27
Ich hätte nie gedacht, jemals die Sekunden bis zu einem Date zu zählen. Selbst als ich Liv zum ersten Mal offiziell ausgeführt hatte, war es nicht so nervzerfetzend gewesen. Vielleicht lag es daran, dass Juliana nicht zu den einfachen Mädchen gehörte. Denen, die allem zustimmten, was ich sagte. Denen, die leicht zu haben waren. Sie wusste, was sie wollte und wenn ich etwas sagte, das ihr nicht passte, dann warf sie mich aus der Wohnung oder überlegte sich ein paar fiese, schlagfertige Antworten, mit denen sie mich im Notfall zum Schweigen bringen konnte. Und das bewunderte ich. Bei jedem Menschen.
Liv war leichter gewesen. Zumindest zu Anfang. Nach dem ersten Date hatte ich nicht gedacht, sie je wieder zu sehen, aber sie hatte sich noch einmal gemeldet. Und danach hatte ich nicht mehr aufhören können, an sie zu denken.
Aber die Tage bis Sonntag -bis zu meinem ersten echten Date, seit der Trennung von Liv- zogen sich noch zäher als Kaugummi.
Donnerstag.
Ich ging zur Arbeit und versuchte den Köter zu ignorieren, der Trübsal blasend in einer Ecke hockte, weil Cora und Cal ihn mit Knuddeln und Brathähnchen verwöhnt hatten und ich ihn praktisch ignorierte.
Da ich Juliana nicht in eine Frittenbude ausführen wollte, reservierte ich einen Tisch für zwei Personen bei dem Italiener, bei dem ich Mal mit meinen Eltern und meiner Familie gewesen war, als Mom und Das ihren fünfundzwanzigsten Hochzeitstag gefeiert hatten.
Bei anderen Mädchen (-bei einfachen Mädchen-) hätte ich vermutlich nicht einen solchen Aufwand betrieben, aber da Juliana im selben Haus wie ich wohnte (noch dazu im selben Flur!) konnte ich sie nach dem heutigen Abend nicht einfach abschieben. Das würde hässlich Enden. Vielleicht damit, dass sie A.T. erlaubt hätte, auf meine Fußmatte zu pinkeln. Ich musste also dafür sorgen, dass ihr das Date in positiver Erinnerung blieb.
Freitag.
Ich wollte nicht Arbeiten, stattdessen ging ich mit dem Köter den ganzen Tag in den Park und versuchte ihm ein paar Manieren beizubringen, damit Juliana mich am Sonntag nicht für völlig inkompetent halten würde. Er war gar nicht so dumm und mit den Leckerlies, die ich am Donnerstag aus dem Laden hatte mitgehen lassen, ließ es sich Sitz und Platz leicht beibringen. Ich war überrascht.
Er schien die Zeit tatsächlich auch zu genießen, womit ich nicht gerechnet hatte. Er musste doch spüren, dass ich ihn nicht wollte. Aber jeden Tag, wenn ich aus dem Schlafzimmer kam, sprang er schwanzwedelnd von der Couch und folgte mir bis zu seiner improvisierten Futterschüssel, die immer noch eine Untertasse war.
Samstag.
Ich fuhr zu Rey in die Werkstatt und wurde meine Unruhe wegen meiner Verabredung mit Juliana los. Doch nach nur zehn Minuten hielt ein Wagen mit quietschenden Reifen vor der Werkstatt und eine junge Mexikanerin mit riesigen, bunten Ohrringen stieg aus und stürmte schimpfend auf Rey zu. Ich verstand kein Wort von dem, was seine Freundin sagte, weil sie nur auf Spanisch redete.
Er hob die Hände und redete unschuldig zurück. Daraufhin begann sie auf mich einzureden und ich sah irritiert zu Rey, der sie von mir wegzog. Ich wusste, dass Rey mir irgendwann erzählen würde, worum es bei dem Streit ging, aber da es nicht so aussah, als würde die Diskussion bald enden, verdrückte ich mich wieder nach Hause. Dort warf ich alle Stalkerbriefe und den zerstörten Stoffhasen in einen Sack und entsorgte diesen im Innenhof bei den Mülltonnen. Mit dem Kram wollte ich nichts mehr zu tun haben. Ich hatte eigene Probleme
Beim Gassi gehen am Abend plünderte ich dann auch noch mein Bankkonto, um auf Morgen vorbereitet zu sein.
Sonntag.
Mein Sonntag begann damit, dass Loaf gegen meine Türe kratzte und mich aufweckte, damit ich mit ihm rausging, weil ich verschlafen hatte.
Wir drehten eine kleine Runde um den Block und ich ließ ihn ein Stück weit alleine laufen. Insgeheim hoffte ich, der Köter würde nicht mehr zurückkommen. Während er im Park umherlief, setzte ich mich auf eine Parkbank und scrollte neugierig durch Juliana's Onlineprofile. Nicht so obsessiv, wie ich es bei Alaina getan hatte, aber das lag vielleicht daran, dass ich Juliana schon kannte.
Sie hatte früher in ihrer Teenagerzeit definitiv mehr Bilder hochgeladen. Sie hatte gesehen werden wollen. Auf einigen war ihr verstorbener Freund zu sehen und Loaf, sein schwarze Retriever. Früher hatte sie braune Haare gehabt und obwohl ich gedacht hatte, dass Alaina wegen ihrer braunen Haare nicht so hervorstach wie Juliana, fand ich, dass Juliana mir auch so im Gedächtnis geblieben wäre.
Mit den Bildunterschriften und den Kommentaren unter ihren Posts bastelte ich mir Stücke ihrer Vergangenheit zusammen. Juliana und ihr Freund waren um die sechs Jahre zusammen gewesen. Ihren Achtzehnten Geburtstag hatten sie in Paris verbracht. Er hatte Kohle gehabt. Sie waren in Moskau, Tokyo, Mailand, Australien und Afrika gewesen. Auf allen Bildern sah Juliana viel glücklicher aus, als ich sie bisher erlebt hatte, was natürlich keine Überraschung war, da ich ihr noch nicht allzu oft über den Weg gelaufen war.
Ansonsten schien es, als hätte sie viele Freunde gehabt. Sie war auf vielen Party's gewesen. Sie hatte einen High School Abschluss und war eine Zeit lang auf dem College gewesen, aber das war vor dem Schicksalsschlag gewesen.
Vor einem knappen Jahr hatte es plötzlich eine Zeitspanne von etwa sechs Monaten gegeben hatte, in denen sie überhaupt nichts gepostet hatte. Das erste Bild nach dieser Trockenperiode zeigte ihre neue Frisur. Die blauen Haare. Danach kam kein einziges Bild mehr von ihrem Freund.
Aus irgendeinem Grund hatte sie die Typveränderung vorgenommen, nachdem er umgekommen war.
Ich steckte mein Handy wieder weg und hielt nach Loaf Ausschau. Grinsend durfte ich feststellen, dass der Köter nicht hier war. Vielleicht würde ich es ja ohne ihn nach Hause schaffen.
Doch ich hatte mich zu früh gefreut, denn als ich den Park verlassen wollte, hoppelte er in Windeseile an.
„Verdammt", murmelte ich. „Eines muss ich dir lassen, Loaf, du bist schneller und raffinierter, als ich es dir zugetraut hätte."
Und schon wieder hatte ich mit dem Vieh gesprochen.
Den Rest des Tages verbrachte ich vor der Glotze, bis es Zeit war, mich für die Verabredung fertig zu machen. Ich fütterte Loaf, damit er beim Essen nicht so lästig sein würde. Dann stieg ich unter die Dusche und überlegte, ob der Abend wohl auch damit enden würde, dass Juliana und ich unter der Dusche standen. Nur eben gemeinsam.
Ich rasierte mir den fünf-Tage-Bart weg, föhnte meine Haare nach oben und überlegte, was Juliana wohl anziehen würde. Ob sie sich schminken würde. Wie sie ihre Haare tragen würde.
Und plötzlich, als ich mir das After-Shave ins Gesicht klatschte musste ich an Liv denken. Seit der Trennung hatte ich nichts von ihr gehört. Ich wusste nicht, ob sie selbst auch schon andere Männer getroffen hatte. Ein Teil von mir wünschte sich, dass sie es nicht getan hatte. Nicht etwa, weil ich hoffte, wieder mit ihr zusammen zu kommen, nein, es lag viel eher daran, dass ich nicht wollte, dass sie vor mir angefangen hatte, andere Leute zu treffen. Ein Teil von mir hoffte, dass sie bereute, mit mir Schluss gemacht zu haben.
Doch ich schob alle Gedanken an Liv beiseite. Sie würde mir diesen Abend nicht ruinieren. Ich zog die schwarze Jeans aus dem Schrank, die nicht allzu zerknittert aussah, und mein dunkles Date-Hemd. Ich wollte es ungezwungen halten, aber nicht unüberlegt. Abgesehen davon hatte ich es absolut nicht nötig, mein Aussehen mit meiner Kleidung zu kompensieren.
Um kurz vor sieben nahm ich Loaf an die Leine und stellte sicher, dass ich meine Notfallkondome nicht aufgebraucht hatte. Nein, zwei waren noch in meiner Jackentasche.
Bevor ich die Wohnung verließ, sah ich den Hund warnend an. „Und wehe, du lässt dich von A.T. schwängern." Mittlerweile hatte ich herausgefunden, dass Loaf ein Mädchen war. Irgendwie mochte ich den Köter seit dieser Erkenntnis ein klein wenige mehr. Aber falls ich den Hund länger behalten würde, dann würde ich ihn sterilisieren oder kastrieren lassen. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war ein ganzer Wurf von Krüppelhunden, wobei ich mir ziemlich sicher war, dass Loaf noch ein paar Wochen oder Monate hatte, bevor sie zum ersten Mal läufig werden würde.
Kurz nach sieben klopfte ich an die Türe mit der 49.
„Sekunde!"
Ich konnte A.T. bereits zur Türe hoppeln hören und Loaf drückte ihre Nase gegen den Türspalt.
Ich weiß wirklich nicht, wieso, aber das Erste, an das ich denken musste, als Juliana die Türe öffnete, war eine Mangafigur. Das lockere, weiße Shirt, das sie in den Bund des kurzen, schwarzen Rockes gesteckt hatte, die schwarzen Stiefel, die ihr bis über die Knie gingen, der blaue Zopf... Ich sah die amerikanische Version einer verdammt heißen Manga Figur.
Anstatt mich jedoch zu begrüßen beugte sie sich zuerst zu dem Köter. „Hallo, du Hübscher."
„Es ist ein Mädchen."
Juliana atmete überspitzt aufgeregt auf. „Du bist ein Mädchen? Ein wunderschönes Mädchen!"
Loaf ließ sich von ihr bereitwillig streicheln und wedelte wie wild mit dem Schwanz. A.T. wurde eifersüchtig und wollte auch gekrault werden. Während sie ihrem Hund den Nacken kratzte sah sie endlich zu mir auf.
„Für ein Treffen, das du für unsere Hunde arrangiert hast, siehst du ziemlich..."
„Unwiderstehlich aus?", bot ich ihr sofort an, woraufhin sie die Augen verdrehte.
„Ganz okay", entgegnete sie.
„Ich denke, du wolltest überdurchschnittlich gut, sagen."
Sie lachte, stand auf und nahm die Hundeleine vom Haken. „Hat dein Ego eigentlich einen Ausschaltknopf?"
„Du bist nicht die Erste, die sich das wünscht."
„Warum überrascht mich das nicht?"
Sie griff noch nach ihrer dunklen Jacke und ihrer Handtasche, bevor die beiden Hunde vorausliefen und sie die Wohnung hinter sich zusperrte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro