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26. In der Höhle der Löwen

"Halt, stop!"
Kurz vor Unterrichtsbeginn werde ich in eine der dunklen Ecken, zwischen den Spinden, gezogen. Erschrocken drehe ich mich zu der Person um, die mich nicht sonderlich sanft am Handgelenk gepackt hat. Nathaniels böser Zwilling glitzt mich mit ihren grasgrünen Augen an. Ihre Augenfarbe erscheint mir blasser, als die von Kentin.
"Guten Morgen, hast du gut geschlafen?", frage ich sie mit einer Spur von Ironie. Ich darf es auch nicht übertreiben, schließlich ist es auch von ihr abhängig, ob ihre und Nathaniels Eltern mich mögen werden.
"Spiel nicht die Unschuldige!"
"Was ist denn los?"
"DU sollst also heute Abend zu uns kommen, ja?"
Ich nicke. Sie ist ganz rot, vor lauter Empörung darüber.
"Denkst du, du hast auch nur den Hauch einer Chance meinen Eltern zu gefallen? Ha! Glaub mir, da hast du dich geschnitten. Nicht solange ich da bin!"
Während ich ihr einen irritierten Blick widme, lacht sie nur gehässig vor sich hin.
"Können wir diese ständigen Zickeren nicht mal abschließen und vergessen?", seufze ich erschöpft.
"Das kannst du knicken!"
"Wirklich, Amber, ich habe keine Lust mehr auf diese Feindschaft."
"Interessiert mich das? NEIN!"
Wieder muss ich einen Seufzer rauslassen.
"Das hättest du dir vorher überlegen sollen, bevor du mit meinem Bruder zusammen gekommen bist!"
"Ich bin schon seit meinem ersten Tag hier nicht daran interessiert gewesen, mich immer wieder aufs Neue mit dir in die Haare zu kriegen."
"Bla bla bla", reagiert sie mit hin und her wackelndem Kopf, wie ein kleines Kind, "das wird bestimmt lustig heute!"
Sie will gerade gehen, da packe ich sie am Arm, um sie anzuhalten. Entsetzt dreht sie sich zu mir um.
"LASS LOS!"
"Amber, bitte! Mir liegt wirklich etwas an Nathaniel."
"Pech."
"Lass mir doch einfach die Chance heute Abend! Bitte!"
"Das kannst du ver-ges-sen!"
Mit einer ruckartigen Handbewegung reißt sie sich los und geht in Richtung Klasse. Ich sehe noch, wie sie ihr langes, blondes, gelocktes Haar siegreich nach hinten wirft. Na toll. Ich könnte mich jetzt blutüberströmt auf die Knie vor sie werfen und sie würde nicht mal ein Stückchen Mitleid für mich empfinden.

Durch den bisherigen Unterricht war noch keine Zeit mit Nathaniel, über den anstehenden Abend, zu sprechen. Nun ist Mittagspause und wir kommen endlich dazu. Ich bin mir noch im Unklaren, ob ich ihm von heute Morgen erzählen soll.
"Komm, wir gehen an einen ruhigeren Ort", schlägt er vor.
"Das halte ich für keine schlechte Idee."
Wir gehen in eine hintere Ecke des Schulhofs und setzen uns auf die dort stehende Bank. Das Wetter heute ist angenehm, dafür dass es Oktober ist.
"Also", legt Nathaniel los, "es hat zwar ein wenig gedauert aber meine Eltern haben zugestimmt, dass du zu uns kommst. Besonders meine Mutter will sehen, was für einen Umgang ich pflege."
"Hört sich schon gut an ..."
Er erhebt meinen etwas gesenkten Kopf mit seiner Hand. Meine Augen treffen auf seine.
"Hey, wo ist dein Ehrgeiz von gestern Abend hin?"
Ich kann nicht anders, als schon wieder zu seufzen. Was ein anstrengender Tag bis jetzt.
"Lisa?"
"Ein wenig zertrampelt."
Er zieht eine seiner Brauen nach oben. "Wodurch?"
Jetzt habe ich bereits damit angefangen. Ich handel zu spontan ...
"Von ... Von deiner Schwester ..."
Seine Stirn runzelt sich.
"Sie hat mich heute Morgen abgefangen. Wenn es nach ihr geht, wird das heute Abend nichts."
"Erzähl mir alles!"
Gesagt, getan.
Folglich lässt er sich genervt zurück fallen. Sein Blick ist nach vorne gerichtet. Ich würde zu gerne wissen, was gerade in seinem Kopf vorgeht.
"Ich verstehe es echt nicht", sagt er und reißt mich damit wieder aus meinen Gedanken.
"W-Was denn?"
"Womit ich so eine Familie verdient habe ... Womit ich so eine Zwillingsschwester verdient habe!"
In seinem Ton liegen Wut und ein wenig Verzweiflung.
"Ich werde nochmal mit ihr sprechen, bevor du kommst, das verspreche ich dir!"
"In Ordnung ..."
Unerwartet packt er mein Gesicht und zieht es an sich, um mir einen festen Kuss auf die Lippen zu drücken. Meine zunächst noch offenen Augen schließe ich, um es besser genießen zu können.
"Sucht euch ein Zimmer", höre ich plötzlich jemanden sagen.
Auch Nathaniel ist das nicht entgangen. Er löst sich reflexartig von mir. Es ist Kentin gewesen, der bereits weitergeht. Nur seinem Rückenprofil können wir noch nachsehen, wie es sich immer weiter entfernt. Von Castiel erwarte ich so einen Spruch, von Kentin eigentlich nicht.
"Am liebsten würde ich ihm gerade hinterher gehen", knurrt Nathaniel und dreht sich in seine Richtung. Es sieht so aus, als wäre er auch nicht mehr weit entfernt davon, das zu tun. Ich halte ihn am Arm zurück.
"Nicht ..."
Sein Gesicht wendet sich wieder mir zu. Er schluckt einmal heftig. Anstatt ihm einen Grund zu nennen, warum er sich zurückhalten soll, lege ich eine Hand auf seine hintere Wange und gebe ihm auf die Vordere einen Kuss. Sein Gesicht ist ganz warm. Seine Haut so weich.
"Lisa ..."
Anschließend nehme ich seine Hand und stehe auf.
"Wir gehen jetzt ein bisschen rum und machen uns nicht weiter Sorgen! Es wird schon irgendwie alles gut gehen."
Sein entzückendes Lächeln breitet sich in seinem Gesicht aus. Er geht meinen Worten nach und steht ebenfalls auf.

Zuhause kann die Zeit nicht schnell genug vergehen, bis ich mich auf den Weg zu Nathaniels Haus machen muss. Wie es wohl aussieht? Bestimmt ist es allein schon doppelt so groß wie unseres. Ich stelle es mir modern eingerichtet und blitzblank vor. Kein bisschen Staub irgendwo angesammelt. Möbel von höchster Qualität. Kunstwerke an den Wänden von irgendwelchen Malern, von denen ich noch nie zuvor gehört habe, deren Erschaffenes trotzdem ein Vermögen kostet.
Mein Handy vibriert.
Nathaniel 💘: Ich habe mit Amber gesprochen. Das dürfte jetzt geklärt sein. Sei einfach du selbst, mach dir nicht zu viel Druck! ❤️
Ach, du meine Güte ... Wie dieses Gespräch abgelaufen sein mag ... Ich frage mich, ob das wirklich etwas gebracht hat.
Ich: Okay, ich versuche es. Ich bin total aufgeregt! :/
Nathaniel 💘: Ich weiß. Beruhige dich aber damit, dass ich bei dir bin. Du bist nicht auf dich allein gestellt! Bis gleich. ❤️
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich mich so langsam auf den Weg machen kann, damit ich auch auf jeden Fall pünktlich bin. Ich packe in eine kleine braune Tasche, zum umhängen, mein Handy und mein Portemonnaie ein sowie einen Kamm. Ich habe immer einen Kamm dabei, da sich meine Haare wirklich schnell verknoten. Wenn ich mit dem Kämmen bis zum Abend warten würde, wäre der Schmerz unerträglich. Ich wechsle meine bordeauxrote Sweatshirt-Jacke zu einem grauen Cardigan, da es meiner Meinung nach angemessener aussieht und schminke mich noch einmal nach. Schlussendlich ziehe ich meine Schuhe und meine Jacke an, um loszugehen.
Meine Aufregung steigt von Schritt zu Schritt. Am liebsten würde ich gerade einfach umdrehen und wieder nachhause rennen. Ich bin echt fertig mit den Nerven! Mir wird schon ganz schwindelig. Die Sonne ist bereits unten und die Straßenlaternen leuchten auf mich hinab. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich kann einfach nicht runterkommen. Es ist das absolute Desaster! Mein Handy klingelt. Hysterisch versuche ich es aus meiner Tasche zu holen. Ich dachte es wäre ein Anruf, doch es sind nur zwei weitere Nachrichten von Nathaniel.
Nathaniel 💘: Bist du schon auf dem Weg?
Nathaniel 💘: Meine Eltern legen hohen Wert auf Pünktlichkeit ...
Gut, dass ich das bereits im Gefühl hatte!
Ich: Ja, nur noch zwei Straßen und ich bin da :)
Ich mache mein Handy wieder auf lautlos und packe es weg. Ganz ruhig, Lisa. Nathaniel ist auch dort, vergiss das nicht. Das ist seine Familie. Bleib auf dem Teppich! Du kannst dir keinerlei spontane Handlungen leisten! Denk gut nach, bevor du etwas machst oder sagst! Zeig ihnen deinen Charme, den du besitzt!
Ich atme noch einmal tief durch. Mein Herzschlag scheint sich wieder zu verlangsamen, da es sich nicht mehr so anfühlt, als würde mein ganzer Körper beben. Ich biege in die Straße ein, in der sich sein Zuhause befindet. Trotz der Dunkelheit erkenne ich es sofort. Hell angestriche Fassaden, definitiv doppelt so groß wie mein Haus, ein großes, rotfarbenes Tor. Als würde ich zur Millionärsfamilie höchstpersönlich gehen. Womöglich tue ich das tatsächlich.
Bevor ich klingel, sammle ich mich noch einmal. Ich nutze diesen Moment ebenfalls, um mich ein letztes Mal zurecht zu machen. Schnell packe ich meinen Kamm aus, um meine Haare wieder ordentlich aussehen zu lassen und stecke ihn genauso wieder weg. Ich schaffe das! Für Nathaniel! Für uns! Für das, was uns dann möglich sein kann!
Langsam drücke ich mit meinem Zeigefinger den Klingelknopf ein. Nervös schaue ich mich um. Das Haus ist praktisch eine Sackgasse. Links und rechts sind keine Nachbarn, die befinden sich ein Stück weiter hinter mir. Ein lautes Geräusch ertönt. Die Tore öffnen sich. Ein Schatten nähert sich mir an.
"Da bist du ja!", höre ich Nathaniel freudig sagen, wobei ich, je näher er mir kommt, sein Gesicht mehr erkenne. Er gibt mir einen Begrüßungskuss, der mir auf Anhieb ein wohltuendes Gefühl gibt. Mein Blutdruck muss sich wieder im Normalbereich befinden. Er legt seine Hand auf meinen Rücken ab und geht mit mir in Richtung Haustür. Hinter uns verschließen sich mit lautem Quietschen die Tore wieder. Was für ein Haus!
Sorgfältig putze ich meine Schuhe auf der schwarzen Matte, vor der Haustür, ab. Ich will auf keinen Fall Dreck mit rein bringen. Als ich meinen ersten Fuß dann in das Gebäude, oder eher in den kleinen Palast, einsetze, trifft mich der Schlag. Es sieht aus wie eine Eingangshalle, in der ich mich gerade befinde. Wie, als würde man jede Minute in ein Hotel einchecken und seinen sehnsüchtigst erwartenden Schlüssel für sein Zimmer ausgehändigt bekommen.
"Wahnsinn", murmle ich leise vor mich hin. Nathaniel überhört das nicht. Leise kichert er in sich hinein. Er nimmt mir meine Tasche und Jacke ab.
"Deine Schuhe kannst du ruhig anlassen", gibt er mir kund.
Ich kann noch immer kaum glauben wie wohlhabend Nathaniels Familie in Wirklichkeit ist. Ich komme mir dagegen vor wie Aschenputtel höchstpersönlich. Rechts ist eine lange, leicht rund verlaufene Treppe zu sehen. Dort oben geht es noch weiter. Es würde mich auch nicht wundern, wenn es noch ein drittes Stockwerk gibt.
Der Boden ist aus Parkett, wie bei mir, dennoch sieht der hier wesentlich qualitativer aus. Die Wände sind in einem zarten Beigeton gestrichen.
Nathaniel kommt wieder auf mich zu, nachdem er meine Sachen aufgehangen hat und geht mit mir in den Raum geradeaus weiter. Sofort erkenne ich, dass dies das Wohn- und Esszimmer ist. Ein Kronleuchter hängt über dem bereits gedeckten Esstisch herab und mehrere gut gepolsterte, orangerote Stühle, sind an den Tisch drangeschoben. Zu meiner Rechten entdecke ich bereits das erste Bild irgendeines Künstlers. Es sagt nicht viel aus, es ist eine bloße Anreihung verschieden förmiger Striche, in den Farben violett und rosa.
"Guten Abend", begrüßt mich eine dunkle Stimme. Ich blicke in das Gesicht eines dunkelhaarigen, bärtigen, streng aussehenden Mannes im Anzug.
"Guten Abend! Ich bin Lisa, es freut mich Sie kennenzulernen."
Entschlossen halte ich ihm meine Hand hin, wobei ich lächle. Vorerst sieht er nur auf diese, was mich in Verunsicherung geraten lässt. Ich könnte ausflippen! Ich erkenne aus dem Augenwinkel, wie Nathaniel seinen Vater entgeistert ansieht. Schließlich schüttelt mir dieser doch noch die Hand, mit einem nicht allzu festen Händedruck.
"Francis", antwortet er nur und geht einen Schritt zur Seite, um seine Frau hinter ihm hervorkommen zu lassen. Schmal, mit langen, wasserstoffblonden Haaren, in einem langen dunkelbordeauxroten Kleid, worüber sie auf den Schultern ein rosafarbenes Tuch trägt, und einer mächtigen, goldenen Kette um den Hals. Mit klackernden Geräuschen ihrer hochhackigen Schuhe, geht sie auf mich zu.
"Guten Abend, Lisa", sagt sie in einem schon fast arroganten Ton.
Ich strecke ihr ebenfalls meine Hand aus, die sie zaghaft schüttelt. "Adelaide."
Sie löst sich aus dem Händedruck wieder, woraufhin sie zurück in die Küche, nebenan, geht.
"Das Essen ist sofort fertig", teilt uns Francis mit, "also haltet euch in der Nähe auf."
Er geht wieder zurück zu seiner Frau, während Nathaniel einen Schritt näher zu mir macht.
"Ist alles okay?", fragt er flüsternd.
Ich nicke als Antwort.
"Komm mit!"
Er nimmt mich an der Hand, um mit mir in den Raum zuvor zu gehen und schließlich die Treppe rauf.
"Kriege ich jetzt dein Zimmer zu sehen?", kichere ich.
"Goldrichtig!"
Oben angekommen entdecke ich drei Türen, die alle gleich aussehen. Dazu kommt noch eine weitere Treppe. Es geht tatsächlich noch weiter. Mit überwältigtem Gesichtsausdruck sehe ich mich genauestens um, bis Nathaniel eine der dunkelbraunen Türen aus Holz öffnet. Ich folge ihm in den dahinter liegenden Raum.
Sein Zimmer ist schlicht und rein gehalten, dennoch gibt es Miteinwirkung von der Farbe blau, die sich auf seinem Bett, einem Teppich halb dadrunter und seinem Kleiderschrank sehen lässt. An einem Bücherregal, gleich neben dem Kleiderschrank, fehlt es auch nicht. Durch ein großes Fenster, gegenüber von seinem Schreibtisch, wird tagsüber mit Sicherheit das ganze Zimmer erhellt.
"Die Ordentlichkeit in Person", merke ich an. Ein Grinsen huscht mir über die Lippen.
"Du bist da eher das Gegenteil, soweit ich mich erinnere ..."
"Hm?" Ratlos schaue ich ihn an.
"Du hast doch mal deinen Spind aufgeräumt, weißt du nicht mehr? Und ich habe dich gefragt, ob dein ganzer Müll aus dem Klassenraum stammt."
Sofort steigt mir meine gesamte Körperhitze in den Kopf. Ich erinnere mich wieder. Mir war das wirklich peinlich in dem Augenblick und jetzt ist es das nicht weniger, wenn sogar mehr. Ich bin wirklich unordentlich. Mein Zimmer geht noch einigermaßen aber das war auch mal anders. Ich konnte mich nicht von Sachen trennen, weswegen es den Anschein machte, dass ich Potenzial zu einem Messi habe. Mein Vater hat da, zum Glück, irgendwann eingegriffen und mein ganzes Zimmer mit mir ausgemistet. Seitdem versuche ich es nicht mehr so weit kommen zu lassen, doch mein Zimmer ist nicht zu vergleichen mit meinem Spind ... Der ist wesentlich schneller zu zumüllen.
Ich höre Nathaniels Lachen erklingen. Beschämt stimme ich mit ein.
"Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an", spricht er sanft. Bevor ich überhaupt antworten kann, legt er seine Hände an meine Taille, beugt sich leicht zu meinem Gesicht runter und beginnt mich zu küssen. Seine Lippenbewegungen mit meinen lassen mich ganz vergessen, dass wir hier in seinem Haus sind und seine Eltern mich vermutlich bisher immernoch als eine Bedrohung für seine schulischen Leistungen sehen. Ich gebe mich seinen Küssen völlig hin. Meine Hände lege ich auf seiner warmen Brust ab, die sich verhältnismäßig muskulös anfühlt. Sein Herzklopfen kann ich deutlich wahrnehmen. Es ist schnell, obwohl es nicht das erste oder zweite Mal ist, dass wir uns küssen.
Gerade beginne ich meinen Mund leicht zu öffnen, um meiner Zunge den Weg zu seiner zu bahnen, da werden wir durch ein laut schallendes Rufen unterbrochen: "NATHANIEL, AMBER, DAS ESSEN IST FERTIG!"
Ungewollt lösen wir uns wieder voneinander. Was ein unglücklicher Zeitpunkt. Bisher haben er und ich uns noch nicht mit Zunge geküsst. Es kam mir bis jetzt immer so vor, als hätte er Bedenken dabei, wenn ich es versuche. Seine Lippen wurden ganz zittrig und ich kam nur so weit, ihm mit meiner Zunge über diese zu streichen. Dadurch dass er bisher nur eine Freundin hatte, die aber auch nur knapp zwei Wochen lang, hat er offensichtlich kaum Erfahrung und Angst, etwas falsch zu machen. Das interpretiere ich zumindest in sein Verhalten hinein.
"Schnell!"
Zurück in der Realität, zieht er mich mit nach unten. Wenn seine Eltern rufen, sollte man wohl nicht lange zögern und ihnen belanglos gehorchen.
Amber sitzt bereits am Tisch, als wir ankommen. Mit abgestütztem Arm auf dem Tisch begutachtet sie mich.
"Hallo Amber", begrüße ich sie freundlich.
"Hallo."
Ihr Blick ist abweisend. Etwas anderes erwartet habe ich auch nicht.
Auf Nathaniels leiser Anweisung hin, lasse ich mich auf einen der freien Stühle nieder. Ich setze mich gegenüber von Amber hin. Ich habe keine Angst vor ihr, das soll sie auch mitkriegen, indem ich diesen Platz wähle. Währenddessen stellt Nathaniel das Essen auf den Tisch. Es gibt Lammcarré mit Polenta-Sticks. Das habe ich schonmal zuvor in Italien gegessen. Lecker ist aber was anderes, meiner Meinung nach ...
Francis setzt sich an den Kopf des Tisches, Adelaide neben Amber. Als wäre Nathaniel nicht der Sohn, sondern das Dienstmädchen, deckt er alles alleine und schüttet uns auch noch die gewünschten Getränke ein. Sehr zu meiner Verwunderung. In so einer Angelegenheit ist allerdings Schweigen Gold. Ich nehme eine gerade Haltung ein und lege die Hände auf den Tisch.
"Also, Lisa", spricht mich Francis an, "was machen deine Eltern beruflich?"
"Meine Mutter arbeitet als Zahnarzthelferin und mein Vater ist Versicherungskaufmann."
"Und willst du ebenfalls in eine der beiden Richtungen gehen?"
Ich komme mir vor wie bei einem Bewerbungsgespräch. Im Grunde genommen ist es auch eins, ich bewerbe mich dafür, Nathaniels Freundin zu sein. Auch wenn er selbst mich bereits angenommen hat.
Nathaniel setzt sich endlich neben mich.
"Nein, ich strebe an Psychologin zu werden."
Seine Pupillen weiten sich bei dieser Antwort. Er nickt.
"Ein gut bezahlter Job, wenn man ihn richtig macht."
Ich sage nichts mehr darauf. Mir geht es dabei nämlich nicht um Geld, sondern um die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Ich möchte, dass sie sich mir gegenüber öffnen können, sich wohl fühlen und ihnen helfen. Eine Art beste Freundin sein, obwohl sie mich eigentlich gar nicht kennen. Ich finde es äußerst interessant, dass sowas überhaupt möglich ist.
Alle beginnen sich etwas zu servieren. Eine Abnormität, dass Nathaniel das nicht auch noch für alle machen muss. Während ich mir den Salat nehme, treffen sich für einen kurzen Moment unsere Blicke. Wir lächeln uns gegenseitig an. Bis jetzt ist alles in Ordnung.
"Wie sind deine schulischen Leistungen?", hakt Francis weiter nach.
"Bis jetzt sehr gut."
"Einsen?"
"Bis auf in Mathe überall."
"Und was da?"
"Eine Eins Minus."
Ich sehe aus dem Augenwinkel wie Amber ihre Augen verdreht.
"Das habe ich Ihrem Sohn zu verdanken, ohne ihn hätte ich das nicht geschafft. Mir liegt Mathe nicht besonders", ergänze ich noch dazu.
Der Vater wirft diesem einen prüfenden Blick zu.
"Da hast du dich ja mal ausnahmsweise nützlich gemacht, Junge", schnaubt er. Ich kann Nathaniels starkes Schlucken neben mir hören. Ein Schweigen bricht in den Raum ein. Schließlich beginnt einer nach dem Anderen zu essen. Warum ausnahmsweise? Als wäre er ein Taugenichts. Dabei ist er der beste Schüler der Klasse, vielleicht sogar der ganzen Schule und dazu bedient er hier seine Familie so, als wären sie die Könige und er nur der Hofnarr. Mag sein, dass ich mich da etwas hineinsteigere aber ich finde es nicht angebracht, sowas zu ihm zu sagen.
Adelaide legt ihr Besteckt ab, sieht abwechselnd zu mir und Amber.
"Du und Amber, seid ihr befreundet?"
Ambers und meine Augen treffen sich. Dabei fällt mir auf, dass sie ihre Augen von ihrer Mutter hat.
"Nein, sind wir nicht", antwortet sie zickig.
"Warum? Magst du sie nicht?"
Scheiße. Wenn Amber der Schatz ihrer Eltern ist und sie mich nicht mag, kann man das alles hier sofort abbrechen. Verzweifelt sehe ich rüber zu Nathaniel, der seine Schwester bereits anstarrt.
"Ä-Ähm ...", stottert sie.
Der Mutter entgeht diese Kette von austauschenden Blicken nicht, die zwischen ihren beiden Kindern abläuft. Skeptisch zieht sie ihre Augenbrauen zusammen.
"I-Ich brauche eben nur Charlotte und Li."
"Sagst du die Wahrheit, Liebling?", hinterfragt Francis.
Wieder bricht ein Schweigen ein. Die Atmosphäre wirkt angespannt. Vorsichtig lege ich mein Besteck aus der Hand. Der Appetit vergeht mir. Auch Nathaniel macht einen nervösen Eindruck auf mich, obwohl er nicht mal mit der Wimper zuckt.
"Amber, ich erwarte eine Antwort! Mach uns nichts vor!"
Ihr Vater klingt nun harscher als zuvor. In Ambers Gesichtszügen lässt sich für einige Sekunden der Druck, dem sie aussteht, erkennen, doch genauso schnell wechselt sie in die Rolle des Engels zurück.
"Aber natürlich, Daddy. Lisa und ich müssen ja auch keine Freunde sein, oder? Das bedeutet nicht, dass wir uns hassen."
Er sagt nichts dazu. Seine Augen richten sich auf mich. Schief lächle ich ihn an. Überzeugender kriege ich es nicht hin, da er etwas furchteinflößendes an sich hat. Auch Adelaide sieht mich an. Ich werde gerade so stark gemustert, dass ich gar nicht mehr weiß, wo ich noch hinsehen soll. Ich beschließe einfach aufzuessen.
Nachdem alle aufgegessen haben, gibt Francis seinem Sohn eine Kopfbewegung in Richtung Küche. Nathaniel versteht, was zu tun ist. Er beginnt den Tisch abzuräumen.
"Was findest du überhaupt an meinem Sohn?"
Ich schrecke leicht auf bei der Frage. Lasse mir dennoch nichts weiter davon anmerken, indem ich ihm mit einem standhaften Augenkontakt entgegen komme.
"Ich schätze seinen Ehrgeiz und seine Intelligenz. Er ist aufmerksam und stets engagiert, besonders in der Schule natürlich. Schülersprecher zu sein ist auch nicht immer einfach und viel Herumgerenne. Belastbarkeit macht ihn ebenfalls aus sowie seine Freundlichkeit und guten Manieren."
Amber steht plötzlich auf.
"Darf ich in mein Zimmer gehen? Ich muss mir das nicht anhören", reagiert sie genervt. Ihre Mutter sieht sie schockiert an.
"Was ist denn in dich gefahren, Schatz?"
"Dieses Gesülze ist doch kaum auszuhalten."
Nathaniel kommt zurück in den Raum und wendet ein: "Du übertreibst. Sie hat bloß auf Papas Frage geantwortet."
"ICH übertreibe? Nein, nein, nein, Bruderherz. Es ist DEINE Freundin, die mir da etwas zu viel schleimt."
"Was redest du da für sinnloses Zeug?!"
"Daddy, hörst du wie er mit mir redet?"
Ein lauter Aufknall ertönt durch den Raum, als der Vater mit beiden Händen auf den Tisch aufschlägt.
"NATHANIEL! So redest du nicht mit deiner Schwester!"
"A-Aber-"
"WAS HÖRE ICH DA? DU WILLST MIR WIDERSPRECHEN?", brüllt er los. Wie versteinert sitze ich da auf meinem Stuhl. Ich hätte nicht gedacht, dass die Situation so schnell eskaliert. War das nun meine Schuld?
"N-Nein, selbstverständlich nicht."
"Gut!"
Amber verlässt hochnäsig und leise lachend den Raum.
"Jetzt räum den Tisch zuende ab, Junge!"
Nathaniel entgegnet nichts, sondern tut, was er soll.
"Ich denke du kennst meinen Sohn nicht wirklich", wendet sich sein Vater wieder zu mir, "du hast ja gerade gesehen wie er mit seiner eigenen Schwester umgeht."
Sichtbar frustriert nimmt Nathaniel mir mein leeres Glas weg. Am liebsten würde ich ihn anhalten und in den Arm nehmen. Wie kann es sein, dass hier alles nach Ambers Nase tanzt?
"Du machst einen gesitteten Eindruck auf mich, junge Dame. Vielleicht kann Nathaniel ja noch was von dir lernen."
War das jetzt ein Kompliment?
"Dennoch muss ich dir sagen, halte ich eine Beziehung in diesem Alter für reine Zeitverschwendung. Konzentriert euch lieber auf eure schulischen Leistungen und die anstehende Karriere."
Mir fehlen die Worte. Ich werde nicht komplett schlau aus dem, was er sagt.
"P-Papa ... Was willst du damit sagen?", fragt Nathaniel zögernd nach. Ihm scheint genauso zu gehen wie mir.
"Was ich damit sagen will? Ihr seid zu jung! Nutzt eure Zeit für etwas sinnvolleres. Dieses Gespräch hatten wir aber ja schon bereits, Nathaniel. Trotzdem hast du nicht gehorcht."
"Ich sehe das Problem nicht. Ich stehe überall Eins und Lisa genauso!"
"Hättest du sie nicht, dann womöglich Eins PLUS! Du hast noch lange nichts erreicht, Junge!"
"D-Das ... Das kann nicht dein Ernst sein."
"Nathaniel ...", versuche ich ihn zu beruhigen. Ich sehe ihn an, dass er kurz davor ist zu explodieren.
"Und wie das mein Ernst ist!"
Adelaide sitzt nur stumm zwei Stühle weiter. Sieht sie es wirklich genauso wie ihr Mann oder ist sie ihm einfach viel zu untergeben, um etwas einzuwenden? Ihr Gesichtsausdruck ist regungslos. Als wäre ihr alles komplett gleichgültig.
"Komm, Lisa", grollt Nathaniel und zieht mich vom Stuhl rauf, weiter mit sich, raus dem Zimmer.
"NATHANIEL! DU KOMMST SOFORT ZURÜCK!"
Eine Gänsehaut überfährt meinen Körper, wenn ich das Schreien seines Vaters höre.
Nathaniel hört nicht, geht einfach mit mir weiter.
"NATHANIEL!"
"S-Sollten wir ni-"
"Lisa, hast du nicht verstanden, was er gesagt hat?!"
Er macht Halt und packt mich an meinen Schultern. Er ist so entzürnt, dass es mich wahrhaftig beunruhigt.
"Nicht nur, dass er mal wieder kein bisschen wertschätzt, was ich für die Schule tue - NEIN - er will dass wir uns wieder trennen! Er macht dich verantwortlich dafür, dass ich nicht noch besser als Eins stehe! Es reicht mir gerade einfach!"
"WO WILLST DU HIN?!"
Die Stimme seines Vaters kommt näher. Nathaniel und ich stehen kurz vor der Treppe am Eingang. Er lässt mich wieder los, um zu den Kleiderhaken zu eilen und holt meine Sachen. Im selben Augenblick kommt sein Vater angerast, packt sein eigen Fleisch und Blut am Pullover, zieht ihn zu sich und es passiert das, womit ich einerseits gerechnet und was ich andererseits nie gedacht hätte. Francis scheuert Nathaniel so kräftig eine, dass er zu Boden fällt, meine Sachen mit ihm. Mir bleibt der Atem stehen. Ich kann mich nicht fortbewegen. Die Mutter ist weit und breit nicht zu sehen. Mir ist direkt zum heulen zumute, doch ich bin so schockiert, dass ich es nicht kann.
"SO VIEL RESPEKTLOSIGKEIT IST MIR NOCH NIE UNTERGEKOMMEN!", schreit der Anzugträger seinen am Boden liegenden Sohn an. Nathaniel hält seine Wange fest. Er sagt nichts, bewegt sich nicht weiter. Seine blonden Haarsträhnen verdecken sein Gesicht.
"WAS HATTEST DU VOR? HM? WEGRENNEN?"
Der Vater packt Nathaniel am Arm, um ihn zu sich hochzuziehen. Auge um Auge stehen sie sich dadurch. Ich habe Angst, dass sich die Szene von vorhin wiederholt. Langsam löse ich mich aus meiner Erstarrung und gehe achtsam ein paar Schritte auf sie zu.
"Du solltest mir dankbarer sein, Junge!", spricht Francis bedrohlich, "Ich will dich aufsteigen sehen, erfolgreich, machterfüllt! Ich biete dir alles, was du dafür brauchst! Aber DU? DU KOMMST MIT EINER FREUNDIN AN, DIE DAFÜR SOGAR MEHR POTENZIAL HAT ALS DU! BEI DEINEM BENEHMEN!"
Nathaniel blickt zu seinem Vater auf, wodurch ich sein Gesicht wieder erkennen kann. Seine linke Wange ist komplett rot gefärbt. Seine Augen glasig, vermutlich vor Schmerz.
"AUS DIR SOLL MAL EIN MANN WERDEN? HA! DASS ICH NICHT LACHE!"
Ich gehe noch ein paar Schritte auf sie zu. Mein Puls muss gerade unglaublich hoch sein.
"Du bist eine Schande für die Familie! Krieg langsam dein Leben in den Griff und ergreif deine Chancen, die du noch hast, anstatt dich zu VERLIEBEN, Nathaniel! DU HAST DOCH SOWIESO KEINE AHNUNG DAVON, ALLES DIE REINSTE ZEITVERSCHWENDUNG!"
Wie ein Stück Dreck lässt er seinen Sohn wieder zu Boden fallen, der daraufhin schmerzerfüllt aufstöhnt. Da packt mich meine Sorge um ihn. Ich renne auf ihn zu. Außer Acht, dass da noch immer sein gewalttätiger Vater steht. Ich werfe mich mit den Knien zu Boden und schließe die Arme um den Hals meines Freundes. Aus reinem Impuls fangen Tränen an über meine Wangen zu strömen. Eine nach der Anderen. Ich habe noch nie so stark geweint, wie gerade. Nathaniel legt ebenfalls seine Arme um mich und vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren.
"Junge, aus dir wird so nie etwas werden."
Das sind die letzten, verachtenden Worte, die Nathaniels Vater für ihn übrig hat. Ich höre sich entfernende Schritte. Schluchzend drücke ich den Blondschopf noch näher an mich ran. Wie kann ein Vater seinen eigenen Sohn nur so misshandeln? Es erscheint mir so unwillkürlich und irreal, dass sowas überhaupt möglich ist.
"Shhh", versucht Nathaniel mich zu besänftigen. Entgegenkommend streicht er mir in langsamen Bewegungen über den Rücken.
Ich löse meine Umklammerung etwas, um ihm in die Augen sehen zu können. Seine schönen, honiggelben Augen scheinen noch glasiger als zuvor. Er setzt ein kleines Lächeln auf, dass mich wohl beruhigen soll, doch es tut alles andere als das. Er darf den Ausraster seines Vaters nicht verharmlosen. Er kann mich jetzt nicht einfach anlächeln, als wäre das nicht passiert!
"Komm m-mit zu mir", biete ich ihm mit zittriger Stimme an.
"Ich denke das ist keine gute Idee, Lisa ..."
"Doch! Und ob! Ich gehe jetzt nicht einfach nachhause und lasse dich hier zurück!"
Er wischt mir eine Träne, die gerade dabei ist über mein Gesicht zu kullern, weg.
"Es ist scho-"
"NEIN! Es ist NICHT okay!"
Wütend über seinen Euphemismus stehe ich auf. Ich reiche ihm meine Hand hin. Er greift nach dieser, wodurch es mir gelingt, ihm aufzuhelfen.
"Es ist nicht das erste Mal, dass dein Vater so ausrastet, stimmt's?"
Er wendet seinen Blick von mir ab. Ich erkenne ein kleines Nicken.
Ich bin energischer denn je. Ich hebe meine Tasche und Jacke auf und nehme noch dazu eine seiner Jacken. Verdutzt über sieht er mich an, widerspricht aber nicht weiter. Ich greife nach seiner Hand, öffne die Haustür und verlasse mit ihm sein Zuhause. So schön dieses Haus auch sein mag, das was sich da drin abspielt, ist nur entsetzlich.

Den ganzen Weg über hat Nathaniel kein Wort mehr gesprochen. Es ist bereits Neun Uhr, als ich die Tür zu meinem Haus aufschließe.
"Lisa?", höre ich meine Mutter vom Wohnzimmer aus rufen.
"Ja, ich bin wieder da!"
Mit laut genug vernehmlichen Schritten kommt sie meiner Stimme nach. Als sie nicht nur mich, sondern noch Nathaniel an meiner Hand sieht, entwischt ihr eine erschrockene Einatmung.
"Ich dachte du bist bei ihm Abendessen gewesen?"
"War ich auch. Jetzt ist er mit mir hier."
"Süße, hast du geweint?"
Meine Wimperntusche muss verlaufen sein.
"Ja, habe ich."
Es bringt nichts sie anzulügen.
"Aber warum ... ?"
"Ich erkläre es dir morgen. Nathaniel bleibt heute Nacht hier."
"N-Nur wenn I-Ihnen das Re-"
"Er bleibt hier!", wiederhole ich noch einmal.
"In Ordnung", akzeptiert meine Mutter verwundert, "braucht ihr irgendwas?"
"Nein, danke."
Zum Glück haben meine Eltern noch nie ein Problem damit gehabt, dass ein Junge bei mir schläft. Meine Mutter scheint auch verstanden zu haben, dass es keine Übernachtung zum Spaß ist.
Ich führe Nathaniel mit rauf, in mein Zimmer. Wer hätte gedacht, dass er das heute noch zu sehen kriegt. Schnell mache ich die Lampe, auf dem Nachttisch, an, damit er sich zurechtfinden kann.
"Nimm Platz", erteile ich ihm, "ich komme sofort wieder."
Er lässt sich auf meinem Bett nieder. Seine Körperhaltung sowie sein Blick drücken Müdigkeit, Erschöpfung und Schmerzerleiden aus.
Schnell eile ich nach unten, in die Küche, um ein Kühlpack zu holen. Ich wickle es in eines der Papiertücher, die ich neben der Spüle finde, ein und laufe zurück nach oben.
"Hier, ich ha-"
Nathaniel steht vor mir. Er ist gerade dabei, sich seinen Pullover auszuziehen. Wie angewurzelt sehe ich ihm dabei zu und merke, wie ich dabei bin rot anzulaufen. Seine Brust hat so eine schöne Form und sein Bruststrich geht bis nach oben, zum Hals. Ein Sixpack lässt sich ebenfalls erkennen, genauso wie zwei V-Striche. Es ist das erste Mal, dass ich so einen so perfekt trainierten Jungen vor mir sehe. Er ist nicht Arnold Schwarzenegger aber auch kein Strich in der Landschaft. Sein Körper hat genau den Mittelwert getroffen, der mir gefällt. Nachdem er den Pullover über seinen Kopf gezogen hat, entdeckt er mich und wie ich ihn, mit rotem Gesicht, anstarre. Er gerät sofort ins stottern: "L-Lisa!"
"I-Ich hab hier ein Kühlpack f-für dich ..."
Er legt den Pullover auf meinen Schreibtischstuhl ab und nimmt wieder auf meinem Bett Platz. Ich lasse mich neben ihm nieder. Mit seinem Oberkörper dreht er sich leicht zu mir.
"Das wird jetzt ganz schön kalt", warne ich ihn noch lächelnd, ehe ich das Kühlpack dann auf seine mittlerweile lilawerdende Wange drücke.
"O-Oh", schreckt er auf. Es ist wohl kälter, als er zunächst angenommen hat.
"Danke ..."
Ich lächle ihn weiterhin an. Mit der freien Hand taste ich mich langsam an seine ran, um sie festzuhalten.
"Danke auch, dass ich hier sein darf ..."
"Da gibt es nichts zu danken, Nath. Das ist mehr als selbstverständlich."
Nun beginnt auch er zu lächeln. Endlich sehe ich es wieder! Es erfüllt mich auf Anhieb mit Glücksgefühlen. Jetzt ist er bei mir und es geht ihm gut. Immer wieder tupfe ich zaghaft mit dem Kühlpack auf seiner Wange rum.
"Das gibt ein Hämatom ... Blauer Fleck klingt dafür viel zu mild."
Er seufzt.
Dabei war der Schlag mit der flachen Hand und nicht mit der Faust. Sein Vater verfügt über eine wahnsinns Kraft.
"Kannst ... Kannst du dir mal meinen Rücken anschauen und mir sagen, wie er aussieht?"
Mit großen Augen sehe ich ihn an. Ich frage allerdings nicht groß weiter nach. Er nimmt mir das Kühlpack ab und hält es sich selbst an die Wange, während ich meine Schuhe ausziehe und schließlich hinter ihn krabbel. Sofort fallen mir die weiteren Blutergüsse auf. Ich muss mich mit aller Kraft zusammenreißen, um nicht wieder loszuheulen.
"Er ist blau an vielen Stellen, es scheint sich aber zu bessern ..."
"Okay, danke ..."
Ich rutsche zu ihm weiter nach vorne, um ihm meine Arme um den Hals und meinen Kopf auf seiner Schulter abzulegen. Er lehnt seinen Kopf an meinen an und schließt die Augen.
"Wie lange geht das schon so?", frage ich, zurecht besorgt.
"Ein Jahr oder Zwei ..."
Es ist nicht der richtige Zeitpunkt ihm nun einen Vortrag darüber zu halten, dass er schon längst jemandem darüber hätte Bescheid geben sollen. Stattdessen gebe ich ihm einen Kuss auf die schmerzfreie Wange, die sich direkt neben mir befindet, und antworte: "Du musst dem ein Ende bereiten!"
"I-Ich ..."
"Bitte, Nath. Du bist unersetzlich für mich und ich will nur das Beste für dich ..."
Er gibt mir keine Antwort darauf. Langsam dreht er sich mit seinem Gesicht zu meinem, um seine Lippen auf meine zu legen. Eine kurze Pause legt er ein und entgegnet flüsternd: "Du auch für mich. I-Ich versuche es ..."
Erfreut über seine Worte küsse ich ihn wieder. Ich spüre wie er das Kühlpack weglegt, mich neben ihn zieht und folglich seine Arme um meine Mitte schließt. Ebenso lasse ich meine auf seinen breiten Schultern nieder. Rhythmisch bewegen wir unsere Lippen miteinander, bis ich anfange meine Lippen zu öffnen. Diesmal tut er es mir gleich und unsere Zungen treffen zum ersten Mal aufeinander. Zärtlich beginnen sie sich zu umspielen. Mein Herz bebt. Es ist atemberaubend ihn so innig zu küssen. Ein Erlebnis, das dem Gefühl im Magen wenn man auf einem Gerät, in einem Freizeitpark, in Zwanzig Metern Höhe, kopfüber hängen gelassen wird, gleicht. Wahnsinnig aufregend! Aus unseren bisher unschuldigen, sanften Küssen werden nun leidenschaftliche, verlangende. Er drückt mich nach hinten, sodass ich nicht anders kann, als mich hinzulegen und er beugt sich über mich. Je länger wir uns auf diese Weise küssen, desto weniger nimmt dieses packende Gefühl ab. Es steigt viel mehr. Er kommt in Schwung mich so stürmisch zu küssen, dass mir schon ganz schwindelig davon wird. Ich fühle mich wie im siebten Himmel. So habe ich noch nie zuvor beim küssen empfunden.
Nach ein paar Minuten lösen sich seine Lippen von meinen. Wir öffnen gleichzeitig unsere Augen und blicken tief in die des jeweils Anderen rein.
"L-Lisa?"
Fragend neige ich meinen Kopf zur Seite, wobei ich lächelnd die Augenbrauen hochziehe.
"Ich liebe dich ...", spricht er sanft aus.
Diese drei Worte lösen in mir so viel auf einmal aus. Zum Glück liege ich bereits, sonst wäre ich womöglich noch umgekippt. Nathaniel liebt mich! Er liebt mich! Er hat es gesagt! Ich bin so berührt davon, dass ich wieder anfangen könnte zu weinen.
"Ich liebe dich auch, Nathaniel", antworte ich mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Anfänglich grinst er ebenfalls, doch Sekunden später beginnt er zu lachen.
"Warum lachst du?"
"Weil ich überglücklich bin ..."
Er gibt mir einen flüchtigen aber sanften Kuss.
"... Mit so einem perfekten Mädchen, wie dir, an meiner Seite."

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