Kapitel 11.3 - Kein Wässerchen trüben
>>Was plant Markus?<<
Sinas Frage war für alle hörbar, während ihre Hände Trells Arme rücksichtslos auf dem Rücken verdreht hielten und seinen Körper in den sandigen Boden des Flussgrundes drückten. Der Anblick knotete mir den Magen zusammen. Bis vor wenigen Momenten noch hatte Trell sich verbissen gewehrt. Die Kratzer und Blessuren, die er aus dieser Konfrontation mitgenommen hatte, waren nicht zu übersehen. Doch er hatte jegliche Gegenwehr aufgegeben, als er mich erblickt hatte.
Ich, die sich in den Kreis von Flussmenschen einreihte, der sich um ihn und Sina gebildet hatte, weil eine spontane Schwarmversammlung einberufen worden war.
Ich, die wieder die Schwimmkleidung des Schwarms trug, da Achs mich schnell und schweigend zu den Vorratstunneln begleitet hatte, nachdem er mich von dem Hochzeitsplatz geholt hatte.
Ich, die gerade vorgeschlagen hatte, dass Sina seine Gedanken auslesen sollte, damit wir endlich erfuhren, was mein Vater plante.
Jetzt starrte Trell mich einfach nur an. Eine stumme Anklage für alles, was ich getan hatte. Ich erwiderte seinen Blick mit ausdruckslosem Gesicht, während Sina in seinen Gedanken wühlte. Taub, wie ein Stein. Etwas anderes wollte ich nicht fühlen. Sonst könnte ich es keinen Moment länger ertragen, in diesem Kreis zu schwimmen.
>>Ihr widerlichen, dreckigen, feigen HAIE!<< Sinas wütender Schrei unterbrach jede Überlegung im Gedankenstrom aller. Entsetzt sah ich, wie sie plötzlich Trells Gelenke zusammenzog – in Richtungen für die sie nicht ausgelegt waren. Trells Gesicht verzog sich vor Schmerz und ein stummer Schrei verließ als einzige Luftblase seinen Mund, als die Flussfrau seine Arme losließ, um ihre Faust in seine Rippen zu vergraben. Zielen war nicht schwer, denn Trell hatte nur noch seine Hose an, nachdem Sina ihm die Bräutigamsrobe nach der Wasseranpassung ausgezogen, damit er durch seine neuen Seitenkiemen genug Luft bekommen konnte.
>>Sina!<<, brüllte ich entsetzt und riss mich instinktiv aus dem Kreis aller los, um zu der Flussfrau zu schwimmen und sie aufzuhalten.
>>Senga!<< Zac, der sich von irgendwo weiter links von mir ebenfalls losriss, um zu mir zu schwimmen. Bisher hatte ich ihn keines Blickes gewürdigt.
Wir kamen gleichzeitig bei Sina und Trell an. Doch während ich nach der Flussfrau griff, spürte ich schon Zacs Hand an meiner Schulter, die mich hart zurückriss. Aus einem Reflex heraus, den ich in etlichen Übungsstunden bei Ricco gelernt hatte, schnellte mein linker Ellenbogen zur Seite und traf Zac direkt in seine Seitenkiemen. Sein Körper krümmte sich. Ich ignorierte das. Ebenso wie die aufgebrachten Rufe der anderen Schwarmmitglieder, die jetzt auch auf uns zuschwammen.
Stattdessen griff ich wieder nach Sinas Hand, zerrte sie weg von Trell.
>>Lass mich!<<, keifte Sinas wütende Stimme in meinem Kopf.
>>Nein! Ich-<<
Was immer ich auch sagen wollte, es ging in einem lauten Brüllen unter, als etwas riesiges, Graues zwischen uns stob und mit fingerlangen scharfen Zähnen direkt vor uns zuschnappte.
>>Ahhhh!<< In meinem Kopf hallten die panischen Rufe und Schreie dutzender Schwarmmitglieder wieder.
>>Hai!<<
>>Hai!<<
>>Ahhhh!<<
Plötzlich hatte ich Zacs breite Schultern vor er Nase, als er sich zwischen mich und dem Ungetüm drängte, mit nichts als seinen blanken Händen bewaffnet.
>>Hai!<<
>>Hai!<<
Wieder und wieder hallte der Ruf durch meinem Kopf, ohne, dass ich ihm irgendeine Bedeutung abgewinnen konnte.
>>Hai!<<
>>Hai!<<
Jetzt erst aktivierten sich meine Fluchtinstinkte. Doch ehe ich auch nur einen Zug schwimmen konnte, war das riesenhafte Monstrum wieder abgedreht und schwamm mit kräftigen Bewegungen in eine andere Richtung. Während ich ihm hinterher starrte, kreiste nur ein Gedanke in meinem völlig überforderten Kopf: Das ist unmöglich. Haie sind Salzwassertiere.
Doch mit jedem Schlag seiner mächtigen Schwanzflosse schien das Untier zu schrumpfen, heller zu werden. Die Schwanzflosse wurde ausladender und ...
>>Suriki!<<, rief Sina neben mir gleichermaßen erschüttert wie erleichtert.
Immerhin hatte sie von Trell abgelassen, der sich nun hinter ihr auf dem Grund des Sees kauerte und dessen Blick immer wieder zwischen mir und dem jetzt nur noch kleinen, weißen Fisch hin und her flackerte. Mit wild rasenden Herzen schloss ich die Augen. Es war alles gut. Das war es, was ich mir in meinen zweifelnden Gedanken vorbetete. Es war alles gut. Suriki gehörte zu Varona. Obwohl ich die Earis noch nirgends sah, musste sie in der Nähe sein. Sie würde dem Schwarm niemals Schaden zufügen. Es war alles gut.
>>Habt ihr euch jetzt alle wieder eingekriegt?<<, Varonas Rufen klang leise, weil sie noch irgendwo weit weg außer Sichtweite war – und kalt wie eine Winternacht. Es hätte mich nicht gewundert, wenn kleine Eiskristalle um uns herum aufgetaucht wären.
Aber immerhin schien der Schwarm durch das Hai-Chaos zu einer Art Ordnung zurückzufinden. Ebenso langsam wie verwirrt, nahmen alle wieder einen Platz im Kreis der Schwarmversammlung ein. Trotzdem zögerte ich, es ihnen gleichzutun. Es fühlte sich falsch an, Trell allein zu lassen, auch wenn ich im Moment nicht mit ihm sprechen konnte. Sinas Wasserkuss ermöglichte nur eine Kommunikation zwischen den beiden. Maximal könnte Sina seine Stimme noch an alle weiterleiten, wenn sie es wollte.
Also blieb ich unschlüssig bei Trell schweben und versuchte, Zacs Anwesenheit zu ignorieren. Er war ebenfalls nicht in den Kreis der Flussmenschen zurückgekehrt und blieb stattdessen neben mir. Doch etwas in seinen Gedanken, die wie das undeutliche Rauschen des Wassers in meinem Kopf widerhallten, alarmierte mich. Verfluchtes Gespür. Jetzt schaute ich doch zu ihm.
Selbst unter seinem wie üblich ausdruckslosem Gesicht wirkten seine Züge starr, ebenso wie die Muskeln seines Körpers, die sich deutlich im Zwielicht des Flusses gegen seine Haut abzeichneten und mit jedem Herzschlag noch weiter anzuspannen schienen. Doch erst, als ich seinem Blick folgte, wurde mir klar, warum: Er hatte Varona erspäht. Und sie war nicht allein. Sie hatte Lucien dabei.
Im gleichen Moment, als mir das bewusst wurde, ging auch durch den Schwarm ein Kollektives Stöhnen. 'Nicht noch eine Entführung.', war das, was ich in der ein oder anderen Form immer wieder aufschnappte. Innerlich gab ich ihnen recht. Was dachte sich Varona? Als wäre die Situation nicht schon schlimm genug.
Doch die Earis ignorierte die aufkommende Unruhe und zog Lucien an beiden Händen einfach weiter hinter sich her, während Suriki – jetzt wieder kleiner und heller – als konstante Bedrohung neben Lucien schwamm. Als die drei schließlich ankamen, lud Varona ihr Entführungsopfer einfach neben dem meinen ab und warf mir ein kurzes, müdes Lächeln zu, ehe sie sich direkt an Trell wandte und ihm auffordernd ihre Hand entgegenhielt.
Er zögerte. Ich konnte sein Widerstreben in seinem Gesicht lesen – ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. Wieder knotete sich mein Magen zusammen bei dem Gedanken, dass ich es war, die ihn in diese Situation gebracht hatte. Als hätte er meine Gedanken erahnt, schaute Trell an Varona, Sina und Zac vorbei. Zu mir. Trotz allem.
Ich erwiderte seinen Blick und nickte.
Nach einem weiteren Zögern legte er seine Hand in die von Varona und die Earis legte vorsichtig beide Hände um die Seinen. >>Hiermit verleihe ich dir unser Gastrecht<<, hörte ich Varonas Stimme fast schon feierlich in meinem Kopf. >>Du wirst mit jedem reden können und auch das Wasser wird dich tolerieren. Doch weder sind dir weitere Anpassungen vergönnt, noch eine Mitgliedschaft in unserer Familie gestattet. Ebenso wenig kannst du den Fluss ohne Einladung betreten oder verlassen.<< Dann wandte sich Varona an den Rest des Schwarms. >>Gleiches gilt bereits für Lucien.<<
Spontaner Neid durchflutete mich. Wie gern hätte ich das Gastrecht des Schwarms bei meiner Ankunft hier gehabt. Dann wäre meinem Körper nicht diese Schwimmhäute und -füße aufgezwungen worden. Ich hätte unabhängiger weiter existieren und trotzdem mit allen sprechen können. Aber das war mir nie vergönnt gewesen. Varona war die Einzige, die dieses Gastrecht vergeben konnte, indem sie mit Hilfe ihrer Earykräfte die eigentliche Flussmenschenmagie abänderte und anpasste. Doch sie war damals nicht da gewesen, weshalb ich direkt dem Schwarm angeschlossen wurde. Meine Meinung dazu hatte damals niemanden interessiert.
>>Und möchtest du uns sagen, was Markus' Plan ist?<<, riss mich Varonas sanfte Stimme aus meinen schmerzhaften Erinnerungen.
Doch ehe Trell antworten konnten, fuhr Sina mit vor Wut zitternder Stimme dazwischen: >>Sie wollen unsere Kinder vergiften!<<
Daraufhin herrschte Stille. Nach einem Moment des Zögerns wandte sich Varona an Trell, wobei ihre Frage für alle hörbar war. >>Stimmt das?<<
>>Nein!<<
Es war seltsam, seine Stimme plötzlich in meinem Kopf zu hören, so viel näher als mir lieb war. Vor allem, nach dem, was ich getan hatte.
>>Doch!<<, mischte sich Sina wieder ein. >>Sie wollen irgendwelche giftigen Gewässer in den Fluss leiten und uns ersticken!<<
Auf diese Anschuldigung hin schien der ganze See den Atem anzuhalten. Absolut jeder der Anwesenden starrte mit mehr oder minder großen Entsetzen im Gesicht auf Trell. Was jetzt in der Schwarmverbindung abging, konnte ich mir gut vorstellen – und war froh, gerade kein Teil davon zu sein. Ich hatte genug mit meinen eigenen Gedanken und Gefühlen zu kämpfen. Denn wir sprachen hier von meinem Vater. Ich konnte mir so einen grausamen Plan nicht vorstellen. Das passte einfach nicht mit dem Mann zusammen, der mich mein ganzes Leben lang großgezogen hatte.
>>Nun tut doch nicht so<<, fuhr Trell mit einem Mal ebenfalls wütend auf. Er lernte schnell, wenn er das Rufen jetzt schon raus hatte. >>Ihr verwandelt euch einfach und geht an Land. Der Fluss treibt das gekippte Wasser ins Meer und nach einem Nachmittag oder so könnt ihr wieder ins Wasser.<<
>>Das war der Plan, nicht?<<, äffte Sina Trells Tonfall nach. >>Der ganze Schwarm wird an Land gezwungen, inklusive deiner lieben Verlobten hier und dann könnt ihr sie zurückerobern. Oder was?<<
Trells Blick flackerte zu mir und mir war klar, dass Sina den Nagel auf den Kopf getroffen hatte – sie musste diesen Plan in seinen Gedanken gelesen haben. Das Problem war nur eines: >>Die Kinder können nicht an Land gehen<<, flüsterte ich müde, trotzdem würde jeder der umstehenden meine Worte hören. >>Sie können nur versuchen, rechtzeitig in die Seitenarme zu fliehen. Wenn sie Glück haben und weit genug weg sind.<<
Trell wurde merklich blasser. >>Aber – das – ich dachte – wir dachten, alle könnten an Land und würden – Lucien hat ... <<
Während er das sagte, fokussierte sich die allgemeine Aufmerksamkeit das erste Mal auf Lucien, der bisher still neben Trell im Wasser schwebte, doch seine bebenden Schultern sprachen Bände.
>>Du hast es gewusst?<<, Trells Entsetzen lag so deutlich in seiner Stimme, seinem Gesicht, dass es auch ohne Gedankenverbindung offensichtlich war. >>Du hast das bei allen Vorbereitungen die ganze Zeit gewusst?!<<
Luciens Schultern bebten noch immer. >>Ja.<<
Dann konnte er sein Lachen nicht mehr zurückhalten, das für alle hörbar durch die Köpfe waberte. Hoch, kalt und voller Hass auf alles Leben unter der Wasseroberfläche.
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