25- der Typ, der meinen Finger abmisst
25- der Typ, der meinen Finger abmisst
Mirjana lächelt plötzlich, nein sie strahlt. Dann winkt sie mich zu sich, als sei nie etwas passiert. Irgendetwas läuft hier gewaltig falsch.
»Versteht ihr euch wieder?«, fragte Zamir, an dessen Stimme seine Verwirrung zu hören ist.
»Nicht das ich wüsste«, nuschele ich, ohne den Blick von Mirjana zu nehmen. Sie kommt derweilen einige Schritte auf und zu. »Können wir bitte reden?«
Ich bewege mich zu ihr, weil ich auf jeden Fall vermeiden will, in Zamirs Gegenwart mit ihr zu reden. Im Moment handelt sie unberechenbar.
Zamir hält mich am Arm wieder zurück. »Du musst ihr nicht verzeihen.«
Jess hatte recht. Er ist auf meiner Seite. Ich meine, nein, natürlich gibt es keine Seite, aber er steht eben zu mir. Ich lächle leicht. »Ich weiß.«
Wir betreten die Schule und sind somit außerhalb der Sichtweise von Zamir. Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust auf dieses Gespräch, aber da sie sonst keine Ruhe gibt, ist es besser, das hinter mich zu bringen. »Was willst du?«
»Du hattest recht«, sagt sie mit einer starken Stimme. »Ich meine im Bezug auf Zamir, du hattest recht. Er behandelt jeden gleich und schenkt auch jedem dieselbe Aufmerksamkeit. Wenn man die Sache aus deiner Sicht sieht, bin ich wahrscheinlich die Schlampe, aber wenn man das ganze aus meiner Sicht sieht, bist du wirklich keine Heilige. Erst, wenn man die Situation aus der Ferne beobachtet, sieht die Sache anders aus.«
»Komm auf den Punkt.«
Sie nickt. »Dann werde ich nich kurzfassen.«
Bei den Pausen, die sie während des Redens macht, bezweifle ich das. »Er gibt einem das Gefühl, etwas besonderes in seinem Leben zu sein, keine Ahnung ob mit oder ohne Absicht. Und das nicht nur bei mir.«
Mirjana macht wieder eine Pause, erwartet, dass ich etwas erwidere. Versucht sie gerade wirklich anzudeuten, dass er auch mir Hoffnungen macht, dass auch ich auf ihn reinfalle?
»War es das?«, frage ich sie genervt. Das war definitiv nicht die Antwort, die sie erwartet hat.
Sie blinzelt daher. »Also- deshalb hab ich mich so verhalten. Weil ich mich in seinen Augen verloren habe.«
»Dann lerne endlich, Kontrolle zu bewahren.«
Ich presse die Zähne zusammen, verstehe gar nicht, wieso ich so wütend werde. »Ist gut, Mirjana. Aber lass mich da raus. Zamir und ich sind nur befreundet. Das kannst du ihn ja fragen. Er wird es bestätigen. Er macht mir weder weitere Hoffnungen, noch bekomme ich welche.«
»Ich hab mir bloß Sorgen gemacht. Dachte, dass du es auch falsch verstehen könntest-«
»Tu ich nicht. Danke.«
Ich gehe an ihr vorbei. Es hat zur Stunde geklingelt und dafür bin ich sehr dankbar. Den Rest des Tages bin ich damit beschäftigt, Mirjanas Worte aus meinem Kopf zu verbannen. Was interessiert es mich, wieso sie sich in Zamir verguckt hat? Wieso erzählt sie mir, dass sie sich in seinen Augen verloren hat? Es ist ja nicht so, dass man alles tun darf, nur weil man verliebt ist.
»Ich werde dieses Weib umbringen«, erklärt Jess. »Deine schlechte Laune ist wegen ihr.«
Ich schüttele den Kopf. Nach der Schule beschließen wir Zehra zu besuchen. Wir holen ihr Ballons und einen Strauß Rosen, sowie Schokolade. Sie freut sich, dass wir da sind, ist aber noch sehr kränklich. Ich gestehe erst dort, dass ich mit Mirjana geredet habe und den Ablauf des Gesprächs. Zehra kann Jess beruhigen, bevor sie ausrastet. »Sag mir nicht, dass du ihr verziehen hast!«
»Wir lassen und gegenseitig in Ruhe. Das ist doch das beste«, meine ich schulterzuckend und sehe Zehra Unterstützung bittend an. Zehra nickt bekräftigend. »Anstatt, dass sie ständig um Vergebung bittet, geht ihr euch aus dem Weg. Außerdem hast du sie genug gequält, Jess.«
Jess verschränkt die Arme und sieht dabei aus wie ein kleines Kind. »Kannst du damit aufhören? Sie hat mehr verdient.«
»Kann schon sein. Aber unrecht hat sie nicht. Er gibt einem schon das Gefühl, besonders zu sein. Selbst Freundschaft hat doch seine Grenzen, oder? Natürlich soll man freundlich sein, streitet ja keiner ab, aber wenn Güney ständig in der Mensa allein mit Mirjana sitzen würde und sie so behandelt, würde ich erst ihr die Haare ausrupfen, dann ihm.«
»Ist ja süß, bist du so eifersüchtig?«, neckt Jess sie. Ich bin immer noch beim Thema Zamir. »Er ist doch bloß nett«, versuche ich mir einzureden. Ich hatte eigentlich gehofft, Jess und Zehra würden das, was Mirjana sagt, komplett abstreiten und mich diese Gedanken vergessen lassen. Stattdessen aber gebe ich Mirjana nun selbst zum Teil recht. Aber was interessiert es mich? Er kann doch machen, was er will. Ich bin nicht seine Mutter, dass ich ihm vorschreiben kann, wie er mit wem umzugehen hat.
Als ich nach Hause laufe, sehe ich, wie Necmiye zwei großen Einkaufstaschen, vermutlich voller Katzenfutter, in Richtung Apartment hievt. Ich kämpfe dagegen an, zu ihr zu gehen, weil ich am liebsten jede Begegnung mit ihr vermeiden würde, es ist einfach zu peinlich. Es klappt aber nicht. Daher begrüße ich sie und nehme ihr die Taschen ab, die ich in ihre Wohnung bringe.
»Dün gece gözüme uyku girmedi. Sen daha iyilerine layıksın, kızım! (Gestern Nacht konnte ich kein Auge zudrücken, du bist besseres wert!«, beginnt sie ohne Begrüßung über Zamir zu reden. »İyi düşün! (Überleg es dir gut!)«
Ich nicke. »Düsünücem, teyze (werde ich machen)«, versuche ich das Thema schnell zu beenden.
Ich verabschiede mich dann von ihr und betrete endlich mein zu Hause. Ilayda sitzt auf der Couch und schaufelt Popcorn in sich hinein.
»Was sollte das heute?«, frage ich sie sofort. »Wie kannst du dich so verhalten?«
»Du hast doch schon geschimpft!«, protestiert sie. Ja, über den Verhalten bei Sevcan.
»Wenn du noch einmal Zamir sagst, er soll dich vor mit retten, schneide ich Boby, dem Teddybären, den Kopf ab.«
Mit dieser Drohung verschwinde ich in meinem Zimmer und versuche vergeblich zu lernen.
Ich merke erst da, eine Nachricht von "der Typ" erhalten hatte: "Was hat Mirjana gesagt, dass du so schlecht gelaunt bist?"
Da war ich noch im Unterricht gewesen. Mirjanas Worte fallen mir en. Ich verstehe das nicht falsch.
Ich antworte ihm nicht, sondern beschäftige mich zwingend mit Mathe. Mein Handy ist auf stumm geschaltet in der anderen Ecke meines Zimmers.
Irgendwann kommt Meine Mutter stürmend ins Zimmer. Zuerst scheint die Begeisterung in ihren Augen, dann aber wirkt sie besorgt. »Ist etwas los?«
Ich hab nicht einmal bemerkt, dass sie nach Hause gekommen ist. Meine Gedanken sind einfach zu laut. Ich schüttele den Kopf. »Bin einfach erschöpft.«
Meine Mutter setzt sich auf mein Bett und lächelt mich aufmunternd an. »Ich hab dich vernachlässigt, oder?«
»Nein-«
»Doch das hab ich. Erst kam Ilaydas Sturz und Krankenhausaufenthalt und dann Zamir.«
»Das stimmt nicht, ich bin nur müde.«
Sie macht einen gespielt wütenden Blick. »Ich weiß doch wohl den Unterschied zwischen Schlafmangel und Seelenschmerz!« Seelenschmerz? Meine Mutter kann ja noch dramatischer als Zehra sein.
»So eine schlechte Mutter bin ich jetzt auch nicht«, fügt sie hinzu. »Ich-«
Jetzt stoppt sie, schaut sich in ihre Hände. »Ich hab mich damit identifiziert. Du weißt, ich war sehr jung, als ich meine Mutter verloren habe. Meine Welt war komplett zerstört. Ich habe mich komplett fallen lassen, habe die Schule abgebrochen und mich zurückgezogen. Sieh mich jetzt an, was ist aus mir geworden?«
Ich stehe auf, kann mir das nicht anhören. »Hör auf, so etwas zu sagen! Wieso kritisierst du dich selbst? Sieh doch einmal, wie weit du es gebracht hast. Du stehst auf beiden Beinen und hast es aus so vielen komplizierten Situationen rausgeschafft. Du hast zwei ziemlich schwere Töchter, eine schlimmer als die andere.«
Sie hatte glasige Augen bekommen und wischt nun eine Träne weg und lacht.
»Du bist eine Kämpferin«, sage ich stolz. »Und du hast ein großes Herz. «
»Apropos großes Herz«, beginnt sie und kratzt sich am Hinterkopf. »Der arme Junge müsste alleine zu Hause essen und-«
»Was heißt müsste?«, frage ich sie, obwohl ich ahne, was das bedeutet.
»IchhabZamireingeladen«, nuschelt sie schnell und geht aus dem Zimmer. Mein Mund klappt auf.
»Sitz da nicht bloß rum und helf uns!«, mault Ilayda, die vor der Tür steht.
»Wieso wird mir alles immer als letztes gesagt?«, frage ich bestürzt. »Ich bleibe heute im Zimmer, ihr könnt allein mit euren Zamir im Wohnzimmer essen.«
»Sie mag ihn nicht, weil er mich gerettet hat«, denkt Ilayda meine Mutter aufklären zu müssen.
»Wovor gerettet?«, fragt meine Mutter. Ilayda macht eine wegwerfende Geste. »Das ist eine sehr lange Geschichte.«
Ich nehme mir wieder mein Handy und siehe da, der Typ hat meine Nachrichtenbox vollgeschrieben:
Zuerst: "Deine Mutter lädt mich zu euch ein.", dann, "Soll ich kommen?, "Aklima, verdammt, antworte doch einmal.", "Aklima", "Wenn du nicht antwortest, bin ich in zehn Minuten da.", als letztes dann in Großbuchstaben: "Wusste nicht, dass du mich so sehr vermisst hast."
»Ah Aklima, wieso siehst du nicht einmal auf deine Nachrichten?«, spreche ich mit mir selbst.
»Die hat sie nicht mehr alle«, kommentiert das Ilayda. Wie soll ich sie denn noch alle haben bei so einer Schwester?
Ich muss mithelfen, den Tisch zu decken und die Tür öffnen, als Zamir kommt.
»Sieh es als eine Wiedergutmachung!«, hat mir meine Mutter davor eingeredet. »Das Essen mit euren Direktor war ja die Katastrophe.«
»Vermisst?«, neckt Zamir mich, indem er auf seine Nachricht deutet. Das erste übrigens, was er sagt. Ich wünschte, Necmiye hätte ihn gesehen und ihre Katzen auf ihn losgelassen.
»Ja klar, unser Direktor übrigens auch. Sitzt gerade im Wohnzimmer.«
Sein Grinsen erlischt und er wirkt beinahe bleich. »Was?«
Ich beginne zu lauthals zu lachen.
»Das war nicht witzig.«
»Deine Nachricht auch nicht.«
»Da bist du ja! Komm doch rein!«, ruft meine Mutter glücklich und sie drückt mich zur Seite. Zamir ist ja auch der leibliche Sohn und ich die Dienstmagd.
Ich nehme Zamirs Jacke und hänge sie auf. Dieses mal riecht sie kaum nach Zigarette. Ich muss daran denken, dass er die über mich gelegt hatte, als ich eingeschlafen war und behauptet hatte, sie würde Simge gehören. Hat er bei Mirjana auch so etwas gemacht?
Wir essen zusammen und dabei fragt Ilayda Zamir eine Milliarde Fragen. Oder besser gesagt, essen die anderen, ich stochere nur im Essen herum. Ich hab keinen Appetit.
Weil ich mich in seinen Augen verloren habe, klingt Mirjanas Stimme in meinem Ohr. Wie kann man sich in seinen Augen verlieren? Es sind stinknormale Augen. Ich bemerke erst kaum, dass ich ihn die ganze Zeit anstarre und dabei die Brauen zusammenziehe, als müsse ich angestrengt nachdenken. Als ich es bemerke, sieht er mich mit einem verwirrten Blick an. Peinlicher geht es auch nicht.
»Ich bin sofort wieder da«, murmele ich und bezweifle, dass irgendjemand meine Worte verstanden hat. Trotzdem stehe ich auf und laufe in die Küche. Ich sollte Jess sagen, dass sie Mirjana noch einmal die Haare ausrupfen soll. Hat sie das absichtlich gemacht? Versucht sie mich zu verwirren?
»Aklima«, höre ich plötzlich Zamirs tiefe Stimme hinter mir. Erschrocken wirbele ich in die Richtung, was ihn belustigt. Arschloch.
»Was ist?«, frage ich daher.
»Das ist genau meine Frage. Was ist los? Bist du wütend auf mich?«
Ich schüttele den Kopf.
»Gerade sah es nicht danach aus. Ich hätte nicht gestaunt, hättest du deinen Messer nach mir beworfen.«
»Ich bin nur erschöpft.« Meine Ausrede für alles.
Er zuckt mit der Schulter. »Wenn das alles ist.«
Trotzdem scheint er nicht allzu überzeugt davon.
Ich schweige, senke die Blicke.
Zamir holt eine Schnur aus seiner Jackentasche und nimmt meine Hand.
»Was soll das?«, frage ich, bekomme aber keine Antwort. Auch gut.
Er legt die Schnur um meinen Ringfinger und macht einen Knoten.
»Zamir?«
Daraufhin zieht er die Schnur von meinem Finger, steckt ihn wieder in die Hosentasche und geht lächelnd aus dem Raum. Und was sollte das jetzt?
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Danke für eure Votes und Kommentare. Ich freue mich wirklich auf jedes Wort.
Ps. Ich habe übrigens auf meiner Fb-Seite geschrieben, dass ich mich "der Typ, der mein Verlobter sein soll" widmen werde. Hab einige Nachrichten bekommen mit der Frage, ob ich verlobt bin, war irgendwie lustig :D
-hayaleyna
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