49- der Typ, der mein Dilemma ist
49- der Typ, der mein Dilemma ist
Zamir presst die Lippen zusammen und lächelt dann gezwungen. »Es gibt so einiges, das ich bereuen würde, nicht gesagt zu haben. Aber ich würde gleichzeitig auch bereuen, es ausgesprochen zu haben.«
Ich presse die Lippen fest zusammen. »Dilemma«, spreche ich langsam aus und sehe zu Boden. Es ist ein Dilemma. Ich könnte ihm diese Worte sagen, aber er könnte sie nicht erwidern, weil er gehen muss. Und wenn er sie erwidert, trägt er eine Bürde mit sich. Könnte es überhaupt die Möglichkeit geben, dass er es erwidert? Oh Gott, wie soll ich es aussprechen, wenn ich es nicht einmal in meinen Gedanken sagen kann?
Er will gehen, zögert kurz.
»Zamir«, sage ich ihm nach und er dreht sich um, in den Augen ein Funkeln. »Pass auf dich auf.«
»Lass uns gegenseitig aufeinander aufpassen«, meint er. Dann zögert er noch einmal und ich halte die Luft an. »Du hast mich gefragt, wieso es so schwer mit Feya ist. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach. Sie sagt die Wahrheit- die Wahrheit, die man nicht wahrhaben will.«
»Was hat sie gesagt?«, flüstere ich.
»Dass ich dir wehtue.«
Ich reiße die Augen auf. »Das stimmt nicht.«
»Dass ich mir wehtue«, fährt er fort. »Dass ich jedem in meinem Umkreis wehtue.«
»Zamir, das ist nicht wahr«, widerspreche ich. »Wieso sollst du irgendjemandem wehtun? Sieh doch, keiner kann dich nicht mögen. Selbst ich nicht.«
Ich versuche zu lachen, aber er schüttelt sicher den Kopf und macht einen Schritt auf mich zu. »Ich würde lieber Jahrzehnte bereuen, statt dich zu verletzen.«
Er nimmt eine Strähne von meinem Haar und steckt sie mir hinters Ohr. Ich wünschte, er würde nicht rauchen. Dann könnte ich seinen Geruch in vollster Intensivität erleben.
Ich schließe automatisch die Augen. Es sind nur paar Worte, Aklima. Aber sie kommen nicht aus meinen Lippen und meine Stimme verlässt mich komplett, als ich seine warmen Lippen auf meiner Stirn spüre. Es ist wie ein Mal. Mein ganzer Körper kribbelt und dann ist er weg. So schnell verschwunden, wie er gekommen ist und es macht mir Angst daran zu denken, dass er irgendwann gar nicht mehr da sein wird.
Ich weine. Die Tränen rollen einfach über meine Wange und ich kann sie nicht aufhalten. Ich will es vergessen- alles. Es sollte nicht so laufen- ganz und gar nicht. Er sollte paar Mal kommen, um die Angelegenheiten zu klären, ich sollte ihn jedes Mal böse anfunkeln, ihn nie kennenlernen, nie eine Mirakaj werden- es gibt so viel, das nicht werden sollte und doch geworden ist.
Montag bin ich verkrampft. Ich will nicht aufwachen, obwohl ich genug Schlaf hatte und alles, was ich an Kleidung besitze, steht mir plötzlich nicht mehr.
»Flechtest du mein Haar?«, frage ich meine Mutter, aber sie drückt mir nur einen flüchtigen Kuss auf den Scheitel und geht mit einem, »Bin spät dran.«
»Super«, stöhne ich und denke darüber nach zu schwänzen.
»Was ist super?«, fragt Ilayda und setzt sich mir gegenüber. Sie legt sich ein großes Glas Kakao und sieht mich fragend an.
»Ist nicht wichtig. Sag mal, was war gestern?«,meine ich ihre Stimmung, die im Keller war.
Sie zuckt mit der Schulter. »Meinst du das mit Zehra oder dass du dich heimlich mit deinem Ehemann getroffen hast?«
»Ilayda!«, rufe ich. Wie kann sie das Thema wieder dermaßen auf mich lenken?
»Fangen wir mal mit Zehra an«, schlägt sie vor und wartet auf keine Antwort. »Wenn Sevde heiraten würde und ich es nicht mitbekäme, würde ich sie umbringen. Daher hat sie recht.«
»Ilayda, halt den Mund und sag mir, wieso du gestern traurig warst.«
»Du redest Schwachsinn und das bewerte ich so, dass du Angst hast vor dieser Konfrontation. Kann das stimmen?«
Ich seufze und lasse meine Schultern auf den Stuhlrücken fallen. »Du bist unmöglich.«
»Das mit Zehra wird schon. Du kennst sie doch. Wenn sie traurig ist, ist sie so depressiv, dass sie keinem zuhört. Aber im Nachhinein ist sie verständnisvoll. Ich würde mich eher fragen, wie ich es Jess erklären will, denn wenn sie es herauskriegt, herrscht Krieg.«
»Ilayda, ich hab keinen Nerv für deinen Therapeutenscheiß«, stoße ich heraus und stehe auf. »Ich werde es Jess auch nicht erzählen. Das hier ist nichts Ernstes.«
Damit verlasse ich die Wohnung und frage mich echt, wie es dazu kommen konnte, dass wir Ilayda so sehr verwöhnt haben. Klar, sie ist ohne Vater aufgewachsen und das hat uns so fertig gemacht, dass wir mit allen Mitteln versucht haben, ihr auch diese Rolle zu erfüllen, aber irgendwo da haben wir einen Fehler gemacht.
Zehra steht am Eingang der Schule. Deshalb stehe ich ungefähr hundert Meter vor dem Eingang und frage mich, wie ich mich zu verhalten habe. Letztendlich gehe ich auf sie zu und sie umarmt mich. »Es tut mir leid«, flüstert sie in mein Haar.
»Es tut mir leid«, erwidere ich und wir lösen uns von der Umarmung.
»Und jetzt musst du mir das Ganze noch einmal von vorne erzählen«, meint sie und grinst zögernd. »Ich war gestern so wütend, dass ich die Hälfte nicht gehört habe.«
»Später«, nuschele ich und schiebe Haar hinters Ohr, als Jess zu uns kommt. Sie sieht zuerst zu Zehra, dann zu mir. »Alles gut bei euch?«
Ich nicke nur und denke an Ilaydas Worte. Wieso sollte ich es nicht sagen?
Ich tue es aber nicht, als wir unten stehen und auch nicht als ich dann auf meinem Platz sitze und Zamirs leeren Stuhl betrachte. Das Gefühl seiner Lippen auf meiner Stirn will einfach nicht verschwinden, genauso wie seine Worte. Ich muss diese Feya finden und mit ihr reden. Kommt her und bricht ihn.
»Aklima?«, werde ich zurück zum Unterricht befördert. »Wenn du schon nicht aufpasst, kannst du doch gleich Kreide holen gehen.«
Ich nicke stumm und stecke mein Handy von meinem Rucksack in die Hosentasche. Als ich auf dem Gang stehe, ist der beste Augenblick, ihn anzurufen.
Wieso sorgt er auch dafür, dass ich mir Sorgen mache? Ob er- Nein! Er will doch noch sein Abi machen. Das hat er doch gesagt. Er kann sich noch nicht gestellt haben. Bitte nicht.
Meine Finger zittern, als ich seine Nummer wählen will, doch werde gleich darauf unterbrochen.
»Aklima?«
Genervt drehe ich mich um. »Was willst du, Mirjana?«
Sie hat sich verändert in letzter Zeit- in ihrem Ausdruck hat sich etwas verändert. »Tu das nicht.«
»Was?«, frage ich und lege die Stirn in Falten.
»Dich verlieben«, antwortet sie und ich beginne zu lachen.
Ich dachte schon, es sei etwas Ernstes. »Keine Sorge-«
»Glaubst du, man merkt nicht, wie du seinen leeren Platz anstarrst?«
»Und wenn«, entgegne ich. »Was geht dich das an?«
»Ich habe mich mit Miguel getroffen«, beginnt sie zu erzählen. Ich habe mich daran gewöhnt, wie sie erst etwas sagt und dann von Anfang an beginnt zu berichten. »Es war eine Art Abschied. Ein Ende. Er hat sich entschuldigt. Als wir uns kennenlernten, war es nichts für ihn, dass ihn befürchten ließ. Aber so ist es nicht geblieben. Er hat sich entschuldigt, sich in mich verliebt und durch diese Beziehung mich mit in diese Scheiße gezogen zu haben. Miguel hat alles beendet gehabt, ohne mir zu erklären, dass er es getan hat, weil er mit Drogengeschäften zu tun hat und befürchtet, Shane könnte mir schaden.«
»Ich kenne diese Geschichte doch«, murmele ich. »Und das tut mir leid für euch.«
»Mir auch«, sagt sie und in ihren Augen bilden sich Tränen. »Sieh mich an, ich komme nicht von ihm los. Diese Gefühle erlauben es nicht.«
»Aber du hast es beendet«, frage ich vorsichtig. Wieso will ich das eigentlich wissen?
»Ich möchte es«, antwortet sie verzweifelt. »Aber für mich scheint es unmöglich. Sieh doch, das ist gegen alle Vernunft und trotzdem bin ich so. Er will es ja auch nicht mehr, aber-«
Mirjana wischt sich die Tränen weg und sieht mich ernst an. »Er hat Familie, er hat Menschen, die er beschützen will und er hat Angst um sie. Du weißt, was mit Zamirs Vater passiert ist, oder?«
Ich reiße die Augen auf. Das weiß sie?
»Wenn du ihm zu nahe trittst, wirst du verletzt und das wird auch ihn verletzen«, meint sie.
»Wieso redet jeder nur davon?«, will ich wissen. »Ich weiß, was ich tue.«
Nein, weiß ich nicht und um ehrlich zu sein, hat sie mich verunsichert. Schließlich hat sie Recht.
»Wird es nicht aufhören?«, frage ich sie kurz danach.
Mirjana zuckt mit der Schulter und sieht aus dem Fenster. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, wäre sie die erste, die sie ergreift. »Du könntest Jess fragen.«
»Jess?«, frage ich verblüfft. »Was hat Jess damit zutun?«
»Nicht Jess direkt, aber ihr Cousin.«
»Jess hat mir davon erzählt«, entgegne ich. »Er hatte nicht viel damit zutun und ist schon am Anfang ausgestiegen. Vielleicht hatte nicht einmal Kontakt zu Shane.«
Sie runzelt die Stirn. »Da hat dir Jess aber so einiges verschwiegen.«
Ich fange an zu lachen. »Wieso sollte sie das?«
»Aklima, könntest du aufhören, mich als Feindin zu sehen? Ich habe selber versuchst, ihren Cousin zu kontaktieren. Aber er ist wie vom Erdboden verschluckt. Dieser Kerl hat mindestens so lange mit Shane Geschäfte gemacht, wie Miguel und trotzdem konnte er einfach raus. er muss irgendein Druckmittel gehabt haben. Anders kann-«
Mirjana stoppt und dreht sich nach hinten. Zehra kommt gerade aus dem Raum. »Bin wieder rausgeflogen.«
Ihre Mundwinkel ziehen sich nach unten. »Wieso werde immer ich ermahnt, wenn der ganze Kurs am Reden ist?«
»Ich sollte wieder rein«, meint Mirjana mit welcher Ausrede sie auch immer den Raum verlassen hat.
»Ich muss noch Kreide holen«, murmele ich, während meine Gedanken sich um Mirjanas Worte Kreisen. Gibt es wirklich eine Möglichkeit, Zamir zu retten?
Hoffnung keimt in meiner Brust und füllt meinen ganzen Körper mit Glücksgefühlen.
Zehra begleitet mich und ich bekomme später Ärger, weil ich so spät bin. Statt Zamir anzurufen, schreibe ich ihm, aber es kommt keine Antwort. Ich habe Angst, dass er geht. Furchtbare Angst.
Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, springe ich ihm in die Arme und lasse ihn nicht mehr los. Meinetwegen kann er die Welt rauchen. Obwohl nein- das ist schließlich gesundheitsschädlich und ich will ja so lange wie möglich was von ihm haben. Oh mein Gott, was denke ich da bloß?
Ich muss zu ihm. Ich kann schließlich nicht erwarten, dass er immer zu mir kommt und außerdem kann ich nachsehen, ob er Koffer gepackt hat. Außerdem wohnt doch Feya auch bei ihm, oder? Ich muss noch ein paar Worte mit ihr wechseln.
»Ich gehe nicht zum restlichen Unterricht«, erkläre ich in der Pause.
»Ich kann dich nach Hause fahren«, schlägt Güney vor.
»Sie will doch gar nicht nach Hause«, streckt Jess, die immer noch der Meinung ist, ich sei in Zamir verschossen, ihre Zunge heraus.
»Wohin dann?«, fragt Güney naiv und Jess beginnt zu lachen.
»Ich muss dir noch etwas zeigen«, behauptet Zehra und zieht Güney auf die Beine. Sie macht eine Geste, die zu Jess deutet, aber ich will ihr nichts von Zamir erzählen. Das ist zu peinlich.
Ich kann sie auch nicht über ihren Cousin befragen, weil es mir falsch vorkommt. Schließlich habe ich ihr so viel verschwiegen, aber das hatte ja einen Grund. Wieso hat sie mir das mit ihrem Cousin nicht gesagt? Fand sie es unnötig? Vielleicht wusste sie es nicht. Es könnte alles sein.
Letztendlich sitze ich im Bus und frage mich, was ich Zamir sagen soll. Wieso musste ich ihn auch so schnell vermissen? Ich seufze und während ich an ihn denke, muss ich mich daran erinnern, dass er unserem Direktor, der gefragt hat, wo die Flitterwochen seien, geantwortet hätte, er hätte sturmfrei.
Mir schießt sofort das Blut ins Gesicht. Das letzte Mal, als ich dort war, stand er oberkörperfrei vor mir. Wieso verdammt öffnet er auch so die Tür? Wusste er, dass ich es bin? Nein, sicher nicht. Der Gedanke macht mich wütend.
Und irgendwie ist es schwerer getan als gedacht dann vor seiner Tür zu stehen und nicht klingeln zu können, weil man nicht weiß, was man sagen soll und man sich versprochen hat, ihn zu umarmen.
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Hab es immer wieder verschoben, das Kapitel zu schreiben, weil ich so viel anderes zutun hatte. Seid mir nicht böse. Was hält ihr davon? (:
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