Kapitel 63
Zu Hause - Deutschland 3
Der Moderator der Talkshow saß vor dem Bildschirm, sah die Live-Übertragung. Er hob den Daumen! Ja! Sie hatten es geschafft! Sie würden neu beginnen können! Und er würde sich nie wieder an einer solchen Hetzjagd beteiligen!
Er würde hinterfragen, bevor er jemanden verurteilte!
Sarahs Eltern sahen die Übertragung und hielten sich im Arm. Tränen liefen über ihre Gesichter.
„Sie sind großartig! Alle drei!" schluchzte Tom.
Nicole und Paul sahen die Übertragung zusammen mit Marie und Max. Auch in Hamburg strömten die Tränen. Paul war mehr als stolz auf diesen wunderbaren Sohn. Wieder einmal! Und wieder einmal dachte er, was wohl geschehen wäre, wenn seine erste Ehe funktioniert hätte. Wäre Chris diesen großartigen Weg gegangen, wenn er in einer intakten Familie aufgewachsen wäre? Er wusste, dass er nie eine Antwort auf diese Frage bekommen würde.
Monika sah die Sendung zusammen mit Jose und ihrer Familie.
„Gott hat sie gesegnet!" sagte der Priester leise.
„Ja, nachdem er sie in die Hölle geschickt hatte!" antwortete Monika pragmatisch, die sich an die unendlich vielen Tränen des ehemaligen Untermieters erinnerte, an seine Albträume, an seine grenzenlose Trauer.
„Wen Gott liebt, den züchtigt er!" antwortete der junge Geistliche, war sich aber nicht sicher, ob er mit dieser Vorgehensweise seines Gottes immer einverstanden sein konnte.
Nach dem Konzert gab es einen kleinen Empfang. Chris stand an einem der Tische, sein entzückendes Töchterchen auf dem Arm, das er immer wieder abküssen musste und den anderen Arm um seine entzückende Frau gelegt. Seine Hand streichelte die weiche Haut an ihrer Schulter.
„Du bist aber ein kluges Mädchen!" sagte einer der Gäste zu Laura.
Die sah ihn ernst an. „Ich kann gut singen und quatschen!" sagte sie. „Das sind die Gene!"
Alle lachten Tränen. Einmal schreibe ich ihre Sprüche alle auf! dachte Chris. Sie stießen mit den Umstehenden mit einem Glas Champagner an, für Laura gab es Zitronenlimonade.
Sie probierte einen Schluck, sah ihren Papa fragend an. „Da muss ich heute fest die Zähne putzen! Das ist Zuckerwasser!" erklärte sie. Als alle lachten, sah sie sie noch ernster an. „Papa lässt mich sonst nur Mineralwasser trinken, wegen der Karies!" Die Menschen am Tisch schüttelten nur den Kopf über das kluge Mädchen.
Sarah fuhr ihr über den Kopf. Die hatten sie schon wirklich gut hingekriegt! Den Hauptanteil daran hatte sicher Chris, der ihr immer alles erklärte, der nie etwas verbot, nur weil er der Vater war. Der immer geduldig war, nie laut wurde, der endlos Fragen der Kleinen beantwortete.
Aber er war ja auch zu ihr immer so liebevoll, er war ausgeglichen, nie gereizt, auch in den schlimmen Tagen, als er gegen Gott und die Welt gewütet hatte, war er mit ihr so behutsam umgegangen. Sie wusste, dass der Ausrutscher auf der Fete damals ihn noch immer schwer quälte.
Dass er alles tat, damit so eine Situation nie wieder kam.
Dann wurde Laura doch mal müde, schlief an der Schulter ihres Papas einfach ein. Die Limousine brachte die Familie ins Hotel.
„Das war schön!" seufzte ein glückliches Kind und schlief im Bett gleich weiter.
Chris ließ sich auf das breite Bett im Zimmer daneben fallen. „Ja! Das war schön!" sagte er zufrieden mit sich und der Welt. Sarah kuschelte sich in seine Arme. Sie war zum Platzen stolz!
Eigentlich hätte er ja geschworen, dass er emotional und körperlich ausgelaugt wäre nach so einem Abend.
Aber ihre Nähe, ihr Duft, ihre weiche Haut so nah bei ihm belehrten ihn eines Besseren.
Sie lächelte, als sie seine Reaktion auf sie in ihrem Rücken spürte. Eigentlich hätte sie ja gedacht, dass er heute zu fertig wäre, um an Sex überhaupt zu denken!
Sie kicherte leise. „Rührt sich das was bei dir?" zog sie ihn auf.
Er rollte auf den Rücken, lachte Tränen. „Was! Ja! Das Ding! Wie hast du damals getextet? Ich will mich nicht mit Dingen quälen, die ich nicht bekommen kann!"
Sarah wunderte sich wieder einmal über ihren Mann. Er schien sich jeden Satz gemerkt zu haben, den sie je gesagt oder geschrieben hatte!
Sie musste mitlachen, sein Lachen war immer sehr ansteckend. „Ja, damals war es ja auch noch ein Ding, ein gesichts- und namenloses Etwas."
Er hielt sich den Bauch. Heute war er nach der ganzen Anspannung vollkommen albern drauf!
„Und als....und als du das Ding dann zu ersten Mal gesehen hast.....!" Er schnappte nach Luft.
Sarah knuffte ihn, sie erinnerte sich genau. Er hielt ihre Hände fest. „Da.... da....hast du irgendetwas runtergeschluckt! Dann...... dann hast du gesagt: Na, hoffentlich passt das da drüber!" japste er. „Und ich habe überlegt, ob ich....ob ich vor Lachen oder vor Erregung sterben werde!"
Er wischte sich die Augen trocken, putzte sich die Nase.
„Wir waren schon ein verrücktes Pärchen, das kein Pärchen sein wollte!"
„Du wolltest kein Pärchen sein!" hielt sie dagegen.
„Stimmt! Ein Pärchen wollte ich nicht sein! Aber der Teil eines Paares dann sehr schnell! Also, für mich sehr schnell!" Er rollte wieder zu ihr. „Weißt du noch, wie es damals weiterging?" flüsterte er ihn ihr erogenes Ohr. „Du hast mich angefasst, aber wie, Lady! So angeheizt war ich noch nie!
Da habe ich mich endgültig von den Zwanzigjährigen verabschiedet, also körperlich!" Er küsste sie schwindlig. „Es geht nichts über eine Frau, die weiß, was sie tut!"
Sarah grinste in sich hinein. Sie hatte damals schon alle Register gezogen! Damit er begriff, dass eine alte Frau durchaus ihre Vorteile hat. Und es schien ja auch geklappt zu haben.
„Ich weiß auch heute noch, was ich tue!" flüsterte sie und öffnete den Reißverschluss seiner Anzugshose. Er drückte ihr ein Kondom aus der Hosentasche in die Hand. Er mochte es immer noch nicht ohne Gummi bei Blow-Jobs oder Handarbeit. Er wäre gestorben, wenn er sie irgendwie beschmutzt hätte!
Und dann ließ sie ihre Hände spielen, wechselte von fest zu zärtlich, rieb, drückte, streichelte, verließ ihn ganz, das war zwar gemein, aber fucking geil, weil es den Höhepunkt verzögerte, weil es ihn noch atemloser machte, weil es ihn ihr noch vollkommener auslieferte. Sie quälte ihn immer so lange, bis er ihre Hände festhielt und sie anflehte: „Jetzt mach schon! Bitte!"
Sie liebte es, ihn flehen zu lassen!
Nach einer langen Pause, die er brauchte, um wieder zu Atem zu kommen, sprang er ins Bad. Er grinste sein Spiegelbild an. „Sie hat's schon drauf! Mannomann! Sie ist schon der Knaller im Bett!" flüsterte er dem zurückgrinsenden Typen zu.
Dann ließ er sich wieder neben sie fallen. „So, Lady! Jetzt werde ich meine Schulden bezahlen!" Und er begann sein sinnliches Spiel, das ihm beinahe noch mehr Spaß machte, aber auf alle Fälle genauso viel.
Er war süchtig nach ihrem Körper, süchtig nach ihrer Haut, süchtig nach ihren Reaktionen, süchtig danach, sie zu berühren, ihr gut zu tun, sie zu erregen, sie zu befriedigen!
Er war aber auch süchtig danach, in sie zu kommen, sie um sich zu spüren, mit ihr gemeinsam hoch zukommen. Das klappte immer, da passten ihre Körper perfekt zusammen! Wenn sie sich dann aneinanderklammerten, wenn ihre Herzen rasten, ihr Atem immer schneller ging, bis die Sterne in ihren Köpfen explodierten!
Wie auch jetzt! Noch immer, nach all den Jahren erlebte er diese Lust, die sie ihm bereiten konnte, fassungslos und dankbar.
Dann fühlte er, dass sie beide wieder einmal der Rausch erwischen würde. Ein-, zweimal im Monat passierte das, dass ihnen die Sicherungen durchbrannten. Dass sie in einen Liebestaumel gerieten, der kein Ende zu nehmen schien.
In den ersten Jahren hatte er versucht, einen Grund dafür auszumachen. Aber er fand keinen! Keine besonderen Auslöser, keine Regelmäßigkeiten, keine Ursachen. Manchmal schliefen sie einmal miteinander, manchmal ein paar Mal, manchmal machten sie eben eine ganze Nacht durch, so wie heute.
Als Laura anklopfte und leise nach ihm rief, taumelte er aus einem kurzen Tiefschlaf zu seiner Tochter. Die Kleine hatte die Eltern in der Nacht sehr oft leise lachen gehört, wusste mittlerweile, dass dann der Papa immer etwas müde war, aber dass er auch besonders glücklich zu sein schien.
„Lassen wir die Mama noch etwas schlafen!" schlug er vor. „Wir duschen schnell, dann gehen wir beide frühstücken, und die Mami bekommt dann Frühstück aufs Zimmer, als Überraschung, okay?"
Laura patschte vor Freude in die Hände. Das war eine prima Idee.
Im Frühstücksraum fragte Nils, der Ober, der an ihrem Tisch bediente: „Na, meine Hübsche? Wo hast du denn deine Mama gelassen?"
Laura sah den älteren, netten Herrn verschwörerisch an. „Die Mami darf noch ein bisschen schlafen! Die hat heute Nacht so viel lachen müssen, jetzt ist sie noch müde!" Chris wurde etwas rot, Nils versuchte das Lachen zu unterdrücken.
Als Sarah wach wurde, merkte sie dass sie alleine war. Ein Blick auf die Uhr zeigte schon 12.30.
Autsch! dachte sie. Aber nach dieser Nacht war es auch nicht wirklich ein Wunder!
Diese Nacht! Uiuiui! Das war wieder einmal eine Nacht gewesen! Sie räkelte sich wohlig, ging glücklich ins Bad. Im Bett waren sie schon ein Traumpaar! Natürlich auch im Leben, aber beim Sex passten sie schon perfekt zusammen!
Als sie gerade frisch geduscht ins Zimmer zurückging, kamen Chris und Laura gerade aufgedreht vom Frühstück zurück.
„Mami!" jubelte die Kleine und flog in ihre Arme. „Du bekommst Frühstück im Zimmer! Der Papa hat es schon bestellt! Das ist eine Überraschung!"
Kurz darauf klopfte der Zimmerservice, brachte einen vollbeladenen Servierwagen. Chris nahm seine Süße in den Arm. „Danke für diese Nacht! Danke für dich!" flüsterte er mit feuchten Augen. Das liebte Sarah unter anderem auch so sehr an ihm. Dass er sich immer wieder bedankte bei ihr, oft für Kleinigkeiten, für Selbstverständliches! Aber er nahm eben nie etwas als selbstverständlich!
Sie ließ es sich schmecken, die beiden freuten sich, dass sie sich so freute. Was sie nicht mehr schaffte, verputzte Chris. Er hatte ja auch einige Kalorien verbraucht in den letzten heißen Stunden.
Danach zogen sie los. Sie gingen mit Laura auf einen Spielplatz. Dort zeigte sich wieder einmal die Macht der Gene. Auf der Schaukel konnte es ihr nicht hoch genug gehen, im kleinen Karussell nicht wild genug.
„Ganz die Mama!" konstatierte Chris, dem schon beim Zusehen schlecht wurde. „In einem Jahr will sie wahrscheinlich Bungee-Springen!"
Sie tranken Kaffee in einem Straßencafé, Laura bekam eine Kugel Eis. Dann besuchten sie noch den Zoo, aßen eine Currywurst. Überall wo sie auftauchten, folgten ihnen die Blicke der Passanten. Eine so glückliche, gut aussehende Familie gab es nicht oft zu sehen.
Im Hotel sahen sie auf dem Kinderkanal noch einen Märchenfilm an, dann fielen alle in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Am nächsten Tag holte Chris als erstes die Tageszeitungen. Gespannt blätterte er sie durch bis zum Kulturteil. Ihm war etwas mulmig zu Mute. In München waren die Artikel durchwegs Lobeshymnen gewesen, wie früher. Keine Spitzen, keine Anspielungen auf seine Vergangenheit!
Er hoffte, hier wäre es genauso. Er legte Sarah die Artikel hin. „Lies bitte! Ich schau mir dann die Bilder an!" Wieder hatten sie die Zeit zurückgespult.
Sie überflog die Texte, begann zu lächeln. Ihm fiel ein Stein vom Herzen!
„Chris Sandmann – vom Singer-Song-Writer zum Allround- Musik-Weltstar!" lautete die Überschrift des auflagenstärksten Blattes.
„Zweitausend Musikliebhaber durften am Montag einen musikalischen Leckerbissen erleben, wie es ihn auch in Berlin nicht oft geben wird. Weil es einen Musiker wie Chris Sandmann nicht oft geben wird! Ein junger Mann, der als Deutschrocker und Balladensänger unglaubliche Erfolge hatte feiern können, der sich dann zurückzog und vier großartige Sinfonien komponierte, so nebenbei eine Filmmusik schrieb, für die er einen Oscar bekam, zeigte in der Philharmonie sein Können und bescherte dem Publikum einen unvergesslichen Abend."
So ging es weiter und so schrieben auch die anderen Blätter.
Ein Boulevard-Blatt brachte ein Foto von ihm mit Laura auf und Sarah in seinem Arm. „Er hat sein Glück gefunden, der gutaussehende Herzensbrecher vergangener Jahre!" stand darunter.
Das war die einzige Anspielung an die Vergangenheit, und das war ja eher harmlos.
Er atmete auf. Scheinbar war ein Neuanfang möglich, man konnte auf beiden Seiten die Sünden verzeihen!
Aber er war froh, dass sie so lange gewartet hatten! Keiner wusste, wie es vor ein oder zwei Jahren ausgesehen hätte!
Sie flogen am nächsten Tag nach München. Tom und Birgit holten sie vom Flughafen ab. Ein paar Tage blieben sie in Regensburg, dann flogen sie nach Hamburg, wohnten eine Woche bei Paul und Nicole in seinem alten Jugendzimmer. Max und Marie, die beide mittlerweile studierten, er Musik, sie Germanistik, waren ganz aus dem Häuschen vor Freude. Zufällig war auch Juan gerade da, der bei einem Hamburger Verlag eine Stelle bekommen hatte.
Die Beziehung von Max und Sophia hatte nicht gehalten, es sah zumindest im Moment nicht daraus aus. Aber wer konnte schon in die Zukunft sehen.
Sie trafen sich mit Rocco und Anja, die geheiratet hatten und einen Sohn erwarteten.
Auch ein paar Freunde von Chris trafen sie, alle waren überaus froh, dass die beiden die Vergangenheit hinter sich hatten lassen können.
Laura feierte ihren vierten Geburtstag, die Großeltern veranstalteten ein Riesenfest.
Aus dem regnerischen Hamburger Spätsommer flogen sie zurück in die Wärme Barcelonas, ihrem eigentlichen Zuhause.
Simon und Lucy sahen die Aufzeichnung des Berliner Konzertes an dem Tag, als sie nach der Geburt ihre Tochter Mia nach Hause kam. Es war eine schwere Geburt gewesen, Lucy war ziemlich erschöpft, aber überglücklich.
Simon hielt seine geliebte Frau im Arm, dachte an das Gespräch, das er mit dem deutschen Freund geführt hatte. „Ich konnte ihr das nicht ein zweites Mal antun! Nie im Leben!" hatte der gesagt.
Heute verstand er den Schritt, den der andere damals getan hatte, besser. Auch er würde es nicht noch einmal aushalten, Lucy so leiden zu sehen!
Sie lauschten gemeinsam der Musik, die Chris geschrieben hatte.
Aus der Erinnerung an die schöne Zeit mit den Freunden, die auch ihr Leben so verändert hatte, fragte Lucy: „Meinst du, die beiden würden die Patenschaft für Mia übernehmen?"
Simon küsste sie zärtlich. „Eine wundervolle Idee, Süße!"
Er sah auf die Uhr, überschlug kurz die Zeitverschiebung und griff nach seinem Handy.
Nach ein wenig Smalltalk, einem enthusiastischen Lob für das großartige Konzert, rückte Simon mit der Sprache heraus.
„Wir haben eine kleine Tochter bekommen, und Lucy und ich würden überglücklich sein, wenn ihr die Patenschaft übernehmen würdet!
Chris verschlug es die Sprache, Tränen rollten über sein Gesicht. „Ja! Ja natürlich! Von Herzen gerne! Dankeschön!" schluchzte er. „Herzlichen Glückwunsch!"
So flogen sie im Oktober nach Los Angeles, um bei einer Riesenparty das süße kleine Töchterchen ihrer Freunde übers Taufbecken zu halten, das auf die Namen Mia Sarah Chrissy getauft wurde.
Sie blieben zwei Wochen, weil sie es konnten! Weil sie frei, unabhängig, jung und verrückt waren!
Weil sie das Leben, das sie führen konnten, liebten!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro