Kapitel 16
Angestrengt hievte ich meinen Koffer, den ich bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt hatte, die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf und verschnaufte danach für kurze Zeit. Mein T-Shirt kam mir auf einmal viel zu warm vor, obwohl ich darin noch vor ein paar Stunden am Flughafen von Seoul gefroren hatte. Dazu war die Luft so feucht, dass sich wie automatisch ein Feuchtigkeitsfilm auf meiner Haut bildete.
Obwohl ich hier groß geworden bin, hatte ich mich innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren mit dem Klima der Hauptstadt Südkoreas arrangiert und dass ich das malaysische, tropische Klima nicht mehr gewohnt war wurde mir nun leider schwitzend bewusst. Ich verfluchte gerade meine lange Hose und das an meiner Haut klebende Shirt, die ich eigentlich beide mochte.
Ich holte noch einmal tief Luft bevor ich weiter vortrat, um zur Klingel zu gelangen.
Schmunzelnd betrachtete ich den ausgeblichen Sternensticker auf dem Taster, der sich wacker geschlagen hatte, seitdem ich ihn mit elf dort draufgeklebt hatte. Kurz tätschelte ich den Stern, den Yun und ich Peter genannt hatten und drückte dann endlich die Klingel, worauf die bekannte Melodie durch das Innere des Hauses schallte, die auch noch vor der Eingangstür zu hören war.
Es ertönte ein lautes Poltern und binnen Sekunden wurde die Tür von einem freudestrahlenden Yun aufgerissen.
„Ji-Ji!“
Augenblicklich wuchs mein Schmunzeln zu einem glücklichen Lächeln und ich breitete meine Arme aus, lud meinen kleinen Bruder so zu einer Umarmung ein. Ohne zu zögern schmiss sich Yun in meine Arme und drückte mich fest an ihn.
„Ich habe dich vermisst“, nuschelte der nur noch knapp Kleinere an meine Schulter und drückte mich darauf noch stärker an sich. Ich lachte leicht, auch wenn es eigentlich traurig war, dass wir uns so lange nicht gesehen hatten, und tätschelte dann seine schwarzen, lockigen Haare, die er herauswachsen lassen hatte, um sie zu einem Zopf binden zu können.
„Ich dich auch, mein Großer“, erwiderte ich und brachte ihn dazu sich etwas widerwillig von mir zu lösen um ihn ansehen zu können. Yun sah so viel erwachsener aus, als noch vor zwei Jahren oder sogar letztem Jahr.
„Steht dir“, meinte ich lächelnd und zog dann leicht an seinem kleinen Zopf, der die obere Hälfte seiner Haare zusammenhielt. Verlegen zuppelte er ebenfalls an seinem zusammengebundenen Haar herum und erwiderte dann: „Danke. Chin-Hae meinte lange Haare würden gut an mir aussehen und hat mich davon abgehalten zum Friseur zu gehen, um sie kürzen zu lassen.“
Belustigt schnaubte ich bevor ich Yun nochmal in meine Arme zog.
„Na dann hatte Chin-Hae auf jeden Fall recht. Er spricht halt sehr oft die Wahrheit.“
Augenverdrehend und lächelnd zugleich befreite sich diesmal Yun aus der Umarmung.
Der Name von Chin-Hae, Yuns besten Freund, bedeutete so viel wie Wahrheit und natürlich konnte ich mir diese Chance als großer Bruder nicht entgehen lassen, um einen unlustigen Witz zu dieser perfekten Vorlage zu reißen.
Das machten große Brüder so.
Mein Blick glitt nun endlich auch zum Türrahmen, wo mein Vater mit verschränkten Armen und einem zufriedenen Lächeln lehnte und uns beobachtete.
„Hey, Dad“, begrüßte ich ihn und ließ mich anschließend in eine warme Umarmung von seinen starken Armen ziehen.
Eine Wärme breitete sich in mir aus jetzt wo ich endlich wieder hier war, bei meiner Familie. Das wohlige Gefühl von zu Hause nahm mich ein und löste eine innere Ruhe in mir aus, die ich schon lange nicht mehr verspürt hatte.
Langsam lockerte ich meine Arme und lehnte mich etwas zurück um meinen Vater ansehen zu können.
„Wie geht’s euch?“, fragte ich erst an ihn gewandt und schaute dann hinüber zu Yun, der die Sticker auf meinem Hartschalenkoffer inspizierte.
„Soweit gut, aber lass uns doch erstmal reingehen. Du musst doch bestimmt schon Schwitzen, wenn ich mir deine Sachen so ansehe.“
Zustimmend verzog ich leidend mein Gesicht bevor ich mit meinen Lippen ein stummes 'sehr' formte.
Mein Vater klopfte mir nochmal auf die Schulter und deutete mir schonmal an reinzugehen. Dann schnappte er sich meinen Koffer, als wäre er ein Fliegengewicht und trat gefolgt von Yun ins Hausinnere.
Mich empfing die bekannte Klimaanlage, die noch immer so surrte wie vor ein paar Jahren und auch die Einrichtung hatte sich nicht groß verändert. Das Einzige was mir auffiel war, dass mehr Bilder an den Wänden im Flur hingen.
„Komm erstmal richtig an, mach es dir gemütlich und komm dann einfach nach unten, damit wir essen können, ja?“
Bestätigend nickte ich meinem Vater zu und wollte schon die Treppe nach oben gehen, als mir etwas einfiel.
„Kannst du mir den Koffer vielleicht hochtragen?“ Verlegen deutete ich auf meinen bestimmt acht Kilogramm schweren Ballast.
Mein Vater nickte als Antwort auf meine Frage und trug mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen den Koffer ins obere Stockwerk.
…
„Und wie ist es dir in Seoul so ergangen, Ji-Ji?“, fragte Yun mich gespannt und hing dabei an meinen Lippen, während unser Vater das Essen auf den Tellern verteilte. Ich schmunzelte kurz aufgrund des Spitznamens.
Yun wollte noch nie einsehen, dass es Mama und Papa hieß, ich dann aber auf einmal Jisung war. Also hat er das Prinzip von zwei gleichen Silben auf meinen Namen angewandt und rausgekommen ist ein Spitzname, der nur für Yun vorbehalten ist.
Ich bedankte mich bei meinem Vater für das Essen, bevor ich Yuns Neugier etwas stillte.
„Mir geht’s gut und bei meinem Job läuft auch alles“, gab ich kurzangebunden von mir und versuchte mich an einem ehrlichen Lächeln.
Ich bemühte mich dabei den Vorfall mit dem Kuss vor ein paar Wochen aus meinem Kopf zu verbannen, der mich seitdem immer wieder verfolgte.
Und den Umstand, dass Lee Minho mich mag...
Lee Minho, in meinen Augen die Perfektion in Person, hatte mich geküsst. Und ich war abgehauen, hatte ihn ohne eine Antwort auf sein Geständnis stehen lassen.
Unmerklich schüttelte ich den Kopf. Der Gedanke daran zog mich nur herunter und ich wollte glücklich sein, wenn ich meine Familie schon endlich wiedersah.
„Hm, okay… Hast du Freunde gefunden?“
Empört sah ich meinen kleinen Bruder an, der ein freches Grinsen auf den Lippen trug. Die Antwort auf seine Frage kannte er nur zu gut, immerhin hatten wir trotz des längeren Nicht-sehens Kontakt gehabt.
Kurz zog ich an seinem kleinen Zopf, der mir eine neue Möglichkeit bot Yun zu ärgern und das nahm ich als großer Bruder doch liebend gerne an.
Lachend drehte mein kleiner Bruder seinen Kopf weg, sodass ich nicht mehr an seinen Zopf herankam, was mich augenblicklich schmollen ließ.
„Ja, ich habe Freunde und das weißt du auch. Du hast doch sogar mal mit Felix und Innie gesprochen!“
Lachend blickte mich Yun an und seine Augen glitzerten dabei mit ehrlicher Freude.
Ein melancholisches Lächeln schlich sie auf meine Züge, denn Yuns Lachen machte mich einerseits glücklich, ließ mich aber auch in Erinnerungen schwelgen.
„Wie läuft’s mit der Liebe?“, unterbrach unser Vater Yuns Gelächter und riss uns damit aus unserer kleinen Blase.
Ertappt verließ ein kleines, nervöses Lachen meinen Mund und ich widmete mich meinem Essen, um der Frage vorerst auszuweichen. Doch mein Vater hatte andere Pläne, lehnte seine Arme auf dem Tisch ab und bedachte mich mit einem sanften Blick.
„Gibt es irgendwen oder hast du an niemanden Interesse?“
Fast etwas zu schnell erwiderte ich ein „Es gibt niemanden“ und das war ja auch nicht vollkommen gelogen.
Ich hatte Minho, die Verkörperung meines Traummannes, abgewiesen und uns damit beiden das Herz zerrissen. Aber das war nur zu seinem Schutz vor mir, denn wenn er mich richtig kennenlernen würde, nicht nur die fröhliche Seite von mir sieht, würde er bestimmt versuchen Reißaus zu nehmen. Ich bewahrte mein Herz damit vor mehr Schmerzen.
Die vergossenen Tränen und der Kuss waren beide nicht geplant und ich werde versuchen das aus meinem Kopf zu fegen, um wieder so zu leben wie zuvor.
Alleine in meiner Wohnung mit meinen Songs und ab und an meinen Freunden und meiner Familie.
Das reichte mir.
Ich brauchte niemanden.
Mein Vater zog zweifelnd seine Augenbrauen nach oben und auch Yun schien meiner Antwort keinen Glauben zu schenken. Ich hingegen tat so als würde mir ihre Reaktion nicht auffallen und lobte das Essen meines Vaters mit einem „Ist dir gut gelungen. Wirklich lecker.“ und deutete mit meinen Stäbchen auf den Teller vor mir.
Mein Vater schien zu meinem Glück das Ganze auf sich beruhen zu lassen, denn er lächelte dankend bevor er weiter aß.
Yun schenkte mir noch einen forschenden Blick ehe er seine Stäbchen nahm, um, ohne seine Augen von mir zu nehmen, Essen dazwischen zu klemmen und zu seinem Mund zu führen. Sein stechender Blick von der Seite ließ mich ihn kurz warnend ansehen, bis auch er das Thema endlich fallen ließ und sich vollends seinem Essen widmete.
Es herrschte eine kurze Stille in der wir schweigend aßen und die bloße Anwesenheit der Anderen genossen.
Ein vertrautes Gefühl breitete sich aus und ich entspannte mich vollkommen, musste mich zusammenreißen, um nicht zu sehr loszulassen, sodass meine Gefühle hervorbrachen, die ich verspürte seit ich dieses Haus wieder betreten hatte.
Hier ruhten überall Erinnerungen an glückliche Momente, doch es erinnerte mich auch fast alles an sie.
Der leere Platz neben Dad, die Topfuntersetzer, die sie gehäkelt hat und der Löffel, der nicht zu dem Rest des Bestecks passte, weil sie ihn als Erinnerung an ihre Großeltern behalten hatte.
Bei dem Gedanken spürte ich wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete, der mir das Atmen schwermachte. Ich unterdrückte den Drang das Wimmern, das meine Kehle hochkrach herauszulassen, schluckte stattdessen hart und legte mein Besteck ab.
Dem Löffel, der anders aussah als alle anderen, schenkte ich dabei noch einen kleinen, wehmütigen Blick.
Als ich meinen Augen zu den Anderen wandern ließ, sah ich, dass die beiden ebenfalls fertig mit essen waren. Bemüht nicht zu zeigen was gerade in mir vorging, wandte ich mich mit einem schnellen „Ich lege mich hin. Bin noch müde vom Flug“ ab und rannte schon fast ins obere Stockwerk, als ich außer Sichtweite meiner Familie war.
Ich hatte noch nicht mal auf eine Antwort gewartet.
Sofort flüchtete ich in mein altes Kinderzimmer und versuchte dabei mich so wenig wie möglich umzusehen, um nicht noch mehr Erinnerungen heraufzubeschwören, die mein Herz nur schwermütiger machten.
Das leidende Wimmern stahl sich trotz allem einen Weg aus meinem Mund, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte und schwach ließ ich mich mit dem Rücken an dieser heruntersinken. Meine Beine knickten weg, sodass ich hart auf dem Boden aufkam, doch das kümmerte mich nicht.
Der Schmerz, der schon wieder mein Herz fesselte betäubte meine Nerven.
Ich dachte ich war auf dem Weg zur Besserung.
Ich dachte ich hätte mich damit abgefunden.
Aber hier – zu Hause – konnte ich einfach nicht nicht an sie denken.
Ich konnte nicht diesen Tag verdrängen an dem sich das Leben meiner Familie um 180° gedreht hatte.
Ohne es zunächst zu fühlen wurden meine Wangen von unzähligen Tränen überströmt und tropften an meinem Kinn auf meine Kleidung oder flossen an meinem Hals weiter hinab.
Es tut weh.
Warum tut es noch so weh?
Mein Körper zitterte unkontrolliert, wurde von den Emotionen beherrscht, die ich nicht aufhalten konnte. Schluchzend krallte ich meine Hände an die Stelle wo ich glaubte mein Herz würde sich befinden. Doch es fühlte sich an als befände sich dort ein klaffendes Loch.
Ein Loch, das mir nur unsagbare Schmerzen bereitete.
Weinend und schluchzend saß ich letztendlich minutenlang auf dem Boden meines alten Kinderzimmers und versuchte etwas anderes zu fühlen als den Schmerz.
Kraftlos vor Erschöpfung fiel ich schließlich in einen unruhigen Schlaf, der mich nur noch mehr plagte.
Klar, das ist doch kein Problem.
Die folgenden Worte verstand ich nicht. Sie waren verzerrt, sodass die Antwort der zweiten Person nicht ausmachbar war. Als sollte verhindert werden, dass ich verstand was gesagt wurde.
Mach ich. Bis später. Hab dich lieb, Spätzchen.
Wieder folgte eine unverständliche Erwiderung. Die Töne taten weh, ihre Frequenz war so unangenehm, dass ich mir die Ohren zuhalten wollte. Alles schrie danach, dass ich nicht zuhören sollte, kein einziges Wort entziffern durfte. Doch etwas, was ich nicht deuten konnte, hielt mich davon ab.
Also wartete ich nur, ließ das Ganze über mich ergehen, bis ich auf einmal glaubte etwas zu verstehen.
Die Worte kamen mir so bekannt vor, als hätte ich sie bereits irgendwann ausgesprochen und als hätten sie sich in mein Gedächtnis gebrannt.
Anfangs hörte ich nur einzelne Wortfetzen, doch die Verfälschung der Stimme schwand mit jeder vergehenden Sekunde, bis ich etwas realisierte.
Das… Das Gespräch kam mir so bekannt vor und-
Ein kalter Schauer durchfuhr mich, als ich erkannte, dass die immer klarer werdenden Worte von meiner eigenen Stimme ausgesprochen wurden.
Der folgende Satz hörte sich nicht so bedeutungsvoll an, wie er eigentlich gemeint war. Es gab keinen Grund dafür zu der Zeit. Die Stimme, Ich, wusste es nicht besser.
Ich habe dich auch lieb, Mom.
Nein!
Nicht auflegen!
Rede weiter, lass sie nicht losfahren.
Sag ihr, du schaffst das allein.
Sie soll Zu Hause bleiben! Weiter mit Yun und Dad Uno spielen.
Sie soll nicht in dieses verdammte Auto steigen!
Halt sie auf!
Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, meine Tränen kamen Sturzbächen gleich; ich versuchte das unwissende Ich zu erreichen, schlug um mich um irgendwie zu mir durchzudringen, doch es war schon zu spät. Ein Tuten erfüllte die Stille und beide Stimmen waren verschwunden, ohne zu wissen, dass das das letzte Mal war, dass sie sich unterhielten.
Ruckartig wurde ich wach und schnappte noch immer geschockt nach Luft. Mein Hals fühlte sich kratzig und rau an, als hätte ich wirklich geschrien und meine Wangen waren ebenfalls feucht, als ich diese mit zitternden Fingern abtastete.
Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass ich eingeschlafen war und das Ganze geträumt hatte.
Ich lag noch immer zusammengekauert auf dem Boden, meine Gliedmaßen schmerzten von der unangenehmen Position in der sie verweilt hatten und mein Kopf dröhnte durch das viele Weinen. In meiner Brust herrschte noch immer ein drückendes Gefühl, dass mich nicht loslassen wollte.
Langsam richtete ich mich auf, um meinem Körper weitere Strapazen zu ersparen und taumelte dann mit wackeligen Schritten auf mein Bett zu. Mit einem schweren seufzen ließ ich mich in die Matratze sinken und legte mich mit ausgestreckten Gliedmaßen auf den Rücken.
Weiterhin versuchte ich mit tiefen Atemzügen zu beruhigen und wickelte mich schließlich in meiner Bettdecke ein, obwohl die Innentemperatur wahrscheinlich 22°C betrug.
Zu meiner Überraschung roch der Deckenbezug nicht so wie ich es in Erinnerung hatte. Ich wusste nicht ob ich das gut oder schlecht finden sollte, doch fürs erste ignorierte ich diese Tatsache und driftete in dem Versuch meinem Kopf eine Pause zu verschaffen in den Schlaf ab, mit der Hoffnung nicht nochmal zu träumen.
Als ich erneut aufwachte war es bereits dunkel. Der Mond wurde von den Wolken verdeckt, sodass, wenn überhaupt, sehr wenig Licht durch das Fenster in den Raum fiel. Langsam richtete ich mich auf, spürte wie mein Körper sich größtenteils von dem Zusammenbruch erholt hatte, auch wenn auf meinem Herz weiterhin eine beklemmende Last ruhte.
Nachdenklich saß ich eine Weile nur still da und versank in Gedanken.
Dad und Yun schliefen bestimmt schon und ich konnte nicht mehr schlafen, da ich bereits den ganzen Tag dieser Tätigkeit nachgekommen war.
Also was sollte ich jetzt machen?
Mein Blick glitt zu der Stelle, wo sich mein Koffer und Rucksack befinden sollten, auch wenn ich diese in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte.
Nach einem kurzen Zögern schälte ich mich aus der Decke, die noch immer meinen Körper bedeckte und tapste mit vorsichtigen Schritten zu meinem Ziel. Mit meinen Händen versuchte ich potenzielle Gefahren mich zu stoßen zu erkennen, um einen großen Bogen um diese zu machen.
Letztendlich kam ich an meinem Rucksack an und zog den Reißverschluss auf. Schnell erfühlte ich meinen Laptop und meine Kopfhörer und zog sie hervor. Meinen Computer ließ ich schonmal hochfahren. Mit der Lichtquelle des Computerbildschirms gelangte ich schneller zurück zu meinem Bett und machte es mir wieder gemütlich.
Ich setzte meine Kopfhörer auf uns suchte in meinen Dateien schließlich nach dem Track an dem ich immer arbeitete, wenn es mir nicht gut ging. Nach kurzem suchen zeigten mir die kleinen schwarzen Buchstaben an, dass ich ihn gefunden hatte.
Silent cry
Ich hatte schon den Lyrics dazu geschrieben und bastelte nun schon seit Wochen die Melodie dafür zusammen. Es war schwer zufrieden damit zu sein.
Der Text des Liedes war aus der Perspektive einer Person geschrieben, die deren Freundes stille Schreie hört und helfen möchte.
Und wenn ich ehrlich war sah ich mich nicht in der helfenden Position. Ich identifizierte mich mehr der still schreienden Person und hoffte, dass mir geholfen wurde.
Das ergab wenig Sinn, da ich jeden von mir wegstieß, der mir helfen wollte. Es war einfach kompliziert.
Seufzend machte ich mich wieder daran den Track zu bearbeiten, obwohl ich wusste, dass ich letztendlich sowieso alles wieder über den Haufen werfen würde.
Nachdem ich gut zwei Stunden darin investiert hatte an dem Track zu arbeiten, schloss ich die Datei nachdem ich alles abgespeichert hatte.
Ich hörte mir das Ergebnis erst gar nicht an. Meine Urteilsfähigkeit war sowieso schon komplett am Ende und ich hatte keine Lust meinen Fortschritt durch meine Impulsivität zu löschen.
Unschlüssig saß ich regungslos auf meinem Bett und diskutierte innerlich mit mir selber was ich nun tun sollte.
Ich wollte nicht schlafen gehen.
Ich wollte nicht nochmal so etwas träumen.
Um die Entscheidung was ich nun tun sollte weiter hinauszuzögern, beschloss ich mir etwas zu trinken zu holen.
Bemüht so leise wie möglich zu sein schlich ich aus meinem Zimmer und die Treppe hinunter.
Verblüfft blieb ich auf dem Treppenansatz stehen, als ich sah, dass aus dem Wohnzimmer Licht in den Flur fiel.
Waren Yun und Dad noch wach?
Mit einem raschen Blick zu der Digitalen Uhr mit leuchtenden Zahlen stellte ich fest, dass es so gegen halb drei war.
Yun schlief hundertprozentig.
Also war Dad noch wach?
Zügig machte ich mir erst ein Glas Wasser in der Küche bevor ich die Tür zum Wohnzimmer öffnete. Tatsächlich saß dort mein Vater am Esstisch und las Zeitung; sein Gesicht wurde von dem großen Papierbogen verdeckt.
Ich stutzte kurz und überlegte ob ich mich dazusetzen sollte. Nachdem einige Zeit vergangen war und ich noch immer unschlüssig im Türrahmen stand, ließ mein Vater seine Zeitung sinken und legte seinen Kopf fragend schief als er sich erkundigte:
„Willst du dich zu mir setzen?“
Ich zuckte kurz zusammen, weil diese Erwiderung so unerwartet kam, nickte dann jedoch leicht und schloss die Tür bevor ich zu dem Platz gegenüber von meinem Dad ging. Während er weiter seine Zeitung las, spielte ich geistesabwesend mit meinem Glas und beobachtete ihn dabei.
Früher hatte er selten Zeitung gelesen. Doch vor zwei Jahren hatte er damit angefangen immer auf den aktuellsten Stand zu sein und las sich auch online viele Berichte über den aktuellen Verkehr oder große Ereignisse durch. Er hatte es bereut, einmal nicht getan zu haben.
Es war seine Art damit umzugehen und sie war weitaus gesünder als meine.
Yun hatte sich soweit ich weiß ins Lernen gestürzt und viel Zeit mit Freunden verbracht um sich abzulenken.
Und ich, ich war wie ein Feigling nach Seoul geflüchtet, erzählte niemanden von irgendwas und versuchte mithilfe meiner Musik meine Gefühle herauszulassen.
Ich fraß meinen Frust in mich hinein, weil ich Angst hatte erneut abgewiesen zu werden, wenn ich mich irgendwem öffnete.
Ich meine, es war schon verständlich. Wer wollte schon mit einem emotionalen Wrack befreundet sein, dass immense Schuldgefühle hatte?
„Was belastet dich?“
Etwas erschrocken, weil ich so abrupt aus meinen Gedanken gerissen wurde, sah ich meinen Vater verwirrt an. Er hatte seine Zeitung zusammengefaltet und auf dem Tisch abgelegt, um mir nun seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Was mich belastete?
Viel.
Ich konnte es gar nicht in Worte fassen, also zuckte ich auf seine Frage hin nur mit den Schultern.
„Du machst es schon wieder, Jisung. Du ziehst schon wieder diese Mauer, hinter der du dich versteckst, in dem Trugschluss, du wärst dann sicher. Doch du kannst nicht immer alleine mit all deinen Problemen klarkommen.“
Eine Gänsehaut überzog meine Arme als er diese Worte aussprach, denn er hatte recht. Er hatte mich durchschaut.
Ich wünschte mir gerade einen großen Hoodie herbei, in dem ich verschwinden konnte, um einen kleinen Funken von Sicherheit zu verspüren. Doch weil es hier so warm war hatte ich lediglich ein T-Shirt an und fühlte mich so gewissermaßen ausgeliefert.
Als behelfsmäßigen Ersatz zupfte ich meine Ärmel etwas weiter nach unten und vergrub anschließend meine Finger in meinen Oberschenkeln.
Wieder zuckte ich mit den Schultern, aus dem einfachen Grund, weil ich nicht wusste was ich hätte erwidern sollen.
„Ist es wegen Yunai?“
Ich zuckte leicht zusammen, als er ihren Namen aussprach. Ich hatte ihn lange nicht mehr gehört. Es überumpelte mich, dass er das ansprach und allein dieser Name warf mich aus der Bahn.
Mein Vater schien meine Reaktion als Zustimmung zu verstehen, denn er schenkte mir ein warmes Lächeln.
„Das ist okay. Du warst lange nicht mehr hier und das muss etwas überwältigend für dich sein. Ich und auch Yun sind jederzeit bereit dir Trost zu spenden oder Halt zu geben, wenn du es brauchst.“
Hastig schüttelte ich den Kopf. Yun sollte mich trösten? Ich war doch der große Bruder, der für ihn da sein sollte, nicht umgedreht. Und Dad war mir auch nichts schuldig, nachdem was ich abgezogen habe.
Erneut übermannten mich meine Schuldgefühle, die sowohl mein Lungen als auch mein Herz abzuschnüren drohten. Angestrengt bemühte ich mich nicht vom Stuhl zu kippen und versuchte meinem Dad klar zu machen, was ich getan hatte, denn er schien es nicht verstehen zu wollen.
„Ich kann doch nicht verlangen, dass ihr mich tröstet, wenn ich abgehauen bin, als ihr mich am meisten gebraucht habt. Ich bin der schlechte große Bruder und der enttäuschende Sohn!“
Tränen bildeten sich in meinen Augen, die ich versuchte mit meinen Handrücken wegzuwischen. Wie konnten sie mir dieses Angebot machen, wenn ich so egoistisch war? Wie konnten sich mich noch so lieben, wenn ich an all dem Schuld war?
„Das stimmt doch gar nicht, Jisung. Jedes Mal, wenn du mit Yun telefoniert hast, hast du damit ein strahlendes Lächeln auf seine Lippen gezaubert. Auch ich habe mich immer gefreut, wenn du dich gemeldet hast. Das zeigt dir doch auch Yuns freudige Begrüßung. Er liebt dich. Er liebt seinen großen Bruder. Wir werden dich immer lieben.“
Ein Schluchzen entfloh meiner Kehle und die Tränen ließen meine Sicht verschwimmen.
Meine Emotionen wollten nach diesem einen Ausbruch vorhin gar nicht mehr stumm in meinem Inneren verschlossen bleiben, wie sonst immer, und das brachte mich momentan an meine Grenzen.
„Aber ich bin doch an all dem schuld! Ich bin der Grund warum sie tot ist! Das ist doch genug um mich zu hassen, mir den Rücken zuzudrehen!“
Unwirsch tippte ich mir wiederholt aggressiv gegen die eigene Brust, dort wo der Schmerz mein Herz zeriss, meine Stimme wurde dabei lauter und immer brüchiger.
Sacht schüttelte mein Vater den Kopf und stand auf, um neben mich zu treten und sich hinzuhocken. Meine Hände nahm er in seine als er mir tief in die Augen sah.
„Du bist an nichts schuld, Jisung. Wir haben es alle nicht gewusst. Deine Mutter ist jetzt im Himmel und ist dir mit Sicherheit nicht böse. Sie liebt dich, genauso wie du sie liebst. Sie macht dir keine Vorwürfe. Stattdessen wünscht sie sich bestimmt, dass du weiter deinen Traum lebst und sie dabei nicht vergisst. Verstehst du, Jisung? Sie liebt dich, wir lieben dich und wir werden nie damit aufhören.“
Mein Herz schlug stark gegen meine Brust, als wolle es damit bekräftigen, dass mein Vater recht hatte. Mit unruhig zuckenden Augen suchte ich in seinem Gesicht nach einer weiteren Bestätigung. Sein liebevoller Blick und der unterstützende Händedruck waren mir letztendlich Beweis genug.
Auch wenn ich mir selber nicht verzeihen konnte und die Liebe meiner Familie nicht verdiente, sehnte ich mich danach. Ich wollte, dass sie mir verzeihen und mich lieben und das taten sie auch.
Ich musst nur selbst damit anfangen.
Neue Tränen bildeten sich in meinen Augen, diesmal aber wegen den Worten meines Vaters. Er meinte es ernst. Sie würden mich immer lieben. Und ich liebte sie.
Schluchzend biss ich mir auf die Unterlippe und nickte dann, während ich mit wässrigen Augen seinen Blick erwiderte. Liebevoll lächelnd stand mein Vater auf, zog mich in seine Arme und hauchte mir einen Kuss auf den Kopf.
„Wir lieben dich. Zweifel nie daran.“
Ich nickte leicht, schlang meine Arme um ihn und rief mir dann den Abend vor zwei Jahren wieder ins Gedächtnis.
______
Willkommen bei Ep. 1 Emotional Damage :D
Hat irgendjemand vermutet, dass es etwas mit Jisungs Mutter auf sich haben könnte?
Ich denke es war nicht so offensichtlich (ich hoffe es zumindest) hahaha
Als kleiner Hinweis, ich habe in Kapitel 2 eine kleine Abänderung gemacht, unzwar habe ich, dass sich der Vater alleine fühlt rausgestrichen. (Zu dem Zeitpunkt, war ich mir noch nicht sicher, ob ich Jisung ein Geschwisterchen geben soll, aber ich liebe die Dynamik zwischen den beiden jetzt schon T^T)
Wo ich einmal dabei bin:
Jisungs Familienmitglieder sind alle keine Personen aus der K-Pop Industrie. Also zumindest hatte ich niemanden im Kopf, als ich das geschrieben habe, also macht euch euer eigenes Bild zu den Charakteren :D
(Das gilt auch für Yuns besten Freund Chin-Hae)
Wie ihr sicher erahnen könnt, werdet ihr im nächsten Kapitel erfahren, was es denn nun mit Jisungs Vergangenheit auf sich hat.
Nehmt mir den kleinen Cliffhänger bitte nicht zu übel, ich muss erst noch Zeit finden, um das nächste Kapitel zu schreiben <3
Aber, wenn ich euch etwas Hoffnungen machen darf, ist Minsung (zumindest geplant) nicht mehr weit entfernt...
Um euch etwas von dem Kapitel aufzuheitern:
Wenn ich euch sage, ich habe einen Fangirl-Schrei von mir gegeben-
Das kam einfach aus dem nichts, aber es ist halt Minsung, also bin ich irgendwie nicht soooo krass überrascht. Die sind halt 24/7 auffällig.
Ich denke alle Minsunger werden diesen Bild für immer behalten hahahah.
Die beiden sind so süß zusammen help-
Danke fürs Lesen, Voten und Kommentieren <3
Good day, Stay
Eure EinwildesStay <3
Minsungers when Jisung kissed Minhos neck
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