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14. Kapitel: Haddock
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Er rannte keuchend in die Umkleidekabine. Zitternd fuhr er sich durch die Haare. Das Fußgetrappel auf dem Flur wurde lauter und Mel schluckte. Die Tür wurde aufgerissen und drei riesige Typen kamen auf ihn zu. Der eine war ziemlich fett, der eine hatte eine furchteinflößende Narbe am Kinn und der dritte stand daneben und sah aus, als würde er versuchen, möglichst unbeteiligt zu gucken.
"Was wollt ihr denn?", fragte Mel. Seine Stimme war zittriger als gewollt. "Dich am Boden sehen." Der Fette lachte und platzierte seine Faust in Mels Gesicht. Keuchend stolperte der gegen ein Schließfach und sank zu Boden. "Brav", zischte die Narbe. Tränen stiegen ihm in die Augen.
"Was habt ihr ihm getan!"
"Ohh gar nichts", grinste der Fette. "Aber wenn der weiterhin mit dir abhängt, dann müssen wir da was machen, der hat Potenzial..."
Sie sprachen über Mels besten Freund.
"Was?"
"Potenzial", wiederholte der Fette. "P-o-t-ä-" Die Narbe schnaubte. "Ehrlich, wenn du noch dümmer wärst, könntest du unserem Haddock hier Konkurrenz machen."
Ein fieses Lächeln blitzte Mel entgegen. Der Dritte sah ihn mitfühlend an. "Kein Molyngton mehr, ja?", lachte die Narbe. "Oder dem passiert was." Mit diesen Worten ließen sie ihn allein. Mel atmete tief durch. Eilig rappelte er sich auf und hastete nach Hause.
An der Bushaltestelle wartete Trevor wie immer auf ihn. "Hey, na?". Er knuffte seinen besten Freund spielerisch in die Schulter. "Scheiße, wie siehst du denn aus?"
Trevor kramte in seiner Tasche nach einem Taschentuch. "Danke", murmelte Mel und hielt es sich an die blutende Nase. "Waren es wieder die Selben?" Trevors Miene verfinsterte sich.
"Nein", log Mel. Er bekam einen aufmunternden Blick. "Eis?", fragte Trevor. "Nein, du kannst mich nicht ständig auf irgendwas einladen, jetzt wo es bei euch knapp ist und so..." Mel schüttelte den Kopf. "Dann zahl halt selber", nörgelte Trevor.
"Na schön", gab er nach.
Der Bus nach Oxford Circus hielt und sie stiegen ein. Schweigend sah Mel aus dem Fenster, während Trevor glücklich vor sich hin brabbelte. Am Carlyle Square stiegen sie aus. Das My Old Dutch war ein kleiner Laden in der Kings Road. Die Fensterrahmen waren in einem grellen Orange gestrichen. Mel ließ sich steif auf einem der Stühle nieder. Trevor musterte ihn. "Wirklich alles gut?" Schnell nickte er. Sie bestellten ihr Eis, ein paar Minuten später stellte der Kellner die Becher vor ihnen ab. Während Mel keinen Bissen runterbekam, fing Trevor zögerlich an zu essen.
Schließlich brach er das Schweigen. "Also, du weißt hoffentlich, dass du mir sagen kannst, wenn was ist..."
"Hör auf, es ist nichts!" Es tat Mel leid. Trevor war schon immer sein Vorbild gewesen und nun verhielt er sich unmöglich. Der zuckte. "Ok, ok, is ja gut." Trevor lächelte. "Du musst nicht reden, war nur n Angebot." Er seufzte.
Immer noch schweigend liefen sie die Straße hinunter. Trevor hätte eigentlich in eine andere Richtung gemusst, aber er blieb. Wie immer. Mel hatte sich oft gefragt, was Trevor in ihm sah. Irgendwann standen sie an der Themse und blickten aufs Wasser. Sie standen oft auf der Albert Bridge, lehnten am Geländer und beobachteten stumm die vorüberfahrenden Boote. Langsam hob Trevor seinen Blick. "Mel?"
"Hm?", machte der. "Ich...ich muss dir etwas sagen..." Trevor wirkte ziemlich nervös und spielte an seinem silbrig glänzenden Armband rum. Mel hatte es vor Jahren seine Mutter geklaut, um es ihm zum Geburtstag zu schenken.
"Was denn?" Er schluckte. "Ich, ähm.."
Trevor atmete tief durch. Er sah überfordert aus. "Weißt du noch, als ich dir erzählt habe, dass ich Emma aus der Siebten ganz süß finde?"
Mel nickte.
"Das war gelogen."
Er stutzte. "Das ist alles? Dein großes Geheimnis? Du hast einen Crash gefaket? Das ist mir doch egal, Trevor. Mein Leben hing nicht davon ab, dass du auf Emma aus der Siebten stehst." Mel lachte leise.
Trevor biss sich auf die Lippe. "Mel! Ich...stehe gar nicht auf Mädchen. Ich bin schwul."
Erwartungsvoll sah er seinen Freund an. "Oh", machte Mel. Er dachte an die Drohung seiner Peiniger. Dem passiert was. Zum zweiten Mal an diesem Tag traten ihm Tränen in die Augen.
"Wir können keine Freunde mehr sein", sagte er. Trevor hielt inne. "Was?"
"Es tut mir Leid, wenn sie das hier sehen, dann...die bringen dich um."
"Wer ist sie? Was erzählst du da?" Trevor zögerte. "Es ist, weil ich schwul bin, oder? Und du bist nur zu feige mir zu sagen, dass du ein Arschloch bist." Seine Stimme zitterte und seine Augen wurden feucht. Er versuchte, es zu unterdrücken, aber Mel kannte diesen Gesichtsausdruck. Es war derselbe, wie vor ein paar Wochen, als Trevor ihm erzählt hatte, dass seine Mutter an Krebs gestorben war.
Verletzt, verunsichert, traurig und verzweifelt. Er schluckte.
"Mel?", hauchte Trevor erschrocken, als der langsam den Kopf schüttelte. "Was tust denn da? Ich weiß, dass du lügst."
"Das ist nicht wahr! Ich bin nicht homophob, aber..."
"Aber?" Eine Träne rollte über seine Wange. "Guck mich an, wenn ich mit dir rede."
Mel ließ den Blick gesenkt.
"Ich wusste es! Du lügst. Du lügst mich an. Du findest mich eklig, nicht wahr? Und jetzt schiebst du es auf..."Sie"? Mel konnte Trevors Herz förmlich knacksen hören. Seine Lippen bebten.
Mel nickte. Er schloss die Augen. Dann ging er an seinem besten Freund vorbei und ließ ihn alleine auf der Brücke stehen.
Aus dem Augenwinkel erkannte er noch, wie Trevor das Armband von seinem Handgelenk riss und es in die Themse schleuderte.
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Trevor schaffte es genau zwei Schritte in die kleine Wohnung, bevor er zusammenbrach, an der Tür hinabglitt und weinte. Die Tränen liefen heiß sein Gesicht runter. Verzweifelt stützte er seinen Kopf in die Hände. Er hatte es zerstört. Es war zu Ende. Kaputt und es war seine Schuld. Als er sich dazu im Stande fühlte, rappelte er sich auf und ging in die Küche. Im Schrank standen ein paar Flaschen Schnaps. Ohne Hemmungen kippte er sich fast den halben Inhalt der ersten Flasche in den Mund. Es brannte in seinem Rachen, doch seine Trauer verblasste.
Am nächsten Morgen kam er eine halbe Stunde zu spät in die Schule. Er hatte tiefe Schatten unter den geröteten Augen und sein Atem roch nach Alkohol. Er setzte sich hin und schlief etwa drei Mal ein. Nach der Stunde beobachtete er Mel, der von den selben drei Schülern, wie immer durch die Gegend geschubst wurde. Trevor zögerte. Dann ging er schnurstracks auf sie zu und donnerte seine Faust in ihre dämlichen Gesichter. Jedes Einzelne. Die Typen liefen keuchend weg. Nur Mel rutschte auf den Boden und hielt sich erschrocken die blutige Nase.
"Du hast es verdient", zischte Trevor. "Aber glaub ja nicht, dass ich diese Arschlöcher weiterhin an dich ranlasse."
Mel schluckte. "Wie meinst du...es tut mir so leid!" Trevor schnaubte. "Wie bitte?"
"Wir können keine Freunde mehr sein!", sagte Mel panisch und sah sich um. Trevor kniete vor ihm, eine Hand auf seinem Knie. "Was hab ich dir getan?", fragte er leise. "Geh, bevor sie dich auch noch holen!"
"Mel, das ist doch albern, ich werd mit denen alleine fertig...hast du alles ernst gemeint?" Er zögerte. Auch Mel hielt inne. Und schrecklicherweise sagte er nichts. Er stand taumelnd auf und ging einfach weg.
Trevor spürte einen kleinen Stich in der Brust. Alle Freundschaften endeten irgendwann. Aber Mel konnte er doch nicht einfach so vergessen.
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