Kapitel 2
Langsam schloss ich den Reißverschluss von dem gelben Kleid, welches ich eigentlich zu meinem Abschlussball hatte anziehen wollen. Belle hatte mir damals gesagt, dass ich in diesem Kleid aussah, wie die Sonne selbst - sie neigte gerne zur Übertreibung. Allerdings war ich von der Aussage nicht überzeugt gewesen und wollte mir trotz ihres Abratens das schwarze Kleid holen, bis sie sagte „Du siehst darin zwar gut aus, Süße, aber als würdest du auf eine Beerdigung gehen." Ich hatte ihr lachend zugestimmt, da sie wie immer Recht hatte, und mich aus diesem Grund für das Gelbe entschieden. Wie ironisch, dass ich das nun zu ihrer Beerdigung anzog...
Gelb war nicht gerade eine Trauerfarbe, aber es war das was Belle gewollt hätte. Wo auch immer sie war, sie würden sich die Hände über ihren Kopf zusammenschlagen, wenn ihre Beerdigung in einem eintönigen schwarz abgehalten werden würde. Das war einfach nicht ihr Stil gewesen, sie lebte fröhlich, vielfältig und nicht in Trauer. Einer der Gründe dafür, dass sie sich nicht umgebracht haben konnte. Jemand mit so einer Lebensfreude wie Belle, brachte sich nicht einfach um.
„Natalia. Wir müssen los", hörte ich meinen Vater sagen, der nun neben mir im Zimmer stand. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass er reingekommen war. Kurz nickte ich, ehe ich noch einen letzten Blick auf die Wand vor mir warf. Überall waren Fotos von Belle und mir. Sie hatte gerne Augenblicke auf Fotos festgehalten - auch, wenn die Magie der Erinnerung viel stärker waren. So hatte sie es immer gesagt. Eine ganze Zeit lang hatte ich es für albern befunden, doch irgendwann gewöhnte ich mich daran und machte die Fotos gerne. In diesem Moment war ich unglaublich dankbar dafür, diese Wand gab mir Kraft, für das was jetzt kommen würde. Die Fotos waren zwar nichts Besonderes - aber waren es nicht die kleinen Dinge im Leben, die es so einzigartig machten?
Wir hatten uns vorgenommen, diese Wand für immer fortzuführen. Jedoch war für immer ein großes Wort, ein Wort, das man nur schwer einhalten konnte. „Natalia", sagte meine Vater erneut und ich wandte mich von den Bildern ab. Selbst mein Vater, der sonst nur in seiner Uniform herumlief, hatte sich heute für ein knalliges Hemd in Rot entschieden. Warum besaß er sowas schrilles überhaupt? Er war ein hochrangiger Polizeibeamter in Chicago geworden, nachdem er die Armee vor wenigen Jahren als General verlassen hatte, um mehr Zeit zuhause zu verbringen. Da trug man keine knallroten Hemden. Mit dem Kopf nickte ich in Richtung seines Hemdes, worauf mein Vater grinste. „Das hat deine Mutter mir einmal zu einer Motto Party geschenkt. Das Thema waren die bunten 70er Jahre. Belle hätte bestimmt Gefallen an diesen Hemd gefunden und sich stundenlang über mich lustig gemacht. Zusammen mit dir."
Ein leichtes Lächeln schlich sich in mein Gesicht - ich wusste, dass er Recht hatte. „Du siehst aber auch wirklich bescheuert aus", murmelte ich leise und mein Vater lachte erneut auf. Eigentlich war es Belles Aufgabe gewesen, so schonungslos ihre Meinung zu sagen. Doch sie war nicht mehr hier um es zu tun - und jemanden musste dem General sagen, wie er in dem Teil aussah. „So und jetzt komm", befahl er. „Ja, General Sullivan", antwortete ich ihm. Mein Vater nickte und ging aus dem Zimmer, während ich mir noch hastig meine Brille aufsetzte. Normalerweise trug ich sie nicht - aber heute hatte ich Angst, dass ich mir die Kontaktlinsen aus den Augen weinen würde. Dann folgte ich meinem Vater auf dem schwierigsten Weg meines bisherigen Lebens.
⚖
Eine gefühlt endlose Autofahrt später standen wir auf den Calvary Cemetery direkt vor dem schneeweißen Sarg, in dem meine beste Freundin lag. Ich wollte meinen Blick davon abwenden, doch es gelang mir nicht. Stattdessen kehrten nun die Tränen wieder zu mir zurück. Obwohl ich versuchte gegen anzukämpfen schluchzte ich auf. Im nächsten Moment spürte ich wie meine Mutter ihren Arm um mich legte, wofür ich ihr sehr dankbar war.
„Liebe Gemeinde", fing der Pastor an und mir gelang es endlich den Blick von dem Sarg abzuwenden. Der Pastor war der einzige Besucher der Beerdigung, der in schwarz gekleidet war. Ansonsten war es eine bunte Ansammlung von Menschen - und es waren viele gekommen. Viele, die sich von Belle verabschieden wollten. Aber was bedeute Abschied? Konnte ich mich überhaupt schon von ihr verabschieden? Ich konnte die Worte des Pastors nicht verstehen, obwohl ich sie hörte. Die Tränen tropften nur so auf das Gras, in meinen Ohren rauschte es laut. Mein Herz pochte schmerzhaft gegen meine Brust, als wollte es mir mitteilen, dass es zu Belle in diesen Sarg springen will. Als könnte es nicht alleine hier bleiben - als wollte es nicht alleine hier bleiben. Und ein Teil von ihm schaffte es sich loszulösen und würde nun mit meiner besten Freundin begraben werden.
„Talia, deine Rede", flüsterte mein Vater mir zu und riss mich somit aus meinen Gedanken. Der Pastor sah mich ebenfalls abwartend an. Zitternd trat ich einen Schritt hervor, zusammen mit Belles Eltern stand ich in der ersten Reihe. Von daher war es gar nicht nötig gewesen, dass ich mir erst einen Weg durch die bunten Menschen bahnen musste. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen, in vollem Bewusstsein darüber, dass sie sowieso gleich wieder kommen würden. Dann warf ich einen kurzen Blick auf Belles Eltern, die mir zunickten. Wie schrecklich musste es für sie sein, das eigene Kind begraben zu müssen? Jemand hatte ihnen Belle genommen. Jemand hatte Belle mir genommen und irgendwann würde ich wissen, wer. Aber in diesem Augenblick spielte ihre Todesursache keine Rolle, nicht heute. Sie war fort - und es gab nichts Schlimmeres.
Ich räusperte mich und sah zu meinem Vater, damit ich allen anderen Blicken ausweichen konnte. „Belle ist meine beste Freundin. Dreizehn Jahre lang war sie immer an meiner Seite und hat sie nie verlassen. Diese Tatsache machte sie zu einer großen Persönlichkeit, mit einem noch größeren Herzen. Mit ihren Gedanken und ihren Träumen hat sie jeden von uns inspiriert, sie hat mich dazu inspiriert eine bessere Person zu sein. Es wird kein Tag vergehen, an dem du hier nicht vermisst wirst, Belle." Während ich den letzten Satz aussprach, sah ich erneut zu dem Sarg. Es war real, sie war wirklich weg.
„'Jetzt mache ich mich auf die Suche nach dem großen vielleicht.' Das war ihr Lieblingszitat aus einem ihrer Bücher. Sie hat mir immer gesagt, dass sie bald auf ihre persönliche Suche gehen wird, dass sie ihr großes Vielleicht finden wird. Genau dort, wo ihre Träume sie hinleiten." Mit Tränen in den Augen legte ich meine Hand auf den kalten Sargdeckel und bemühte mich darum, dass meine Stimme nicht abbrach. „Ich weiß Belle, deine Suche nach dem großen Vielleicht ist nicht so, wie du dir sie vorgestellt hast. Aber egal wo du bist, ich hoffe, du führst sie dort fort und findest genau das was du suchst und was du verdienst."
Ich hörte wie jemand laut aufschluchzte, vermutlich ich selbst, und taumelte schnell zu meinen Eltern zurück, die mich sofort wieder in den Arm nahmen. Hoffentlich findest du dein vielleicht, Belle.
⚖
Nachdem die Beerdigung beendet gewesen war, hatte ich meine Eltern gebeten, vorzufahren und mich an den Strandabschnitt ganz in der Nähe des Friedhofes begeben. Nun saß ich hier in meinem gelben Kleid, die Hände in dem warmen Sand vergraben und hörte den Wellen dabei zu, wie sie gegen das Ufer schlugen. Ein beruhigendes Geräusch.
„Talia, ich muss mit dir reden." Überrascht sah ich hoch und entdeckte Alexander vor mir, in dem weißen Anzug mit dem blauen Hemd. Vermutlich war er auch bei der Beerdigung gewesen. „Was gibt's?", fragte ich leise, auch, wenn ich eigentlich nur in Ruhe gelassen werden wollte. „Ich weiß, es ist der falsche Zeitpunkt. Aber ich glaube nicht, dass Belle sich umgebracht hat. Ich will die Wahrheit herausfinden und ich denke, dafür könnte ich deine Hilfe gebrauchen."
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