. Auf der Fahrbahn war kein anderes Fahrzeug zu entdecken, trotzdem stieg die Anspannung in mir, als wüsste ich, dass gleich etwas passieren wird.
Hell, dunkel, hell, dunkel.
Ich sah mich im Wagen um. Es musste hier doch irgendwelche Hinweise geben, darüber wo wir waren oder wer hinter dem Steuer saß.
"Und das waren die wichtigsten Verkehrsinfos um kurz vor eins. Wir wünschen allen eine gute Fahrt. Jetzt geht es weiter mit dem Song 'Back To Me' von The Rose", vernahm ich leise aus dem Autoradio. Kurz vor ein Uhr nachts. Dies erklärte den dunkelblauen, fast schwarzen Nachthimmel.
Der Refrain des Songs spielte ein.
I can make you mad, I can make you scream.
I can make you cry, I can make you leave.
I can make you hate me for everything.
But I can't make you come back to me.
Ein Blick durch die Windschutzscheibe verriet mir, dass die Verkehrsampel von grün auf orange und schließlich auf rot sprang. Der Fahrer schien abgelenkt zu sein, da er nicht wie erwartet zu bremsen begann. "Achtung!", wollte ich rufen. "STOP!" Aber es drang kein einziger Ton aus meiner Kehle. Ich fühlte mich hilflos.
Hell, dunkel, hell, dunkel - HELL!
Plötzlich leuchteten Scheinwerfer durch das Seitenfenster der Fahrerseite und füllten das komplette Auto mit grellem Licht. Alles war weiß. Bremsen quietschten und dann hörte man auch schon den harten Aufprall...
Mit einem metallischen Knall im Ohr schreckte ich hoch. Mein Herz raste und ich atmete schwer. Ich fand mich in meinem Bett wieder. Einzelne Sonnenstrahlen drangen durch die Vorhänge in mein Zimmer. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass es sich um eine erneute Vision und nicht um einen Alptraum gehandelt hat. Wobei mir in dieser Situation letzteres lieber gewesen wäre. Diese Vision war mir bereits bekannt, dennoch überrumpelte sie mich immer wieder aufs Neue. Immerhin kannte ich jetzt die Uhrzeit und auch der Song war neu. 'Nice touch!', kommentierte ich in meinem Kopf. Ich setzte mich in meinem Bett auf und atmete tief durch. Mein Herzschlag begann sich so langsam zu beruhigen.
Ich hatte Kopfschmerzen, an die ich mich mittlerweile schon beinahe gewöhnt hatte. Diesmal fragte ich mich jedoch, wie viel der Alkohol von gestern Abend dazu beitrug. Der Blick auf mein Smartphone verriet mir, dass es kurz vor elf Uhr war. Und dass Marie mir geschrieben hatte.
"Na... Wie war dein Date mit Nico?"
Auch wenn ich einerseits den gestrigen Abend aus meinen Erinnerungen streichen wollte, hatte ich dennoch das Bedürfnis meiner besten Freundin davon zu erzählen. Also entschied ich mich kurzerhand, sie anzurufen. Während das Freizeichen ertönte, richtete ich mich im Bett weiter auf und warf das Bettlaken zurück.
"Na, da hatte wohl gestern jemand eine lange Nacht!", meldete sich meine Freundin nach dem dritten Freizeichenton.
"Auch dir einen wunderschönen guten Morgen!"
"Jaja, das auch! Aber jetzt schieß los, ich will ALLES wissen. Wie war's gestern?", drängelte Marie.
"Ernüchternd!", schnaubte ich. "Der Abend startete gut, aber als sich das Date dem Ende neigte..." Ich machte eine kurze Pause und überlegte, wie ich die Ereignisse am treffendsten zusammenfassen konnte. "Naja, sagen wir Mal so, wir hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das Date zu Ende gehen sollte. Und anscheinend ist es Nico nicht gewohnt, dass jemand beim ersten Date NICHT mit ihm in die Kiste springt."
"Oh Süße, das tut mir leid. Dabei hattest du dich so sehr darauf gefreut und dann entpuppt er sich als ein typischer Aufreißer."
Ich lachte auf. "Ich wusste ja, dass er ein Aufreißer ist, aber..."
"Aber du dachtest du könntest den Bad Boy umerziehen."
"Ja! Nein! Ach, keine Ahnung! Ich dachte einfach, er hätte ehrliches Interesse an mir, aber vielleicht war das auch Wunschdenken. Nach alledem was in der letzten Zeit passiert ist, wollte ich einen Abend, nur einen Abend, das Gefühl haben, ein normales 19 jähriges Mädchen zu sein, das unbeschwert auf Dates geht und einen schönen Abend mit einem Jungen, den sie toll findet verbringt. Und dann das. Und das Schlimmste ist, wie soll ich ihm, nach dem Abend gestern, jemals wieder in die Augen sehen können?"
"Jetzt reicht es aber! DU brauchst dir dazu keine Gedanken zu machen, denn du hast nichts falsch gemacht! ER ist derjenige, der sich überlegen sollte, wie man sich Frauen gegenüber verhält und wie man mit einem 'Nein!' umgeht. AAAAH, das regt mich grad so auf, am Liebsten würde ich ihm eine reinhauen. So ein arroganter, dummer, kleiner, unsicherer ..."
"Ich habs verstanden!", unterbrach ich meine Freundin, bevor sie noch weitere negative Adjektive aneinander reihte. "Zum Glück ist das Silvermoon jetzt erstmal für zwei Wochen geschlossen."
"Gut so! Das heißt dann auch, dass du die nächsten Wochen frei hast?"
"Ja, das heißt das dann wohl!", lachte ich.
"Super, ich brauche nämlich unbedingt deinen Rat!" Ich hörte Nervosität in ihrer Stimme mitschwingen und merkte einen plötzlichen Stimmungsumschwung, was mich sofort in Sorge versetzte.
"Alles in Ordnung, Marie?"
"Ja! Eigentlich mehr als in Ordnung. Zumindest glaube ich das. Ich weiß, das ist jetzt doof, nachdem du mir gerade von deinem blöden Abend gestern erzählt hast und dann komme ich mit... Also, naja... gestern...", stammelte meine Freundin und machte mich damit fast verrückt. Aber ich musste mich in Geduld üben, bis Marie die richtigen Worte gefunden hatte.
"Gestern hat sich Flo wieder bei mir gemeldet. Und bevor du jetzt was sagst: Ja, ich weiß, dass ich gesagt habe, dass ich mit ihm abgeschlossen habe. Und ja, ich wollte mir nicht wieder Hoffnungen machen, aber ich glaube, dass er tatsächlich interessiert an mir ist. Und da ich nicht schon wieder ewig darauf warten kann, dass er den ersten Schritt macht, nur um dann wieder enttäuscht zu werden, habe ich mir überlegt, naja, dass ICH ja vielleicht... IHN... nach einem Date fragen könnte?"
Ich versuchte mir ein Kichern zu unterdrücken. "Ich finde, das ist eine sehr gute Idee. Das solltest du unbedingt machen!"
"Ist das jetzt Sarkasmus, oder meinst du das Ernst? Also ich habe ja das Gefühl, dass du da gerade umgekehrte Psychologie versuchst, aber ich kenne diesen Trick, der bei mir nicht funktionieren wird. Ich werde ihn trotzdem schreiben... denke ich."
Nun lachte ich hörbar in mein Handy. "Das war mein Ernst, Marie! Ich finde, du solltest die Gelegenheit am Schopfe packen. Du weißt genau, dass er zu schüchtern ist und dich wahrscheinlich nie danach fragen wird. Und dann wirst du dich ewig fragen, ob aus euch hätte was werden können, wenn DU dich getraut hättest. Deswegen finde ich, solltest du es einfach machen!"
Am anderen Ende der Leitung wurde es still. Es dauerte einige Sekunden, in denen ich mich wunderte, ob Marie noch dran war, ehe sie schließlich leise fragte: "Aber was ist, wenn er Nein sagt?"
"Das kann natürlich passieren, aber wenn du nicht fragst, ist es automatisch ein Nein, verstehst du? So hast du zumindest die Möglichkeit, dass er Ja sagt. Und das wird er!"
"Spricht hier jetzt Mia, meine Freundin oder Mia, die Hellseherin!"
"Erstens, bin ich ein Keeper, keine Hellseherin, zweitens ist auch Mia der Keeper deine Freundin und drittens haben wir besprochen, dass ich dir nichts von meinen Visionen, die von dir handeln, sagen soll." Ich schmunzelte. "Also wenn ich theoretisch eine Vision von dir und Flo auf einem Date, das übrigens sehr gut laufen wird, gehabt hätte - nur rein theoretisch - würde ich dir das natürlich nicht sagen. Ich könnte dir aber raten, Flo zu schreiben." Und um auf Nummer sicher zu gehen, dass Marie den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte, fügte ich schnell hinzu: "Also: Schreib ihm!"
"Okay!" Ich konnte ihr Grinsen durch die Leitung hindurch hören, ja beinahe sehen. "Aber du musst mir unbedingt helfen. Was sollen wir machen? Und was noch wichtiger ist, was soll ich anziehen?"
"Ich weiß da zufällig ein perfektes Outfit, das dir sehr gut stehen und auch Flo vom Hocker hauen wird!", lächelte ich wissend.
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