Kapitel 24
Lorelei
Der Rückweg zum Schloss schien sich unendlich in die Länge zu ziehen. Ich war mir bewusst, dass wir noch nicht lange unterwegs waren, aber es fühlte sich dennoch so an, als würden wir uns in Zeitlupe fortbewegen.
Tressa führte die Truppe voran und ich spazierte in der Mitte, neben Lyen und Naqai. Die zwei Brüder verhielten sich eher ruhig, was mich mit meinen vielen Gedanken völlig allein ließ.
Es war schwer gewesen mich von Dorean zu verabschieden. Wir hatten so viel zusammen erlebt und durchgemacht und er war immer für mich da gewesen. Seine Anwesenheit fehlte mir jetzt schon.
Ich zwang meine Gedanken mit einem Kopfschütteln fort. Nein, jetzt war nicht der Zeitpunkt mich meinen Gefühlen hinzugeben. Ich musste mich auf meine Pflichten als Prinzessin und künftige Königin konzentrieren.
Wie kommt der Wiederaufbau des Schlosses voran?
Was soll ich bei unserer Rückkehr als erstes tun?
Wie soll der nächste Schritt am Besten aussehen?
Genau, diese Fragen sollte ich mir zurzeit stellen, nicht:
Wie es bei Dorean wohl läuft?
Haben er und die Nixen den Naja schon gefunden?
Wie lange, bis ich sie wiedersehe?
Das laute Fragengeschwirr in meinem Kopf wurde von einem Ruf unterbrochen. Ich sah erschrocken zur Seite, wo Naqai mit einem Arm in den Himmel zeigte. Ich folgte seinem Finger und blickte über die Köpfe meiner Soldaten, wo ein einzelner Vogel uns entgegenflog.
Der Flügel- und Schwanzform nach zu urteilen, handelte es sich dabei um eine Schwalbe. Taumelnd flog sie hin und her und verlor stetig an Höhe. Sie war nun schon so tief, dass sie fast mit mir kollidiert wäre. Ein paar Meter neben uns, stürzte sie letztendlich zu Boden.
Ich hatte gerade erst richtig registriert, was vorgefallen war, da huschte Lyen schon an mir vorbei. Er fiel vor dem kleinen Tier auf die Knie und begann sofort es nach Verletzungen abzusuchen.
Naqai zwängte sich an den Soldaten vorbei, die sich um uns herum versammelt hatten und lief zu seinem Bruder hinüber. Er sah über Lyens Schulter und kam gleich wieder zu mir gelaufen.
„Das is' 'n Metamorph", flüsterte er mir ins Ohr.
Metamorph? Also ein Gestaltenwandler?
„Warum ist er abgestürzt? Ist er verletzt?" fragte ich automatisch.
„Weiß ich nich'. Aber keine Sorge, Lyen kümmert sich schon drum."
Ein grelles, weißes Licht blitzte im Gras auf. Ich hob eine Hand, um meine Augen vor dem Licht zu schützen, musste letztendlich aber ganz wegsehen.
„Naqai!" rief Lyen plötzlich, woraufhin dieser sofort loslief. Diesmal folgte ich ihm zu Lyen, doch musste feststellen, dass ich auf die folgende Sicht nicht vorbereitet war. Nicht im Geringsten.
Vor mir lag nun ein junger Mann auf dem Rücken. Er hatte schwarze, seidige Haare, deren Spitzen bis zu seinen Wangenknochen reichten. Und er trug keine Kleidung... Er war splitterfasernackt!
Schnell legte ich mir die Hände vor die Augen. Ich war mir sicher, dass ich bis hinter die Ohren rot angelaufen war. Wie beschämend! So etwas sollte ich doch erst bei meinem Ehemann sehen.
„Du kannst wieder gucken", murmelte Naqai nach einem kurzen Moment.
Vorsichtig linste ich durch meine Finger hindurch und sah, dass Naqai dem Metamorph seinen weißen Umhang übergelegt hatte. Ich seufzte erleichtert und ließ meine Arme an meine Seite fallen. Dann hockte ich mich neben Lyen und ignorierte dabei den amüsieren Blick, den Naqai mir zuwarf.
„Wie geht es ihm?" fragte ich den jungen Heiler.
Während ich auf Lyens Antwort wartete, beäugte ich den ohnmächtigen Mann. Was mir natürlich sofort ins Auge stach, war sein Mal – ein interessantes Muster auf seiner Haut. Zwei türkis- und goldfarbene Linien schlängelten sich über seine Stirn, wie ein dünner Blumenkranz. Die Farben glitzerten wunderschön im Sonnenlicht.
„Er hat soweit keine schlimmen Verletzungen. Ein paar Kratzer und Prellungen von dem Absturz eben. Aber sein Körper is' total erschöpft. Is' wohl einfach zusammengebrochen. Deshalb is' er abgestürzt."
„Dann braucht er also nur ein wenig Ruhe", beschloss ich.
Mit einem Nicken von Lyen als Bestätigung, stand ich auf und winkte Tressa zu mir herüber.
„Wir sollten das Lager aufschlagen. Die Sonne wird ohnehin bald untergehen und wir können einen ohnmächtigen Mann nicht hier liegen lassen."
Der Kommandeur nickte. „Prinzessin, ihr wisst, dass Ihr Euch nicht vor mir zu rechtfertigen habt. Ein Wort hätte auch genügt."
Damit drehte sich Tressa zu den Soldaten und begann sie auf der Fläche herumzuscheuchen, bis das Lager fertig aufgebaut war.
Ich verbrachte den Abend in meinem Zelt weiterhin in Gedanken, nur dass sich jetzt der Großteil davon um den Metamorph drehte und weniger um Dorean. Am liebsten hätte ich den ohnmächtigen Mann aufgeweckt, um ihn auszufragen, doch er brauchte nun erstmal seinen Schlaf. Und ehrlich gesagt brauchte ich den ebenfalls. Die Reise war so schon anstrengend genug, es sollte eigentlich ein Klacks sein in den Schlaf zu fallen, doch meine vielen Gedanken machten es mir nicht leicht.
Letztendlich musste ich es doch irgendwann geschafft haben, denn ich wurde am Morgen von Tressas Stimme geweckt.
„Prinzessin!" rief sie nun bestimmt zum dritten Mal, als ich endlich meine Augen aufschlug.
„Ich soll Euch von Lyen Bescheid geben, dass unser Gast wach ist", erklärte sie, während ich mir den Schlaf aus den Augen rieb.
Schnell sprang ich auf die Beine und zog mir meine Reisekluft über. Bevor ich mich zu dem kleinen Zelt aufmachte, das die Nixen bewohnten, hielt ich jedoch nochmal an, um mich richtig zu strecken.
Sofort fielen drei paar Augen auf mich, als ich den dünnen Stoff des Zeltes zur Seite zog und hineintrat.
„Guten Morgen", grüßte ich freundlich in die Runde.
„Morgen", grüßten Lyen und Naqai zurück. Der Metamorph jedoch, setzte sich aufrecht hin und rückte ans andere Ende des Zeltes. Ich versuchte mir nicht viel dabei zu denken, doch das stellte sich als unmöglich heraus, mit dem gehässigen Blick, den mir der Mann entgegenwarf. Er trug noch immer keine Kleidung, nur eine Decke über seiner unteren Hälfte.
Anstatt näher zu kommen, kniete ich mich am Eingang hin und sah zu Lyen, welcher mir einen bemitleidenden Blick zuwarf.
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