"Wir haben es geschafft, Mia." Meine Freundin packt mich am Arm und springt auf und ab. "Wir haben die letzte Prüfung geschafft und jetzt geht es in die wohlverdienten Sommerferien. Yes!" Triumphierend reckt sie ihre rechte Faust in die Luft.

Beim Anblick meiner besten Freundin und dem Freudentanz, den sie hier gerade veranstaltet, muss ich augenblicklich lächeln.

"Hoffentlich haben wir die Prüfung auch bestanden." Ich werfe meine Stirn in Falten. Obwohl ich gestern Nachmittag sorgfältig die Unterlagen durchgegangen bin und mir auch meine Mitschriften von den Seminaren eingeprägt habe, bin ich mir immer wieder nach den Prüfungen unsicher, ob mein Einsatz ausreichend war. Oft fühlt sich mein Gehirn während der Prüfung an wie ein einziges Nudelsieb. "Ich hoffe echt, dass das reicht und ich nicht völlig umsonst gelernt habe."

Marie blickt mich böse an. "Verdirb mir jetzt nicht meine Freude. Das hat bestimmt gereicht!"

"Ich hoffe auch. Immerhin hat Nico mir ein Date versprochen, sollte ich die Prüfung bestehen", träume ich vor mich hin. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus und bei dem Gedanken an das Date mit Nico merke ich ein komisches Kribbeln in meinem Bauch.

Marie bleibt augenblicklich stehen und schaut mich mit großen Augen an: "WAS?!"

Mein Lächeln verwandelt sich in ein Grinsen, was meiner Freundin als Antwort offensichtlich reicht. Sie quiekt laut auf: "Wann?...Wo?...Wie?". Sie schüttelt meinen Arm. "Du musst mir alles erzählen!"

***

Auf dem Weg nach Hause starre ich auf mein Handy. Ich aktualisiere die Seite, auf der die Prüfungsergebnisse veröffentlicht werden, aber natürlich ist noch nichts gelistet. Die Prüfung ist ja auch erst gerade einmal zwei Stunden her. Das Ergebnis habe ich frühestens in ein paar Tagen. Ich seufze. Ob ich Nico trotzdem schon mal schreiben sollte? Nein! Vielleicht warte ich besser ab, ob er sich bei mir meldet. Immerhin weiß er ja, dass ich heute meine Prüfung hatte.

Ich biege auf unsere Straße und lasse das Handy in meine Tasche gleiten.

Ob sich Nico heute noch bei mir melden wird? Oder vielleicht fragt er morgen im Silvermoon persönlich nach? Was soll ich Nico sagen, wenn er nachfragt? Wir könnten ja eigentlich trotzdem was trinken gehen, auch wenn ich das Ergebnis noch nicht habe. Und dann einfach ein zweites Mal, sobald ich die Prüfung bestanden habe. Ich lächle verträumt.

"Hey!", ertönt es hinter mir und Fahrradbremsen quietschen laut. Ich fahre herum, wobei mir meine Handtasche von der Schulter rutscht. "Oh, sorry, ich wollte dich nicht erschrecken." Tom schaut mich schuldbewusst aus seinen himmelblauen Augen an, als das Fahrrad zum Stehen kommt und er langsam absteigt. Für eine Sekunde schauen wir uns direkt in die Augen, dann reiße ich meinen Blick von ihm los und schiebe mir den Henkel meiner Handtasche wieder auf die Schulter.

"Äh... Hi, Tom!" Ich puste mir eine Strähne aus dem Gesicht. Dann richte ich meinen Blick wieder auf den Gehweg vor mir und straffe meine Schultern.

"Warst du gerade mit Marie unterwegs?" Ich spüre seinen Blick, traue mich aber nicht noch einmal hinzusehen.

"Kann man so sagen!", lache ich, "Prüfung an der Uni."

"Das nervt! Und... wie liefs?"

Mein Blick huscht nun doch noch einmal kurz zu ihm. Ich zucke mit den Schultern. "Weiß noch nicht, aber ich denke, das müsste reichen."

"Ach ich kenne dich doch. Die Prüfung hast du bestimmt gerockt." Er lächelt mich an. Fast hatte ich das Gefühl, dass es wieder so ist wie früher, aber nur fast, denn meine Gedanken sind schneller und haben ihren eigenen Weg.

"Naja, du hast mich Mal gekannt. Aber du warst eine Weile weg und Menschen verändern sich", rutscht es mir schärfer heraus als beabsichtigt.

Ich weiß Tom hatte es nur gut gemeint und seine Absicht war ehrlich, aber mein Mund war schneller. Er wendet seinen Blick ab. Ich sehe, wie sein Mund aufklappt, als wolle er widersprechen, doch er scheint es sich anders zu überlegen und atmet stattdessen leise aus.

"Aber danke!", probiere ich die Wirkung meiner Worte abzuschwächen und versuche mich an einem Lächeln. Tom setzt ebenfalls ein Lächeln auf und nickt. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich so abweisend war, aber zugleich bin ich auch stolz auf mich, dass es mir gelingt, meinen Schutzwall weiterhin aufrechtzuerhalten. Eine Weile gehen wir stumm nebeneinander her.

"Mum hat erzählt, du arbeitest jetzt im Silvermoon?", bricht Tom schließlich das Schweigen.

"Ja, als Aushilfe. Immer wenn ich gebraucht werde. Ich habe keine fixen Zeiten, was recht blöd ist, aber dafür kommt mir mein Chef total entgegen, wenn ich zur Uni muss, oder ein paar Tage frei brauche um für Prüfungen zu lernen."

"Das ist super, wenn du flexible Arbeitszeiten hast und es schaffst Uni und Arbeit unter einen Hut zu bringen." Tom lächelt wieder, diesmal ist es kein aufgesetztes Lächeln mehr. "Und deine Arbeitskollegen?", fragt Tom vorsichtig, als ahne er bereits etwas.

Ich verdrehe die Augen. "Meine Kollegin ist eine echte Kratzbürste. Der kannst du nichts Recht machen und sie ist dauernd am rumzicken. Aber Nico... also der Sohn vom Chef, der ist ganz okay." Eigentlich mehr als nur 'ganz okay', aber das werde ich Tom ganz bestimmt nicht auf die Nase binden.

Tom nickt nachdenklich und wirkt kurz abwesend. "Bist du heute am Nachmittag auch da?"

"Nein, heute habe ich frei." Und außerdem schon was vor. Ich habe heute nämlich meine zweite Lektion mit Louise. Apropos, ich muss unbedingt die Liste suchen, die ich neulich geschrieben habe. Ich muss heute versuchen, so viel wie möglich herauszufinden. "Wieso fragst du?"

Er schüttelt den Kopf. "Ich... bin heute mit Anna dort zu einem Kaffee verabredet und ich dachte... Egal, schade!" Wir kommen vor Toms Einfahrt kurz zum Stehen. "Dann wünsche ich dir einen schönen Nachmittag, Mia."

"Euch auch", ich lächle. Anna scheint nett zu sein. Sie passt sicher gut zu Tom. Ich freue mich für ihn. Oder? Doch, ich freue mich für ihn! Und ich freue mich auf mein Date mit Nico.