
Kapitel 12- Seltsames Telefonat
"Mama... Können wir uns vielleicht einmal dein Handy leihen?" Neugierig spähte ich um die Ecke, aufmerksam darauf bedacht, nur nicht aufzufallen. Wenn wir sie zu dritt darum gebeten hätte, wäre sie sicher misstrauisch geworden. Aber Ingrid und Sverre hatten mich auch nicht dazu bringen können, alleine im Zimmer sitzen zu bleiben und darauf zu hoffen, dass sie es schon schaffen. Ich hatte mitkommen müssen, wäre sonst endgültig durchgedreht. "Warum denn das? Ihr habt doch beide selber eins!" Und nun stand ich hier, einigermaßen hinter der Tür versteckt, und verzweifelte vollkommen, weil ich nicht sehen konnte, wie Mette reagierte, es nur anhand ihrer Stimme erahnen konnte. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe. Mit so einer Frage hatten wir alle nicht gerechnet, hatten einfach nur gehofft, sie würde uns helfen, ohne Fragen zu stellen. Jetzt musste Ingrid improvisieren- Hoffentlich einigermaßen mit Erfolg. Einen Plan B hatten wir nicht. "Nun ja... Unsere Handys haben keinen Akku mehr. Nix. Null Prozent. Die sind ausgegangen. Und ich muss Lykka dringend anrufen! Mir ist gerade eingefallen, dass sie wir bis morgen noch ein Referat abgeben müssen. Wenn wir das nicht tun, fallen wir durch! Wir müssen auf der Stelle anfangen!"
Wow, sie war wirklich gut im Improvisieren. Vielleicht hatte sie etwas dick aufgetragen, aber sie war gut. Angespannt schluckte ich. Hoffentlich war sie auch gut genug. Hoffentlich glaubte Mette-Marit ihr. Hoffentlich... "Na gut..." Innerlich machte ich einen kleinen Hüpfer konnte mein Glück nicht fassen. Wir hatten es geschafft! Das Blatt wandte sich zum Guten! Wir... "Aber wehe, ich rufe nachher bei Lykkas Mutter an und sie weiß nichts von einem Referat! Macht keinen Blödsinn!" Ach du Scheiße... Das Referat war dann wohl doch etwas zu viel des Guten gewesen. Na super... Aber Ingrid schien diese Einschränkung nicht sonderlich viel auszumachen. "Sie weiß Bescheid, keine Angst! Ich bin dann mal weg..." Als sie, gefolgt von ihrem Bruder, zu mir huschte, konnte ich mir ein erleichtertes Aufseufzen nicht verkneifen. Gemeinsam gingen wir zurück zu meinem Zimmer, das Handy ihrer Mutter hielt Ingrid wie einen Schatz in ihren Händen.
"Warum in aller Welt lässt deine Mutter dich nicht ihr Handy nehmen? Meine Mutter, also jetzt nicht Kate, meine Adoptivmutter, nein, das klingt so kalt... Ihr wisst was ich meine, nicht?" Hilfesuchend sah ich zu meinen neuen Freunden, die sich neben mich auf das Bett sinken ließen. Ingrid grinste nur. "Ach, das ist so eine alte Geschichte, die meine Mutter mir schon dreitausend Mal erzählt hat. Sie hat einmal Marius... Du weißt ja, wer das ist?" Als ich nickte, fuhr sie fort. "Auf jeden Fall hat sie Marius ihr Handy gegeben, damit er damit spielen kann. Da muss er so acht oder zehn Jahre alt gewesen sein. Anstelle zu spielen hat er sich allerdings ihre Notizen durchgelesen und dabei irgendetwas von irgendeiner Sache - Frag mich nicht, von was- gelesen, von dem sie sich unsicher war, ob die Öffentlichkeit es erfahren soll oder nicht. Darunter stand die Nummer der größten norwegischen Tageszeitung. Und es könnte sein, dass er dort angerufen und alles erzählt hat..." Sie grinste. "Und jetzt hat sie eben ein wenig Angst, dass wir auch so eine Scheiße bauen"
"Okay, dann verstehe ich sie" Ich musste grinsen und schnappte mir das Handy. Als ich es anschaltete, stockte ich. "Scheiße... Hat sie dir den Code gesagt?" "Den weiß ich schon mein ganzes Leben lang. Ist bei jedem Handy derselbe. Und du glaubst nicht, wie lang der ist... Zuerst ihr Hochzeitstag und dann der Geburtstag von meinem Vater" Schnell tippte sie etwas ein und reichte mir das Handy rüber. Kurz starrte ich den Hintergrund an, der ein Familienfoto zeigte, ehe ich auf die Telefon-App ging. "Wo sucht man jetzt? Unter W wie William oder unter e wie englischer Prinz?" "So wie ich meine Mutter kenne, müssen wir unter w suchen" Lächelnd nahm Ingrid mir das Handy erneut aus der Hand, während ich neben ihr dezent hyperventilierte. Was, wenn sie Williams Telefonnummer jetzt doch nicht hatte, auch wenn Sverre sich vorhin in diesem Punkt so sicher gewesen war...
"Na bitte! Dann ruf einmal deinen Vater an!" Triumphierend hielt Ingrid mir das Telefon unter die Nase, so dicht ans Auge, dass ich gar nichts lesen konnte. Perplex sah ich erst zu ihr, dann zu der Telefonnummer, die auf dem Display prangte. Die Norwegerin hatte recht behalten. Tief durchatmend starrte ich den Kontakt an. Was wollte ich ihnen denn überhaupt sagen? Zu große Angst hatte ich davor, dass alle meine Hoffnungen zerbrechen würden. Dass Charles doch nicht der Sündenbock war. Dass meine Eltern mich einfach nur loswerden wollten. Unsicher nahm ich das Handy in die Hand, mein Finger schwebte über dem Anrufsymbol. Sollte ich wirklich... Ja. Im Moment war ich mir einfach nur sicher, dass die Ungewissheit tausend Mal schlimmer war, als die schlimmste Wahrheit es je sein könnte. Kurz entschlossen rief ich meinen Vater an.
Er hob fast sofort ab. Gut, denn so hatte ich nicht länger Zeit, zu zögern und eventuell doch wieder aufzulegen, ehe ich mit ihm gesprochen hatte. "Mette? Warum rufst du an?" Einerseits klingt seine Stimme etwas genervt, andererseits glaubte ich, einen ängstlichen Unterton herauszuhören. Doch ich konnte nicht länger überlegen. Ich musste mich bemerkbar machen. "Ähm... Hier ist nicht Mette-Marit. Ich bin es. Isabella" Er stockte kurz, ehe er mir antwortete. "Oh" Seine Stimme klang so kalt, dass ich beinahe zitterte. "Was willst du, Adele?" er betonte meinen falschen Namen mit so einem Hass, dass mir Tränen in die Augen steigen. "Was... Was meinst du damit?" Es verwunderte mich, dass ich es überhaupt noch schaffte, ein Wort hervorzubringen. "Du hast uns komplett verarscht, Adele. Glaubst du wirklich, dass wir noch etwas mit dir zu tun haben wollen?" Seine Worte trafen mich mehr, als ich es je beschreiben könnte. Und doch glaubte ich, etwas aus seiner Stimme herauszuhören, das mich seltsamerweise ein wenig tröstet. Es war, als falle es ihm schwer, diese Worte auszusprechen, auch wenn ich es mir vielleicht nur einbildete. Doch so schnell, wie diese Andeutung gekommen war, verschwand sie wieder. "Ruf uns nie mehr an. Versuch nie, uns wiederzusehen. Es ist vorbei, Adele. Deine Spielchen sind vorbei" Das waren seine letzten Worte. Dann legte er auf.
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