34- der Typ, der Distanz bewahrt
34- der Typ, der Distanz bewahrt
Ich kann gar nicht anders. Reflexartig werden meine Augen aufgerissen und mein Mund klappt auf. Ich kreische und gleichzeitig gdrehe ich mich um und verdecke die Augen mit den Händen. Aber das Bild hat sich in mein Netzhaut gebrannt. Ich sehe ihn immer noch so vor mir, mit nur einem Badetuch um den Hüften und dem gebauten Oberkörper. Beruhig dich, Aklima.
Ich kann spüren, wie er grinst. »Kannst du dir bitte etwas anziehen?«
Mein Herz klopft so stark, dass ich bezweifle, seine Antwort hören zu können. Ob er es auch hört? Oh Gott, bitte nicht.
Zamir räuspert sich. »Was tust du hier um diese Uhrzeit?«
»Zieh dir was an und wir können reden«, rufe ich. Das Bild ist immer noch da. Wie werde ich das los?
Ich höre ihn seufzen. Ganz erfreut von meiner Erscheinung scheint er wohl nicht zu sein. »Komm rein. Du kannst ja im Wohnzimmer warten, während ich mich anziehe.«
Ich nicke und drehe mich mit gesenktem Blick um. Gerade als ich n ihm vorbei will, macht er, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, das wissen wir nicht, einen Schritt nach vorne, sodass ich beim Gehen mit dem Arm an seinem Oberkörper streife.
Als hätte ich mich verbrannt, ziehe ich den Arm zurück und laufe weiter. Wärme durchströmt mein Gesicht mit einem Mal und ich presse die Lippen zusammen.
Ja nicht zurückblicken, Aklima.
Ja nicht. Sonst denkt er noch, er wäre geil. Was er ja natürlich nicht ist.
»Aklima«, nennt er meinen Namen, als ich am Türrahmen bin. Mein Kopf dreht sich reflexartig zu ihm, genauso schnell aber wieder zurück. Ich höre, wie er versucht, das Lachen zu unterdrücken. Arschloch.
»Ich bin gleich zurück.«
Ich nicke und setze mich auf die Couch. Meine Arme hat eine Gänsehaut überzogen, weil es kalt ist. Ich versuche es mir wegzurubbeln und frage mich, wie man diese Röte im Gesicht wegbekommt. Die Szene vor der Tür spielt sch in meinem Kopf immer und immer wieder. Sie endet damit, dass ich bescheuert herumschreie. Wieso verdammt habe ich geschrieen? Weil irgendein Teil in dir es liebt, sich selbst zu demütigen. Das ist die einzig plausible Antwort.
Ich erblicke einige Familienfotos auf dem Regal. Auf manchen ist auch der Direktor zu sehen. Zamir scheint ein große Familie zu haben- in Albanien. Hier hat er niemanden mehr. Ich stehe auf und betrachte die Bilder genauer. Seine Mutter sieht ihm kaum ähnlich, Zamir kommt eher ganz nach seinem Vater. Vielleicht sieht sein Kind dann auch genauso wie er aus. Das wäre schon süß, so ein weiterer kleiner Zamir.
»Wieso bist du hergekommen?«, höre ich Zamirs Stimme. Als ich mich umdrehe, ist er angezogen und schaut mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Ich weiß es nicht mehr. »Ich wollte mich entschuldigen, dass ich dir das mit dem Direktor nicht erzählt habe. Ich dachte nur, es wäre die perfekte Lösung, weil er weder mich, noch dich nervt, wenn ich ihm sage, dass du nichts mit Drogen zutun hast.«
Er sagt nichts dazu, sieht mich nur an. Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt. Ich schiebe das Haar hinters Ohr und versuche weiter zu machen. »Ich weiß nicht, wieso ich in deiner Tasche herumkramen sollte, wenn du sie mir doch selbst gezeigt hast.«
Sein Blick fixiert meinen und das ist furchtbar unangenehm. »Vielleicht weil du genauso wie er denkst, dass ich nicht loslassen konnte.«
»Vielleicht denke ich das aber auch nicht und es ist so abgelaufen, wie ich es dir beschrieben habe, zum zweiten Mal.«
»Wir müssen zur Schule. Sonst kommen wir noch zu spät«, meint er daraufhin nur. Ist das sein verdammter ernst? Ich bin doch nicht hergekommen, damit er mich zur Schule fährt.
Er deutet mit dem Kopf zur Tür und in dem Moment hätte ich ausrasten können. Ich tue es aber nicht. Es verletzt mich, dass er mir zutraut, dass ich hinter seinem Rücken irgendwelche Dinge schmiede.
Ich gehe also vor und ziehe meine Schuhe wieder an. »Ich kann mit dem Bus fahren.«
»Setz dich in den Wagen«, erwidert er. »Wir können ja noch reden.«
Ich nicke und Hoffnung keimt in mir auf. Ganz ohne Stolz bin ich nicht, aber es stört mich einfach, dass jemand so über mich denkt.
»Kannst du das an den Akkulader tun, sollte im Nebenfach liegen«, reicht er mir sein Handy und ich nehme es.
Das Auto ist aufgeschlossen. Ich lasse mich auf den Beifahrersitz nieder und versuche meine Gedanken zu ordnen. Ich hatte so viel geplant zu sagen, nichts davon war mehr in meinem Kopf. Aber halbnackte Bilder von Zamir verschwinden natürlich nicht.
Ich öffne das Fach und fische mir den Kabel aus dem Salat. Währenddessen muss er natürlich angerufen werden. In Großbuchstaben leuchtet Jess Name auf. Ich werde neugierig, lege es aber sofort weg. Damit ich nicht darauf gucke, betrachte ich den Ring. Ob er es gemerkt hat? Ob er sich überhaupt Gedanken gemacht hat? Die hat sich aber reingesteigert, spricht ein Stimme für Zamir in meinem Kopf, sie denkt auch, es hätte eine noch tiefere Bedeutung.
Ich nehme den Ring von meinem Finger. Was denkst du dir eigentlich dabei, Aklima? Was erwartest du? Zamir kommt da auch schon und damit er den Ring nicht sieht, stecke ich ihn gleich in die Jackentasche.
Erst als wir fahren merke ich, dass er nicht reden will. Es war nur eine Ausrede, damit ich mich in den Wagen setze. Er ist still, angespannt.
Ich schlucke, will nicht diejenige sein, die wieder das Thema anspricht. »Kannst du langsamer fahren?«
Er schüttelt den Kopf, als würde ihm jedes Wort mehr kosten, als er bezahlen wolle.
»Zamir, ich will nur eins wissen«, es kommt nie zu einer Antwort, das ist es, was mich stört. »Es ist nur ein Ja oder ein Nein. Mehr nicht, mehr will ich nicht. Vertraust du mir?«
Er antwortet wieder nicht. Seine Finger umschließen das Lenkrad fester, seine Knöchel bekommen einen weißen Unterton.
»Vertraust du mir, verdammt?«, frage ich und meine Stimme wird dabei lauter. »Ja oder Nein?«
Ich atme tief ein und wieder aus. »Halt den Wagen an.«
»Bestimmt nicht«, hat der Albaner wohl wieder seine Zunge gefunden.
»Halt an, hab ich gesagt«, zische ich.
»Wie willst du von hier rechtzeitig zur Schule kommen?«
»Was interessiert dich dass?«, blaffe ich. »Lass mich runter, ich werde Güney anrufen.«
»Güney?«, wiederholt er lachend und spannt seinen Kiefer an.
Erst gibt er mir keine Antwort, dann lässt er mich nicht runter und als würde das nicht reichen, muss er jetzt auch noch so schnell, dass ich innerlich bete, dass wir keinen Unfall bauen.
Zamir parkt irgendwo in der Nähe der Schule, wo ich mich abschnalle und aus dem Wagen steige. Genauso schnell fährt er dann weg. Will wohl nicht in die Schule.
Ich lege die Hände in die Jackentaschen und laufe zur Schule. Dabei fühle ich den Ring. Hätte ich ihn zurückgeben sollen?
Zamir nimmt nicht am Unterricht teil und ich kann Jess nicht fragen, wieso sie ihn angerufen hat. Damit würde ich ja zugeben, dass ich nicht distanziert zu ihm bin und peinliche Fragen aufwerfen, wie was ich am frühen Morgen bei ihm mache. Wenn sie dann auch noch das mit dem Badetuch wüsste. Wieso kann ich das nicht einfach vergessen? Kann ich diese Bilder nicht durch Matheformeln ersetzen?
Beinahe den ganzen Tag über regnet es. Der Himmel scheint meine Stimmung zu repräsentieren. Dazu fordert unser Lehrer uns zu Gruppenarbeit, bei dem einer aus der Gruppe sich beim Lehrer beschwert, dass ich nicht mitmache. Ich kann mir also nach der Stunde noch anhören, wie schlimm das für mein Abitur wäre und er bessere Leistung von mir gewohnt ist.
Als ich über den Pausenhof schlendere, krame ich mir aus der Jackentasche meine Kopfhörer heraus. Dabei fällt mir auf, dass der Ring fehlt.
Der Ring fehlt.
Der Ring. Er fehlt.
Ach du Scheiße, wie kann das passieren?
Ich werde augenblicklich hysterisch und sehe mich um. In der Schule hatte ich ihn garantiert noch. Vielleicht habe ich ihn auf dem Hof verloren. Mein Kopf schießt in alle Richtungen. Mein Herz klopft bis zu meinen Ohren.
»Bitte nicht«, nuschele ich und verfluche mich dabei selbst. Wie bescheuert kann man eigentlich sein?
Er hat es dir anvertraut. Den Ring seiner Mutter hat er dir anvertraut. Er mag zwar momentan ein Arschloch sein, aber trotzdem hat er ihn dir gegeben. Zamir hat wahrscheinlich seinen wertvollsten Besitz dir gegeben. Als ich das denke, stoppe ich kurz, halte den Atem an- und werde noch hysterischer.
Während ich suche, werde ich immer verzweifelter. Die Wolken rücken immer näher aneinander, werden immer dunkler und die Straßen somit auch. Ich beleuchte den Weg mit dem Handy, aber werde nicht fündig, sodass meine Augen anfangen zu brennen. Schluchzend schiebe ich mein Haar zurück und blicke in eine der vielen Regenpfützen.
»Suchst du etwas?«, höre ich eine Stimme mich fragen. Ich drehe mich reflexartig um. Das hatte mir auch noch gefehlt. »Nein.«
Ich wische mir die Tränen weg, was so gut wie nichts bewirkt, weil meine Ärmel auch nass sind.
Mirjana sieht natürlich nicht halb so fertig wie ich aus. »Weinst du wegen Zamir?«
»Nein.«
Wieso versteht sie nicht?
Sie legt den hübschen Kopf schief. »Das brauchst du auch nicht. Das weißt du doch.«
Sie lächelt sanft. »Er weiß es nicht, oder? Deshalb geht er auf Abstand.«
»Wovon redest du, Mirjana? Ich hab keine Zeit für sowas.«
»Von Shane. Zamir geht auf Abstand, weil er denkt, dich vor Shane beschützen zu müssen.«
»Du weißt gar nichts.«
Ich lache bitter auf.
»Ich weiß nicht, was er benutzt, um Distanz zu schaffen, aber es scheint genützt zu haben. Aber er weiß eins nicht. Shane ist nicht wegen ihm dauernd hier.«
Ich mustere sie einen Augenblick. Das würde heißen, Zamir spielt vor, mir nicht zu vertrauen, um Abstand zu halten. Kann das sein? »Wegen wem sollte Shane dann hier sein?«
Sie lächelt leicht gezwungen und selbst das sieht schön an ihr aus. »Ich denke wegen mir.«
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Ich werde versuchen, das nächste Kapitel am Samstag zu veröffentlichen.
-hayaleyna
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