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Juliana sah ich noch am selben Abend durch die Frontscheibe der Tierhandlung auf der anderen Straßenseite in ihrem dunkelblauen Regenmantel stehen und wusste sofort, dass mich meine Menschenkenntnis auch diesmal nicht im Stich gelassen hatte.
So wie ich wusste, dass Malcom mich nicht rausschmeißen würde, egal, wie oft ich zu spät kommen würde. So wie ich wusste, dass Rey nicht wütend sein würde, würden wir uns das nächste Mal sehen. So wie ich wusste, dass Sophie auf jeden Fall noch wütend sein würde, würden wir uns das nächste Mal sehen.
Juliana öffnete die Türe und das Glöckchen klingelte in seinem hellen Ton. Sie zog sich die Kapuze vom Kopf und ihr Blick streifte mich für eine Sekunde, bevor sie geradewegs auf das Gehege der Welpen zuging.
Malcom hatte sie auch bemerkt und warf mir einen verwunderten Blick zu, war aber sofort zur Stelle und setzte sein Verkäuferlächeln auf.
„Der Schwarze?", fragte er.
„Ist das nicht ein bisschen rassistisch?", lächelte Juliana.
„Glaub ich nicht." Er hob den schwarzen Retriever aus dem Gehege und Juliana nahm ihn auf den Arm. Sobald sie den Welpen an ihrer Brust hatte, unterstützte sie mit einer Hand sein Hinterteil, während sie die andere Hand am Brustkorb, hinter den Vorderbeinen ließ. Sie drückte den Hund vorsichtig an sich, um ihn zu stützen.
Da wurde es mir klar.
Es war definitiv nicht ihr erster Hund. Vielleicht hatte sie in ihrer Kindheit einen gehabt, denn niemand, der noch nie einen Hund gehalten hatte, nahm einen Welpen so selbstbewusst, behutsam und vor allem richtig entgegen. Oft hatte ich erlebt, dass gerade Katzenbesitzer dazu neigten, einen Hund wie eine Katze hochzuheben. Malcom hatte mir den Unterschied in der ersten Woche hier gezeigt. Und von den Kindern wollte ich gar nicht erst anfangen. Die drückten den Tieren beim Hochheben fast immer in den Bauch.
Aber Juliana machte ihre Sache ausgezeichnet und der kleine beschnupperte ihr Gesicht und verteilte viele nasse Küsse darauf. Sie mochte er offensichtlich lieber, als den Jungen von vorhin.
Mir kam der Gedanke, dass ich niemals jemanden küssen wollte, dessen Gesicht davor ein Hund abgeschleckt hatte. Gleichzeitig fragte ich mich, ob ich in Betracht gezogen hätte, Juliana zu küssen, wenn sie nicht gerade einen stinkenden Vierbeiner in den Armen gehalten hätte.
Wahrscheinlich schon.
Single sein ist gut, weil man küssen kann, wen man küssen will.
„Haben Sie denn schon einen Namen für ihn?", fragte Malcom.
Sie lächelte. „Nein, darüber muss ich noch nachdenken. Oh, und ich brauche so ziemlich alles, was man für einen Hund eben so braucht. Könnten Sie mir dabei helfen?"
„Selbstverständlich!"
Malcom und sie gingen durch die Gänge und Juliana suchte sich Fressnapf, Wasserschale, Hundespielzeug, Halsband und Leine, Beißkorb, Schlafkörbchen und vermutlich einen Monatsvorrat an Hundetrockenfutter aus. Einige Nassfutterschälchen kamen auch dazu.
Als sie bei mir an der Kasse stand, legte sie dem Hund das Halsband um, nahm ihn an der Leine und versuchte ein Gespräch mit mir zu beginnen.
„Bin schon gespannt, wie er sich führen lässt. Hoffentlich schaffen wir es nach Hause, bevor es zu regnen beginnt."
Ich antwortete nicht, sondern scannte ihren ganzen Einkauf, während sie mit dem Hund sprach, wie mit einem Vierjährigen. „Ja, wir gehen jetzt nach Hause, und dann suchen wir ein schönes Plätzchen für dein Körbchen."
„Weißt du, der Hund versteht dich nicht", bemerkte ich nun doch trocken. „Er wedelt nur mit dem Schwanz."
„Dann habt ihr ja viel gemeinsam", erwiderte sie genauso ausdruckslos. „Unser früheres Leben -du erinnerst dich?"
„Ich bin mir nicht sicher, ob Frösche Schwänze haben", gab ich zurück. Das Gerät gab einen hohen Piepton von sich, als ich den riesigen Sack Trockenfutter scannte und Juliana sah mich halb verärgert, halb belustigt an. „Ich meine es ernst, warum reden alle Menschen mit ihren Tieren, als würden die sie verstehen?"
„Sie verstehen nicht die Worte, aber den Tonfall", meinte sie und kraulte den Hund hinter den Ohren.
„Ach ja?" Ich hob die Augenbrauen. „Ich hasse dich, Stinker", sagte ich böse und sah den Hund mit meinem besten Killerblick an, aber er wedelte weiter mit dem Schwanz. Dann glitt mein Blick wieder zu Juliana. „Siehst du, er versteht nicht, dass ich ihn hasse."
„Du kannst doch so einen süßen Knuffelwuffel nicht hassen", stieß sie empört aus und hockte sich neben den Köter.
„Und ob. Ich hasse alle Tiere. Deshalb kann ich sie auch ohne Gewissensbisse essen."
„Dann nenne ich den Hund so."
Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Was? Wie?"
„Alle Tiere", erläuterte Juliana und kraulte den Hund hinter den Ohren. „Wenn dich der Kleine nämlich immer wieder anspringt und dir übers Gesicht leckt, wenn wir uns im Stiegenhaus über den Weg laufen, wirst du irgendwann sagen: Gott, ich liebe Alle Tiere." Ich konnte gar nicht anders als aufzulachen. Dieses Mädchen hatte wirklich einen seltsamen Humor. „Und es ergibt einen schönen Spitznamen. A.T."
„Nach Hause telefonieren?"
„Das war E.T."
„Von mir aus." Ich nannte ihr den Preis des gesamten Einkaufes, und sie zog ihr Portemonnaie heraus, um mir einige Zehner zu geben.
„Darf ich fragen, wie du das alles transportieren willst?" Ich deutete auf die Tüte mit dem Spielzeug, den Näpfen und dem Nassfutter, sowie auf das Hundekörbchen und den Sack Trockenfutter.
„Ich schaff das schon", behauptete sie, aber klang nicht sonderlich überzeugt. Warum genau ich mich ausgerechnet heute dazu entschied, ein guter Mensch und ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein, wusste ich nicht.
„Ich bin mit meinem Wagen hier", sagte ich. „Wenn du willst, kannst du die Sachen hier lassen, und ich nehme sie dir nach der Arbeit mit."
Sie betrachtete mich beinahe misstrauisch. „Wirklich?" Ich nickte. „Okay... Danke? Schätze ich. Mein Apartment ist Nummer 49."
„Ich weiß."
Sie hielt inne und betrachtete mich misstrauisch. „Ach ja?"
„Ja. Und dein Name ist Juliana. Deacon."
„Woher weißt du das?"
Ich sagte nichts darauf, sondern sah sie einfach nur an, bis sie den Blick senkte.
„Lia", sagte sie plötzlich. „Du kannst mich Lia nennen."
Ich war ein wenig überrascht, über diese Einladung.
„Komm, A.T." Als hätte der Kleine nie etwas anderes getan, tippelte er ihr hinterher, warf den anderen Hunden aber noch einen kurzen Blick zu, bevor er Juliana nach draußen folgte.
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