Kapitel 8
Sie konnte nicht mehr. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange war sie nun schon gefangen in diesem Schloss?
Sie wusste es nicht. Stunden, Tage, Wochen?
Jane kamen es vor wie Jahre. Sie hatte sich kurz erlaubt, sich für eine Minuten hinzusetzten. Ihre Lungen brannten. Ihr Körper stand vor Schmerzen kurz davor zu explodieren. Sie hörte die Schritte und die Schreie ihrer Verfolger hinter sich. Unermüdlich folgten sie ihr. Sie wollte nicht mehr. Jane konnte nicht mehr.
Während sie im Schloss umher gerannt war, kam sie an unzähligen Zimmern vorbei. Alle waren sie dunkel. Nur durch Fackeln oder Kaminfeuer erhellt.
Mal standen sie komplett leer, mal sahen sie aus wie eine Bibliothek, ein Esszimmer oder einem Schlafzimmer. Häufig landete sie jedoch in einer Art Folterkammer. Streckbänke oder Andreaskreuze waren noch die harmlosesten Dinge, die man dort sah. Doch ganz egal, welchen Weg, durch welche Tür auch immer sie ging, sie landete letzten Endes immer wieder im Foyer, vor den beiden Steintreppen.
Gerade befand sie sich auf dem Boden eines Raumes, das einem Büro sehr nahe kam. Es war ein kleiner Raum mit einem alten Sekretär gegenüber von ihr und einer kleinen Kommode zu ihrer Rechten auf dem ein großer verblichener Globus stand.
Sie saß mit dem Rücken an die Tür gelehnt durch die sie kurz zuvor hindurch gestolpert war. Sie hatte die Augen geschlossen und ließ ihren Kopf immer wieder gegen die Tür klopfen. Jeder Schlag erschütterte ihren ganzen Körper, doch Jane hoffte vielleicht doch, endlich, in einen tiefen nie endeten Schlaf zu fallen, aus dem sie nie wieder aufwachen würde.
Wie war sie nur in diese Lage gekommen? Sie fand keine Erklärung.
"Ich kann ihre Angst riechen!" Wieder rappelte Jane sich auf. Sie konnte zwar nicht mehr, aber sie wollte unter keinen Umständen rausfinden, was die Menschen, die hinter ihr her waren mit ihr vorhatten. Es war paradox. Je länger sie davon rannte, umso weniger wollte sich noch davon rennen. Allerdings wuchs auch ihre Angst, vor dem was sie erwarten würde, wenn sie einmal stehen bleiben würde. Vor allem in Hinblick dessen, dass sie durch mehrere Folterkammern, durchgerannt war. Gegenüber an der Wand vor sah sie eine kleine marode Tür entdecken. So schnell sie ihre schmerzenden Beine tragen konnten, rannte sie los. Angekommen riss sie die Tür auf und und stolperte hindurch.
Es fühlte sich schon fast vertraut an, als sie sich im Foyer wiederfand. Sie stieß hörbar die Luft aus. Aber diesmal war etwas anders.
Die Luft um sie herum schien zu stehen, so stickig war es. Als könnte man sie mit einer Schere zerschneiden.
Jane beugte sich nach vorne und stütze ihre Hände auf die Knie. Sie hatte das Gefühl kaum atmen zu können. Ihr Atem ging immer schnell. Ihre Kehle fühlte sich jedoch blockiert an. Sie hatte das Gefühl, dass kein bisschen Sauerstoff in ihre Lunge kam. Panisch griff sich sich um die Kehle. Als hätte sie wie eine Weinflasche einen Korken im Hals.
Während sie vergeblich versuchte wieder atmen zu können, hörte sie ihre Verfolger, die mit langen Schritten auf sie zu kamen. Aber es war ihr egal. Sie wollte nicht mehr. Sie konnte nicht mehr. Sie schloss ihre Augen, die bereits angefangen hatten Tränen zu verlieren und begann heftig zu würgen. Ohne Erfolg. Sie konnte nichts herauswürgen, was nicht da war.
Hinter ihr ging die Tür auf. Knarrend und quietschend wurde sie langsam aufgestoben. Sie erstarrte, hörte augenblicklich auf zu würgen und verharrte in ihrer zusammen kauernden Position. Sie hörte nur ein Paar Absätze, das um sie herum ging und vor ihr stehen blieb. Ihr war nicht aufgefallen, dass ihr Atem mittlerweile ruhiger ging. Sie konnte wieder Atmen. So schnell es gekommen war, war ihre plötzliche Atemnot auch wieder verschwunden. Sie schluckte schwer. Sie wusste, dass sie sich den Situation jetzt stellen musste. Sie konnte nicht mehr weglaufen vor der unbekannten Bedrohung. Sie wollte auch nicht mehr. Entschlossen richtete sie ihren Körper auf. Nach wie vor mit geschlossenen Lidern. Erstaunt stellte sie fest, dass sie keine Schmerzen mehr empfand. Sie fühlte sich federleicht an. Als würde sie aus Watte bestehen.
Sie stieß einen erleichternden Seufzer aus.
Ihr Gehirn sendete anscheinend nun das langersehnte Dopamin und Adrenalin aus, damit sie keine Schmerzen mehr empfinden konnte. Ihr Versteckspiel würde also gleich endlich vorbei sein und ihr Körper ahnte es.
Entschlossen straffte sie die Schultern und richtete ihren Blick nach vorne. Sie atmete hörbar aus und hörte die Person vor sich "Endlich!" rufen und öffnete entschieden ihre Augen.
Alles war weiß. Perleweis oder Eisbärweiß, fragte sich Jane. Oder doch Mr. Proper Weiß? Sie konnte sich nicht festlegen.
Sie spürte eine klamme Decke unter ihren Fingerspitzen. Wie war sie in das Bett gekommen? Gerade eben noch hatte sie unter der Dusche gestanden und auf Max gewartet. Anscheinend war sie sehr müde gewesen, versuchte sie ihren Zweifel direkt zu besänftigen. Der Arzt hatte richtig gehandelt und ihr zum Glück ins Gewissen reden können, dass sie eine weitere Nacht im Krankenhaus verbringen sollte. Auch wenn sie es nur ungern zugab, sie wusste, dass sie eine Pause gebraucht hatte. Nur 2 Tage, mehr nicht. Sie blinzelte schwer. Sie fühlte sich ausgelaugt. Wie lange hatte sie geschlafen? Nur langsam wurde sie wacher, entglitt ihrer Trance artigen morgendlichen Verfassung.
Ein bekanntes Piepen drang zu ihr durch und störte in regelmäßigen Abständen die an sonstige Stille. Genervt atmete sie aus. Zumindest versuchte sie es, aber etwas in ihrem Hals hinderte sie daran. Erschrocken riss Jane die Augen auf. Irgendetwas befand sich in ihrem Mund! Erschrocken wollte sie mit einer Hand an ihren Mund greifen, aber etwas hielt sie davon ab. Sie konnte ihre Hände nicht bewegen. Sie spürte etwas hartes um ihren Handgelenke, das sie festhalten zu schien. Wie Handschellen. Erinnerungsfetzen tauchten in ihren Gedanken auf. Ein spärlich beleuchteter Raum mit einer liege und Hand- und Fußfesseln poppten vor ihrem inneren Auge auf. Sie versuchte ebenfalls ihre Beine zu bewegen. Nichts. Sie konnte sie noch weniger bewegen als ihre angeketteten Arme. Panisch nach Hilfe suchend, blickte sie sich im Raum um. Ihren Kopf konnte sie zwar weder drehen noch anheben, jedoch konnte sie ihre Augen durch das Zimmer geiten lassen. Er sah anderes aus als, als den Tag zuvor aber auch anders als in der kurzen, fremd- vertrauten Erinnerung. Zu Ihrer Rechten befand sich ein kleiner Nachttisch, der mit allem möglich vollgestellt worden war. Eine Vase mit leicht verwelkten Rosen, mehrere Plastikbecher, einer Fernbedienung und etwas das aussah, wie eine Zahnbürsten, nur statt Bürstenkopf mit Borsten zierte eine Art Schwamm die Spitze. An der Wand war ein Fenster mit herunter gelassenen Rollos. Gegenüber von ihr befand sich ein Fernseher, der jedoch ausgeschaltet war. Zu Ihrer Linken befand sich eine Wand mit einer Milchglas- Front, durch die leichte, schöne Sonnenstrahlen hindurch schienen. Also musste das andere Fenster als eine Art Sichtfenster dienen, schlussfolgerte Jane, die versuchte angestrengt, sich ein Bild von ihrer Situation zu verschaffen. In der Ecke stand ein komisches Gerät mit vielen Knöpfen und Zahlen. An dem Gerät war ein langer, dicker Schlauch befestigt. Jane fixierte ihn mit ihrem Blick und folgte dem Schlauch. Sie konnte zwar nicht genau sehen, wo er endete, aber sie sah, dass das Ende irgendwo an ihr war. Oder in ihr. Jane wurde panisch. Was war hier los? Wie zur Bestätigung wurde das Piepen über ihr schneller. Also war sie wieder an Geräte angeschlossen worden. Aber warum? Ihr Atem beschleunigte sich ebenfalls. Ihr Rachen brannte, als würde sie etwas von innen kratzen. Sie zuckte zusammen, als zu ihrer Linken das Monströse Gerät mit den vielen Knöpfen in das Piepen des Monitors miteinstieg. Jedoch war es viel, viel lauter, was es noch angsteinflößender wirken ließ.
„Frau Miller alles gut, beruhigen sie sich." Mit schnellen Schritten kam ein jungaussehender Krankenpfleger ins Zimmer. Zuerst drückte er auf dem Monitor herum, was jenes nervige Piepen verstummen ließ und widmete sich dann dem anderen Gerät zu. Mit flinken Fingern drückte er auf den Knöpfen und Rädchen herum und brachte auch dieses Ding zum Schweigen. Jane starrte den Pfleger mit zusammengekniffenen Augen an. Sie hatte ihn noch nie gesehen. Auch seine Kleidung sah anderes aus als die der Schwestern von gestern. Er steckte in einem komplett moosgrünen Kasack. Er drehte sich zu ihr um und trat zu ihr an Bett. Er ergriff etwas, das außerhalb ihrer Blickes lag und Jane konnte Knöpfe klicken hören. Im selben Moment wurde ihr Oberkörper wie durch Zauberhand höher gefahren. Sie befand sich also in einem elektronischen Bett. Nun konnte sie alles sehen. Zu ihrem Schrecken stellte sie fest, dass ihr Bett Gitter hatte, wie die eines Kleinkindes und dass ihre Arme mit weißen Gurten daran festgemacht worden waren. Am schlimmsten jedoch, war die Tatsache, dass der Schlauch von dem gruseligen Gerät über ihren Oberkörper verlief. Hoch zu ihrem Gesicht. Jane riss die Augen auf. Hätte sie gekonnt hätte sie geschrien. Erneut rüttelte sie wieder mit ihren Armen und Beinen, sie wollte so schnell wir möglich, ganz weit weg laufen. Weg von allen Geräten, weg von Schläuchen und weg von den Fixierungen. Sie hatte aber keine Chance.
„Hallo Frau Miller, ich bin Pfleger Thomas.", stellte er sich vor. „Sie müssen mit Sicherheit viele Fragen haben, die werden wir Ihnen selbstverständlich alle beantworten. Aber zuerst möchte ich von Ihnen wissen ob Sie mich verstehen und mir folgen können." Vorsichtig, fast schon ängstlich nickte sie mit dem Kopf. Das war ein kleines bisschen unangenehm, vor allem im Hals, aber es ging schon. Ihr Puls wurde ruhiger, ihre Atmung war immer noch schnell.
„Sehr schön! Darüber sind wir alle sehr erleichtert! Sie sind hier auf der Intensivstation. Ich werde umgehend den Arzt und ihren Lebensgefährten kontaktieren. Er war die letzten Wochen fast jeden Tag hier."
Die letzten Wochen? Was meinte er damit? Das musste ein Fehler sein, anderes konnte es sich Jane nicht erklären.
Von der anderen Seite aus betrachtet, machte gerade gar nichts Sinn. Und hatte er gerade Intensivstation gesagt?! Ihr Puls und ihre Atmung gingen noch eine Frequenz schneller und zur Bestätigung fing der Monitor über ihrem Kopf an zu Piepen. Auch die Elektroden schienen Janes rasendes Herz mitbekommen zu haben. Pfleger Thomas beugte sich über sie und tippte wieder auf dem Touchscreen herum, bis er wieder verstummte. „Frau Miller versuchen sie sich zu beruhigen! Ich kann verstehen, dass sie gerade Angst haben und unsicher sind, weil sie nicht wissen was los ist, aber wir werden Sie umgehend über alles in Kenntnis setzten. Als erstes mache ich schon mal die Fixierungen von Ihrem Armen ab, vorausgesetzt sie versprechen mir, dass sie nicht den Tubus aus ihrem Hals ziehen." Den was? Was war ein Tubus? Verwirrt zog sie die Augenbrauen hoch. „Versprechen Sie mir einfach ihre Hände nicht um den Schlauch zu legen, bis ich wiederkomme mit dem Arzt. Ich bin mir sicher, dass wir den Schlauch heute auch direkt entfernen können. Vorausgesetzt ist jedoch, dass sie ihn jetzt nicht manipulieren." Er war zwar bestimmend, aber doch sehr freundlich. Jane nickte gehorsam. Sie war zwar immer noch sehr verwirrt über alles und jeden, aber wollte definitiv ihre Hände und Füße wieder frei bewegen.
Mit den Händen nicht ans Gesicht und den Schlauch nicht raus ziehen, sagte sie zu sich selbst. Ok, das sollte sie doch hinkriegen.
Wieder nickte sie, diesmal jedoch mehr zu sich selbst. Der Pfleger nahm eine Art riesen Reißnadel, ohne Nadel und drückte auf den Gurten um ihre Handgelenke rum. Sofort ließ die Spannung nach und er befreite ihre Arme. Sobald sie frei war, Umschlang sich Jane ihre Handgelenke und rieb sie. Sie wirkten rau und ausgetrocknet. Sie griff vorsichtig an ihr Gesicht. Wo eigentlich ihr Mund war, fühlte sie Plastik und einen kleinen Schlauch, der in ihren Mund rein führte. Sie fühlte hoch zu ihrer Nase und spürte einen weichen Schlauch, der aus ihrer Nase heraus zu kommen schien... Sie hatte ihn gar nicht war genommen.
Für ihre kleine Selbsterkundingstour erntete sie einen strengen Blick vom Pfleger.
„Der Schlauch in ihrer Nase ist eine Magensonde. Das ist ein Schlauch der über die Nase bis in den Magen rein führt. Darüber wurden sie ernährt die letzten vier Wochen. Ich bin gleich wieder da, und nicht vergessen- Finger weg vom Schlauch von beiden." Als Bestätigung gab Jane ihm ein OK- Zeichen mit ihrer Hand, wie es sonst die Taucher taten. Er zwinkerte ihr zu und verschwand wieder durch die Tür. Verwundert stellte sie fest, dass er ihre Beine nicht von der Fixierung gelöst hatte. Angestrengt versuchte sie sie wieder zu bewegen und wieder rührten sie sich keinen Millimeter. Hatte er echt Sorge, sie würde einfach so aufstehen und weglaufen?
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