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An diesem Abend rief mich Sophie an, in Tränen aufgelöst, weil David eine andere gevögelt hatte.
„Ich bin schockiert", hatte ich nur trocken erwidert und den Fernseher ausgeschaltet. Ich hatte mir eben noch das Footballspiel angesehen, aber dann hatte ich umgeschaltet und war bei einer Dokumentation über Massentierhaltung stecken geblieben. Wie ironisch. Geschlachtete Schweine passten perfekt zu dem, was Sophie mir da erzählte. Und zu der Wette, die ich mit Juliana am Laufen hatte, natürlich.
Eigentlich hatte sie mir geschrieben und mich gefragt, ob ich Lust hatte, gegen acht Uhr vorbei zu kommen.
Und wie ich Lust darauf hatte!
Und es war auch schon acht Uhr!
Aber Sophie wollte sich nicht beruhigen und obwohl wir uns bis aufs Blut gegenseitig ärgern und lauthals streiten konnten und sie in ihrer neuentdeckten Pubertät wirklich anstrengende Tage hatte, wusste ein Teil von mir, es zu schätzen, dass ich die erste Person war, die sie anrief. Nicht etwa eine ihrer seltsamen Freundinnen, die andauernd an ihrem Ausschnitt herumzupften, ihre Röcke hochrutschen ließen und ihre BHs mit Socken ausstopften, weil sie zu jung für eine Brustvergrößerung und zu pleite für einen anständigen push-up BH waren.
Ich mochte ihre Freundinnen nicht. Sie hatten meine kleine, unschuldige Schwester zu einer halben Nutte erzogen, die sich mit einem Drogenjunkie zufrieden gegeben hatte.
Aber ich war mir nicht sicher, ob ich tatsächlich ihre erste Anlaufstelle für ihren Herzschmerz gewesen war, oder nach ihren bescheuerten Freundinnen einfach die nächstbeste Wahl. Wie dem auch sei, ich wusste, was es bedeutet hätte, Juliana Sophie vorzuziehen und aufzulegen, ohne sicherzustellen, dass meine Schwester okay war.
Also hielt ich tapfer durch.
„Wieso?", weinte sie. „Wieso tut er sowas? Bin ich nicht hübsch genug? Nicht klug genug?"
„Klug?" Ich lachte auf. „Soph, was Klugheit angeht, hat der Kerl die Latte sicher nicht sonderlich hoch gelegt."
„Danke", knurrte sie und schniefte.
„Komm schon, er ist ein Idiot. Es liegt nicht an dir, sondern daran, dass er ein Vollidiot ist. Du hattest eben den falschen am Wickel. Das wird dir noch öfter passieren, glaub mir. Nur... bei manchen wirst du von vorne herein wissen, dass es der Falsche ist. Zumindest hoffe ich, dass du es ab jetzt tust. Es gibt ein paar rote Flaggen, die darauf hindeuten. Eine davon sind die Drogen. Eine andere, wenn sie Sarkasmus nicht verstehen. Große, rote Flagge. Das ist fast noch schlimmer, als das mit den Drogen."
Sie lachte traurig auf. „Ich hätte auf dich hören sollen."
„Ja, hättest du." Ich trank einen Schluck aus meiner Pepsi und betrachtete Loaf, die auf dem Boden lag, den Kopf auf die Pfoten gelegt hatte und mich aus großen, unschuldigen Kulleraugen anstarrte, weil sie die Couch ruiniert hatte. „Ich bin froh, dass du den Vollpfosten los bist."
Ich wusste, dass sie das anders sah. Dass sie ihn auf der Stelle zurückgenommen hätte, wenn sie die Chance dazu hätte. Ich wusste, wie sie sich fühlte. Dave war ihr erster Freund gewesen und sie war siebzehn. Der Status Single-sein gilt in dem Alter mehr zu meiden als die Pest. In gewisser Weise glaubte ich selbst nicht, über Liv hinweg zu sein. Hätte sie jetzt vor meiner Türe gestanden, hätte ich sie hereingebeten, anstatt ihr zu sagen, dass es zu spät war.
Sophie würde drüber hinwegkommen.
Und ich auch.
„Geh bloß nicht zu dem Idioten zurück", mahnte ich.
„Wieso denkst du, dass er mich überhaupt zurück will?"
„Wird er. Vertrau mir. In spätestens einem Monat wir er sich bei dir melden, dir sagen, dass er einen Fehler gemacht hat, dich vermisst und dich wieder haben will. Und weißt du, was du dann machen musst?"
„Ihm den Stinkefinger zeigen, das Kinn heben und weggehen?"
„Ganz genau!"
„Ich weiß nicht, ob ich das kann..."
„Bestimmt. Du willst doch wohl nicht zu einem Kerl zurück, der dich betrogen hat, oder?"
Und du willst nicht zu einem Mädchen zurück, dessen Leben nicht mehr zu deinem passt. Du willst zu Juliana. Abgemacht?
„Nein..."
„Na eben."
„Aber ich liebe ihn!", schluchzte sie und ich verdrehte die Augen und unterdrückte ein Stöhnen.
„Das ist keine Liebe, Soph. Es ist sozialer Status und ein Überschuss an Hormonen, die dir die Sinne vernebeln. Es ist Drama, über das du mit deinen Freundinnen reden kannst, mehr nicht. Ich hab das alles schon hinter mir, ich weiß, wovon ich rede."
„Du hast mit deinen Freundinnen auf dem Bett gesessen, dir mit ihnen die Nägel lackiert, Gesichtsmasken aufgetragen und über Jungs geredet, die dir das Herz gebrochen haben?"
Ich schmunzelte. Dass sie sich wieder über mich lustig machen konnte, war ein gutes Zeichen. „Gib dem Ganzen ein paar Jahre, dann findest du bestimmt jemanden, der besser zu dir passt, als ein zugedröhnter Dauerständer."
„Und was, wenn nicht? Was, wenn ich für immer alleine bleibe?"
„Lieber allein als unglücklich, Soph. Lieber allein als unglücklich."
„Und was, wenn ich alleine unglücklich bin?"
„Willst du meinen Hund haben? Du kannst ihn gerne haben, er hat meine Couch zerfressen. Und meine Autositze!"
„Wenn das so ist: Immer her mit ihr." Ihre Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. „Kleiner Tipp. Wenn du den Hund loswerden willst, solltest du nicht in die Welt posaunen, dass er nicht erzogen ist. Idiot."
„Schön: Er ist ein liebenswertes Wesen, das mir jeden Morgen mein Frühstück ans Bett bringt. Willst du ihn jetzt haben?"
Als Antwort bekam ich nur ein trockenes Lachen. Dann wurde es still in der Leitung und ich wusste, dass sie wieder an David dachte.
„Hey, komm schon. Es ist vorbei, du solltest dir einen Prosecco aufmachen und durchs Haus tanzen. Das heißt nämlich, dass du dich wieder auf dich konzentrieren kannst. Sieh zu, dass du deinen Abschluss auf die Reihe kriegst, du musst unsere Eltern stolz machen, wenn ich es schon nicht hingekriegt habe." Ein Laut, der weder Lachen noch Weinen war, verließ ihre Kehle. „Mit siebzehn hat man ohnehin nicht, was es braucht, um eine Beziehung aufrecht zu erhalten. Aber irgendwann, wenn du alles über dich selbst herausgefunden hast, das du alleine herausfinden kannst, dann ist es vielleicht Zeit, nochmal eine andere Person in dein Leben zu bringen, verstehst du? Wenn du über dich selbst nicht mehr herausfinden kannst, als du es bereits getan hast -wenn du dich selbst so gut kennst, dass dich nichts mehr überraschen kann- dann kannst du das mit den ernsthaften Beziehungen nochmal versuchen. Mit einem Kerl, der reifer ist als Dave. Und der bringt dann ohnehin hunderte neue Seiten an dir hervor, von denen du nie gedacht hättest, dass du sie hast. Gib dem Ganzen einfach noch ein bisschen Zeit, okay?"
Sie schniefte. „Weißt du, Simon", begann sie. „Dafür, dass du ein Idiot bist, gibst du manchmal ganz schlaue Sachen von dir."
„Ich sollte ein Buch schreiben, nicht wahr? Einhundert Lebensweisheiten von Simon Parker. Schlagen Sie jetzt zu und erhalten Sie einen Hund mit Hüftfehlstellung gratis dazu, wenn Sie der erste Käufer sind."
Sie lachte, wurde aber schnell wieder ernst. „Simon?" Ich konnte beinahe sehen, wie sie auf ihren Lippen herumbiss.
„Hm?"
„Hat... hat Dad Mom wirklich betrogen?", fragte sie plötzlich und für einen kurzen Augenblick blieb mir die Luft weg. Ich setzte mich auf.
„Was? Wovon redest du?" Ich hatte ihr nie etwas davon erzählt. War Dad endlich ehrlich gewesen? Hatte er es gestanden?
„Du warst es doch, der mir davon erzählt hat", meinte sie nun.
„Das wüsste ich noch."
„Du warst sturzbetrunken."
„Oh..." Dann musste sie es schon eine ganze Weile lang wissen, denn das letzte Mal, als ich zu Hause betrunken gewesen war, war bestimmt über ein Jahr her. „Tut mir leid..."
„Ich hab gedacht, du hast nur Stuss geredet", murmelte sie.
„Und jetzt nicht mehr?" Dass Dave mit einer anderen im Bett gewesen war, konnte doch wohl unmöglich ihre ganze Weltanschauung geändert haben, oder? Das hätte sie bei ihm nun wirklich vorhersehen können. Ich hatte es vorhergesehen, schon in den ersten fünf Sekunden, in denen ich ihn kennengelernt hatte.
„Ist es denn wahr?", fragte sie und ich fand, dass es keinen Sinn hatte, sie zu belügen. Meine Worte hatten mich ohnehin schon verraten.
„Ja. Ja, ich hab Dad mit der blonden Kellnerin aus dem Café in seinem Auto beim Rummachen erwischt." Sie schluchzte wieder auf und ich ließ ihr einen Augenblick. „Es tut mir leid."
„Weiß Mom davon?"
„Nicht von mir."
Sie schwieg eine Weile, bevor sie sich bedankte, dass ich ihr zugehört hatte und sich dann rasch verabschiedete.
Nach diesem Gespräch hatte ich beinahe keine Lust mehr, zu Juliana zu gehen. Was hätte sie tun können, um mich jetzt noch aufzuheitern? Sophie war heute gleich zwei Mal das Herz gebrochen worden.
Aber Juliana könnte dich küssen.
Der Gedanke genügte, um mich von meiner Couch zu vertreiben, als ich wieder das vertraute Geräusch von kratzendem Papier auf dem Holzfußboden vernahm und automatisch zur Tür blickte. Davor lag tatsächlich wieder ein zusammengefalteter Zettel.
Vermutlich fragte Juliana sich, wo ich blieb, und machte sich einen kleinen Spaß daraus, unsere Zettelschreiberei fortzuführen.
Ich bückte mich und klaubte den Zettel vom Boden guter Dinge auf, bekam aber nur vier Worte in Blockbuchstaben zu lesen.
DAS WIRST DU BEREUEN.
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