Kapitel 38
Barcelona 5
Da läutete Andreas' Telefon. Er verzog sich in den Flur, lachte und schäkerte eine Weile.
Sarah steckte den Kopf durch die Türe. „Hol sie ab! Aber flott, du Geheimniskrämer!" kommandierte sie lächelnd, hatte keine Ahnung , was sie mit dieser Aufforderung heraufbeschwor.
Andreas verschwand, eine Stunde später kam er mit einer rassigen Spanierin im Arm zurück.
„Das ist Elena!" stellte er sie stolz vor.
Sarah begrüßte die fremde Frau herzlich. Sie freute sich sehr für Andreas! Doch irgendetwas am Blick Elenas gefiel ihr nicht. Sie lächelte Sarah an, doch das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Sie sah sich im Zimmer um, als würde sie alles genau taxieren.
Dann kam Chris zur Gruppe der drei, nahm die offensichtliche Freundin seines Managers zur Begrüßung in den Arm.
Unangenehm berührt spürte er, wie sich die nicht mehr ganz junge Frau an ihn presste.
Er sah Sarah an, die die Augenbrauen anhob, machte sich schnell frei von der Umklammerung der Fremden.
„Herzlich willkommen!" murmelte er.
Andreas nahm Elena in den Arm, stellte sie stolz den anderen vor. Die warf Chris immer wieder heiße Blicke über ihre Schulter zu.
Sarah zog ihn in die Küche. „Die hat wohl einen Vollknall!" echauffierte sie sich.
„Das kannst du laut sagen! Mit der stimmt doch was nicht!" Er war ganz ihrer Meinung. „So benimmt sich doch keine Frau einem Wildfremden gegenüber!"
„Das ist jetzt aber blöd! Wenn Andreas verliebt ist in sie?" Sarah sah echt Probleme auf die eingeschworene Truppe zukommen. Ihre Menschenkenntnis war durch ihre jahrelange Recherchearbeit ziemlich gut ausgeprägt.
Chris nahm sie in den Arm. „Also, Süße! Ganz egal, was passiert, du wirst mir nie etwas unterstellen mit dieser Frau, ja?" Er ahnte echt Schwierigkeiten auf sie alle zukommen. Die Blicke der Frau hatten ihm ganz und gar nicht gefallen!
Seine Antennen hatten Signale aufgefangen, die ihm ganz und gar nicht gefielen!
„Nein! Klar! Also, ich bitte dich!" wehrte sie ab.
Dummerweise verkündete Andreas gerade, dass Sarah ein Kind erwartete. Er sah Elena dabei sehr eindeutig an.
Chris war etwas angefressen! Er hätte die Neuigkeit gerne selbst bekannt gegeben.
Der Jubel und die Freude bei den Gästen waren groß. Alle gratulierten herzlich, nahmen die beiden in den Arm.
Auch Elena hängte sich wieder an Chris' Hals. Als sie spürte, wie der sich sperrte, flüsterte sie in sein Ohr. „Na, nicht so schüchtern, mein Schöner! Du bist in Spanien, dem Land der Leidenschaft!"
„Ich spreche nicht Spanisch!" versuchte sich Chris, aus der Affäre zu ziehen.
Elena lachte tief und lockend. „Das hast du schon verstanden, mein deutscher Adonis!"
Hilfesuchend sah er sich um. Doch alle umringten Sarah, gratulierten, wollten Einzelheiten wissen.
Da wurde Chris sauer, echt und zutiefst sauer. Was war denn das für ein verrücktes Weib, das ihn in seinem Haus anbaggerte, vor den Augen seiner Frau und ihres angeblichen Freundes?
„Lassen Sie mich bitte los! Gehen Sie zu Andreas, oder verlassen Sie unser Haus!" fauchte er sie an.
Sie verengte die Augen zu einem Spalt. „Falsche Antwort!" stieß sie hervor. Laut rief sie: „Aber nein, Chris! Ich werde mich nicht mit Ihnen treffen! Ich gehöre zu Andreas! Und bitte, Ihre Frau erwartet ein Kind!"
Alle verstummten. Das Schweigen hing wie Eisregen im Raum. Andreas kam zu Elena „Was ist los, mein Herz?" fragte er.
Sie bekam doch tatsächlich feuchte Augen. „Ach, nichts!" Sie warf sich theatralisch in seine Arme und flüsterte gerade so laut, dass alle es hören konnten: „Er hat mich ein wenig angefasst und mich nach meiner Adresse gefragt!"
Seine Blicke erdolchten Chris. „Verdammter Bastard! Musst du alle Frauen haben, die ich haben will?" knallte er dem Freund hin, nahm Elena an der Hand und verließ das Haus.
Chris stand da wie ein begossener Pudel, Sarah ging schnell zu ihm.
„Die ist vollkommen durchgeknallt!" rief sie aufgebracht.
Die Gäste, bis auf Florian, sahen betreten zu Boden.
„Das kannst du laut sagen! Die hat voll einen an der Waffel! Aber er fährt total auf sie ab! Sie hat ihn echt am Wickel!" echauffierte sich der Freund.
Er erzählte, wie die Spanierin sich an Andreas ran gemacht hatte, vor ein paar Tagen, in einer kleinen Bar. „Also, für mich ist das eine Professionelle! Und zu den 29 Jahren, die sie behauptet zu sein, kann man sicher locker 10 dazuzählen!" Er schüttelte angewidert den Kopf. „Aber er ist keinem Argument zugänglich!" Er sah in die Runde. „Sorry, Ladies!"
Nur langsam besserte sich die Stimmung wieder, aber schließlich verschwanden die Schatten, die der Auftritt der Spanierin geworfen hatte.
Sie aßen die Reste der Tapas, alle außer Chris und Sarah ließen sich den vorzüglichen Rotwein schmecken.
Sie freuten sich wieder unbeschwert über das Baby, über Chris' Erfolg.
Sie beschlossen, alle zusammen mit den Familien der beiden zum Silvesterkonzert zu gehen, bei dem Chris' Symphonie uraufgeführt werden sollte.
Er besprach mit Florian die Einrichtung des Musikstudios im vierten Stock. Florian hatte Medientechnik studiert und freute sich über die Aufgabe, alles Notwendige zu besorgen und einzurichten.
Die nächsten Tage vergingen angefüllt von wunderbarem Glück und tiefster Zufriedenheit.
Sarah schrieb den Epilog ihres Buches, stellte die Ereignisse bis einschließlich der Hochzeit auf die neueingerichtete Homepage, auf die sie im Buch hingewiesen hatte.
Chris wählte aus den fertigen Songs die aus, die er der amerikanischen Sängerin anbieten wollte.
Sie besuchten noch einmal die Proben, baten Raffaelo Barrando um Karten für Silvester.
„Die habe ich schon reserviert!" erklärte der Dirigent lachend. „Reichen zwanzig?"
„Ja! Super! Vielen Dank!" Chris wollte bezahlen, doch Barrando lachte nur. „Ja! Genau! Sie bezahlen die Karten! Ganz sicher!" Er schüttelte den Kopf über den Deutschen.
Sie kochten gemeinsam, gingen viel spazieren, trafen sich immer wieder mit Freunden.
Sarah begann ein Buch mit Kurzgeschichten, Chris begann eine neue Symphonie. „Laura/Lukas" war der Arbeitstitel.
Die neuen Geräte kamen, er verbrachte viel Zeit mit Florian am Mischpult, schrieb Songs, sang sie auch ein, nur so zum Spaß.
Es belastete sie nur, dass Andreas nicht mehr zu sprechen für sie schien. Sein Handy war immer auf Mailbox geschaltet, aber er rief nie zurück. Auch Florian hatte keinen Kontakt.
Langsam wurde Chris sauer. Er bezahlte seinem Manager eine ziemlich hohe Summe pro Monat, da ging es gar nicht, dass der den Beleidigten spielte und unerreichbar für ihn war.
Und noch weniger ging es, dass der andere die jahrzehntelange Freundschaft in die Tonne kloppte wegen einer Irren!
Sarah, Chris und Florian unterhielten sich oft über das seltsame Verhalten des Freundes.
Dann nahmen die Ereignisse ihren eigenen Lauf.
An einem Morgen läutete es an der Türe des Stadthauses.
Sie waren gerade eingeschlafen, in der Nacht hatte sie wieder einmal der absolute Liebesrausch erwischt.
Chris taumelte zum Fenster, um hinunter zu sehen, wer da störte.
„Elena!" stöhnte er genervt.
Sarah war sofort hellwach. Das bedeutete nichts Gutes! Sie lief in ihr Arbeitszimmer, holte das hochempfindliche Aufnahmegerät, das sie bei ihren Recherchen schon oft benutzt hatte.
Sie gingen beide nach unten, sie versteckte sich in der Speisekammer, die an die Küche anschloss.
Chris öffnete die Türe.
„Was wollen Sie?" fuhr er die ungebetene Besucherin an.
„Mit dir sprechen, mein schöner Deutscher!" gurrte sie.
„Kommen Sie herein!" fuhr er sie an und führte sie in die Küche.
„Na, also! Ich wusste doch, dass du auf mich stehst! Das süße Frauchen schläft noch?" Sie kam ihm verdammt nahe.
„Ja!" antwortete er kurzangebunden. „Also, was gibt es?"
„Nun!" begann sie augenzwinkernd. „Andreas ist schon okay, wenn man als Frau nicht zu große Ansprüche stellt! Aber warum den Diener nehmen, wenn man den Herren haben kann!"
Chris verstand nicht alles, aber den Inhalt ihrer verqueren Worte bekam er schon mit.
„Aber ich habe keinerlei Interesse an Ihnen!" fuhr er sie an.
„Solltest du aber, mein Süßer! Sonst kann das ganz schnell ganz dumm für dich ausgehen!"
Sarah bekam Schweißausbrüche in der engen Kammer. Sie hoffte nur, dass das Gerät alles aufzeichnete, was die Verrückte von sich gab.
„Wie meinen Sie das?" Chris kramte die spanischen Wörter aus seinem Gehirn.
„Na, ganz einfach! Wenn du weiter zickst, zeige ich dich wegen Vergewaltigung an. Und spanische Gerichte sind immer auf der Seite der Frauen! Du könntest mir aber auch 200.000 Euro zahlen, dann würde ich vergessen, dass du mir Gewalt angetan hast!"
„Ich habe Sie nie angefasst!" brüllte Chris, der fast alles verstanden hatte.
„Aber das weiß ja niemand! Ich zerreiße meine Bluse, stürze schreiend auf die Straße und ein halbes Jahr später sitzt du im Knast! Und die warten da auf hübsche Kerle wie dich!"
Sarah hatte genug. Sie ließ das Band zurücklaufen, drückte auf Wiedergabe und stellte auf leise. Sie hörte jedes Wort, das in der Küche gesprochen worden war.
Gut! Dann war es okay! Das reichte!
Sie öffnete die Türe und trat in die Küche, stellte das Gerät auf höchste Lautstärke.
Als Elena ihre eigenen Worte hörte, verließ sie fluchtartig das Haus.
Verdammt! Da hatte sie zu hoch gepokert! Da hätte sie doch den Diener nehmen sollen, der ja immer noch besser war als ein spanischer Hafenarbeiter!
Chris und Sarah sanken vollkommen erledigt auf das Sofa. „Uff! Das hat ja geklappt!" stöhnte sie.
„Ja, Süße! Das hat es! Es ist schon gut, wenn man sich in ein so intelligentes, geistesgegenwärtiges Mädchen verliebt!" Er nahm sie in die Arme. „Und gut, wenn man nicht so sehr auf das Alter achtet!" knallte er ihr aufgedreht noch hin.
Den Boxhieb auf seinen Arm nahm er gerne in Kauf.
„Komm, alter Mann! Gehen wir schlafen!" antwortete sie lächelnd.
„Schlafen! Ja, schlafen ist immer gut! Wir haben schon wochenlang nicht mehr zusammen geschlafen!" flüsterte er heiser.
„Hast du Alzheimer?" fragte sie.
„Bei der Liebe schon! Ich kann mich nie erinnern, wann ich dich zu letzten Mal lieben durfte!"
Sie sah ihn entsetzt an. „Du kannst dich nicht erinnern?"
Autsch! Jetzt hatte sie ihn!
„Schon! Doch! Natürlich! Sorry! An was genau sollte ich mich erinnern?" stammelte er, konnte den Lachanfall kaum noch unterdrücken.
„Na, dann müssen wir eben noch einmal von vorne anfangen, wenn deine Festplatte gelöscht ist!" erklärte sie sehr ernst.
„O Gott! Welch ein Schicksal!" antwortete er gottergeben.
„Morgen habe ich dann Mitleid mit dir!" versprach sie.
„Sicher?" fragte er noch.
„Hundert Pro!" versicherte sie.
„Gut! Na dann!" Und das waren die letzten Worte für lange Zeit. Denn der Rausch flackerte wieder auf, als hätte die Nacht davor nicht stattgefunden.
Irgendwann stoße ich mal an meine Grenzen als Mann! dachte er. Aber im Moment zeichneten sich die noch nicht ab.
Dann war der zweite Termin bei Dr. Maneros fällig. Fasziniert sah Chris auf den kleinen Punkt auf dem Ultraschall-Bildschirm. Das war sein Kind, werdendes Leben, das er in ein paar Monaten in Händen halten würde.
Sarah runzelte die Stirne. „Hübsch!" sagte sie. „Ich glaube, das Ding kommt nach dir!" Die Ärztin und Chris lachten Tränen.
Dr. Maneros hatte Sarah gegoogelt, weil ihr das Gesicht bekannt vorkam. Als sie erfahren hatte, dass die junge Frau die geborene Sarah von Steinhausen war, deren Bücher sie alle verschlungen hatte, musste sie lächeln. Das war also nun der Epilog der letzten Geschichte!
Sie rief die Web-Seite auf und las von dem glücklichen Ende, die die Horror-Story für das junge Paar genommen hatte.
Nach der Untersuchung bat sie die sympathische Deutsche, die perfekt Spanisch sprach, ihr letztes Werk zu signieren.
Sarah schlug die erste der leeren Seiten auf und schrieb: „Für Dr. Maria Maneros, die sich um das vorerst letzte Kapitel kümmert, Baby Laura oder Baby Lukas, um mich, Sarah Sandmann, geborene von Steinhausen und um die Liebe meines Lebens, den derzeit sehr schwangeren, unvergleichlichen Chris Sandmann."
Sie übersetzte die Worte für Chris, der sie an sich drückte. Am meisten freute ihn das Wort „vorerst"!
Am Abend zeigte die junge Ärztin stolz ihrem Mann, einem Geiger des Orchesters, die Widmung.
Der stockte. „Chris Sandmann? Das ist der Komponist, der uns die Symphonie geschenkt hat!" rief er erstaunt aus.
Und zum ersten Mal begann er ein Buch seiner Frau zu lesen, und er konnte es lange nicht aus der Hand legen. Nach ein paar Tagen hatte er erfahren, dass der junge Deutsche ganz und gar nicht mit dem goldenen Löffel geboren war, wie sie alle vermutet hatten, da er so großzügig auf die Einnahmen aus seiner Komposition verzichten konnte.
Dass der sich im Gegenteil seine Erfolge hart erarbeitet hatte, dass er dann aber auch diesen Erfolg wieder verloren hatte, dadurch aber seine eigentliche Berufung entdeckt hatte.
Seine Hochachtung stieg noch mehr
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro