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Eine blaue Lichtgestalt betrat einen leeren weißen Raum. Die blaue Gestalt, die wie tanzendes Feuer aussah, bestand aus purem Licht und purer Energie. Der Name des flackernden Lichtes war Evoli. Evoli hatte heute viel mit dem Raum vor, er war sein neustes Projekt-seine Leinwand. Er liebte es mit der unerschöpflichen Energie, die in ihm loderte, perfekte Dinge zu erschaffen. Sein neuestes Projekt nannte er:„die Erde“. Evoli schnippte mit seinen Fingern, welche zischende Fünkchen hervorriefen, und ließ, wie von Zauberhand dutzende bunte Farbtöpfe und Pinsel auf dem Boden auftauchen. Freudig griff Evoli nach einem großen Pinsel und tauchte ihn in ein tiefes Blau. Er ging zuerst zur rechten Seite des Raumes, malte diese blau an und fügte danach verschiedenste Blautöne hinzu, die er in geschwungenen Linien in das dunkle Blau einarbeitete. Danach trat er einen Schritt zurück, legte den Pinsel in den Farbtopf und fasste mit seiner Hand an seiner linken Brust. Aus dem blauen Energiestrudel, seines Seins, zog er ein kleines blaues Flämmchen, dass er an die blaue Wand hielt. Evoli sprach: „Du bist das Wasser, das Meer. Du bist wild und ruhig zugleich, ein unzähmbares Monster. Deine Wellen schlagen im Takt meines Herzens.“ Das blaue Wandgemälde fing an sich nach diesen Worten zu bewegen. Das Wasser rauschte und zischte. In dem zuvor noch leeren Raum roch man nun den frischen Meeresduft und Evoli konnte Salz auf seiner Zunge schmecken. So, wie Evoli das Meer erschuf, erschuf er auch den Himmel, die Pflanzen, den erdigen Boden, die Tiere und zum Schluss die Menschen.
Evoli sah sich im Raum um, sog jedes Detail in sich auf und nickte anschließend zufrieden. Die kleine Lichtgestalt wollte den Raum schon verlassen und an einem neuen Projekt arbeiten, als sein Blick an etwas hängenblieb. Eine seiner vielen Menschenfrauen sah nicht so glücklich aus, wie der Rest. Verwundert trat Evoli näher und besah sich die Wand, an der er die Menschen malte. Zierliche Frauen mit schmaler Taille und üppigen Brüsten hielten jeweils die Hand eines großen, starken Mannes, der so unerschütterlich wirkte, wie die Frau zerbrechlich. Unter jedem Paar tummelten sich ein paar Kinder oder auch Babys. Die besagte Frau hielt ebenfalls die Hand eines strammen Mannes. Sie hatte langes Haar, welches wie goldenes Wasser ihre sinnlichen Rundungen herunterfloss und Augen so blau, wie das Meer. Doch so perfekt, wie auch alles schien… sie lächelte nicht. Ihre Mundwinkel hingen schwer herunter, als würden an ihnen schwere Steine hängen. Evoli tauchte seine Hand ins Bild und hob ihre Mundwinkel an. Diese sackten aber sofort wieder nach unten und hinterließen einzig ein Gesicht, welches von solcher Traurigkeit gezeichnet war, dass Evoli sich hilflos vorkam. Warum war sie nicht glücklich, obwohl er ihr einen perfekten Körper, eine perfekte Erde und einen perfekten Mann, samt perfekten Kindern gab? Während Evoli in seinen Gedanken um eine Lösung rang, bemerkte er nicht, wie eine zweite Lichtgestalt den Raum betrat. Die gelb leuchtende Lichtgestalt mit dem Namen Lu sah sich im Raum um und trat danach neben Evoli.
„Warum malst du nicht weiter“, fragte Lu und schaute Evoli in die eisblauen Augen.
„Ich bin fertig…naja fast“, antwortete er und starrte weiterhin auf die trostlose Frau.
„Was fehlt noch?“
Evoli zeigte auf die Frau mit ihrem traurigen Lächeln.
„Sie ist aus irgendeinem Grund traurig und ich weiß nicht wieso.“ Die Stimme von Evoli klang frustriert und erschöpft.
„Du bist noch nicht fertig, erklärte Lu“
„Was fehlt?“
Lu schaute misstrauisch in Evolis Augen und wartete ein paar Momente, bis er antwortete.
„Schließ die Augen und ich zeige es dir.“
Evoli war misstrauisch.
„Warum muss ich meine Augen schließen“, fragte Evoli lauernd.
Mit einem kurzen Schulterzucken erklärte Lu: „Weil du es noch nicht verstehst.“
„Was hast du vor?“
Evolis Stimme wurde von einem zornigen Unterton begleitet und ließ die zarte Stimme viel älter wirken.
„Nichts schlimmes. Vertrau mir einfach. Die Frau dort wird danach wieder lächeln.“
Der Blick Evolis streifte bei ihrer Benennung wieder das traurige Gesicht der Frau, welches Risse in seine geschaffene Perfektion einzeichnete.
„Okay“, seufzte Evoli.
„Sorge dafür, dass sie wieder lächelt, aber verändere nichts weiter.“
Lu nickte, woraufhin Evoli die Augen schloss. Das Herz der kleinen gelben Lichtgestalt wog schwer, als es daran dachte Evoli belogen zu haben. Aber es wusste, dass Evoli die flüsternden Wünsche der Menschen nicht hörte. Lu trat an die traurige Frau heran und schaute auf ihre Hand, die die Hand eines Mannes hielt. Er griff ins Bild und löste die Hände voneinander. Eilig griff er zu Pinsel und Farbe und zeichnete auf der freien Seite neben ihr eine Frau, mit der er ihre Hand verschränkte. Die zuvor noch traurige Frau sah neben sich und begutachtete die Frau mit der dunklen Haut und den schwarzen Locken. Sie fielen einander in die Arme und weinten vor Freude. Lu nickte zufrieden und malte weiter. Die zuvor noch allesamt hellhäutigen Menschen bekamen Farbe. Es gab nun Menschen mit Hautfarben in den verschiedensten Brauntönen und auch die Augen veränderten sich. Manche hatten mandelförmige Augen und manche sogar schlitzförmige. Das jede Frau mit einem Mann zusammen war, gab es auch nicht mehr. Manche waren allein für sich, aber glücklich. Manche Männer hielten die Hand eines Mannes und manche Frauen hielten die Hand einer Frau.
„Fertig.“
Evoli öffnete die Augen und erschrak.
„Was hast du getan?“, schrie er fassungslos und wirkte wie erstarrt.
„Was ist das für ein Chaos?“
In Evolis Körper rauschte pure Wut, heiß wie Lava.
„Beruhig-“
„Nein! Warum hast du aus der wunderschönen hellen Porzellanhaut dreckige Erde gemacht und warum erschaffst du eine Liebe, die keinen Sinn hat?“
Seine Wut ließ Evoli heller leuchten. Je heller er leuchtender und je wütender Evoli wurde, desto mehr veränderten sich die Menschen. Lu bemerkte wie die hellhäutigen Menschen sich in Grüppchen scharten und die dunkelhäutigen Menschen und alle Menschen, die nicht Evolis Norm entsprachen, ausgrenzten.
„Ich sehe keine dreckige Erde, ich sehe wunderschöne Einzigartigkeit. Ich sehe keine sinnlose Liebe, ich sehe Freiheit und Freude “, erwiderte Lu.
Evolis Augen funkelten vor Zorn.
„Du verstehst nichts vom Leben, Lu!“
Das gelbe Licht zeigte auf das lachende Gesicht der Frau, die zuvor kein einziges Lächeln zustande brachte.
„Mag sein. Aber ich konnte sie zum Lachen bringen, du nicht.“
Kopfschüttelnd verwies Evoli auf die restlichen Menschen, die Lus Kreation ausgrenzte.
„Siehst du denn nicht, wie die Menschen dieses Chaos abstoßen? Wie sie es nicht wollen?“, fragte er genervt und appellierte an Lus Vernunft.
„Das ist kein Chaos. Es ist das Leben. Leben, welches in so vielen Facetten und ohne Grenzen existiert. Was du dort bei den Menschen siehst, ist keine Rebellion gegen das Unperfekte. Es ist dein Hass.“ Um seine Worte zu veranschaulichen, ging Lu zu den Farbtöpfen. Einer mit weißer Farbe, der andere mit schwarzer. Lu nahm einen Pinsel, tunkte ihn ins schwarz und ließ ein paar Tropfen in das reine Weis fallen. Aus dem strahlenden Weiß wurde mattes grau.
„Es gibt keine Imperfektion, Evoli. Allerdings ist Hass dazu in der Lage uns das glauben zu lassen. Das Beste im Leben kann durch Hass verdorben werde. Lasse den Hass frei.“
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