Kapitel 11.1 - Kein Wässerchen trüben
46. Tas'Saru 2146 n.n.O.
Eigentlich hatte ich das Kleid von Tante Isalie anziehen wollen, doch stattdessen musste ich den Traditionen entsprechend für die Zeremonie eine Lore-Robe anziehen, gut erkennbar an den vier silbernen Wellen die unübersehbar groß auf jeden Ärmel eingestickt waren. Kritisch zupfte ich den dicken, viel zu weiten Stoff zu recht. Ich hatte an sich nichts gegen Dunkelblau – nur hatte ich mir das nicht unbedingt für meine Hochzeit gewünscht. Wie so vieles nicht. Ich seufzte. Wenigstens durfte ich nach der Zeremonie in das hellblaue Kleid mit der schlichten weißen Spitze wechseln.
Zweifelnd blickte ich in den Spiegel vor mir. Immerhin die Frisur war anlassgerecht. Meine roten Locken waren mit unzähligen Haarnadeln und viel Stillsitzen zu einer eleganten Hochsteckfrisur gebändigt worden. Hannah begegnete meinem Blick im Spiegel, während sie mir eine wunderschöne, silberne Kette mit einem schlichten blauen Stein um den Hals legte, eine Leihgabe von Tante Isalie.
„Du siehst festlich aus", sagte sie mit einem aufmunternden Augenzwinkern, das ich mit einer Grimasse erwiderte.
„Du meinst, ich sehe aus, wie eine dieser Hexen aus diesen Klischee-Zirkel-Romanen!"
„Hast du sowas früher nicht sehr gern gelesen?"
Einen Moment lang dachte ich an die Geschichte um Tira und Mirael, die ich mehr als einmal gelesen hatte und schmunzelte freudlos. „Ja. Aber ich hatte nie vor, selbst die Hauptrolle in so einer Geschichte zu spielen!"
Bei der Bitterkeit in meiner Stimme, sah ich im Spiegel wie Hannah besorgt die Stirn runzelte, ehe sie mir vorsichtig über meine gebändigten Haare strich. „Ist alles gut, mein Schatz?"
Ich schwieg, konnte nichts sagen, weil die liebevolle Berührung mir die Luft abschnitt. Also nickte ich.
Hannah schien nicht überzeugt. „Senga – ich weiß, dass diese ganze Situation schwierig für dich ist. Ich meine, Trell ist bestimmt kein schlechter Mann, aber – aber wenn du ihn nicht heiraten möchtest ... Dann musst du das nicht tun."
Ruckartig drehte ich mich zu ihr um, um sie nicht länger nur über den Spiegel hinweg anzusehen. Meine Robe raschelte dabei umso dramatischer. Erschrocken trat Hannah einen Schritt zurück, doch darauf wollte ich gerade keine Rücksicht nehmen. „Wie meinst du das?", fragte ich vielleicht schärfer, als gewollt. Wobei es mehr die Hoffnung war, die meine Stimme anhob.
Hannah hatte sich wieder gefangen und ging zu dem kleinen Holztisch der neben meinem Bett stand, um nach der Kristallglaskaraffe zu greifen. Gluckernd lief das Wasser in unsere Gläser, obwohl in beiden noch genug Wasser war. Bei dem Geräusch musste ich wieder an das ewige Rauschen des Flusses denken und mein Herz zog sich zusammen. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zu gehalten. Doch dann hätte ich Hannahs Worte nicht gehört: „Ich denke, dass Trell und Markus es verstehen würden. Es gibt sicher eine andere Lösung. Jetzt wo du aus dem Wasser raus bist."
Ich schloss die Augen. Das klang so verlockend. „Aber wäre es auch für Papa vorbei?"
Hannah schwieg.
Ein Blick in ihr Gesicht genügte, um ihre Zweifel zu sehen. Die Gleichen, die auch ich hatte. Ich glaubte nicht, dass Papa einfach aufhören würde. Er war schon zu lange, zu tief in diesen Wahnsinn verstrickt. Jedes Mal, wenn ich mit ihm sprach und das Thema auf Flussmenschen kam – oder auf diese geheimnisvolle Lieferung, über die er kein Wort zu mir verlieren wollte – konnte ich die Wut sehen, die in ihm tobte. Es ging ihm nicht länger nur um mich, auch, aber da war noch mehr. Ich verstand nur nicht, was es war.
Und selbst wenn Papa es sein lassen könnte und einfach gehen würde – ich war mir nicht sicher, ob der Schwarm es konnte. Nicht, wenn es keinen Abschluss gab. Nicht, wenn ich nicht definitiv außer Reichweite war.
Ein Versprechen für die Ewigkeit.
Ich schauderte bei der Erinnerung an den Tag, an dem Zac mich dem Schwarm angeschlossen hatte. Die damals gesprochenen Verse hatten sich so unwiderruflich in meine Seele gebrannt, genau so wie die Zugehörigkeit zum Schwarm. Und dieses Versprechen nahmen sie wörtlich. Ich schüttelte den Kopf. „Es gibt keine andere Möglichkeit", flüsterte ich leise, nahm das Glas, stürzte das Wasser herunter und wünschte, dass es irgendwas Stärkeres wäre. Seeigelwein zum Beispiel.
Nicht viel später stand ich zwischen Hannah und Papa am Seeufer und wartete auf meinen Bräutigam. Traditionsgemäß wartete die Braut mit ihren engsten Angehörigen am Ort der Zeremonie auf ihren Zukünftigen, der mit dem Priester und der restlichen Hochzeitsgesellschaft im Schlepptau irgendwann eintrudeln würde. Langsam hoffte ich, dass Trell sich beeilen würde, denn mittlerweile taten mir nicht nur die Füße weh, es war auch heiß. Und das, obwohl wir schon im Schatten von einigen Birken standen. Doch ausgerechnet heute machte Saru ihrer Jahreszeit alle Ehre und ließ die Sommersonne aus einem gnadenlos blauen Himmel herab brennen. Zu allem Unglück gab es nicht einmal Stühle und mit der geborgten, festlichen, aber viel zu warmen Robe konnte ich mich schlecht ins Gras setzen. Innerlich seufzte ich mal wieder. Als wäre dieser Tag nicht schon schlimm genug.
Trotzdem versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen und starrte stattdessen auf den kleinen, mit bunten Girlanden geschmückten Steg, der ein paar Meter weit ins Wasser reichte. Nicht weit genug, für ein Boot, zum Anlegen, aber weit genug, um in die Nähe des tieferen Wassers zu kommen. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Ob nur mir die Ironie bewusst war, dass eine traditionelle Hochzeit der Flusslanden vorsah, dass man wenigstens mit den Füßen im Fluss stand? Um die Schuhe des Priesters wiederum trocken zu halten, durfte er auf dem Steg neben dem Brautpaar stehen.
Umso weiter man bei der Zeremonie im Wasser stand, desto mehr Glück sollte es bringen. Manche Hochzeitspaare verbrachten ihre Zeremonie wohl auch schwimmend, mit dem Lorepriester im Boot neben ihnen. Deshalb auch die Roben, die der Priester an die Paare verlieh. Die konnten nass werden. Bei den schönen Sachen, die man nach der Zeremonie anzog wäre das schon nicht mehr ganz so einfach. Ich warf einen skeptischen Blick auf das sich sanft kräuselnde Wasser, während ich krampfhaft den kleinen Schweißtropfen ignorierte, der mir unter der Robe langsam den Rücken herunter rann.
„Wie wird noch mal sichergestellt, dass der Schwarm nicht die Hochzeit sabotiert?"
„Woher sollen sie denn wissen, dass du jetzt heiratet?", erwiderte Papa leise und drückte mir beruhigend die Schulter.
Ich dachte an Varon und die Tatsache, dass er über den indirekten Heiratsantrag bestens im Bilde gewesen war. Und nur, weil er bisher nichts gesagt hatte, hieß das nicht, dass er mich auch weiterhin deckte.
„Außerdem haben wir Netze gespannt, schau?" Er deutete auf einen Ort weiter hinten, wo in regelmäßigen Abständen dünne Stöcker aus dem Wasser ragten.
Ich ächzte leise. Glaubte Papa wirklich, dass sie sich wie Fische treiben lassen würden?
„Wenn sie die Netze einreißen, werden wir das merken und euch so schnell wie möglich aus dem Wasser holen."
Aha. Also war es eine Art Alarmanlage. Das beruhigte mich trotzdem nicht. „Wie tief sollen Trell und ich eigentlich ins Wasser gehen?", flüsterte ich unruhig.
Da schlich sich ein Lächeln auf Papas Gesicht, das Erste, das ich heute bei ihm sah. „Das müsst ihr entscheiden. Aber ich denke, dass bis zu den Knien ausreicht."
„Das ist-"
Doch ich kam nicht dazu meinen Satz zu beenden, denn da spürte ich, wie Hannah sanft meinen Handrücken streifte. „Sie kommen, Schatz."
Erleichtert seufzte ich und straffte meine Schultern. Mittlerweile war mir fast alles recht, um endlich aus der Hitze herauszukommen. Und obwohl ich versuchte, ganz pragmatisch an die Sache heranzugehen, knotete sich mein Magen doch wieder zusammen, als ich mich endlich überwand, auf den breiten Weg zu schauen, um dessen Biegung jetzt eine kleine Schar Menschen kam, angeführt von meinem Bräutigam und einem untersetzten Mann, der in genauso tiefblaue Roben gehüllt war, wie Trell und ich.
Das war wohl Jarik, der Lore Priester. Bei diesem Anblick steigerte sich meine Nervosität noch weiter. Ich würde heiraten. Heute. Weit weg von zu Hause, meinen Freunden und meinen weiteren Verwandtenkreis. Es war absolut nicht so, wie ich es mir als Kind erträumt hatte. Aber so oft ich es in meinem Kopf auch drehte und wendete, mir fiel kein andere Weg ein, wie dieser Wahnsinn ein Ende finden konnte.
Mittlerweile hatte uns die kleine Hochzeitsgesellschaft fast erreicht. Trotz meiner wachsenden Verzweiflung war ich überrascht, wie viele Leute gekommen waren. Neben dem Lore-Priester, Trell und Tante Isalie waren sicher noch fünfzehn weitere Männer und Frauen gekommen. Außer Lucien kannte ich keinen von ihnen. Doch alle schienen sie Papa zu kennen, denn jeder einzelne, nickte ihm grüßend zu.
Ich schluckte und schloss einen Moment die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, entschied ich mich ganz bewusst, Trell anzusehen. Die ordentlich zurückgebunden, blonden Haare und die dunkelblaue Robe standen ihm gut. Auch wenn die Ärmel vielleicht einen Ticken zu kurz für seine hochgewachsene Gestalt waren. Bei dem Anblick juckte es mich regelrecht in den Fingern, ihm eine passgenaue Garderobe zu nähen. Vielleicht, wenn wir zu Hause waren. Unwillkürlich ging ich ein paar Schritte auf meinen Bräutigam zu.
Ich lächelte matt. Mit einem leichten Zittern streckte ich ihm meine Hand entgegen. Als er sie ergriff, merkte ich zum ersten Mal, wie kalt sich meine Finger zwischen seinen warmen Handflächen anfühlten.
„Du siehst gut aus", flüsterte ich leise und sein Gesicht hellte sich auf.
„Ich wollte dir Ehre machen", murmelte er leise zurück, wobei ich das erste Mal den Eindruck hatte, wirkliche Wärme in seinen dunklen Augen zu erkennen.
Ohne ein weiteres Wort wurde der Griff unserer Hände etwas fester, fanden aneinander halt, als wir uns dem Priester zuwandten, der bereits auf dem kleinen Steg wartete.
Mit einem flauen Gefühl im Magen schritt ich mit Trell zusammen das letzte Stück über den kleinen Sandstrand. Die Hochzeitsgesellschaft blieb hinter uns zurück und einen surrealen Moment lang hatte ich das Gefühl, wir zwei wären allein auf der Welt. Ganz am Rande registrierte ich, dass meine kalten Finger in seiner Hand langsam warm wurden. Doch gerade als ich anfing, dieses Gefühl auszukosten, drückte er sie noch einmal kurz und ließ dann endgültig los, um sich die Schuhe auszuziehen. Einem Moment lang stand ich wie bedröppelt da. Dann wurde mir klar, dass ich wirklich nicht mit Schuhen ins Wasser wollte und folgte Trells Beispiel. Es reichte, wenn die Roben nass wurden.
Schließlich standen die Schuhe im Sand und meine Füße an der Wasserkante. Als die erste Welle über meine Haut schwappte, schloss ich schaudernd die Augen. Nicht wegen der unerwarteten Kühle. Nicht wegen dieser Farce von Hochzeit. Sondern, weil das Wasser mich mit dem Schwarm verband. ‚Gehört zu uns, was unser ist.'
Einmal mehr kreiste der Sprechgesang meiner Schwarmeinführung in meinem Kopf. Ganz selbstverständlich wartete ich auf das Gewirr von Stimmen, das mit dem Wasser durch den See getragen wurde. Stimmen, die sich mit ihren gerufenen Gedanken über alles mögliche austauschten. Stimmen, die so allgegenwärtig waren, wie die Gespräche auf dem Wochenmarkt.
Doch da war nichts.
Nur Stille.
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