05
"Hallo Mia. Ich bin überrascht, dass du heute tatsächlich auftauchst." Becca setzt ein falsches Lächeln auf. "Das freut mich."
Ich schließe die Eingangstür zum Silvermoon hinter mir und sehe mich kurz um. Es sind gerade einmal zwei Tische besetzt und beide scheinen ihre Bestellung schon erhalten zu haben. Dann wende ich mich Becca zu.
"Hi, Becca. Ja, zum Glück geht es mir heute wieder besser. Herr Gross meinte, ansonsten hättest du und Nico den ganzen Laden alleine schmeißen müssen. Aber wo ich wieder da bin..." Ich lächle ebenso falsch zurück. "Ich bringe nur schnell meine Sachen nach hinten, dann bin ich gleich wieder bei dir, ja?" Ohne eine Antwort abzuwarten gehe ich an der Theke vorbei ins Büro. Auf der rechten Seite befinden sich die Spinde für die Angestellten, neben der Tür, hinter der sich eine Umkleidekabine und die Mitarbeitertoilette befinden.
Mein Spind ist der ganz rechts außen, direkt neben der Tür. Ich stelle meine Handtasche hinein und gucke kurz nach, ob ich noch eine Wechselbluse für den Notfall da habe. Jap, wie es aussieht bin ich noch gut versorgt.
Im Umdrehen schließe ich die Spindtür, als Nico plötzlich hinter mir steht. Ich zucke erschrocken zusammen. Dadurch verpasse ich der Spindtür aus Versehen eine Extraportion Schwung, wodurch sie, mit einem lauten, eisernen Knall ins Schloss fällt.
"Oh, sorry! Ich wollte dich nicht erschrecken." Nico steht gerade einmal einen Meter von mir entfernt und lächelt mich mit seinem makellosen Nico-Lächeln an.
"Ähm, kein Problem." Ich lächle schüchtern. Seine Haare sitzen wie immer perfekt und das schwarze T-Shirt spannt an seinen Schultern. Die kastanienbraunen Augen blicken direkt in meine und ich werde leicht nervös. Moment, wo ist sein Veilchen? Hatte er gestern nicht noch ein Veilchen? Ich mustere ihn.
"Alles okay?" Nicos Mund verzieht sich zu einem amüsierten Schmunzeln.
Ich fühle mich ertappt. Habe ich ihn etwa angestarrt? Natürlich habe ich das. Verdammt! Ich merke wie ich rot werde.
"Ja... klar. Ich, äh, geh dann Mal zu Becca." Schnell drehe ich mich um und marschiere durch die Tür nach draußen. Als ich schon beinahe außer Sichtweite bin, werfe ich noch einen kurzen Blick über die Schulter zu Nico, der mit inzwischen freiem Oberkörper und mit dem Rücken zur Tür im Raum steht. Ich schüttle lächelnd den Kopf. Warum auch die Umkleidekabine benutzen, wenn man so einen Körper hat?
Mein Kopf wechselt jedoch sofort wieder das Thema. Wie schnell heilt so ein Veilchen eigentlich? Ist sowas von einen Tag auf den anderen überhaupt möglich? Oder hat das Ganze noch gar nicht stattgefunden? Meine Gedanken werden abrupt unterbrochen. "Was hat das so lange gedauert?" Grimmig wartet Becca hinter dem Tresen auf mich, nur um mich dann, im Befehlston, in die Küche zu schicken.
"Okay... wenn du hier draußen Hilfe brauchst, meldest du dich", versuche ich höflich zu bleiben, auch wenn es mich ankotzt, dass sie sich als Chefin aufspielt.
"Keine Sorge, das schaffen Nico und ich schon." Sie grinst.
Ich nicke, atme tief durch und setze dann ein Lächeln auf. Dann stapfe ich in die Küche, wo mich meine heutige Tagesaufgabe schon erwartet: schmutziges Geschirr stapelt sich auf den Abstellflächen und in der Spüle. Wie es scheint, hat sich während meiner Abwesenheit keiner um das Geschirr gekümmert. Ich seufze laut auf.
"Die Teller versteh ich ja, aber ist es denn wirklich zu viel verlangt, die Gläser und Tassen direkt in die Spülmaschine zu stellen?", frage ich in den Raum hinein. Ich schnappe mir eine Kochschürze und binde sie am Rücken zusammen. Dann krempel ich meine Ärmel hoch und lasse das Wasser warmlaufen. Ich schließe den Stöpsel, kippe ordentlich Spülmittel in die Spüle und lasse das Becken volllaufen. Die Teller und Tassen mit den eingetrockneten Resten versenke ich darin und beschließe erstmal alles einweichen zu lassen.
Genervt lehne ich mich mit dem Rücken an die Wand neben der Spüle. Ich bin gerade einmal 15 Minuten bei der Arbeit und schon ist mir die Lust vergangen. Wenn ich das Geld nicht bräuchte, würde ich sofort kündigen. Was hält mich hier denn schon? Das gute Arbeitsklima bestimmt nicht.
"Na? Hast du heute wieder Spüldienst?" Nico kommt mit einem Tablett voller Kaffeetassen zur Tür herein.
"Witzig", ich rolle mit den Augen.
"Wohin?" Er schaut auf das Tablett in seiner Hand und dann zu mir.
"Darfst du dir aussuchen. Heute ist freie Platzwahl", sage ich ironisch.
"Hmm... viel Platz ist hier ja nicht mehr..." Er sieht sich um. Dann findet er schließlich eine freie Stelle und stellt es dort vorsichtig ab. "Freut mich übrigens, dass es dir heute besser geht und du wieder da bist", lächelt er schüchtern, als er sich wieder zu mir dreht.
Seit wann ist Nico schüchtern? Er hat mich doch nicht etwa vermisst, oder? "Du bist doch nur froh, dass jetzt jemand da ist, der den Abwasch übernimmt."
"Ja, das auch", er lacht, "Spaß! Ich habe Becca gestern eigentlich gesagt, dass ich das heute übernehme, aber sie meinte, sie bräuchte mich heute draußen."
"Aha." Das war ja klar. Natürlich 'braucht' sie Nico. Aber nicht so, wie er denkt.
"Es ist aber grad nicht viel los, wenn du willst, kann ich dir gerne helfen."
"Nein, quatsch. Ich schaff das schon." Nico soll nicht glauben, dass ich mir für solche Aufgaben zu schade bin. Ich habe als Mädchen für Alles hier angefangen und da gehört das Abspülen eben dazu.
"Das weiß ich, dass du das auch alleine schaffen würdest, aber ich dachte mir, vielleicht ist dir nach Gesellschaft?" Lässig lehnt er sich an den Türrahmen und zieht fragend seine rechte Augenbraue nach oben.
Kommt es mir nur so vor, oder versucht Nico gerade mit mir zu flirten? Ich schaffe es gar nicht ihm zu antworten, da kommt Becca in die Küche. "Oh Nico, da bist du ja. Könntest du mir bitte helfen das Bierfass anzuschließen?"
"Klar." Nico drückt sich vom Türrahmen ab und verlässt die Küche. Becca hingegen sieht mich grimmig wie immer an.
"Machst du jetzt etwa schon Pause? Du bist doch eben erst gekommen?"
"Nein, das mache ich nicht. Bin gerade dabei das Geschirr zu sortieren. Ist ja ziemlich viel liegen geblieben, als ich nicht da war."
Becca schnaubt amüsiert. "Du glaubst doch wohl nicht, dass ich den Abwasch erledige, nur weil du blau machst? Keine Sorge, der Abwasch ist und bleibt dein Job."
"Ich habe gar nicht blau gemacht", wehre ich mich. Auch wenn sie mit ihrer Anschuldigung richtig liegt, gibt ihr das noch lange nicht das Recht so von oben herab mit mir zu reden.
"Ja, wenn du das sagst." Sie verschränkt die Hände vor ihrer Brust und mustert mich.
Warum kann sie nicht einfach gehen und mich in Ruhe meinen Job machen lassen? "Sag mal, hast du das Bierfass letztens nicht selbst angeschlossen?", fällt mir ein.
"Und? Jetzt ist Nico da, da kann er mir doch helfen, oder? Und außerdem musste ich ihn doch vor dir retten."
Jetzt reicht es mir aber. Ich habe ihr nichts getan und trotzdem behandelt sie mich wie eine Aussätzige. Nicht mit mir. "Sag mal, was ist eigentlich dein Problem? Ich habe weder dir etwas getan, noch habe ich Nico gezwungen hier zu bleiben. Kann ich doch nichts dafür, wenn er lieber Zeit mit mir verbringt, als mit dir." Wow, Mia. Was für eine reife Aussage!
Ich sehe wie der Wut-Pegel in Becca ansteigt. Sie schnaubt abfällig. "Sind wir jetzt im Kindergarten?"
"Kommt mir so vor, so wie du dich hier aufspielst. Du weißt, dass du nicht meine Vorgesetzte bist, oder? Also hör auf deine schlechte Laune an mir auszulassen und frag dich doch lieber, warum Nico lieber mir beim Abwasch hilft, als draußen mit dir hinter der Theke zu stehen." Wütend drehe ich mich von ihr weg und beginne das Geschirr zu schrubben. Ich weiß nicht was genau mich da grad getrieben hat. Ich wollte gar nicht so gemein sein - auch wenn sie es verdient hat. Normalerweise bin ich gar nicht so. Natürlich muss ich mir Beccas Launen nicht gefallen lassen, aber ich habe mich doch sonst auch besser unter Kontrolle. Als ich merke, dass sie immer noch hinter mir steht, atme ich tief durch und frage nun etwas ruhiger: "Ist noch was?"
"Ähm, ja..." stammelt sie. Sie scheint von meinen Worten doch merkbar getroffen zu sein. Dies hält jedoch nicht für lange. "Ein Gast fragt nach dir. Du hast 5 Minuten, dann solltest du dich wieder an die Arbeit machen, das Geschirr spült sich nicht von allein." Schon ist ihr Befehlston zurück.
Ich bin versucht mit 'Ja, Chefin!' zu antworten, halte mich aber doch zurück und entscheide mich für ein Nicken.
Becca stapft an mir vorbei, während ich nach einem Geschirrtuch suche, um meine Hände zu trocknen. Beim Hinausgehen überlege ich mir, wieso ein Gast nach mir fragen könnte. Es hat noch nie ein Gast nach mir gefragt, wieso also heute? Ich habe doch nichts angestellt, oder? Nein! Wann denn auch, ich war doch die ganze Zeit in der Küche. Draußen angekommen schaue ich mich um, aber ich muss nicht lange Ausschau halten, denn nur eine Person guckt zu mir herüber. Mir wird heiß und kalt zugleich und ich bleibe wie angewurzelt stehen, als ich die Person erkenne. Sofort schießen mir tausende Gedanken durch den Kopf. Fragen, mögliche Antworten. Mein Gehirn malt sich verschiedenste Möglichkeiten aus, was für ein Gespräch zustande kommen könnte. Dabei vergisst es jedoch meinen Beinen den Befehl zu geben, hinzugehen und herauszufinden, was wirklich Sache ist. Erst durch das Winken des Gastes scheinen sich meine Beine in Bewegung zu setzen. Als ich den Tisch erreiche, schaue ich in ein lächelndes Gesicht.
"Hallo Mia!"
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