Kapitel 5
'Wir wissen noch nicht wer den Wagen gefahren ist. Das Auto war leer als die Polizisten eintrafen.' Die Worte kreisten immer wieder durch Janes Gedanken. Sie saß an der Bettkante und schaute teilnahmslos auf das Tablett mit dem mageren Abendessen. Zwei Scheiben Graubrot, ein Stück Butter, Erdbeermarmelade und eine Käsescheibe. Ihr Pfefferminztee war mittlerweile kalt geworden und der Teebeutel schwamm traurig in der Tasse. Collin war kurz nach dem Gespräch mit dem Arzt zu ihr gekommen- lange war er jedoch nicht geblieben. Er hatte sie behutsam in den Arm genommen und väterlich über den Rücken gestreichelt.
Laut Polizei war ihr Taxi von einem fahrerlosen schwarzen VW Golf gerammt worden. Es war manipuliert worden. Es handelte sich wohl um eine vorsätzliche Tat. Ob sie jedoch das Ziel gewesen war, konnte noch nicht geklärt werden.
Ihr Manager hatte schwer schlucken müssen, als der Polizist zu ende geredet hatte. Jane hatte ihn nur stumm angestarrt.
Schockiert über die Tatsache das jemand so etwas machen würde- unvorstellbar dass es jemand auf sie abgesehen hätte. Noch nie hatte jemand etwas gegen sie gesagt, jeder mochte sie, das berichteten stehts die Medien. Selbst Hater- Kommentare waren die absolute Ausnahme.
Die Presse hatte selbstverständlich schon längst Wind von dem Unfall bekommen und es stand bereits in mehreren Online Magazinen.
Pling! Der Bildschirm ihres Smartphones blinkte auf. Sie hatte nach dem sie wieder alleine gewesen war, ihr Instagram gecheckt. Ihr Account glühte förmlich. Die ganze Zeit kamen Genesungswünsche und Anteilnahmen. Auch ihre Freunde hatten betroffene Kommentare unterem dem Bild, welches Joel im Salon von ihr gemacht hatte, hinterlassen. Hailey und Juls hatten sie über die Videofunktion angerufen. Sie hatten gerade in einem schicken Restaurant zu Mittag gegessen. Hailey hatte geweint und Juls sie getröstet.
"Oh Liebes es tut uns so leid, aber wir können heute noch nicht zu dir kommen. Du weist doch, die Eröffnung von diesem einen Shop da steht an- verflixt wie heißt der denn nochmal?", hatte sie laut überlegt.
"Aber wir kommen morgen, versprochen.", hatte Juls ihren Satz beendet.
Jetzt gerade hatte sie eine Markierungsnachricht bekommen. Die beiden hatten sie auf einem Foto von sich markiert, wo sie zusammen Arm in Arm geschlungen da standen, mit der Bildunterschrift: Mit dir zusammen wäre es noch viel schöner #gutebesserungjane.
Unter diesem Hashtag waren einige Bilder zu finden. Von Fans oder Freunden, die ihr alle eine gute Genesung wünschten.
Auch ihre Follower Zahl war gestiegen. Eine schwarze 2,3 M zierte nun ihr Profil. Jane muss schmunzeln. Das war die Art des Volkes ihr Mitleid zu bekunden. Jane hatte vielen geantwortet, geliked und auch ein Foto gepostet. Vom Zugang in ihrem Arm mit dem Kommentar "what doesn't kill you, makes you stronger".
Fynn hatte sie daraufhin angerufen. Gepostet hatte er jedoch nichts. Es war ein kurzes Gespräch gewesen. Er hatte nur gemeint, sie solle sich ausruhen und es langsam angehen zu lassen.
"Ich weiß noch, als ich mal in einer Schlägerei auf eine Bank geschubst wurde und mir den Kopf so stark angestoßen hatte, dass ich ebenfalls ins Krankenhaus musste. Jeder ist mir mit seiner Anwesenheit, die länger als 5 Minuten ging, auf den Sack gegangen. Ich wollte dir also nur ganz kurz Mitteilen, dass ich an dich denke, Hexe."
Max hatte ihr eine Nachricht geschickt, dass es bei ihm später werden würde, er aber versucht heute noch auf Station zu kommen um sie zu sehen. Mehr nicht.
Jane legte ihr Smartphone in dem Moment zur Seite, als die Tür aufging. Rosanna wurde in Begleitung einer Krankenschwester zum Bett geführt. Ihre weißen Haare klebten Nass an ihrem Kopf.
"Ach Jane, Sie müssen unbedingt unter die Dusche. Da bekommt man klare Gedanken." sagte Rosanna vergnügt. Entweder die alte Frau merkte nicht, dass Jane keine Lust auf Unterhaltungen hatte oder sie überging es einfach, weil sie einen hohen Mitteilungsdrang hatte. Die Krankenschwester schaut zu Jane.
"Wenn Sie möchten Frau Miller, kann ich Sie gerne begleiten. Der Arzt hatte Ihnen ja bereits mitgeteilt, dass sie heute ohne Hilfe das Bett nicht verlassen sollen. Ich bin übrigens Schwester Hannah", ein Lächeln unterstützte Ihre freundliche Art. Alles würde Jane für eine Dusche jetzt geben, aber erstens nicht in einem Krankenhaus und zweitens ganz bestimmt nicht mit einer fremden Person die ihr dabei zusehen sollte. "Nein danke,", lehnte Jane höfflich ab. "Allerdings, wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne die Toilette aufsuchen." Jane hielt ihre Blase nun seit mehr als zwölf Stunden eisern zusammen.
"Selbstverständlich, das ist mein Job.", antwortet die Krankenschwester weiter freundlich. Die Frage von Jane war sowieso eher rhetorisch gemeint. Sie war ihre Patientin, sie musste sich um sie kümmern, wenn sie nicht alleine aufstehen durfte. Die Krankenschwester zog die flachen Schuhe, die Collin ihr mitgebracht und unter dem Bett platzierte hatte, hervor und stellte sie parallel zu Janes Füßen. Sie schlüpfte hinein und wollte sich nach vorne Beugen um ihren Finger als Schuhlöffel zu missbrauchen, als alles anfing sich zu drehen. Sie hatte sich zu schnell bewegt. Erschrocken hielt sie sich in an Bettkante und Nachtschränkchen fest. 'Blöde Gehirnerschütterung', dachte sich Jane.
Mit Hilfe der Schwester stand sie vorsichtig auf und war sofort dankbar darüber, nicht alleine zu sein. Sie hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihren Füßen beben und der Raum um sie herum würde sich drehen würde. Sie klammerte sich in an den Arm, den ihr die Pflegerin zu Unterstützung hingehalten hatte.
Bewaffnet mit Zahnbürste und neuer Kleidung, ihrer eigenen Kleidung, gingen sie langsam und vorsichtig in Richtung Bad, das sich quer über den Flur befand.
"Wenn Sie möchten, kann ich einen Rollstuhl besorgen damit ich sie rüber fahren kann.", bot Hannah freundlich an.
"Nein danke. Ich werde das so schaffen."
Konzentriert den Blick nach vorne gerichtet, machte sie langsam einen Schritt vor den anderen. Hannah redete von der rechten Seite auf sie ein, wie toll sie das machen würde, dass sie weiter gerade aus gucken solle und ob sie Jane doch lieber einen Rollstuhl besorgen sollte.
"Sie sehen blass aus, Frau Miller. Ich möchte nicht das sie stürzen."
"Ich sagte doch ich schaff das schon.", antwortete Jane ihr mit zusammen gebissenen Zähnen genervt.
Ja, Jane ging es nicht gut. Sie hatte zwar das Gefühl jeden Moment um zu fallen, aber nichts in der Welt würde sie dazu kriegen, in einem Rollstuhl zu sitzen. Soviel stand fest. Abgesehen davon hatten sie die Hälfte des Weges bereits gemeistert. Jane krallt sich noch etwas fester in den Arm der Krankenschwester. Hannah, die es entweder nicht zu stören schien oder von Jane eingeschüchtert war, gab keinen Mucks von sich. Jane fragte sich, ob Hannah wusste wer sie war. Wenn ja, hatte sie sich noch nichts anmerken lassen. Und so krallte Jane sich einfach weiter in den Arm der Krankenschwester, schwieg und konzentrierte sich auf ihre Schritte um nicht doch den Boden zu küssen.
Angekommen im Badezimmer ließ sie sich auf den kleinen Hocker nieder, stützte sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab und legte den Kopf in die Hände. Geschützt, in dem kleinen, weiß gekachelten Raum, konnte sie die Tränen nicht mehr zurück halten. Unaufhörlich flossen sie ihr über ihr Gesicht. Sie kam sich hilflos vor. Sie hatte schmerzen, sie schaffte es nicht alleine zur Toilette zu gehen und die Polizei hatte noch nicht die Person gefangen, der ihren Zustand verursacht hatte. Sie gab sich fünf Minuten der Schwäche. Fünf Minuten ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Danach richtete sie ihren Oberkörper wieder auf, stand vorsichtig auf, begab sich ans Waschbecken und versuchte sich ihre Ängste mit kalten Wasser abzuwaschen.
Der große Blumenstrauß hatte auf ihrem Nachttisch in einer gläsernen Vase seinen Platz gefunden. Jane kannte die Namen der Blumenarten zwar nicht, aber er war in schön abgestimmten blau, rosa und lila Farbtönen gehalten. Max war kurz vor Ende der Besucherzeiten in ihr Zimmer gestützt und hatte sich zu ihr ans Bett gesetzt. Sie hatten nichts gesagt, sich einfach nur gehalten. Dann hatte er ihr einen warmen, langen Kuss auf die Stirn gedrückt. Danach hatte er sich die Schuhe ausgezogen, war neben sie ins Bett geklettert und hielt sie nun fest im Arm. So lagen sie nun schon eine ganze Weile neben einander. Es war bereits deutlich nach 20 Uhr abends, die Besucherzeiten also schon längst um, aber bisher hatte sie noch keine der Schwestern gestört. Auch Rosanna sagte nichts. Sie hatte einen Vorhang, der zwischen den Betten hing, zugezogen. Jane hatte es nicht mitbekommen, geschweige denn wusste sie überhaupt nicht, dass es ihn gab. Sehr taktvoll von ihr, hatte sich Jane gedacht, als sie aufgeschaut hatte und den verwaschenen blauen Stoff sah. Hätte Jane von seiner Existenz gewusst, hätte sie darauf bestanden, ihn von Anfang an zu zuziehen.
"Jane ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Collin hatte mich angerufen als ich im Flugzeug war.", während er das sagte vergrub er sein Gesicht in ihren Haaren.
"Mir geht es gut versprochen. Ich hatte ziemliches Glück."
"Ich verspreche dir, dass wenn ich den Mistkerl finde der dir das angetan hat...", er ließ Janes Gedanken freien Lauf für das Ende seines Satzes.
"Ich will auch, dass der Schuldige schnell gefasst wird und dann möchte ich wissen, warum. Wie er mir das antun konnte." Jane schluckte schwer. "Aber jetzt möchte ich darüber nicht nachdenken. Ich bin froh, dass du da bist, Max."
Sie kuschelte sich an seine Brust und schloss die Augen. Zum Glück hatte sie sich frisch machen und ihre eigenen Sachen anziehen können, bevor er gekommen war.
"Ich bin froh, dass du da bist.", antwortete er.
"Und ich bin froh, dass du hier bist.", antwortete Jane verträumt. "Wie war New York?", setzte sie hinterher.
"Ach ja, du weißt schon. Sehr stressig. Viel Frauen auf einem Haufen bedeutet auch viele Zickereien.", er kratzte sich am Hinterkopf. Er wirkte irgendwie nervös.
"Bist du den mit der Auswahl der Models zu frieden?"
"Ja, wir haben uns schon grob für einige Entschieden, aber wir wollen uns erst nächste Woche beim nächsten Meeting festlegen. Aber genug jetzt von der Arbeit, ich möchte meine Gedanken mit dir füllen." Sie schaute zu ihm hoch und sah die Aufrichtigkeit in seinen Augen. Sie fühlte sich in dem Moment so geborgen wie noch nie.
"Ich habe die zwei Millionen bei Instagram geknackt!", verkündigte sie stolz. "Sogar 2,3 Millionen!"
Er beglückwünschte sie. Er wusste wie viel ihr das bedeutete. Sie hatte es zwar nie ausgesprochen aber er wusste, das sie von den bekanntesten Personen Deutschlands die Followerzahlen kannte. Man musste ja schließlich gucken, was die anderen Promis machten.
"Ja der Abend war so cool gestern! Ich hätte dich gerne dabei gehabt! Wobei du schienst gestern auch einen schönen Abend gehabt zu haben." Janes Stimme klang vorwurfsvoller als eigentlich beabsichtigt, aber sie hatte eine Antwort verdient. Wieso hatte er ihr nichts erzählt?
"Ach ja, war ganz in Ordnung. Ich wäre aber lieber bei meiner tollen Frau gewesen." Er küsste ihr wieder aufs Haar. Jane wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass er nicht über seine Geschäftesreise sprechen wollte. Das war untypisch für ihn.
"Ist wirklich alles in Ordnung?", fragte sie vorsichtig. Sie wusste, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte. Max konnte schnell um sich schlagen, im überragendem Sinne natürlich, wenn ihm etwas unangenehm wurde oder er sich zu etwas gedrängt fühlte.
Seine Miene verhärtete sich.
"Ja." Mehr sagte er nicht. Sein Gesicht schien wie versteinert zu sein. Er ließ keine Emotionen durch seine Gesichtszüge hindurch sickern.
"Jetzt bist du ja hier.", sagte Jane und versuchte das Thema zu wechseln. Max schüttelte den Kopf, als müsste er seine Gedanken nochmal neu ordnen und schlang die Arme noch mal ein bisschen fester um sie.
"Ich Liebe dich, Süße."
"Und ich Liebe dich."
Max blieb bis zu dem Zeitpunkt, als die Nachtschwester ins Zimmer stützte, den Vorhang zur Seite riss und die beiden kuschelnd im Bett vorfand.
"Es ist kurz vor 22 Uhr. Die Besucherzeiten sind schon lange um! Die gelten auch für Promis und deren Angehörige."
Also wusste man doch ganz genau wer Jane war. Sie hatte Mühe gehabt ihr Lächeln zu unterdrücken als die Schwester "Promi" sagte.
Max hatte ihr einen schnellen Kuss auf die Stirn gedrückt und ihr versprochen am nächsten Tag zu den Besucherzeiten wieder bei ihr zu sein. Dabei hatte er die Schwester angeschaut und sie hatte demonstrativ ein breites Grinsen aufgesetzt. Dann war er gegangen.
Jetzt war Jane wieder alleine.
Seit langem hatten sie und Max nicht mehr so miteinander gesprochen, geschweige denn gekuschelt. Sie empfand es zwar immer noch als merkwürdig, wie er ihr bei dem Thema New York aus dem Weg gegangen war, aber sie wollte sich nicht den Kopf darüber zerbrechen. Wenn es Probleme mit der Firma gab, dann würde er diese bestimmt schnell in denn Griff bekommen. Dann wäre das Gespräch nicht einmal der Rede Wert gewesen.
Sie hatte ganz vergessen, wo sie sich befand und warum sie in einem Krankenhaus lag. Jetzt, da sie wieder alleine war, wurde es ihr schlagartig bewusst. Auch die Kopfschmerzen wurden wieder stärker. Sie beschloss nach der Schwester zu klingeln.
Sie bekam eine Tablette und entschied sich noch einmal ins Badezimmer zu gehen. Mit Unterstützung der Krankenschwester natürlich. Überrascht stellte sie fest, dass es schon viel besser klappte, als noch vor ein paar Stunden. Ihr war zwar immer noch leicht schwindelig, sie fühlte sich schwach und ihr Gleichgewichtssinn schien ihr auch noch einen Streich zu spielen, aber allem in allem ging es schon viel besser. Bevor sie das Zimmer verließ, blieb ihr Blick an der schlafenden Rosanna hängen.
Im Schlaf sah sie viel jünger aus, als sie eigentlich war.
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