Backstage
Hey ihr Lieben - seid nicht verwirrt, diesen Teil habt ihr bereits in "Die Fackel" gelesen. Mir fiel jedoch auf, dass meine Kapitel für Wattpad etwas zu lang geworden sind, weswegen ich sie aufspalte.
Mark hatte ihr eine Führung durch den Backstagebereich versprochen, wenn sie nach dem Konzert noch bleiben würde. Natürlich hatte Johanna da nicht nein gesagt, doch jetzt, nach mehrstündigem Stehen in ihren hohen Schuhen, die helle Bluse wie immer durchgeschwitzt – und dadurch durchsichtig, wie sie immer wieder entsetzt feststellte – machte sich ihre Müdigkeit doch bemerkbar. Sie wurde alt. Sie sehnte sich nach ihrem Bett und der Gedanke, heute noch später als sonst heimzukommen und dann noch den Artikel entwerfen zu müssen, erschöpfte sie noch mehr. Jedes Konzert bewies ihr aufs Neue, dass Adrenalin nicht gut für den Körper war – zumindest nicht, wenn es dann plötzlich verschwand.
„Na, hast du es dir anders überlegt?"
Sie zuckte zusammen und verfluchte sich innerlich dafür. Sie war kein scheues, kleines Mädchen, sondern eine gestandene Frau, eine Reporterin und Konzertgenießerin. Sie musste unbedingt daran arbeiten, nicht ständig so jung und verhuscht rüberzukommen, sonst würde man sie niemals ernst nehmen.
„Ich könnte im Stehen einschlafen", gab sie lachend zu: „Aber so eine Möglichkeit kommt so schnell nicht wieder. Wer weiß, ob du mir bei der nächsten Station nicht die kalte Schulter zeigst?"
Mark stimmte ein in ihr Lachen: „Wenn du nicht brav bist, kann das leicht passieren."
Gegen ihren Willen errötete Johanna, und dass der gut gebaute junge Mann ihr dann auch noch seine starke Hand auf die Hüfte legte, um sie in Bewegung zu setzen, machte es nicht besser. Nach jedem lorem ipsum Konzert war sie eine wandelnde Masse Gummi. Insgeheim fürchtete sie, dass irgendeiner der männlichen Konzertbesucher irgendwann noch bemerken würde, dass sie mehr als nur ein bisschen erregt und rattig war. Obwohl Mark gar nicht ihr Typ war, Johanna wusste, wenn er ihr jetzt das Angebot gemacht hätte, sie war von Johns Auftritt erregt genug, um sich sofort darauf einzulassen.
Doch Mark war ein Gentleman. Seine Hand verließ zwar ihren Rücken nicht, doch wanderte sie auch nicht weiter ab in verbotene Regionen. Dass er zwischendurch verstohlene Blicke auf ihr Dekolletee warf, konnte sie ihm nicht einmal verübeln, immerhin war sie selbst schuld daran, dass sie eine Bluse gewählt hatte, die so leicht durchsichtig wurde. Und Blicke hatten noch niemandem geschadet. Abgesehen davon erklärte er ihr in professionellen Worten die Bedeutung aller Gegenstände und Aufbauten, die sie auf und hinter der Bühne zu Gesicht bekam. Er deutete auf versteckte Türen, Gerüste, Vorhänge und erzählte zu allem, wozu es diente und wie es funktionierte. Trotz ihrer Müdigkeit sog Johanna jedes Wort auf.
An einer Tür mit dem Schild „Zu den Garderoben" machten sie schließlich Halt. Mark ließ sie los und deutete mit dem Daumen auf die Tür: „Dahinter geht's zu den Umkleiden, wie man sehen kann. Und zum Aufenthaltsraum. Um diese Zeit dürfte da die Party gerade noch im vollen Gange sein."
„Party?", hakte Johanna überrascht nach. Sie hätte nicht erwartet, dass irgendjemand nach so einem Auftritt noch die Kraft für irgendetwas hatte.
„Unsere Jungs feiern gerne", erwiderte Mark und zuckte etwas hilflos mit den Schultern: „Ich vermute, sie sind nach ihren Konzerten zu aufgekratzt, als dass sie direkt ins Bett können. Was vernünftiger wäre, versteh mich da nicht falsch, ich bin da ganz rational, aber sie sind ja alle erwachsen und müssen selbst wissen, was sie tun. Und der Lockruf der Groupies ist halt stark."
Sie erbleichte. Hinter der Tür war also irgendwo John und hatte vermutlich gerade irgendein hübsches, junges Mädchen im Arm, das er später noch mit ins Bett nehmen würde. Unbewusst richtete sie ihren Blick auf die Tür und starrte verlangend auf das Schild. Sie wünschte, sie wüsste, was sie tun musste, um auch einmal dahin eingeladen zu werden. Sie war dem Mann John gerade so nahe, nur getrennt durch diese Tür. Ein Seufzen entfuhr ihr und holte sie in die Wirklichkeit zurück.
„Ich sehe, du wärst auch gerne dabei, mh?" kam es leise von Mark. Dunkelrot drehte Johanna sich zu ihm um. Doch warum sollte sie es abstreiten? Sie war eine erwachsene Frau und sie stand zu ihrem Verlangen. Er kratzte sich am Hinterkopf: „Ich könnte das arrangieren, falls du willst."
Sie starrte. Sie wusste, es war nicht damenhaft, mit offene Mund zu starren, doch sie konnte sich nicht dazu bringen, ihre elegante Fassade aufrecht zu erhalten. Die Möglichkeit, die Mark ihr gerade bot, war unheimlich verlockend. Beinahe unwiderstehlich. So unwiderstehlich, dass sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte.
„... bin doch gleich wieder da, Kinners, nicht aufregen!"
Die laute Stimme von John unterbrach die unangenehme Stille zwischen Mark und Johanna. Entsetzt blickte sie zu ihm auf, während John offensichtlich genauso überrascht davon war, hinter der Tür Menschen vorzufinden.
„He, Mark, was stehst du hier direkt hinter der Tür? Ich hätte dich beinahe umgerannt, Mann!", polterte John, ehe ihm aufzugehen schien, dass sein Crewmitglied nicht alleine war.
„Hallo, Jonathan", sagt Mark betont ruhig: „Darf ich dir Johanna vorstellen? Ich habe sie ein wenig hinter der Bühne herumgeführt."
Doch John hatte schon keine Augen mehr für den anderen Mann. Seine Augen lagen mit einer Intensität auf Johanna, dass sie das Bedürfnis hatte, in irgendein Mauseloch zu verschwinden. Was musste er nur von ihr denken, dass sie ihn bei einem Konzert lüstern angestarrt hatte und dann direkt beim nächsten an seiner Tür auftauchte? Und ausgerechnet in einem Augenblick, als sie mit Mark über ihn gesprochen hatte, musste er hier auftauchen. Einfach die Tür aufreißen, mit dem Rücken zu ihnen, weil er noch in irgendein Gespräch mit seinen Freunden war. Da stand er vor ihr, erschien plötzlich riesig groß, oder vielleicht fühlte sie sich auch nur kleiner als sonst, auf jeden Fall war sie dieser Situation nicht gewachsen. Sie musste hier weg.
„Welch' eine angenehme Überraschung", sagte John und Johanna hörte deutlich den rauen, tiefen Tonfall heraus, der vermutlich jede Frau zum Schmelzen gebracht hatte. Genervt gab sie sich innerlich einen mentalen Schlag. Sie war kein kleines Mädchen mehr, sie konnte auch diese Situation bewältigen und ein ganz normales Gespräch führen, Anbetung und Hingabe hin oder her. Weglaufen war definitiv keine Option.
„Ganz meinerseits", erwiderte sie so selbstbewusst wie möglich und hielt ihm ihre Hand hin. Zu ihrem Entsetzen ergriff er diese jedoch nicht nur, sondern führte sie an seine Lippen und hauchte einen Küss auf ihre Fingerspitzen, ohne dabei jedoch den Blick von ihr abzuwenden. Wieder flammte die Provokation in seinen Augen auf, die sie schon zuvor beim Konzert gesehen hatte. Sie würde nicht wieder rot anlaufen. Sie würde definitiv nicht rot werden.
„Mittelalterliche Umgangsformen bei dem Sänger einer Mittelalter-Band, wie passend", spottete sie, ehe sie ihm ihre Hand wieder entzogen. Mit einem hinterhältigen Grinsen fügte sie hinzu: „Wie tief im Mittelalter sind wir denn eigentlich stecken geblieben, mh? Wird mir zugestanden, meine eigenen Entscheidungen zu treffen?"
Mark neben ihr lachte laut auf, doch Johns Blick blieb unverwandt auf sie gerichtet, ein Funkeln in den Augen, als fühle er sich durch sie herausgefordert: „Das kommt ganz darauf an."
„Worauf?"
„Ob deine Entscheidung mir gefällt", raunte er ihr zu und ehe sie sich versah, fand sich Johanna an die kalte Steinwand hinter ihr gepresst, während John einen Arm über ihr abstützte, den anderen betont lässig in seiner Hosentasche vergraben: „Wenn du dich dazu entscheidest, Mark hier wegzuschicken, dich dann umdrehst und mich all meine finsteren Fantasien ausleben lässt, dann, liebste Johanna, gestehe ich dir durchaus deine eigene Entscheidung zu."
Hitze schoss zwischen ihre Beine und Johanna wusste, sie wusste einfach, dass sie Nein sagen musste. Sie wollte Ja sagen, jede Faser ihres Körpers schrie danach, von John berührt zu werden, sich ihm hinzugeben. Die Erregung, die alleine seine körperliche Nähe in ihr auslöste, übertraf alles, was sie jemals gespürt hatte. Er war so viel älter, so viel größer, so viel stärker als sie.
Doch sie wusste, sie konnte es nicht zulassen. Nicht jetzt. Wenn sie sich auf ihn einließ, dann zu ihren Bedingungen. Er wusste nicht, wer sie war, und vielleicht war es nur der Alkohol, der gerade aus ihm sprach. Sie wollte ihn, das stand außer Frage, aber selbst, wenn es nur für eine Nacht war, sie wollte, dass er sie sah. Sie sah, so wie er sie beim Konzert zuvor gesehen hatte. Wenn sie sich auf ihn einließ, dann nur, weil sie sich dazu entschieden hatte – und nicht ihr Körper in übermüdetem Zustand und hilfloser Erregung sie getrieben hatte.
Sie würde es nur bereuen.
Mühsam baute sie ihre kühle Fassade auf. Dann, als sie halbwegs sicher war, John in die Augen schauen zu können, ohne ihre Entscheidung in den Wind zu schlagen, blickte sie hoch, direkt zu ihm.
„Mark?", sagte sie an ihren Begleiter gewandt, ohne jedoch den Blick von John abzuwenden: „Wärst du so freundlich, mich hinaus zu begleiten. Ich glaube unsere gute Fackel hier steht ein wenig neben sich und weiß nicht mehr, welches Körperteil für gepflegte Konversation zuständig ist."
Mark, dessen Gesicht zwischendurch zu einer finsteren Maske erstarrt war, brach zum wiederholten Male an diesem Abend in schallendes Gelächter aus: „Nur zu gerne, Johanna, nur zu gerne!"
Von einem Ohr zum anderen grinsend, schob er einen völlig überforderten John zur Seite und bot Johanna mit einer ironischen Verbeugung seinen Arm an. Mit einem ebenso spielerischen Knicks erwiderte sie und hakte sich unter.
„Jetzt mal langsam", fuhr John dazwischen, der sich gerade noch rechtzeitig zu fangen schien: „Das ist ehrlich deine Antwort?"
Noch einmal drehte Johanna sich zu ihm um: „Ja."
„Oh, komm schon", protestierte John, die Arme vor der Brust verschränkt: „Du willst doch auch. Spiel nicht schwer zu kriegen, das steht einer echten Frau nicht."
Sie schnaubte nur: „Wenn du mit mir spielen willst, dann nach meinen Regeln. Hinter der Tür da warten sicher genug Mädels, die sich gerne deinen Regeln beugen."
Und damit bedeutete sie Mark, dass sie endgültig gehen wollte.
John hielt sie nicht auf. Völlig überrumpelt blieb er zurück, die Arme hingen wahllos neben ihm herab, und er versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Diese Frau in ihren Kleidern, die eher an die fünfziger Jahre erinnerten, hatte ihn kaltschnäuzig abgewiesen, nachdem beim Konzert zuvor noch ein einziger Blick ausgereicht hatte, damit sie rot anlief. Warum überhaupt interessierte er sich so für sie? Normalerweise würdigte er Frauen, die so viel Wert auf Eleganz und Stil legten, doch keines Blickes. Er mochte seine Frauen wild, unbeherrscht, dreckig – und vor allem leidenschaftlich. Nichts davon traf auf diese Johanna zu. Höchstens ihre Bluse, die durch den Schweiß durchsichtig geworden war und einen spitzenbesetzten BH enthüllt hatte.
Ihre wenigen Worte ließen darauf schließen, dass sie Feministin war, ein Frauenschlag, der ihm erst recht nicht gefiel. Männer waren nicht die Feinde der Frauen, und alle, die künstlich einen Geschlechterkampf herbei fabulierten, waren ihm zuwider. Aber würde eine Feministin sich heute so kleiden, wie Frauen zu der Zeit, als die Unterdrückung durch den Mann größer denn je gewesen war?
Und wieso ging jemand wie sie auf seine Konzerte?
Genervt schüttelte er den Kopf. Er hatte definitiv zu viel Alkohol im Blut, um über so komplizierte Fragen nachzudenken. Er hatte sie gefragt, ob sie sich ficken lassen will, sie hatte Nein gesagt. Ende der Sache, klare Ansage. Sollte sie mit ihrer Hochsteckfrisur zum Teufel gehen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro