
Kapitel 27
Die Lesereise
Der Advent kam, Sarahs Lesereise stand an. Sie waren in Regensburg, der Wagen des Verlages würde sie bald abholen.
Brummend, wie schon in den Tagen vorher, wanderte Chris durchs Haus.
Es passte ihm nicht!
Es passte ihm gar nicht!
Es passte ihm ganz und gar nicht!
Er wollte nicht, dass sie drei Wochen alleine durchs Land zog, und noch weniger wollte er alleine nach Hamburg zurück und drei Wochen ohne sie in der Wohnung bleiben!
Aber sie hatte ihn nicht zum Mitkommen aufgefordert!
Warum nicht?
„Warum kommst du eigentlich nicht mit?" fragte sie lachend. Sie hatte seine Stimmung schon bemerkt, hatte natürlich auch wieder seine Gedanken erahnt.
„Mich hat keiner gefragt!" antwortete er ein bisschen beleidigt.
„Dann frage ich dich hiermit!" erklärte sie.
„Und warum hat das so lange gedauert?" So einfach wollte er es ihr nicht machen.
„Weil ich angenommen hatte, dass du von dir aus etwas sagst! Ich wollte dich nicht zu etwas überreden, das du nicht willst!" antwortete sie.
„Überreden? Dazu, dass ich dich begleite? Du hast einen gewaltigen Vogel, Baby!"
Sarah grinste ihn an. Der freche Chris war ihr Lieblings-Chris!
„Na denn, Loverboy! Packe!"
So schnell hatte noch niemand einen Koffer gepackt!
„Ich habe gar nicht so viel Wäsche!" zog er sie schmunzelnd auf.
„Fein!" sagte sie. „Und du hast absolutes Einkaufsverbot in den Hotelshops!" Der Gedanke an
Chris ohne Unterwäsche in seinen verdammt engen, verdammt sexy Jeans machte sie heiß!
„Aha! Du willst mich als Sex-Objekt mitnehmen!" beschwerte er sich.
„Klar! Als was denn sonst? Die Nächte in den Hotels können lang und verdammt einsam sein!" konterte sie.
„Stimmt! Das war ja auch der Grund, warum ich dich auf die Tournee mitnehmen wollte!"
„Eben! Und ich finde, du könntest dich durchaus mal revanchieren dafür!" hielt sie ihm vor.
Lachend nahm er sie in den Arm. „Du warst ganz schön froh, dass ich dich zu meinem Sex-Objekt auserkoren hatte!"
Kurz verschlug es ihr den Atem. „Das war deine Intention?"
„Logisch! Glaubst du vielleicht, ich hatte mich verliebt? Ich? Mich? In dich?"
„Ja!" antwortete sie und grinste ihn frech an.
„Wo sie recht hat, hat sie recht, die Kleine!" meinte er und gab ihr einen Klaps auf ihren süßen Hintern, auf den er jetzt nicht drei Wochen verzichten musste.
Was natürlich zweitrangig war!
Er würde sie nicht vermissen müssen, drei Wochen lang!
Ihr Lachen, ihre Sprüche, sie!
Da wurde sie ernst. „Wann hast du dich eigentlich verliebt?" wollte sie wissen.
Chris sah sie lausbübisch an und zog sie an sich. „Das möchte das neugierige Weibchen gerne wissen, ja?" flüsterte er.
„Pf! Nicht wirklich!"
„So! So! Na, dann brauche ich es ja auch nicht zu sagen, dass ich schon ziemlich von den Socken war, als ich da auf der Bank ein besoffenes Auge riskiert habe!" Sein Finger zog die Konturen ihres Gesichtes nach. Noch immer war er fasziniert von dieser vollkommenen Schönheit und Harmonie.
„Toll habe ich dich am nächsten Tag gefunden, beim Frühstück, als du so locker drauf warst. Am Abend beim Essen, als ich mit dir getanzt habe, wollte ich dich haben, unbedingt! Und von da an durchgehend! Ich habe harte Kämpfe mit meinem Körper geführt, das kannst du mir glauben!"
Sarah lächelte. „Und wenn du diesen Tick mit den 20jährigen nicht gehabt hättest?"
„Hätte ich dich am Frühstückstisch um deine Hand gebeten, wie ich es in der Nacht beschlossen hatte!" erklärte er lachend. „Und was hättest du geantwortet?"
„Werd erst mal nüchtern, Schnapsdrossel!" kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.
„So was Ähnliches habe ich schon vermutet! Aber so ganz reizlos hast du mich nicht gefunden, gib's zu!"
Sarah lachte Tränen. „Reizlos? Nein, reizlos habe ich dich schon nicht gefunden, bevor ich dich kennengelernt hatte. Du weißt doch, dass ich auf gutaussehende Männer stehe!"
„Du stehst auf einen gutaussehenden Mann, verstanden? Die Mehrzahl ist out!" Seine Augen blitzten sie an. „Und? Wann hat es bei dir geknallt?"
Ja, wann? dachte Sarah. „Da gab es viele Momente. Als du wie ein begossener Pudel am Morgen auf dem Bett gesessen bist. Als du mir ungerührt deine Frechheiten um die Ohren gehauen hast und mich dabei so angefunkelt hast. Als du mir immer wieder so nah gekommen bist, natürlich ganz unabsichtlich! Mein Körper hat schon auch ganz schön rebelliert gegen meinen Verstand!"
„Du warst heiß auf mich, Baby, oder?" Er wollte noch mehr hören.
„O ja! Das könnte man so sagen!"
„Und ich war fucking heiß auf dich! So heiß, wie noch nie im Leben!" Er wollte ihr auch noch mehr sagen.
Sie schaukelten sich wieder einmal mit Worten so hoch, dass sie kaum noch atmen konnten vor Begehren. Da läutete es an der Türe, der Wagen war da.
„Schlechtes Timing! Verdammt schlechtes Timing!" stöhnte Chris.
Sarah taumelte zur Türe und öffnete sie einen Spalt. „Hallo, Richard!" begrüßte sie den Chauffeur.
„Ah! Herr Sandmann kommt mit, er muss aber noch schnell packen!"
„Kein Problem! Dann fahre ich schnell zum Tanken!" Er sah sie prüfend an. „Geht es Ihnen gut?"
„Ja, sehr gut! Danke!" Sie seufzte leicht, und schloss schnell die Türe.
Chris hatte angefangen, an ihrem Rücken streichelnd auf und ab zu fahren. Schließlich hatten sie nicht viel Zeit, da musste er schon einmal anfangen, sie ordentlich anzuheizen.
Sie schafften es noch bis zum Sofa.
„Wie lange schätzt du?" hauchte er in ihr Ohr. Das machte er zu gerne! Ihr Ohr war höchsterogen!
„Zwanzig Minuten!" vermutete sie.
„Na, dann! Reduziertes Programm!" Um keine Zeit zu verlieren, öffnete er beinahe zeitgleich die beiden Jeans. „Hättest ja auch einen Rock anziehen können, dummes Ding!" schimpfte er.
Oh, wie sie sein loses Mundwerk liebte! Vor allem wenn seine braunen Augen sie so anstrahlten dabei.
Sie schafften die wichtigsten Programmpunkte, schafften es auch noch kurz ins Bad und sich anzuziehen.
„Wir sind ein gutes Team!" stellte er zufrieden fest, als sie im Flur standen und auf den Chauffeur warteten.
„Na, wir haben ja auch gut geübt in den letzten Monaten!" stimmte sie zu.
Lachend küsste er sie. Noch immer holte sie 99 von 100 Punkten.
Chris hatte so seine Vorstellungen von einer Lesereise gehabt. Kleine Büchereien in verschiedenen Kleinstädten, an die 40 Damen mittleren Alters auf unbequemen Stühlen, sie las einen Stunde aus ihren Büchern, signierte dann: „Für Klara mit den besten Wünschen!" oder „Meiner treuen Leserin Gisela!" und so weiter.
Umso überraschter war er, als sie in München, der ersten Station, vor einem mittelgroßen Theater abgesetzt wurden.
Vor dem Eingangstor standen Menschentrauben, die bei ihrer Ankunft zu jubeln begannen. „Sarah! Sarah! Sarah!" schrien die Fans, und seine Süße winkte ihnen zu.
Er wurde in die erste Reihe verfrachtet, sah verwundert, wie rasch sich die Plätze füllten.
Auf der Bühne stand nur ein Tisch mit ein paar Büchern und einer Lampe.
Dann ertönte der Gong, und die Liebe seines Lebens betrat die Bühne, mit einem glücklichen Lächeln auf dem schönen Gesicht. Und hätte er sie nicht schon über alle Maßen geliebt, diesem Anblick wäre er verfallen auf ewig.
Er sah sich um, sah die Blicke der überraschend vielen Geschlechtsgenossen von ihm an ihr hängen.
Gut, dass ich mitgekommen bin! dachte er, obwohl er zu tausend Prozent sicher war, dass er ihr vertrauen konnte. Aber man wusste ja nie, was im Kopf eines verliebten Fans so vor sich ging!
Sie setzte sich anmutig auf die Tischkante, schlug die Beine übereinander. „Hallo, München!" sagte sie in normaler Lautstärke, und das Publikum tobte los, klatschte, pfiff.
Sie hob leicht die Hand, sofort wurde es still. Und dann begann sie zu lesen.
Chris hatte nie den Sinn dieser Lesungen verstanden. Was sollte es denn bringen, ein paar Seiten eines Buches zu hören zu bekommen!
Als er ihr zwanzig Minuten gelauscht hatte, hatte er verstanden!
Sie las nicht, sie spielte! Deshalb war ja auch der Rahmen eines Theaters so passend.
Sie füllte die Bühne, schrie, heulte, lachte. Die beiden Hauptdarsteller ihres Buches zerfleischten sich gerade mit Worten, und er hielt die Luft an.
Danach war es erst einmal mucksmäuschenstill im Zuschauerraum, dann toste der Applaus wieder los.
Sie bedankte sich lachend und winkend. Er legte seine Hand auf sein Herz, damit es nicht zerplatzte, gerade, als sie ihn ausgemacht hatte und ihm für diese Geste einen Luftkuss schickte.
„So, das war der dramatische Teil für heute aus meinem neuesten Buch. Jetzt gibt es noch ein paar eher heitere Geschichten!"
Sie lehnte am Tisch, blätterte in einem Buch, fand schließlich, was sie gesucht hatte. Die Geschichte kannte er gar nicht! Er hatte noch nicht mitbekommen, dass sie auch einige Bände mit Essays veröffentlicht hatte.
Na, für Überraschungen war sie ja immer gut! Die Texte waren lustig, nahmen Mitmenschen auf die Schippe, aber auch sie selbst. Die Sprache war geschliffen, auch hier schlüpfte sie immer wieder in die Rollen der Beschriebenen.
Eine Stunde las sie, immer wieder unterbrochen von tobendem Applaus.
Dann schloss sie das Buch.
Sie stellte sich an den Rand der Bühne. „Ihr wisst ja, dass ich nicht signiere, weil es einfach zu lange dauern würde. In den Buchhandlungen liegt aber immer eine Reihe von signierten Ausgaben bereit, die fünf Euro mehr kosten. Das Geld kommt der Stiftung meiner Familie zu Gute."
Es gab Standing Ovations, weil hier normaler Weise Schluss war mit dem Programm. Doch Sarah hob noch einmal die Hand, bat um Ruhe.
„Ich hätte aber heute noch eine kleine Überraschung für euch, nein, eher eine große! Eine knapp 1,90 m große, sozusagen! Vielleicht hat es sich schon herumgesprochen, dass ich einen ganz tollen Hecht an Land gezogen habe, den derzeit erfolgreichsten Musiker Deutschlands, Chris Sandmann."
Chris sah sie an. Das kleine Biest! Was hatte sie denn da wieder ausgeheckt?
Sarah grinste ihm zu. „Und vielleicht, wenn wir ihn sehr lieb bitten, spielt er für uns einen oder zwei seiner fantastischen Songs!"
Von hinten brachte jemand eine Gitarre und ein Headset, das Publikum, das immer noch stand, skandierte: „Bitte, Chris! Bitte, Chris!"
Er sprang auf, sprang auf die Bühne, setzte das Mikro auf und küsste sie zärtlich. „Wer könnte ihr schon eine Bitte anschlagen! Und natürlich euch!"
Dann spielte er sich ein wenig ein, stimmte die fremde Gitarre kurz und begann mit „Wütender Engel".
Es wurde schlagartig wieder still. Den letzten Refrain sang er mit ihr im Arm.
Dann stimmte er noch „Es ist nicht vorbei" an.
„Und sie hat mir verziehen!" rief er und ging zusammen mit ihr nach hinten von der Bühne.
Er riss sie in seine Arme. „Du warst großartig, fabelhaft, einmalig, supertoll!"
Sie lachte. „Na, besser als krass oder geil!"
„Das auch!" Er wusste, dass es sie aufregte, wenn seine Freunde immer nur diese beiden Adjektive benutzten, vermied sie deshalb tunlichst, um ihrem ungnädigen Stirnrunzeln zu entgehen.
„Danke, dass du gesungen hast!"
„Na, du hattest aber nicht ernsthaft daran gezweifelt, oder?" fragte er lächelnd. „Aber, das sind eigentlich deine Abende, Süße. Da müsste ich nicht ins Rampenlicht!"
Sie sah ihn so süß an, wie nur sie es konnte. „Es sind unsere Abende! Ab jetzt sind es unsere! Und es ist die erste Lesereise, die mir Spaß macht!"
So traten die beiden ihren Siegeszug durch die Nation an. Sarah las immer andere Abschnitte aus ihrem Buch, im freizügigeren Osten die eher erotisch angehauchten, im Westen die dramatischen. Bei den Kurzgeschichten lief es ähnlich. Chris wechselte auch die Songs, versuchte es jedenfalls, doch das Publikum gab keine Ruhe, bis er nicht wenigstens „Es ist nicht vorbei" zum Besten gegeben hatte.
Oft gab es nach den Lesungen noch einen Empfang mit den Honoratioren der Städte.
Das Liebesleben musste deshalb auf die Tage verlagert werden, weil sie an den Abenden doch ziemlich erschöpft waren. Aber damit hatten sie kein Problem, nicht das geringste. Von den Städten sahen sie allerdings nicht sehr viel!
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