Kapitel 61
Zu Hause - Deutschland 1
Sie zogen gleich los in die Olympiahalle, um zu proben. Die Jungs waren gut drauf, die Lieder, die Chris ausgesucht hatte, saßen bald.
Sarah rief währenddessen Stefan an. Sie hatten Kontakt gehalten, zu ihrem letzten Geburtstag waren die vier sogar nach Barcelona gekommen. Jessica war eine ausgesprochen nette, kultivierte Frau, Kevin und Debbie zwei wunderbare Kinder.
Stefan war zum glücklichsten Mann in seinem Universum geworden. Jessica sah an den Blicken, die ihr Mann und seine ehemalige Liebe sich zuwarfen, dass da außer Freundschaft nichts mehr war.
Sie war froh, dass sie durchgehalten hatte, dass sie doch irgendwie an ihn und eine gemeinsame Zukunft geglaubt hatte.
Sie trafen sich auf einen Kaffee im Hotel. Stefan bot spontan an, dass Laura in der Nacht des Konzertes bei ihnen schlafen konnte. Im Gegenzug versprach Sarah, zwei Karten für Debbie und eine Freundin von ihr zu besorgen.
Sie feierten dieses Mal nur mit den Bandmitgliedern in seinen Geburtstag hinein, für mehr Besuch hatte Chris nicht den Nerv.
Mick, der Schlagzeuger machte einen blöden Witz, den er gleich danach sehr bereute. „Heute rauchst du besser keinen Joint, Junge, oder?"
Chris und Sarah durchbohrten ihn mit Augen, er spürte die Stich körperlich.
„Was ist ein Joint, Papa?" fragte Laura und entspannte die Situation.
„Das erklärt dir Mick!" meinte Chris nur.
Der Musiker suchte krampfhaft nach Worten. Er hatte mit Kindern so gar keine Erfahrung!
„Das ist eine dicke Zigarette, die der Papa früher mal geraucht hat, und deine Mama ist sehr böse geworden, weil Rauchen ja so fürchterlich ungesund ist!" Er zog sich gut aus der Affäre.
„Genau! Und Rauchen stinkt! Pfui Teufel! Da hast du recht gehabt, Mami, dass du geschimpft hast mit dem Papa!" Sie schüttelte sich so putzig, dass alle lachen mussten.
Chris schlug Mick auf die Schulter. „Glück gehabt!"
Kurz nach zwölf legten sie Laura in ihrem Zimmer schlafen, unterhielten sich noch eine Weile leise nebenan. Das Kind liebte das! Zu Hause waren auch ganz oft irgendwelche Leute auf Besuch. Sie lag dann oben in ihrem Bett, hörte die Menschen unten reden und lachen und fühlte sich wohl und geborgen.
Irgendwann gingen dann Papa und Mama ins Bett, lachten auf der Treppe, lachten im Schlafzimmer weiter, während das Bett ziemlich laut quietschte.
Sie schlief immer wieder glücklich ein und wachte glücklich auf. Sie war ein glückliches Kind, so viel verstand sie schon vom Leben.
Zwei Tage später holte Stefan Laura ab. Ein ganz kleines Bisschen war ihr bang, so gut kannte sie Stefan ja nicht, also nicht so gut wie Monika! Oder Jose, bei dem sie auch manchmal bleiben durfte. Oder die Großeltern waren in Spanien, dann gingen Mami und Papa manchmal zum Tanzen. Dann schliefen sie am nächsten Tag immer ganz lange und küssten sich noch mehr als sonst.
Sie biss die Zähne zusammen, nahm ihren Rucksack ganz tapfer und ging mit Stefan an der Hand zum Auto.
Im Haus bei ihm und Jessica vergaß sie dann ganz schnell ihre Angst. Es gab Hamburger und Pommes, das durfte sie bei Papa fast nie essen. Dann spielten alle zusammen Karten, sie gewann ganz oft. Denn sie war gut beim Kartenspielen!
Chris hatte keinen Magen mehr, sondern nur noch ein Knäuel von irgendetwas. Sein Herz raste, blieb kurz darauf stehen. Er haderte mit seinen Haaren. Er war beim Friseur gewesen, Sarah hatte darauf bestanden! Seine Frisur sah unmöglich aus!
„Hey, eitler Mann! Sie haben einen halben Millimeter abgeschnitten! Führ dich nicht so auf!" schimpfte sie lachend.
Bekam er da einen Pickel? Mitten auf der Nase? O Gott! Er war stockheiser! Er hatte Fieber! Er bekam einen Herzinfarkt! Einen Schlaganfall!
Was sollte er anziehen?
Hatte er Wechselklamotten eingepackt? Er sollte noch einen Salbeitee trinken! Er musste auf die Toilette!
Hatte er sich früher auch so aufgeführt?
Plötzlich musste er lachen! In Amerika hatte er sich auf die Bühne gestellt und hatte gesungen! War vollkommen überfahren und unvorbereitet gewesen! Und die Halle hatte getobt!
Da hatte er sein Selbstbewusstsein schlagartig zurück. Er war ein Oscar-Preisträger. Er hatte Sinfonien komponiert, die in der ganzen Welt aufgeführt wurden!
Und vor allem: Seine Tochter fand, dass er schön sang!
Die Band spielte einen Tusch, er lief ins Scheinwerferlicht, und die Halle tobte! Dabei hatte er noch keinen Ton gesungen!
Er sog diesen Applaus in sich auf und wusste, dass Sarah recht gehabt hatte. Er wollte auf die Bühne zurück! Sarah hatte immer recht, und sie stand im Publikum, ganz nahe an der Bühne, und sie war stolz auf ihn! Sie liebte ihn!
„Hallo, München!" rief er bestens gelaunt, und alle Ängste waren verflogen, weil er wusste, da unten, unter all den Menschen, stand Sarah!
Kreischen antwortete ihm.
„Lange nicht gesehen!"
Das Kreischen verstärkte sich.
„Dann lasst uns mal zusammen feiern! Das Leben feiern! An das erste Lied werdet ihr euch vielleicht noch erinnern: Der wütenden Engel!" Das Kreischen wurde ohrenbetäubend, auch wenn fast so viel männliches wie weibliches Publikum gekommen war.
Er beherrschte die Bühne wie vor Jahren. Das Publikum sang den Text komplett mit. Sie hatten nichts vergessen!
Nur, wie sie ihn hatten fallen lassen, daran dachten sie keine Sekunde mehr!
Doch das hatte er in diesen Stunden vergessen!
„Ich darf, was ich will! Der nächste Song entstand, als ich mir meine Liebe zu Sarah eingestanden habe!"
So ging es weiter. Er hatte ihre ganze Liebesgeschichte chronologisch aufgezogen, für jede Phase ein Lied ausgewählt.
Das ganze Konzert war eine Liebeserklärung an sie und an sein Leben.
„Ihre Stadt"
„Ich werd nie wieder friern"
„Ich mache dich sehr gerne glücklich!"
„Dann habe ich ordentlich Mist gebaut, und ich hatte nur eine Chance! Ihr ein Lied zu schenken, das ein Welthit geworden ist, weil wahrscheinlich Männer auf der ganzen Welt Mist bauen, und den Lieben ihres Lebens dann klar machen müssen: Es ist nicht vorbei!"
Es wurde vollkommen still in der Halle.
Den Refrain sangen alle mit.
Bei der Zeile: „Du musst nur verzeihn" flossen unzählige Tränen.
Danach stand er eine Weile lang auf der Bühne, musste sich wieder fassen.
„Und das ist auch das Lied, das mich zurück gebracht hat. Denn meine unvergleichliche Sarah hat gesagt: „Wir müssen nicht vergessen, was geschehen ist! Wir müssen nur verzeihn!"
Das Programm ging weiter mit Songs, die er geschrieben hatte, als sie geheiratet hatten, als Laura geboren wurde, als er seine erste Sinfonie geschrieben hatte.
Das Konzert war ein Lebenslauf von ihm und ihr.
Als Zugaben spielte er alte Songs, für mehr Emotionen hatte er keine Kraft mehr.
Als er aufhören wollte, die Band hatte die Bühne schon verlassen, ertönte der Sprechchor nach Sarah.
„Natürlich!" Er schlug sich theatralisch vor die Stirne. „Das Wichtigste hätte ich ja beinahe vergessen!"
Er sprang von der Bühne wie vor Jahren, hob sie hinauf, schwang sich zurück.
„Da ist sie! Die Liebe meines Lebens! Schöner denn je!" rief er aufgedreht.
„Küssen! Küssen! Küssen!" tobten die Zuschauer wie in alten Zeiten.
Und nur zu gerne erfüllten die beiden die Forderungen.
Dann nahm sie das Mikrofon.
„Hallo, München! Es ist schön, wieder hier zu sein!" rief sie und meinte jedes Wort so, wie sie es sagte. Sie hatte den Abend sehr genossen. Sie war wieder jung, verrückt, frei, verliebt, verknallt, losgelöst wie damals. Auch sie hatte es vermisst, diesem tollen Typen zuzusehen, wie er die Bühne rockte.
„Ich bin froh, dass das Comeback in Bayern stattgefunden hat! Er erzählt ja unserer Tochter immer, dass die Mama von einem wilden Bergvolk abstammt. Aber ich weiß, dass er dieses wilde Bergvolk liebt, weil ich davon abstamme. Weil ich 130 Kilometer von hier einen jungen Mann auf einer Parkbank aufgelesen habe, dem sein Kreislauf einen Streich gespielt hat! Eine verhängnisvolle Nacht ging über in eine verhängnisvolle Affäre, und wir befinden uns noch mittendrin. Ich hoffe, ihr teilt die nächsten Jahre mit uns!"
Das Johlen im Publikum bedeutete ganz sicher Zustimmung.
Wie auf Kommando fingen die Zuhörer an, das Lied ihres Lebens zu singen. „Es ist nicht vorbei!" tönte es aus hunderten von Kehlen. Chris nahm seine Süße in den Arm und sang ohne Band mit, immer wieder von vorne fingen sie an, um immer wieder bei den Zeilen zu enden: „Du musst nur verzeihn!"
Schließlich verließ Chris vollkommen ausgelaugt mit Sarah im Arm die Bühne. Das Publikum sang noch eine ganze Weile weiter.
Backstage warteten Debbie und ihre Freundin auf ihren Superstar.
Chris nahm die beiden in den Arm, was ihnen sicher einige schlaflose Nächte verschaffte.
Sie brachten die Mädchen mit dem Taxi zu Stefan, tranken bei ihm noch ein Glas Wein. Dann weckten sie Laura. Sie war ein unproblematisches Kind, schlief überall, und wenn die Eltern sie holten, wachte sie auf und schlief zu Hause eben weiter.
Stefan fuhr alle zum Hotel. „Die Klappe hat sie ja von dir geerbt!" sagte er zu Sarah. „Aber singen kann sie besser als du!"
Chris lachte. „Na! Das ist ja jetzt nicht wirklich schwer!"
Stefan lächelte ihn an. „Und dass sie sehr klug ist, habt ihr sicher schon selbst gemerkt!"
„Logo! Ganz die Mama!" erwiderte Chris.
„Naja! Doof scheinst du ja auch nicht zu sein!" Stefan mochte den flippigen Kerl total gern. Einen wie ihn hatte Sarah gebraucht, und er hatte eine ernsthafte Frau wie Jessica gebraucht.
Sarahs Klappe hätte ihn auf Dauer wohl genervt, aber Chris maß sich ständig mit ihr.
Es passte schon so, wie es gekommen war!
Im Hotel ließ sich Laura bereitwillig ausziehen und ins Bett bringen. „Die sind langweilig, die zwei!" brummelte sie noch. „Die lachen fast nie!"
Chris küsste seine Tochter. Das hatte er heute noch hören wollen!
Dann allerdings wollte er noch etwas andere hören.
Ein leises Stöhnen, zum Beispiel!
Ein „Puh! Boa!"
Ein „Ja, Chris!"
Und Sarah erfüllte seinen Wunsch nur allzu bereitwillig.
Danach redeten sie noch eine Weile über seinen Auftritt.
„Du warst fantastisch heute!" sagte sie leise.
„Na, das hört ein Mann doch gerne!" konterte er.
Sie knuffte ihn leicht. „Du Affe! Ich meine das Konzert!"
„Ach so!" Er klang sehr enttäuscht. Dann zog er sie in seine Arme. „Danke! Es hat Spaß gemacht! Ich war eigentlich sicher, dass ich mit der Bühne abgeschlossen hatte! Aber so ein Teil von mir war damit wohl nicht so einverstanden!"
„Du brauchst beides, Chris! Die U- und die E-Musik! Du passt halt in keine Schublade!"
„Das ist was Gutes, oder? In keine Schublade zu passen?" fragte er mehr rhetorisch.
„Als Musiker schon! Als Mann ist es gut, dass du in die Schublade „fantastischer Liebhaber" passt!" erklärte sie lachend.
„O ja! Sehr gut! Und in dieser Schublade bleibe ich überaus gerne!" Er küsste sie heiß und leidenschaftlich, damit sie ihm auch glaubte.
Laura wachte ein paar Mal auf, hörte die Eltern lachen, freute sich, dass diese Eltern die ihren waren.
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