Kapitel 7
Sie kamen von überall. Stimmen, die über sie sprachen, über sie lachten, sie verspotteten. Es gab kein entrinnen. Jeder neue Raum, den sie betrat, war anders als der, den sie verließ und doch auch so gleich.
Sie befand sich wieder in dem Schloss. Ihrem persönlichen Gefängnis.
Ihre Finger fühlten sich staubig an. Sie lag bäuchlings auf einen harten, kalten, staubigen Steinboden. Vorsichtig versuchte sie ihre Finger zu krümmen. Jeder einzelner ihrer Gelenke knackste und knarrte. Es fühlte sich an als würde jeder einzelner ihrer Fingerknochen brechen. Immer und immer wieder. Mit jeder noch so kleinen Bewegung.
Sie nahm Stimmen um sich herum wahr. Ein wildes Wirrwar an Stimmen.
Die einen klangen wütend, andere traurig und wieder andere belustigt.
Sie kniff die Augen fest zusammen. Die Stimmen lachten über sie. Sie lachten sie aus, das wusste Jane. Sie blieb am Boden kleben, in der Hoffnung die Stimmen würden sie übersehen - sie einfach übergehen.
Aber das taten sie nicht. Je länger sie liegen blieb, um so lauter wurden die Stimmen, ihr Gelächter, ihre Schreie, ihr Weinen.
Jane hielt es nicht mehr aus. Sie öffnete vorsichtig ihre Augen. Zuerst sah sie nur goldene Funken, die vor tänzelten. Sie blinzelte einige Male, bis sich ihre Augen erholte und sich an das trübe Licht gewöhnt hatte. Sie hörte nach wie vor, wie Menschen um sie herum sprachen oder stritten, sehen konnte sie jedoch niemanden. Soweit sie die Situation aus ihrer Froschperspektive beurteilen konnte, lag sie auf dem Steinboden, einer Vorhalle. Sie lag zwischen zwei Steintreppen, sie sich schwungvoll und elegant ins zweite Stockwerk windeten. Das Treppengeländer schien aufwendig verziert worden zu sein mit Schnitzereien, die sie, von dieser Entfernung, nicht deuten konnte.
"Beginn mit den Armen", hörte sie jemanden sagen. Sie gehorchte, hob sie und versuchte sie anzuwinkeln, um ihren Oberkörper hoch zu stützen. Aber ihre Schultern und Ellenbogen war wie blockiert. Ihre eigenen Knochen blockierten ihre Bewegungen. Es fühlte sich an, als würde sich ihr Oberarmknochen durch ihre Haut bohren. Erschrocken griff sie mit der anderen Hand nach ihrem Oberarm, um den Durchbruch ihrer Haut zu verhinden. Und schrie auf. Nun war es ihr anderer Arm, der unter ihren Bewegungen nachzugeben schien. An beiden Armen knirschte es, als würde man zwei Steine aneinanderdrücken und reiben. Machtlos ließ sie ihre Arme sinken und schloss erneut ihre Augen. Sie merkte, wie sich langsam ein Schluchzen seinen Weg ihre Kehle nach oben hindurch, bahnte und sie ließ es einfach geschehen.
Die Stimmen waren während ihres kläglichen versuche aufzustehen verstummt. Nun durchbrachen sie erneut die Stille, nun hörte Jane nur Gelächter. Sie schluckte ihren Ärger runter. Das wollte sie sich nicht bieten lassen. Sie war Jane Miller.
Erneut öffnete sie die Augen, atmete drei Mal tief durch und fing diesmal bei ihren Beinen an. Vorsichtige winkelte sie sie an.
Ein Schmerz durchfuhr ihren Körper, ausgehend von ihren Beinen, als würden ihre Kniescheiben langgezogen werden wie Kaugummi. Doch Jane wollte nicht aufgeben. Die Stimmen um sie herum waren erneut verstummt, als würden sie darauf warten, dass sie erneut aufgab und somit der Startschuss fiel, um sich wieder über sie lustig zu machen.
Sie wagte erneut, ihre Arme zu bewegen. Wieder schrie sie. Einen, die Stille durchreißenden Schrei. Ihr liefen die Tränen über die Wangen, doch Jane ignoriert sie. Sie konzentrierte sich ganz auf ihren Körper und versuchte die Schmerzen weg zu atmen.
Es gelang ihr nur unter größten Anstrengungen und Qualen, sich aufrecht hinzusetzten.
Ihr Korpus fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick in all seine Einzelteile auseinanderbrechen.
Als würde ihr Rückgrat zerspringen, als wäre ihr Sitzbein aus Glas, das sich seinen Weg durch ihr Fleisch bahnte und ihre Arme, wie ein Windspiel, nur nicht aus Klangstäben, sondern das stumpfe kloppen von aneinanderschlagenden Knochen.
Es ergab keinen Sinn, aber für sie fühlte es sich so an.
So saß sie, die Arme links und rechts an ihrem Körper runterbaumelnd, auf dem Boden. Gebe es eine Personifizierung von Schmerz, würde er Jane heißen. Sie nahm nicht einmal die ausgehende Kälte des Steinbodens wahr. Mit jedem Atemzug brannte ihr Lunge. Sie drückte gegen ihre Rippen, als würden sie jeden Augenblick sprengen.
Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde sie Schrauben aspirieren.
Um sich abzulenken, schaute Jane sich um. Ein starker Schmerz im Nacken begleitete sie, als sie ihren Kopf in alle Richtungen drehte. Als würde sie mit jeder weiteren Drehung ihre Wirbel brechen.
Die Stimmen unterbrachen erneut die Stille. Sie wirkten jedoch aufgebracht. Aufgebracht darüber, dass Jane es geschaffte hatte, sich auf zu setzten.
Schritte kamen näher.
Jane konnte das Klopfen von Absätzen laut und deutlich hören. Als würden Menschenmassen auf sie zu gerannt kommen. Ungebremst.
Jane bekam es mit der blanken Panik zu tun. Was, wenn diese Leute ihr etwas antun wollten, fragte sie sich. Mühsam richtete sie sich auf. Die Schmerzen, ihr ständiger Begleiter. Ihre Beine schienen jeden Moment durch ihr Gewicht nach zu geben. Aber sie hatte keine Wahl.
Sie sah sich um. Am anderen Ende, gegenüber von ihr, wenn man durch die beiden Treppen hindurch ging, sah man eine Tür einsam und verlassen in der Wand. Sie war einen Spaltbreit geöffnet. Jane atmete tief ein und aus und setzte einen Schritt nach vorne. Als wären ihre Schuhsohlen aus zersplitterndem Glas gemacht, schmerzte es so heftig, als sie mit dem Fußballen auf den Boden trat. Sie zuckte zusammen und erstarrte mit dem Blick auf ihrem Fuß gerichtet. Aber es war nichts zu sehen. Nur ein ganz gewöhnlicher Schuh und kein austretendes Blut. Gefühlt stand sie jedoch in einer Blutlache.
Wieder nahm sie die wütenden Laute um sich herum wahr, die ihr wie ein Echo entgegengetragen wurden. Die Schritte kamen immer nähren. Man konnte sie Poltern hören. Jane wollte jedoch nicht aufgeben. Sie zwang sich weiter zu gehen. Sie kam sich vor wie ein Skelett, dem die Hälfte der Knochen geklaut wurden und das nun nur noch Kreuz und Quere laufen konnte. Nur dass sie dabei, anderes als ein Skelett, unsagbare Schmerzen empfand.
Sie musste jedoch weiter, sagte sie sich immer wieder.
Sie vermochte nicht einmal mehr ihre Arme zu bewegen - sie fühlten sich an, als würden sie jeden Moment auskugeln. Als hätte man an beiden Armen jeweils ein Gewicht von 70 Kilo gehangen, die sie dazu zwangen, sich keinen Millimeter zu rühren.
Mit jedem ihrer Schritte quollen mehr und mehr Tränen aus ihren Augenwinkeln. Sie hatte die Tür beinahe erreicht.
Ihr Hüften knackten immer lauter, ihre Knie knickten immer wieder ein und ihre Füße fühlten sich feucht vom Blut an, das durch ihre offenen Wunden floss, die ihre Glasschuhe verursachten.
An der Tür angekommen, warf sie sich hindurch und ließ sich dahinter auf ihre Knie sinken.
Und schrie auf. Der Aufprall ihrer Knie und Schienbeine fühlte sich an als wären ihre Knochen in ihr zersprungen. Sie fing heftig an zu atmen, aber es brachte nichts. Eine Flut an Schmerzen überrollte sie. Lähmte sie noch mehr und hielt sie fest umklammert. Unfähig, sich zu bewegen.
Sie wusste nicht wie lange sie schon da lag - ob zehn Minuten oder eine Stunde, doch dann hörte sie sie wieder. Die Schreie der Menschen und das hämmern ihrer Schritte. Sie wollten sie, sie waren hinter Jane her. Jane sah sich in dem Raum um, der sich nun vor ihr bot. Es war ein kleiner Raum mit zwei Türen und einem Fenster. In der Mitte stand ein rotes Samt Sofa auf einem Teppich in Richtung eines Kamins stehend, welcher lediglich Licht, aber keine Wäre spendete.
Das Fenster. Jane wollte zum Fenster, um zu sehen wo sie sich befand. Vielleicht, so dachte sie, würde man eine Straße erkennen, die sie kannte. So würde sie zumindest Wissen, wo sie sich befand, oder ob sie Berlin verlassen hatte. Wieder richtete sie sich nur sehr schwerfällig auf. Die Schmerzen zogen nach wie vor durch ihre Blutbahnen, als wären sie ein Teil von ihr.
Dieses Mal schlurfte sie. Sie konnte nicht anders, denn ihr Becken ließ es nicht zu, ihre Oberschenkel richtig anzuheben. Ihre Schuhsohlen ließen sie es so anfühlen, als würde sie über Schmirgelpapier laufen. Die Menschenmassen schienen näher zu kommen. Sie wurden lauter, so als würden sie fast bei der Tür sein, durch die Jane kurz vorher hindurch gefallen war. Beim Fenster angekommen hielt sie erschrocken den Atmen an.
Das war nicht möglich. Wie konnte das sein?
Schwarz. Nichts als eine rabenschwarze Schwärze erstreckte sich auf der anderen Seite des Fensters. Merkwürdig war auch, dass sich in der Fensterscheibe ihr Bild nicht wiedergespiegelte.
Sie taumelte rückwärts und schritt auf die linke der beiden Türen zu. Sie wollte so schnell es geht wieder aus diesem Zimmer hinaus flüchten.
"Da vorne ist sie, ich kann sie hören.", konnte Jane hinter sich hören. Panik durchfuhr ihren ohnehin schmerzenden Körper. Sie stolperte gegen die Tür und riss sie auf, um sie anschließen wieder zu zuknallen. Schnaubend drehte sie sich um. Das darf doch nicht wahr sein, schrie sie innerlich. Wieder stand sie im Foyer. Die bekannten Wendeltreppen links und rechts vor ihr sich nach oben erstreckend. Jane stieß einen spitzen Schrei aus. Das war nicht möglich.
"Schnell, schnell!", konnte Jane hinter sich wieder hören. Wieder stakste sie los. Wieder auf die erste Tür in Richtung Kaminzimmer. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, nach oben ins zweite Stockwerk abzuhauen. Das traute sie ihrem Körper jedoch noch lange nicht zu. Nicht mit den Schmerzen. Sie würde wahrscheinlich umfallen und die Treppen runterfallen, genau in die Arme ihrer noch unbekannten Verfolger.
Mittlerweile war ihr Körper ganz taub von den Schmerzen. Sie fühlte sich wie in Watte gepackt, aber sie hatte keine andere Wahl, sie musste weiter. Angekommen in dem Zimmer stürmte sie, soweit es ihre Beine zuließen, auf die rechte Tür zu. Sie war etwas massiver als die anderen beiden, und sie hatte große Mühe sie zu öffnen. Sie drückte mit ihren Händen und ihrem ganzen Körpergewicht gegen die Tür, die nur langsam nachzugeben schien.
Jane wollte eigentlich schon aufgeben, da sie das Gefühl hatte, sie würde ihre Handgelenke durch ihre Handinnenfläche drücken, als sie sich die Tür leicht öffnete.
Sie hielt den Atmen an, schickte ein kurzes Stoßgebet nach oben und hoffte, nicht wieder im Foyer zu landen und glitt zwischen Tür und Türrahmen hindurch.
'Wäre sie doch lieber die Treppen hochgekrochen', dachte sie sich. Sie stand vor einem Tisch. Einem Tisch, an dem vier Vorrichtungen angebracht worden waren. Zwei jeweils für Hände und Füße. An den Wänden hingen komisch aussehende Geräte. Sie waren sehr spitz. So spitz, dass man mit ihnen sehr leicht Knochen durchbohren konnte. Der Raum wurde nur durch Fackeln erhellt, die an der Wand in kurzen Abständen aufgehangen worden waren. Janes Atemfrequenz beschleunigte sich. Sie blickte sich nach einer Tür suchend um. Zwischen etwas, das aussah wie eine Säge und einer Peitsche, konnte sie eine schmale kleine Tür erkennen. Mit zügigen Schritten ging sie los.
„Sie ist schon am richtigen Ort, wir haben sie gleich." Der Schweiß perlte von ihrer Stirn ab. Wie konnten sie sie immer und immer wieder so schnell finden, fragte sie sich. Erleichtert, den Raum nun endlich hinter sich zu lassen drehte sie den Türknauf- gefasst für das, was sie als nächstes erwarten würde. Sie trat hindurch. Und zog erschrocken die Luft ein. Wieder konnte sie die eleganten Treppen, mit den wunderschönen Verzierungen sehen, die sich ins zweite Stockwerk hochschlängelten. Die einsam und verlassene Holztür, die wieder nur angelehnt wurde, als hätte Jane sie nie durchquert. Sie stand wieder im Foyer, mit schmerzendem Körper und einen dicken Kloß im Hals. Es gab kein Entkommen. Sie musste wohl oder übel die Treppen nehmen. Mutlos ergriff sie das schöne Treppengeländer, hörte ihre Knochen aneinanderschlagen und tat einen Schritt nach dem anderen. Die Bedrohung dicht gefolgt auf den Fersen.
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Ihr merkt, es ging dieses Mal etwas anders zu. Für die Geschichte musste das so sein und im Verlauf von Janes Geschichte, wird sich noch alles aufdecken.
Für die, die sich fragen wie ich auf sowas gekommen bin.
*Kleiner Spoiler*
Jane liegt im Koma und viele Komapatienten erzählen später, dass sie schlimme Träume hatten, die sich so echt angefühlt haben, dass sie danach sogar von einem „Trauma" sprechen. Es ist eine echt Sache und absolut nicht lustig. Die „Träume" oder das „erlebte" sind zurück zu führen auf Medikamente, die man in der Zeit erhält, die einen am Leben erhalten.
Stay tuned 😘
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