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Ich konnte es kaum abwarten nach Hause zu kommen und als ich die Türe öffnete, roch ich etwas Gebratenes. Kein Fleisch, Gott sei Dank, sonst hätte ich die Wette bestimmt verloren.
„Hey!", lächelte Alaina, als sie sich umdrehte. Sie stand in der Küche und hantierte mit Töpfen und Pfannen herum. Loaf rannte sofort wieder zu ihr.
„Du kochst?"
„Ich hatte Hunger."
„Ich hab doch gar nichts zu essen zu Hause."
Sie grinste mich an, als sie Loaf kraulte. „Tja, du bist eben nicht der Einzige, für den Mrs. Graves immer einkaufen gegangen ist. So musste ich nicht raus."
Ich schlüpfte aus meiner Jacke. „Und es hat sie nicht gewundert, dass du hier bist? In meiner Wohnung?"
„Bestimmt. Vermutlich weiß es morgen schon das ganze Stockwerk", lachte sie und ich konnte nur hoffen, dass es so war. Dann würde Juliana vielleicht ähnlich irritiert sein, wie ich es war, jedes Mal, wenn ich sie mit Kamara zusammen sah. „Hast du Hunger?"
„Könnte was vertragen." Sie suchte meine Schränke nach den Tellern ab, während ich überlegte, wie ich sie am besten ausquetschen konnte, ohne, dass sie sofort wieder komplett dicht machen würde.
Ich fand, dass ich die Wahrheit verdient hatte.
Sie deckte den Tisch, ich fand eine große Flasche Cola im Kühlschrank vor und füllte zwei Gläser, während sie die Risottopfanne mit dem gebratenen Gemüse auf den Tisch stellte.
„Ich war mir nicht sicher, ob du Fleisch isst."
„Im Augenblick nicht, nein."
Sie fragte nicht weiter und ich war dankbar, dass ich nicht wieder über Juliana reden musste.
„Wow", sagte ich, sobald ich mir den ersten Löffel in den Mund steckte. „Du kannst wirklich verdammt gut kochen."
„Was soll man sonst auch tun, wenn man den ganzen Tag nur zu Hause sein kann?", entgegnete sie. „Ich arbeite nur noch nachts und... und tagsüber gehe ich nicht raus, also..."
Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Das Essen war zu gut und als ich das nächste Mal aufsah, war mein Teller leer und Alaina grinste mich schief an, weil sie ihre Portion kaum bis zur Hälfte aufgegessen hatte.
Ich fand, dass es Zeit war, das unausweichliche Gespräch zu führen, trank meine Cola aus und räusperte mich. „Mich hat heute die Polizistin angerufen, die in deiner Wohnung war."
Ich erwartete einen erschrockenen Gesichtsausdruck, aber Alaina sah mich ehrlich überrascht an. „Wieso dich?"
„Weil ein gewisser Jemand offenbar nicht an sein Handy geht."
Sie griff sie an die Stirn und schloss die Augen. „Verdammt. Das war die Polizei?"
„Was meinst du?"
„Die unbekannten Anrufe. Ich hab mir abgewöhnt, ans Handy zu gehen, wenn jemand anruft, das... es ist oft jemand Unerwartetes dran gewesen."
„Dein Stalker hat dich angerufen?", fragte ich ungläubig. „Und das erzählst du mir jetzt erst?"
„Es war nicht wichtig." Sie zuckte mit den Schultern. „Er hat nie etwas gesagt. Nur... laut geatmet. Vielleicht hat er während den Anrufen... du weißt schon... Dinge getan, die anständige Menschen nicht unbedingt tun, wenn sie-"
Ich hob die Hand und verzog das Gesicht. „Danke, ich weiß, was du sagen willst. Aber ich habe gerade gegessen und will mir nicht vorstellen, wie sich ein Perverser einen von der Palme wedelt, während er dich anruft." Sie zog die Schultern hoch, senkte den Blick und legte den Löffel weg.
„Bei mir bist du ans Handy rangegangen", bemerkte ich dann.
Verwirrt sah sie wieder auf. „Was?"
„Als ich dich angerufen habe. Wegen des Kinos."
Sie lächelte leicht. „Ich wusste ja, dass du meine Nummer hast. Und ich dachte... dass du mich bestimmt bald anrufen würdest. Deshalb bin ich rangegangen. Das mit der Polizei habe ich irgendwie total vergessen. Was wollte sie denn?"
Ich lud mir noch eine Portion Risotto auf den Teller, erleichtert darüber, dass Alaina so entspannt reagierte. „Sie braucht deine Fingerabdrücke. Zum Vergleich von eventuellen Täterfingerabdrücken oder so."
Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Die sollten sie haben. Von dem Einbruch. Und den Briefen, die ich hingebracht habe."
Mein Gedanke! Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht können diese Dinger ja ablaufen."
Sie lachte. „Glaub ich nicht. Dann werde ich morgen wohl auf die Polizeiwache schauen..." Alaina sah nicht begeistert aus und ich fragte mich, wie ich von diesem Thema auf ihren Job und den Vielleicht-Lover umlenken sollte.
Ich beschloss, es einfach zu tun. So, wie immer.
„Hast du wirklich in einem Krankenhaus gearbeitet?"
Sie war wie eingefroren. Sie bewegte sich nicht und starrte mich einfach nur an. Für gute zehn Sekunden. Dann seufzte sie und schloss die Augen.
„Theresa hat ihren Mund nicht gehalten, oder?"
Es stimmte also. „Warum hast du mich angelogen?"
„Darum." Sie zog wieder die Schultern hoch und wich meinem Blick aus. „Ich... Du musstest nicht unbedingt wissen, dass ich versucht habe, die Ausbildung zu bekommen, aber ein anderer Kandidat vorgezogen wurde und ich in einem Stip-Club gelandet bin, um zu überleben."
Gut, um fair zu sein: Die Variante, die sie mir aufgetischt hatte, hätte mir in ihren Schuhen auch besser gefallen.
„Ich wollte dich nicht belügen, tut mir leid."
„Und was war mit dem Kerl, der dir den Kopf verdreht hat? Vorletzte Weihnachten?"
Sie rollte mit den Augen. „Meine Güte, dieser Frau kann man absolut nichts erzählen..." Dann seufzte sie und verschränkte die Finger ineinander. „Es war nichts. Er war nur... ein netter Kerl."
„Der dein Stalker sein könnte", bemerkte ich trocken.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn nie gesehen. Wir haben uns über einen Chatroom kennengelernt. Eine Website, auf der ich..." Sie neigte den Kopf hin und her, als wäre es ihr peinlich. Würde sie mir gleich gestehen, dass sie ein Web-Cam-Girl gewesen war? In dem Fall, hätte ich hier ein Zimmer für sie einrichten müssen. Ach war, ein ganzes Studio!
„Eine Website, auf der ich ein paar lyrische Texte hochgeladen habe. Damals war ich noch dramatisch und dachte, ich bin gut im Texten." Schade, meine Cam-Girl-Idee hatte mir besser gefallen. „Er mochte die Texte. Wir haben unsere Telefonnummern ausgetauscht und viel geschrieben. Nie telefoniert. Als wir uns endlich treffen wollten, ist er nicht aufgetaucht. Ich hab ihm geschrieben, ob alles okay ist. Er hat sich nie wieder gemeldet."
Ich legte den Löffel zur Seite und sah sie an. „Ja, du hast recht, das klingt kein Bisschen nach einem Stalker." Sie seufzte angestrengt und verdrehte die Augen. „Oh gut, du hast meinen Sarkasmus bemerkt."
„Ich hatte den Stalker doch schon eine ganze Weile, als ich diesen Kerl kennengelernt habe", meinte sie milde und schüttelte den Kopf.
„Vielleicht war er trotzdem dein Stalker und hat sich endlich getraut, dich anzuschreiben", meinte ich eindringlich und begann wieder zu essen. „Aber als dann der Tag kam, an dem er dich persönlich hätte treffen können, hat er vielleicht einen Rückzieher gemacht. Dich nur von weitem beobachtet, wer weiß?"
Sie dachte einen Augenblick lang darüber nach. „Sag mir nicht, dass ich vielleicht vier Monate lang mit meinem Stalker geschrieben habe. Dass ich ihn nett gefunden habe."
Ich zuckte mit den Schultern, erleichtert, dass dieses Mädchen wieder etwas mehr Sinn ergab. „Vielleicht doch. Hast du nie daran gedacht?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich dachte eher, dass Stalker ihren Opfern nahe sein wollen und sie nicht am Ort der Verabredung stehen lassen und sich nie wieder melden."
Stimmt, das war seltsam. Aber dieser Kerl war trotzdem die heißeste Spur, die wir hatten.
Wenn mich der Stalker nicht schon so oft bedroht hätte, dann hätte mir dieses Rätselraten beinahe Spaß machen können. Vielleicht war es ja Zeit für einen Berufswechsel.
„Kennst du seinen Namen?", fragte ich und schob mir noch einen Löffel Risotto in den Mund.
„Rick. Aber den hätte er sich auch ausdenken können. Und einen Nachnamen habe ich auch nicht."
„Hast du die Nachrichten noch?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab meinen Account gelöscht, als mit klar wurde, dass ich eine grottenschlechte Schriftstellerin bin und... die Nachrichten auf meinem Handy waren weg, als ich mir vor ein paar Monaten ein neues geholt habe."
Verdammt. Ich hätte zu gerne ein bisschen Menschenanalytiker gespielt und in den Nachrichten, die dieser Rick ihr geschrieben hatte, nach Hinweisen oder etwas Verdächtigem gesucht. Aber Alaina hatte ja nicht damit rechnen können, dass diese Nachrichten möglicherweise das Einzige waren, das wir in der Hand hatten.
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