Kapitel 5
Die nächsten Wochen vergingen in einem ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus, doch Hogwarts war nie wirklich still. Harry und Cassian trafen sich regelmäßig zur Nachhilfe, und während Harry seine Fähigkeiten in Zaubertränken verbesserte, wuchs auch die Freundschaft zwischen den beiden. Harry lernte, intuitiver mit Tränken umzugehen, und Slughorn bemerkte bald die Fortschritte, die Harry in seinem Unterricht machte. Cassian war für Harry zu einem verlässlichen Begleiter geworden, aber noch etwas anderes schwebte unausgesprochen zwischen ihnen, etwas, das Cassian selbst nicht ganz verstand – zumindest noch nicht. Der Oktober brach herein, und das erste Quidditch-Spiel der Saison stand bevor: Gryffindor gegen Hufflepuff. Das Wetter war typisch für die Jahreszeit – regnerisch und stürmisch, der Wind heulte durch die Ländereien und ließ das Quidditch-Feld wie ein Schlachtfeld wirken. Harry, nun in seiner Rolle als Kapitän, schien die äußeren Umstände kaum zu bemerken, als er in der Umkleidekabine stand und sein Team auf das Spiel einstimmte.
»Es ist wieder mal ein miserables Wetter da draußen«, begann Harry und sah in die Gesichter seiner Teamkollegen, die sich angespannt auf das bevorstehende Spiel vorbereiteten. »Aber das sollte uns nicht aufhalten. Wir haben das drauf, wir sind besser als Hufflepuff. Bleibt konzentriert, passt aufeinander auf, und haltet euch bereit. Wir holen uns den Sieg.« Ginny, Andrew und die anderen nickten entschlossen, und Cassian, der neben Andrew saß, spürte, wie sich die Aufregung in der Kabine verdichtete. Es war Harrys erste Saison als Kapitän, und trotz des schlechten Wetters war der Teamgeist stark. Cassian selbst war noch nicht lange Teil des Gryffindor-Teams, doch er hatte sich schnell eingefunden. Seine Position als Treiber, zusammen mit Andrew, passte perfekt zu ihm, und er hatte sich bewiesen. Jetzt galt es, all das auf dem Feld zu zeigen.
»Cassian, Andrew«, rief Harry und sah die beiden an. »Euer Job ist heute besonders wichtig. Der Wind macht es schwer für die Klatscher, und das Spiel wird durch den Regen noch unberechenbarer. Passt auf, dass Ron nicht zu viel Druck abbekommt.« Cassian nickte, spürte die Vorfreude in seinem Inneren aufsteigen. Das Spiel würde nicht einfach sein, aber er liebte die Herausforderung.
»Keine Sorge, Harry. Wir lassen keinen Klatscher durchkommen.« Mit einem letzten aufmunternden Nicken schnappte sich Harry seinen Besen.
»Gut, Leute. Lasst uns rausgehen und zeigen, was wir draufhaben.« Kaum hatten sie das Feld betreten, schlug ihnen der Regen ins Gesicht, und der Wind tobte über das Spielfeld. Die Zuschauer auf den Tribünen waren eingemummelt in dicke Mäntel und Regenumhänge, und doch hallte ihr Jubel durch das Stadion. Gryffindor und Hufflepuff standen sich gegenüber, und obwohl das Wetter die Sicht erschwerte, waren beide Teams entschlossen, das Beste daraus zu machen. Madame Hooch gab das Zeichen, und die Spieler schossen in den stürmischen Himmel. Das Spiel war sofort intensiv, die Jäger kämpften gegen den Wind, während die Klatscher in den Böen unberechenbar umherwirbelten. Cassian und Andrew hatten alle Hände voll zu tun, die Klatscher abzuwehren und ihre Mannschaft zu schützen. Doch trotz des ständigen Regens und der Sturmböen lieferten sie eine beeindruckende Leistung ab. Nach einer halben Stunde führte Gryffindor mit 80 zu 40 Punkten. Cassian und Andrew hatten mehrere gezielte Klatscher abgewehrt, während Ginny und die anderen Jäger ihre Positionen gehalten hatten. Ron, als Hüter, hatte sich wacker geschlagen und einige schwierige Bälle abgefangen. Doch der Wind wurde stärker, und das Spiel gewann an Härte. Cassian flog dicht an Andrew vorbei, als sie gemeinsam einen Klatscher abwehrten, der gefährlich nah an Ginny vorbeigezischt war.
»Guter Schlag!«, rief Andrew, während sie wieder auf Position gingen. Dann, nach einer Stunde, kam der Moment, den Harry ungeduldig erwartet hatte. Cassian sah, wie der andere plötzlich auf seinem Besen in eine andere Richtung schoss, die Augen auf einen kleinen, goldenen Schimmer am Rande des Spielfeldes gerichtet – den Schnatz.
»Er hat ihn gesehen!«, rief Ginny aufgeregt, und das Team reagierte sofort, indem sie versuchten, Harry Deckung zu geben. Der Hufflepuff-Sucher war bereits hinter ihm her, doch Harry hatte einen klaren Vorsprung. Der Schnatz tanzte im Wind, flog in wilden Bögen, während Harry alles gab, um ihn zu fangen. Doch der Sturm machte es schwierig, den kleinen Ball zu greifen. Der Regen prasselte auf Harrys Brille, der Wind riss an seinem Umhang, und die Sicht war verschwommen. Trotzdem blieb er fokussiert, seine Hand ausgestreckt, als er dem Schnatz immer näher kam. Cassian sah es von weitem – Harry war nur noch Zentimeter von dem Ball entfernt, doch im nächsten Moment erfasste eine plötzliche Böe dessen Besen, riss ihn zur Seite und ließ ihn den Halt verlieren.
»Harry!«, rief Cassian, doch es war zu spät. In einem schrecklichen Augenblick stürzte Harry aus mehreren Metern Höhe zu Boden. Die Zeit schien stillzustehen. Cassian sah, wie Harry fiel, sein Besen sich in der Luft drehte, und dann schlug Harry hart auf dem Boden auf. Ein dumpfer Aufprall, und der Sucher blieb reglos liegen – doch der Schnatz war in seiner Hand. Cassian spürte, wie Panik ihn ergriff. Ohne nachzudenken, schoss er mit seinem Besen hinunter, landete unsanft neben Harry und kniete sich sofort zu ihm hin.
»Harry!«, rief er und griff nach Harrys Schulter. Er schüttelte ihn vorsichtig, doch Harry reagierte nicht. Der Regen prasselte auf sie herab, der Wind heulte um sie herum, doch Cassian hörte nur das dröhnende Pochen seines eigenen Herzens.
»Harry! Hey, wach auf!« Ein Zittern ging durch Harrys Körper, und langsam öffneten sich seine Augen.
»Cass?«, murmelte er schwach, während er versuchte, sich zu orientieren. Cassian atmete erleichtert auf.
»Du bist in Ordnung«, flüsterte er, seine Stimme brüchig vor Erleichterung, aber auch vor etwas anderem – etwas, das ihn plötzlich traf, wie ein Schlag in die Magengrube. »Du bist in Ordnung«, wiederholte er, während er Harrys Hand hielt, die noch immer den Schnatz umklammerte. Doch in diesem Moment, als er Harry so nahe bei sich sah, so verletzlich und schwach, wurde ihm etwas klar. Es war nicht nur Freundschaft, die ihn an Harry band. Es war mehr. Viel mehr. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Die Sorge, die er empfunden hatte, als Harry fiel – das war mehr als nur die Angst um einen Freund. Es war etwas Tieferes, Intimeres. Und es machte ihm Angst. Cassian merkte, wie seine Hände leicht zitterten, als er Harry festhielt.
»Du hast den Schnatz«, sagte Cassian schließlich, um die Stille zu füllen, doch seine Stimme war leise, fast tonlos. »Wir haben gewonnen.« Harry nickte schwach und versuchte, sich aufzurichten, doch Cassian hielt ihn zurück.
»Nein, du bleibst liegen. Du brauchst Hilfe.« Das Team und Madame Hooch erreichten sie nur wenige Augenblicke später, und Harry wurde vorsichtig auf eine Bahre gelegt, um ihn zum Krankenflügel zu bringen. Cassian blieb die ganze Zeit an seiner Seite und seine Gedanken wirbelten unkontrolliert umher. Als sie den Krankenflügel erreichten und Harry zur Untersuchung hereingebracht wurde, blieb Cassian draußen vor der Tür stehen. Sein Herz hämmerte, seine Gedanken rasten. Er konnte die Wahrheit nicht länger ignorieren: Er fühlte viel mehr für Harry, als er je geglaubt hatte. Und diese Erkenntnis überwältigte ihn.
Ein paar Tage waren seit dem Unfall auf dem Quidditch-Feld vergangen, und der Sturm hatte sich in Hogwarts gelegt – sowohl draußen als auch in Cassians Innerem. Harry hatte sich von seiner Verletzung erholt und kehrte zu seinen üblichen Pflichten und Aktivitäten zurück. Die Nachhilfestunden gingen weiter, und auch wenn Cassian seine Sorgen über das, was er empfunden hatte, nicht vollständig los wurde, schob er die Gedanken beiseite. Es war nur die Intensität des Augenblicks gewesen, redete er sich ein. Harry war gefallen, Cassian hatte Angst gehabt – das war alles. Jetzt hieß es, zur Normalität zurückzukehren. Sie trafen sich wieder im Zaubertränkeklassenzimmer, das inzwischen zu einem vertrauten Ort für ihre Treffen geworden war. Harry wirkte fast wieder wie vorher, abgesehen von einer leichten Zögerlichkeit in seinen Bewegungen, wenn er sich über den Kessel beugte. Cassian hatte ihm einen Heiltrank zum Üben herausgesucht, einen, der komplex genug war, um Harrys wachsende Fähigkeiten zu fordern, aber nicht so schwierig, dass es frustrierend wurde.
»Okay, der Heiltrank erfordert ein langsames, gleichmäßiges Erhitzen«, erklärte Cassian und beobachtete Harry, der konzentriert den Kessel in Gang setzte. »Wenn du zu schnell aufdrehst, verbrennst du die Zutat. Und dann war die ganze Arbeit umsonst.«
»Langsam und gleichmäßig«, murmelte Harry und nickte, als er den Brenner unter dem Kessel vorsichtig einstellte. »Klingt machbar.« Cassian lächelte leicht, als er zusah, wie Harry die Anweisungen umsetzte. Er hatte sich wirklich verbessert, und es war schön zu sehen, wie der andere an Sicherheit gewann. Doch seine Gedanken drifteten immer wieder zurück zu dem Moment auf dem Quidditch-Feld. Er versuchte, das aufkommende Gefühl beiseite zu schieben. Es war eine Ausnahmesituation gewesen, nicht mehr.
»Hast du mitbekommen, dass Dumbledore einen Weihnachtsball angekündigt hat?«, fragte Cassian schließlich, um das Schweigen zu brechen. »Alle Klassenstufen teilnehmen.« Harry, der gerade den Trank vorsichtig umrührte, hielt inne und sah zu Cassian auf.
»Ja, hab ich mitbekommen«, sagte er beiläufig, bevor er wieder in den Kessel blickte. »Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Mein letzter Weihnachtsball war... sagen wir mal, weniger erfolgreich. Ich überlege, einfach nicht hinzugehen.« Cassian zog eine Augenbraue hoch und lehnte sich gegen den Tisch, die Arme locker verschränkt.
»Warum nicht?«, fragte er neugierig. »Wegen der schlechten Erinnerungen?« Harry nickte und zuckte mit den Schultern.
»Na ja, das Ganze war ein ziemlicher Reinfall. Irgendwie bin ich kein Fan von solchen Veranstaltungen. Außerdem«, fügte er hinzu, während er wieder den Trank umrührte, »hab ich keine Ahnung, mit wem ich hingehen sollte. Es ist irgendwie nicht so mein Ding.« Er schaute zu Cassian und blinzelte.
»Und du? Was hältst du von dem Ball?« Cassian seufzte leise und rieb sich den Nacken.
»In Beauxbatons gab es öfter mal Bälle. Sie waren... in Ordnung, denke ich. Aber Spaß hatte ich selten daran. Irgendwie fühlte ich mich da immer fehl am Platz.« Harry zog eine Grimasse.
»Kann ich verstehen. Aber dich haben die Mädchen doch sicher alle umschwärmt, oder?«, meinte er scherzhaft, aber kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wurde er rot. »Sorry, das klang irgendwie blöd.« Cassian hob eine Hand, um Harry zu beruhigen.
»Ist schon in Ordnung«, sagte er leise, bevor er einen Moment zögerte. Sollte er es wirklich sagen? Er war sich unsicher, doch wenn es jemanden gab, dem er vertrauen konnte, dann war es wohl Harry. Nach einem langen Atemzug sprach er schließlich weiter.
»Aber ehrlich gesagt... Mädchen sind nicht so wirklich mein Interesse.« Die Worte hingen für einen Augenblick in der Luft, bevor sie sich langsam in Harrys Kopf setzten. Er sah ihn verständnislos an, als ob er nicht sofort verstand, was Cassian damit sagen wollte. Doch dann, plötzlich, machte es Klick, und Harrys Augen weiteten sich leicht.
»Oh«, entfuhr es ihm, gefolgt von einem undeutlichen »Oh...«, während ihm die Bedeutung dieser Worte bewusst wurde. Ein seltsames Gefühl breitete sich in seinem Magen aus – ein Wirrwarr aus Überraschung, Verwirrung und etwas anderem, das er nicht ganz einordnen konnte. Es fühlte sich an, als würde sein Inneres kopfstehen, als ob all die Gedanken, die er in den letzten Wochen in Schach gehalten hatte, plötzlich durcheinanderwirbelten. Cassian beobachtete Harrys Reaktion und fühlte sich gleichzeitig nervös und befreit. Es war das erste Mal, dass er es so offen ausgesprochen hatte, und er hatte keine Ahnung, wie Harry darauf reagieren würde. Aber der Ausdruck in Harrys Augen, die leichte Röte, die sich über seine Wangen ausbreitete – es war nicht Ablehnung. Es war... Überraschung.
»Ich...« begann Harry, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. »Ich hatte keine Ahnung.« Cassian lächelte leicht und zuckte mit den Schultern.
»Du konntest es ja auch nicht wissen«, sagte er ruhig. »Es ist nichts, worüber ich normalerweise spreche. Aber... ich wollte ehrlich sein.« Eine Stille trat zwischen ihnen ein, unterbrochen nur vom leisen Blubbern des Tranks im Kessel. Harry schien in Gedanken verloren, als er auf den Trank starrte, doch sein Blick war weit weg.
»Also... bedeutet das, dass du...«, er brach ab, als wüsste er nicht, wie er die Frage zu Ende bringen sollte. Cassian nickte leicht, auch wenn er spürte, wie sein Herz etwas schneller schlug.
»Ja«, antwortete er. »Das bedeutet, dass ich eher auf... Jungs stehe.« Harry nickte langsam, während er die Information verarbeitete. Das seltsame Gefühl in seinem Magen schien sich zu verdichten, als hätte jemand einen Stein hineingeworfen, der immer tiefer sank. Warum berührte ihn das so? Und warum hatte er das Bedürfnis, Cassian zu verstehen, mehr als er je jemanden verstehen wollte?
»Ich verstehe«, sagte er schließlich, obwohl er sich nicht sicher war, ob er wirklich alles verstanden hatte. Doch dann sah er Cassian direkt an, und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. »Danke, dass du mir das gesagt hast. Ich meine... ich finde das mutig.« Cassian lächelte zurück, und die Spannung in der Luft schien sich ein wenig zu lösen.
»Ich dachte, du solltest es wissen«, sagte er leise. »Immerhin sprechen wir von einem Ball, und da kommt das Thema ja irgendwie zwangsläufig auf.« Harry nickte erneut, aber in seinem Inneren brodelten die Gedanken. Er fühlte sich, als hätte Cassians Offenbarung einen Knoten gelöst, aber gleichzeitig ein neues Durcheinander in ihm angerichtet. Was bedeutete das alles? Und warum reagierte er so stark darauf?
»Vielleicht«, sagte Harry plötzlich und schien sich selbst damit zu überraschen, »vielleicht sollten wir trotzdem zum Ball gehen. Einfach so, als Freunde. Ich meine...«, er brach ab, wurde rot und schüttelte verlegen den Kopf. »Vergiss es.« Cassian sah ihn an, sein Blick sanft, aber prüfend.
»Als Freunde?«, fragte er leise, und in seinen Augen lag ein Ausdruck, den Harry nicht sofort deuten konnte. Hoffnung? Oder war es nur Neugier?
»Ja«, antwortete Harry schließlich, unsicher, wohin dieses Gespräch führen würde. »Einfach so. Vielleicht wird es ja... besser, als wir denken.« Cassian nickte und fühlte, wie sich in ihm ein warmer Funken entzündete. Er hatte keine Ahnung, was dieser Moment bedeutete, aber er wusste, dass er etwas verändert hatte. Harry sah Cassian einen Moment lang schweigend an, als würde er die Bedeutung der Worte, die gerade zwischen ihnen gewechselt wurden, vollständig verarbeiten. Die Atmosphäre war wieder still geworden, nur das Blubbern des Heiltranks im Kessel erinnerte daran, dass sie eigentlich für einen anderen Zweck hier waren. Harry nahm einen tiefen Atemzug und stellte dann die Frage, die ihm seit Cassians Geständnis auf der Zunge lag.
»Weiß... weiß dein Vater das?«, fragte er vorsichtig, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Er wusste, dass er hier in sensibles Terrain vorstieß, doch er konnte seine Neugier nicht zurückhalten. Cassian hob den Kopf und sah ihn einen Moment an. Ein Schatten legte sich über sein Gesicht, und er schüttelte schließlich langsam den Kopf.
»Nein, er weiß es nicht«, antwortete er, seine Stimme ruhig, aber irgendwie auch unsicher. Harry blinzelte überrascht.
»Warum nicht?«, fragte er. »Ich meine... ich dachte, ihr hättet ein recht gutes Verhältnis.« Er erinnerte sich an die Art, wie Snape und Cassian miteinander umgingen – streng, aber mit einer Zuneigung, die Harry nie in Severus Snape gesehen hatte. Cassian legte seinen Zauberstab beiseite und rieb sich kurz die Schläfe.
»Es ist nicht so, dass ich es ihm verheimlichen will«, sagte er nachdenklich. »Es hat sich einfach nie wirklich die Gelegenheit ergeben. Und ehrlich gesagt... ich weiß nicht, wie ich das Thema anfangen soll. Mein Dad ist nicht gerade der Typ, mit dem man solche Gespräche mal eben beim Abendessen führt. ‚Hey Dad ich bin übrigens schwul. Ah ja? Reichst du mir die Kartoffeln'.« Harry lachte leicht.
»Ja, okay das kann ich mir vorstellen«, murmelte er. Er hatte Severus Snape nie als jemanden gesehen, der über persönliche Dinge sprach, schon gar nicht über etwas so Intimes.
»Aber denkst du, er würde... negativ darauf reagieren?«, fragte er vorsichtig, während er Cassian aufmerksam ansah. Der andere schüttelte leicht den Kopf und zuckte mit den Schultern.
»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete er ehrlich. »Mein Vater ist nicht so engstirnig, wie er oft wirkt. Ich denke, er würde es akzeptieren. Aber... es gibt da immer diese Unsicherheit. Es ist etwas, von dem viele Eltern wahrscheinlich schon eine Ahnung haben, aber es nie wirklich aussprechen.« Harry beobachtete Cassians Miene, spürte die Unsicherheit und den leichten Schmerz, der in seinen Worten lag. Er konnte sich kaum vorstellen, wie es wäre, so etwas vor seinem Vater zu verbergen – selbst wenn es aus Unsicherheit oder Angst resultierte.
»Mhmm...«, sagte er leise. »Du solltest es nur sagen, wenn du bereit bist. Und bis dahin... ich verspreche, dass ich es für mich behalte.« Ein Hauch von Erleichterung schlich sich in Cassians Gesicht, und er nickte dankbar.
»Danke, Harry«, sagte er mit einem schwachen Lächeln. »Das bedeutet mir viel.« Die beiden arbeiteten eine Weile schweigend weiter, das Gespräch hinterließ eine unausgesprochene Spannung in der Luft. Harry rührte den Heiltrank gedankenverloren, sein Kopf war jedoch voller Fragen und Gedanken. Schließlich konnte er es nicht mehr zurückhalten.
»Wie...«, er zögerte, nicht sicher, wie er die Frage formulieren sollte. »Wie hast du eigentlich gemerkt, dass du... na ja, auf Jungs stehst?« Cassian sah ihn überrascht an, doch dann brach ein Lachen aus ihm heraus – kein spöttisches, sondern ein ehrliches, humorvolles Lachen.
»Das ist eine interessante Frage«, sagte er, als er sich wieder gefasst hatte. »Es ist nichts, was einfach plötzlich passiert. Zumindest nicht für mich. Es war eher wie ein Puzzle, bei dem nach und nach die Teile zusammenpassen.« Harry setzte sich aufrecht hin und sah Cassian neugierig an.
»Okay kannst du mir mehr erzählen?«, bat er, während er versuchte, den Prozess, den Cassian durchgemacht hatte, zu verstehen. Cassian lehnte sich zurück.
»Also, anfangs merkt man einfach nur, dass man anders ist«, begann er. »In Beauxbatons gab es viele Situationen, in denen andere Jungs über Mädchen redeten, darüber, wen sie attraktiv fanden, wen sie gerne auf einen Ball einladen würden. Und ich habe... nichts gefühlt. Ich habe versucht, es nachzuvollziehen, aber es hat nicht geklappt.« Er hielt einen Moment inne, erinnerte sich an die damaligen Zeiten. »Und dann, irgendwann, bemerkte ich, dass meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge gerichtet war – auf Jungs. Ich ertappte mich dabei, wie ich einen Jungen im Quidditch-Team anstarrte oder dass mir das Lächeln von jemandem den Tag versüßen konnte. Anfangs habe ich das einfach ignoriert, dachte, es sei nur eine Phase.« Harry hörte aufmerksam zu, nahm jedes Wort auf und versuchte, sich in Cassians Situation zu versetzen.
»Aber irgendwann«, fuhr der andere fort, »konnte ich es nicht mehr leugnen. Ich fühlte mich einfach... anders, wenn ich mit Jungs zusammen war, anders als die anderen. Und irgendwann habe ich akzeptiert, dass das eben mein Weg ist.«
»War das schwer?«, fragte Harry leise. Cassian zuckte wieder mit den Schultern und nickte.
»Ja, es war schwer. Ich hatte Angst, dass ich vielleicht nie wirklich dazugehören würde, dass andere mich verurteilen würden. Aber als ich es für mich selbst akzeptiert habe, wurde es einfacher. Ich habe gelernt, dass es okay ist, so zu sein, wie man ist.« Harry nickte langsam, als er darüber nachdachte.
»Also ist es einfach eine... eine Art Gefühl, das man hat?«, fragte er vorsichtig.
»Ja«, antwortete Cassian sanft. »Es ist das Gefühl, zu wissen, wer du bist und wen du magst, ohne dass es jemand anderes beeinflusst. Es ist dein eigenes, persönliches Puzzle, und du musst es Stück für Stück zusammensetzen.« Harry schwieg eine Weile und starrte auf den Trank im Kessel, der gleichmäßig blubberte. Ein merkwürdiges Kribbeln breitete sich in seinem Magen aus, und er konnte nicht genau sagen, warum. Cassians Worte ließen in ihm eine Reihe neuer Fragen und Gedanken aufkommen, über sich selbst, über alles, was er bisher erlebt hatte. Doch im Moment behielt er diese Gedanken für sich und arbeitete weiter, während sich das seltsame Gefühl in seinem Inneren verfestigte.
Nach der Nachhilfestunde fühlte sich Harry seltsam leer, fast wie in einem Traum. Er hatte seine Sachen gepackt und war auf dem Weg in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum, doch seine Gedanken blieben bei Cassian und dem, was sie besprochen hatten. Cassians Worte über seine eigene Sexualität, über die Art, wie er herausgefunden hatte, dass er auf Jungs stand, gingen Harry nicht mehr aus dem Kopf. Sie wirbelten in seinem Geist umher, als hätten sie etwas in ihm ausgelöst, etwas, das er bisher nur am Rande bemerkt hatte. Als er durch das Porträtloch kletterte, wurde er von Hermine und Ron empfangen, die sich gerade auf das Sofa im Gemeinschaftsraum gesetzt hatten. Das Feuer im Kamin brannte gemütlich, und die vertraute Wärme des Raumes umhüllte ihn, doch Harry fühlte sich distanziert, als ob er nicht ganz in dieser Realität verankert wäre.
»Da bist du ja«, sagte Hermine, als sie ihn hereinkommen sah. »Wie war die Nachhilfe?« Harry zuckte mit den Schultern, versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
»Anstrengend«, murmelte er, ohne ihnen wirklich in die Augen zu sehen. »Cassian ist ein guter Lehrer, aber es war... viel.« Hermine nickte verständnisvoll und klappte ein Buch auf, während Ron sich streckte und Harry mit einem Grinsen ansah.
»Ich weiß nicht, warum du dir das überhaupt antust. Ich würde mich von Snape Junior nicht unterrichten lassen. Und schon gar nicht bei Zaubertränken.« Er lachte leise. »Übrigens, nach Zauberkunst heute gab es wieder so ein Chaos...« Ron begann, von einem Vorfall in der Zauberkunststunde zu erzählen, irgendetwas Lustiges über Neville und einen missglückten Zauber, doch Harry hörte kaum zu. Er saß auf einem der Sessel in der Nähe, seine Gedanken so laut und chaotisch, dass Rons Worte nur wie ein fernes Gemurmel zu ihm drangen. Sein Blick wanderte durch den Gemeinschaftsraum, und er beobachtete die anderen Schüler, die in kleinen Gruppen zusammensaßen, lachten und redeten. Einige Mädchen hatten sich um den Kamin versammelt und plauderten ausgelassen, während ein paar Jungs in der Ecke Karten spielten. Harrys Blick glitt über die Gesichter, die vertrauten Gesichter seiner Mitschüler, und plötzlich bemerkte er etwas, das er zuvor nie so bewusst wahrgenommen hatte. Er versuchte zu analysieren, was er fühlte, wenn er die Jungs beobachtete – ihre Bewegungen, ihre Stimmen, ihre Anwesenheit. War es nur freundschaftliches Interesse? Oder war da mehr? Dann ließ er seinen Blick zu den Mädchen schweifen. Nichts fühlte sich falsch an, aber auch nichts fühlte sich so intensiv oder wichtig an, wie es sein sollte. Ginny kam ihm in den Sinn. Sie hatten sich getrennt, weil sie beide gemerkt hatten, dass ihre Beziehung mehr auf Freundschaft als auf Romantik basierte. Schon damals hatte Harry den Gedanken gehabt, dass er vielleicht bisexuell war, und es auch Ginny gesagt. Es hatte Sinn ergeben, er hatte Ginny gemocht, sie war wunderschön und klug, aber irgendetwas hatte immer etwas gefehlt. Jetzt, wo er hier saß und Cassians Worte durch seinen Kopf hallten, schien alles an seinem Platz zu fallen. Es war nicht nur die Frage, ob er Jungs oder Mädchen mochte. Es war die Erkenntnis, dass er Jungs wirklich mochte – und nicht nur das, sondern dass seine Gefühle für Jungs tiefer gingen, als er sich je eingestanden hatte. Ginny war großartig, aber er hatte nie diese brennende Leidenschaft für sie gespürt, dieses Kribbeln, das er bei anderen Jungen manchmal empfand, auch wenn er es lange verdrängt hatte. Und dann war da Cassian – die Art, wie er Harry gegenüber offen über sich selbst gesprochen hatte, ohne Angst vor dem Urteil anderer. Es war, als hätte Cassian ihm einen Spiegel vorgehalten, in dem Harry sich selbst erkannte. Die Wahrheit war klar: Es war nicht nur ein vielleicht. Es war nicht nur eine Phase. – Er war schwul. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in den Magen. Es war so einfach, so offensichtlich, und doch hatte er es lange nicht wahrhaben wollen. Die Gefühle, die er unterdrückt hatte, die Gedanken, die er ignoriert hatte – all das war nun wie eine Flutwelle, die über ihn hereinbrach. Und Cassian... Cassian hatte ihn das erkennen lassen, ohne es überhaupt zu wissen.
»Harry?« Hermines Stimme drang plötzlich in seine Gedanken und riss ihn aus seiner inneren Welt. »Alles in Ordnung? Du wirkst abwesend.« Harry sah zu ihr und dann zu Ron, der aufgehört hatte zu sprechen und ihn fragend ansah.
»Ja, alles okay«, sagte Harry schnell, zwang sich zu einem Lächeln. »Ich bin nur ein bisschen müde, das ist alles.« Hermine musterte ihn kurz, als wollte sie sagen, dass sie ihm nicht ganz glaubte, doch sie ließ es dabei.
»Vielleicht solltest du früh schlafen gehen«, sagte sie sanft. »Es war eine lange Woche.« Harry nickte abwesend.
»Ja, vielleicht hast du recht.« Aber schlafen gehen würde ihm nicht helfen, das wusste er. Es gab zu viel, das er nun begreifen musste, zu viele Fragen, die er sich stellte. Während Ron und Hermine wieder in ihr Gespräch vertieft waren, lehnte sich Harry zurück und starrte erneut in das prasselnde Feuer. Der Gedanke, den er so lange unterdrückt hatte, war nun klar wie nie zuvor. Er war schwul. Und diese Erkenntnis war zugleich beängstigend und befreiend. Was würde das für ihn bedeuten? Was würde das für seine Freundschaften bedeuten? Und was würde das für ihn und Cassian bedeuten? Er schloss die Augen und atmete tief durch. Es war, als ob eine Last von seinen Schultern gefallen war, doch gleichzeitig spürte er, dass dies erst der Anfang einer neuen Reise war – einer Reise zu sich selbst.
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