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08. Kapitel - Mutterschaften

Die tannenfarbene Minzsauce zergeht herb und beinahe süßlich an meinem Gaumen. Ich muss ein Seufzen mit aller Kraft unterdrücken, denn Gott, sie ist himmlisch. Ella hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Ich nehme mir vor, sie zu dieser göttlichen Kreation zu beglückwünschen, sobald ich ihr morgen über den Weg laufe, denn obgleich meine Mutter und mein Vater stets nur ausgewähltes Personal die geräumige Küche in unser Villa in Mayfair haben betreten lassen, geht doch nichts über jemanden, der die Kunst des Kochens so optimiert hat wie Ella. Es gibt Roastbeef und das würzige Fleisch, innen noch rosigrot, zieht einen herben Geruch nach Kräutern, nach Rosmarin und dunklem Pfeffer durch den Großen Saal. Goldgebräunte Kartoffeln, mit einer beinah karamellisierten Schicht überzogen, quellen über den Rand einer ausladenden Keramikschüssel aus dunklem Ton und werden von der Minzsoße auf meinem Teller getränkt, die den Braten ölig überzieht. Ich muss mir Mühe geben, nicht zu viel auf einmal zu nehmen, nicht gleich zwei der honigfarbenen Kartoffeln mit der Gabel aufzuspießen und mir mit einem wohligen Seufzen in den Mund zu schieben. So gesittet wie möglich schneide ich eine winzige Ecke des Rindfleisches und lasse mein Messer durch das rote Roastbeef gleiten, schiebe eine kleine Kartoffelhälfte dazu auf die Gabel, hebe diese zum Mund. Oh Gott, denke ich und frage mich instinktiv ob es irgendeine Möglichkeit gibt, Ella zu kidnappen und nach Mayfair zu entführen. Ich gebe zu, angesichts der Umstände auf Haven Hill ist das ein durchaus makabrer Wunsch.

„Schmeckt es Ihnen, Miss Luna?" Todd Courtertons eiserne Stimme lässt mich meinen Entführungsfantasien augenblicklich entfliehen. Ich sehe auf. Und kann nicht umhin augenblicklich zu erröten, denn alle Augen sind auf mich gerichtet. Seit Ella und die Mädchen die Hauptspeise aufgetischt haben, herrscht eisernes Schweigen im Großen Saal von Haven Hill, ein jeder hat sich dem üppig gefüllten Teller vor sich gewidmet und schweigend das Mahl eingenommen, doch scheinbar ist jeder in dieser Familie durchaus fähig zugleich zu essen und niemanden der Anwesenden auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. Und jetzt gilt diese Aufmerksam ausgerechnet mir. An der anderen Längsseite des Tisches hat Jareth mit der ganzen Faust nach Messer und Gabel gegriffen, als handele es sich hierbei nicht um ein Dinner in feinem Hause, sondern ums nackte Überleben im Urwald und auch sein Vater ist vehement dabei, sein Roastbeef im wahrsten Sinne des Wortes zu zerfleischen und die großen Kartoffelstücke in sein gewaltiges Maul zu drücken, während seine Mutter ihr Essen nicht einmal angerührt zu haben scheint und mit der Gabel nur teilnahmslos ein zerkleinertes Minzblatt auf der rauen Oberfläche des Rinds hin und her schiebt.

Auch Amy-Rose scheinen Ellas Künste mehr als zu schmecken - obwohl sie dies, zumindest wie ich sie einschätze, niemals zugeben würde - denn sie hat sich ebenfalls voller Inbrunst über ihren Teller hergemacht und die helle Tischdecke um die herum ist bereits mit einigen dunklen Saucenspitzern besprenkelt. Ihre Mutter scheint sich an der Sauerei, die ihre Tochter veranstaltet jedoch nicht zu stören, denn sie schiebt sich die Spitze ihrer Gabel auf der ein winziges Stück in Minzsauce getränktes blutiges Stück Fleisch liegt, so galant in den Mund, wie ich es nicht für möglich gehalten habe. Auch Marisha Jakov und Henry rechts und links von mir schaffen es - ganz im Gegensatz zu ihren Familienmitgliedern - nicht wie von allen guten Geistern verlassen in ihrem Essen herum zu stochern und als Todd nun wie beiläufig die Stimme hebt und sich mit der Messerspitze ein Stück knusprige Kartoffel auf die Gabel schiebt, kann ich die Aufmerksamkeit aller anderen auf mir spüren, auch wenn niemand von ihnen seine Tätigkeit unterbricht. Ich sehe Henrys Vater an und seine Mundwinkel heben sich süffisant. „Der Genuss war Ihnen im Gesicht anzusehen", fährt er fort, als ich nichts erwidere. Es scheint ihn zu belustigen, dass mir das vorgesetzte Mal so offensichtlich schmeckt und ich spüre, wie Henry neben mir unruhig wird. Bevor dieser jedoch noch etwas sagen kann, was seinen Vater verärgern könnte, antworte ich schließlich: „Ja, wirklich, Mister Courterton. Miss Martin hat wirklich ganze Arbeit geleistet", gebe ich zu und entschließe mich instinktiv Ella bei ihrem Nachnamen zu nennen - ich bezweifle, dass Todd Courterton ein Mann ist, der es gutheißt, das niedere Personal bei deren Vornamen zu nennen. Amy-Rose verzieht die wulstigen Lippen zu einer krummen Schnute „Wer ist Miss Martin?", fragt sie verwirrt und Henry wirft mir einen bedeutsamen Blick zu, in dem ich ganz eindeutig lese, dass er nicht glauben kann, mit dieser Frau wirklich verwandt zu sein. „Unsere Köchin, Liebes...", erklärt Madame Marilyn geduldig und schenkt ihrer Tochter ein Lächeln. „Die dich seit über zwanzig Jahren durchfüttert", fügt Henry hinzu, aber er sagt es so leise, dass nur ich es höre. Ich lache heimlich.

Dann, als versuche er das Thema auf etwas Unverbindliches zu lenken, das weder mit mir, noch mit der rauen Atmosphäre auf Haven Hill zu tun hat, fragt Henry an seinen Onkel gewandt: „Onkel Augustus, sag einmal, was macht denn das Geschäft?" Ich grinse: Ganz sicher nicht habe ich Henry für einen Smalltalker gehalten. Augustus Courterton dagegen scheint sich über das Interesse seines Neffen zwar zu wundern, aber ebenso zu freuen. „Ach, Henry, das Übliche", erklärt er zwischen zwei Bissen. „Gerade haben wir ein neues Mittel reinbekommen, Paracetamole, deftiges Zeugs, wahrlich!", beteuert er und seine Wangen glühen vor Stolz auf sein scheinbar blühendes Geschäft. Der Name sagt mir nichts, weshalb ich nur freundlich lächle, doch Henrys Augenbrauen zucken bedenklich.

„Ein neues Medikament? Was denn für eins?", hakt mit einem Mal sein Sohn Jareth nach und legt sein Besteck beiseite. Er verschränkt die Arme vor der Brust und legt interessiert den Kopf schief, während sein Vater sich wieder seinem Teller widmet und das Fleisch auf dessen Rand mit einem Mal sehr spannend zu finden scheint. „Jaja", murmelt er abwinkend. „Ein Schmerzmittel, nichts Ungewöhnliches - Miss Luna, Sie haben außerordentlich recht, die Köchin hat außerordentliche Arbeit gemacht", wendet er mich etwas zu schnell an mich. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Henry die Brauen misstrauisch zusammen zieht, während ich bestätigend nicke. „Wirklich, wirklich, außerordentlich gut", murmelt der andere Mr. Courterton in einen großen Bissen des saftigen Rindfleisches.

Jareth scheint sich durch das nicht wirklich subtile Ablenkungsmanöver seines Vaters jedoch nicht ablenken zu lassen, das Thema scheint ihn zu interessieren. „Nichts Ungewöhnliches, Vater?", fragt er und seine Hand, die wieder nach seinem Messer gegriffen hat, zuckt. Ich grüble und sofort fällt mir ein, warum das Thema Medikamente augenblicklich eine angespannte Stimmung an der Tafel des Großen Saales vorherrschen lässt.

Ich erinnere mich an Ellas Worte bei unserem Gespräch in der Küche: Mutmaßlich war es eine raue Menge eines Medikamentes, das den Tod von Lady Lavinja herbeiführte. Mich schaudert es, doch zugleich setze ich mich aufrechter hin und beschließe, dass die Minzsoße und das Roastbeef, ist es auch noch so zart und rosig, zu warten haben: Jetzt wird es spannend. Ich riskiere einen Blick zu Henry, der sich bereits wieder teilnahmslos seinem Teller gewidmet hat, doch ich kann nicht erkennen, ob der ruhige Ausdruck in seinem hübschen Gesicht vielleicht nur eine Farce ist. Amy-Rose und ihre Mutter dagegen machen nicht mal im Ansatz einen Hehl daraus, dass sie ihre Ohren spitzen. Die Art wie Jareth nachhakt, lässt mehr als offensichtlich darauf schließen, dass er seinem Vater nicht über den Weg traut und instinktiv frage ich mich, woher diese Anspannung - die ich auch bei Henry und seinem Vater schon gespürt habe - wohl herrührt. Der andere Mr. Courterton sieht von seinem Teller auf. „Jawohl, Jareth, ein ganz gewöhnliches Medikament. Soll ja vorkommen, nicht wahr?", erklärt er mit einem großväterlichen Grinsen in die Runde. „Aber, Vater-", beginnt sein Sohn, doch bevor Jareth seinem Argwohn Ausdruck verleihen kann, hat seine Mutter ihm die Hand auf den Unterarm gelegt und er verstummt augenblicklich. Seine Miene wird weicher und fast habe ich den Eindruck, seine fleischigen Wangen verziehen sich zu etwas wie einem seligen Lächeln.

„Miss Luna, Sie müssen mir unbedingt noch verraten, wo Sie dieses wunderbare Kleid herhaben, ja?", wechselt Agatha Courterton das Thema leise, aber von Grund auf und ich setze ein schnelles Lächeln auf. „Aber natürlich!" Ich versuche meine Stimme höflich, aber nicht zu aufgesetzt klingen zu lassen. „Mein Vater hat es mir vor vielen Jahren aus Paris mitgebracht." Agatha nickt hingerissen. „Ihr Vater? Theodore White?" Ich nicke, doch bevor ich etwas sagen kann, kommt mir Todd Courterton: „Von White and Hastings, Agatha, du wirst davon gehört haben? Nicht, dass sich Frauen fürs Geschäft zu interessieren haben..." Henry schnaubt. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Miss Luna eine Bereicherung für das Geschäft ihres Vaters ist", lässt er verlauten und ich weiß nicht, ob er das sagt, weil er das wirklich denkt oder nur, um seinem Vater zu widersprechen. Nun schaltet sich auch Augustus Courterton wieder ein. „Paris! Ach, die Franzosen wieder", hakt er sich in das Thema ein, dass nun ein bereits ein paar Wortbeiträge zurück liegt und an dem Laut seiner Stimme kann ich nicht erkennen, ob er den Franzosen nun etwas abgewinnen kann oder nicht. Agatha tätschelt seine Hand: „Man mag über die Franzosen denken, wie man will, aber Mode können sie." Sie lächelt mich an und mich beschleicht zum wiederholten Mal das Gefühl, dass sie die Normalste in dieser Seltsamkeit, die sich Familie schimpft, ist. „Als ob du etwas von Mode verstehst, liebste Schwägerin..." Madame Marilyn spitzt die roten Lippen und lässt die dunkel umrahmten Augen über deren schlichtes Kostüm wandern.

Todd wirft ihr einen strengen Blick zu. „Marilyn, bitte", ermahnt er seine Schwester, welche unschuldig die Augen aufreißt. „Was denn, Bruderherz? Die Wahrheit darf man doch wohl noch sagen dürfen! Eine Frau sollte wissen, wie sie sich zu kleiden hat." Sie zuckt mit den Schultern und hebt verteidigend die Hände. „Meine Meinung", schiebt sie beinah rechtfertigend hinterher.

Jareth schnaubt - er scheint seine spottende Lieblingsbeschäftigung wieder aufgenommen zu haben. „Eine Frau sollte ebenso wissen, wann sie den Mund zu halten hat, werte Tante?" Letztere Worte betont er mit solcher Höflichkeit, dass ihre Ironie nicht zu überhören ist. Amy-Rose, die bislang mehr oder wenig still ihren Teller ratzeputz leer gegessen hat, sieht ihn erzürnt an. „Wem willst du denn was über Frauen erzählen, Cousin, he?", meckert sie, doch Jareth übergeht sie einfach: „Und als ob du selbst etwas von Mode verstehst, Madame Marilyn. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Lady Lavinja dir von Anfang an den Platz als..." Er schnaubt wieder. „...Schönheit von Haven Hill streitig gemacht hat." Augustus Courterton verschluckt sich an seinem letzten Bissen und streckt den Arm aus, wie um seinem Sohn hinter dem Rücken seiner Frau einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben, doch dieser wirft ihm einen angewiderten Blick zu, wodurch er seine Hand schnell wieder zurück zieht. „Pffff", macht Marilyn gleichgültig, doch die zuvor rosigrote Farbe ihrer Wangen ist gerade mindestens zwei oder drei ungesunde Nuancen dunkler geworden. „Das Blondchen hat mir gar nichts streitig gemacht." Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Henry sie Augenbrauen hebt. „Wer's glaubt", murmelt er leise, aber laut genug.

„Wie war das?" Schnippisch verdreht Marilyn die Augen und verschränkt die Arme vor der Brust. „Ein Flittchen, wie Lavinja kann jemandem wie mir gar nichts streitig machen", betont sie und diesmal ist der Blick, den ihr älterer Bruder ihr zuwirft nicht mehr nur streng sondern eiskalt. „Marilyn, halt den Mund. Verlass das Dinner oder schweig", verkündet Henrys Vater und Marilyn reißt entsetzt den Mund auf. „Was denn? Ich spreche doch nur aus, was wir alle denken: Dieses Süßholzraspeln um unser so sehr geliebtes Blondchen... das ist ja nicht zum Aushalten." Gelangweilt zuckt sie mit den Schultern und tupft sich mit der Serviette aus dickem weißem Stoff beinah sanft über den roten Kirschmund. „Machen wir uns doch nichts vor. Das arme Ding ist tot, tragisch und unser Leben geht weiter." Amy-Rose nickt begeistert. „Jammerschade für unsere arme Lavinja", krakeelt sie und zum wiederholten Male frage ich mich, was bei dieser Frau eigentlich nicht richtig gelaufen ist.

„Wir wissen, dass du Lavinja nicht gemocht hast, Tante, doch vielleicht kannst du mit dem Herziehen warten, bis ihr Tod etwas länger als vier Tage her ist?" Henry schenkt Madame ein herzallerliebstes Lächeln und Amy-Rose ist sofort still, doch ihre Mutter erwidert nur ein weiteres „Pfff". Sie fährt sich durch das kurze Haar. „Und wenn schon. Dass du sie nicht gemocht hast, ist ja wohl auch kein Geheimnis..." Augenblicklich werde ich hellhörig. Henry? Henry soll die Lady nicht gemocht haben? Ich erinnere mich an seine Worte ganz zu Anfang des Dinners, dass Lady Lavinja seinen Schwestern eine gute Mutter war und diese kleine, aber merkbare Pause bevor er das gesagt hat. Was das wohl zu bedeuten hat?

Doch dann höre ich ein Schluchzen und der Gedanke ist wie weggefegt. Es ist ein leises Geräusch, beinahe untergehend in den Zickereien der anderen, doch nah bei mir, neben mir, ganz dicht. „Wie könnt ihr nur?" Die Stimme von Marisha Jakov ist kaum mehr als ein Flüstern, doch reicht, dass jeder der Anwesenden augenblicklich innehält. Die alte Dame hält sich ein azurfarbenes Stofftaschentuch an die linke Wange und schmale Tränenspuren benetzen den dünnen Stoff, färben ihn dunkel. Ihre knittrige Haut wirkt mit einem Mal noch zarter, fast zerknittert wie bleiches Pergament. Wenn ich vorhin, bei unserer ersten Begegnung gedacht habe, ihre harten Gesichtszüge lassen ihre verwelkte Schönheit nur minder als mehr durchscheinen, so sieht die Mutter der Toten mit einem Mal gealtert aus, so als wären seit der Vorspeise nicht nur eine Stunde, sondern Monate und Jahre vergangen.

„Wie könnt ihr nur so etwas sagen? Am ersten Beisammensein nach dem Tod meiner Tochter?" Ihre Stimme klingt traurig, aber nicht weinerlich durch den Raum und daran, wie ihr zuvor klarer Ton nun zittert, macht sich der Schmerz bemerkbar, der von ihren Lippen und kühl über meinen Nacken kriecht. „Reißt euch zusammen, nur für einen einzigen Abend", zischt die alte Frau und flüstert dann ein flehendes „Bitte" in die Stille des gewaltigen Raumes. Sie tupft sich die Schlieren überzogenen Wangen und sieht keinen der Umsitzenden an, dessen zahlreiche Augenpaare ausschließlich auf sie gerichtet sind. Ein weiteres Schluchzen entfährt ihr. Mit einem Mal habe ich Mitleid mit ihr. Ihr muss es schrecklich ergehen. Dass die Courtertons - oder zumindest einige Mitglieder der Familie - an Empathie zu wünschen übrig lassen, habe ich mittlerweile verstanden. Und dass sie als einzig nicht eingeheiratetes oder blutsverwandter Teil der Familie in den Scherereien oftmals untergeht, ist mehr als offensichtlich. Aber erst jetzt werde ich mir bewusst, dass mit ihrer Tochter - dessen Verlust für sie unsagbar schwer sein muss - ebenso ihre einzige Verbindung zu der ihr fremden Familie weggebrochen ist. Sie mag ihr Bestes geben, sich einzugliedern, in die Gespräche wie in das Geschehen am Esstisch, doch ihr schwerer russischer Akzent zeugt nur allzu offensichtlich davon, wie wenig die eigentlich in diese Runde passt. Mir fällt ein, was Ella gesagt hat, unten in der Küche beim Schälen der monströsen Kartoffeln, die nun auf meinem Teller in Minzsoße schwimmen: Dass Lady Lavinja erst vor acht Jahren nach Haven Hill kam und ihre Mutter gleich mit ihr. Als Balletttänzerin aus Russland ohne Vater und trautes Heim und doch Marisha Jakov immer an ihrer Seite. Es muss sich seltsam für letztere anfühlen in einem Anwesen daheim zu sein, das einem murrigen Mann in einem fremden Land gehört, der ehemalige Mann der eigenen nun verstorbenen Tochter ist, es muss sich falsch und vielleicht verloren anfühlen zu wissen, dass einer von ihnen womöglich für diesen Tod verantwortlich ist und man doch - mittellos wie Marisha Jakov - nicht türmen kann, wenn man denn wollte. Und in all meinem Mitleid, dass ich dieser Frau entgegenbringe, schießt mir dann doch ein furchtbarer, unsagbarer Gedanke durch den Kopf: Es sei denn, sie hat den Mord selbst begangen. Ich schlage mir die Hand vor den Mund.

Doch diese Geste bekommt niemand mit, denn ist dieser Gedanke auch noch so unaussprechbar, so bin es zwar nicht ich, aber jemand anderes, der ihn sagbar und ausgesprochen macht. Marilyn gibt ein undamenhaftes Schnauben von sich. „Oh, Marisha, ich bitte dich!", spottet sie und bedenkt die Angesprochene mit einem herablassenden Blick ihrer dunkelgeschminkten Augen. „Wir wissen alle so gut wie du selbst, dass deine Weste nicht mehr so weiß ist, wie du tust..." Ihre hellgrünen Iriden funkeln und dass Augustus Courterton zwei Plätze weiter etwas murmelt von „Unerhört" und „doch nicht beim Abendessen!" übergeht sie gekonnt. Marisha Jakov jedoch reißt entsetzt die Augen auf und sie scheint so erschrocken über die unüberhörbare Anschuldigung in Madames Stimme zu sein, dass sie für einen Moment zu vergessen scheint, dass sie weint. Sie hält in der Bewegung inne und lässt dann ihre Hand samt dem blauen Taschentuch in ihren Schoß sinken. Ihr Mund verformt sich spitz und sie hebt die ergrauten Brauen. „Was willst du damit sagen, Marilyn?", fragt sie, doch ihr mit einem Mal erhärteter Ton macht die reine Rhetorik unüberhörbar.

Madame will sichtlich zu einer spitzen Erwiderung ansetzen, doch Miss Jakovs Stimme ist schneidend, wenngleich beinahe flüsternd leise, als sie gedehnt hinzufügt: „Du willst mir doch nicht unterstellen, meine eigene Tochter getötet zu haben, oder?" Sie spricht langsam und betont und wirkt sie auch noch so alt und gebrechlich, so ist ihrem Ton doch eine Stärke, eine eiserne Härte unüberhörbar. Ihr Akzent nimmt zu, mit jedem Wort, das sie spricht, aber die Silben die nacheinander über ihre dunkelgeschminkten Lippen gehen, sind unmissverständlich klar. So klar, dass sie wie Schwerthiebe durch die gespannte Atmosphäre ziehen, so klar, dass Madame Marilyn sich schnippisch, aber eindeutig eingeschüchtert in ihrem Stuhl zurück lehnt und so klar, dass die Stille danach noch bahnbrechender ist. Niemand sagt etwas, nicht zu Madames Unterstellung und nicht auf Marisha Jakovs eiserne Erwiderung. Ich spüre, wie meine Finger zu kribbeln beginnen, mit jeder Sekunde, die schweigend verstreicht.

„Das hat Madame Marilyn doch sicher nicht so gemeint...", rutscht es mir schließlich doch raus, als die Stille unerträglich wird. Ein Blick zu Henry, der zu tun scheint, als habe er den Wortwechsel zwischen seiner Tante und seiner Stiefgroßmutter gar nicht mitbekommen, hat mir gezeigt, dass niemand das Schweigen durchbrechen wird. Ich aber - kann ich Stille doch nicht ausstehen - spüre den unwiderstehlichen Drang etwas zu sagen. „Ich denke nicht, dass das eine Anschuldigung sein...", setze ich an, nicht wirklich um den Haussegen wieder zu richten, sondern viel eher um nicht dieser entsetzlichen Stille ausgesetzt zu sein. Und das gelingt mir, denn Madame Marilyn reagiert postwendend: Ein künstliches Lachen, spöttisch und hinter vorgehaltener Hand erklingt und aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass sie mich ansieht. „Oh Miss White, Ihnen sei verziehen dafür, dass sie nicht den Hauch einer Ahnung zu meiner Person haben." Sie lächelt süßlich. „Ich meine, was ich sage." Letztere Worte sind längst nicht mehr an mich gewandt, sondern wieder an meine Sitznachbarin, weshalb ich gar nicht erst dazu ansetze zu antworten. „Ich meine - und entschuldige bitte, Bruderherz, ich weiß, du bist nicht der Meinung dies sei der passende Raum dafür", schiebt sie an den ersten Mister Courterton gewandt ein, „- aber ich bin da einfach ganz anderer Ansicht - ich meine, ich spreche doch nur aus, was wir alle denken, oder etwa nicht?"

Sie beugt sich vor und stützt den linken Ellenbogen elegant auf der dunklen Tischplatte ab, legt ihr gepudertes Kinn auf ihren schmalen Fingern ab und bedenkt jeden einzelnen mit einem süffisanten Lächeln. „Alles, was ich fragen will ist: Sind wir wirklich der Meinung, dass es Zufall ist, dass der Abdruck von Lavinjas Verletzungen an ihrer Schläfe nahezu perfekt zu Marishas Ringen passt?"


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