Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

8.

Am Tag darauf wurde er zum Verhör geführt. Es war derselbe Raum wie zuvor und er wurde auf denselben Stuhl gesetzt. Der Tisch war von der Wand weggerückt worden, sodass der Major dahinter Platz nehmen konnte. Kompaniefeldwebel Reiser positionierte sich diskret hinter seinem Vorgesetzten an einem weiteren Tisch, der neu in diesem Zimmer war. Neben ihm befand sich ein Mann in der Uniform eines Gefreiten, der Nikolai nicht bekannt war. Das Auffälligste an ihm waren sein strohblondes Haar und seine abstehenden Ohren, die einen unvorteilhaften Kontrast zu seinem schmalen Gesicht bildeten und ihm das Aussehen einer Maus verliehen.

Nikolai wagte es nicht, den Offizier aus den Augen zu lassen, der seit einer gefühlten Ewigkeit in irgendwelchen Unterlagen blätterte und ihn warten ließ. Absichtlich, wie er vermutete. Er fragte sich, ob der Mann bei Sinnen war. Wer tauchte nachts einfach so an jemandes Bett auf und starrte ihn an, ohne etwas zu sagen? Der Vorfall ließ Nikolai nicht mehr los.

Unbehaglich sah er sich um und entdeckte dabei eine schmale Tür in der Wand, die so unscheinbar war, dass sie man sie kaum wahrnahm. Das schien die Erklärung zu sein, wie der Major in den Raum gelangt war, ohne dass Nikolai es mitbekommen hätte. Nikolai schüttelte es. Diese Person war unheimlich.

Endlich löste der Major den Blick von seinen Akten und richtete seine Aufmerksamkeit auf Nikolai.

„Leutnant Orlow", setzte er an. „Ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir. Mein Name ist von Hohenstein und dies ..." Er wies auf den Blonden. „...ist der Gefreite Schwarzer. Er fungiert als unser Übersetzer. Vielleicht ermutigt Sie das, mit uns zu kooperieren."

Während er gesprochen hatte, hatte Nikolai genau auf von Hohensteins Mimik und seinen Ton geachtet. Er hatte nach Anzeichen von Spott, Sadismus oder Überheblichkeit gesucht – oder zumindest nach irgendetwas. Aber er wurde enttäuscht. Da war nichts. Der Mann verhielt sich so sachlich, distanziert und kühl, dass man absolut nichts aus ihm lesen konnte. Das war gar nicht gut. 

Die Angst, seine alte Vertraute, stieg erneut in ihm auf und nahm ihn in Besitz wie ein Parasit seinen Wirt. Irgendetwas an diesem Mann versetzte ihn in ein solch eiskaltes Entsetzen, das er sich nicht erklären konnte. Hätte er behauptet, er schleiche nachts durch die Straßen, um Menschen aus dem Hinterhalt zu ermorden, hätte Nikolai es ihm geglaubt. Er hatte etwas Kaltes, Berechnendes an sich und er war sicher, sollte er wirklich Morde begehen, dann waren das wohlüberlegte, perfekt kalkulierte Handlungen ohne jede Spur von Aggressivität oder Wahn. Ein sauberer Schnitt, mit dem die Kehle durchtrennt wurde, still, heimlich, leise und im Beisein aller Sinne... Oh Gott.

Nikolai versuchte, sich selbst zu beruhigen. Er durfte nicht zulassen, dass seine Fantasie derart mit ihm durchging. Wenn er das hier überstehen wollte, musste er einen kühlen Kopf bewahren.

„Nun, dann wollen wir mal, Leutnant. Sie wissen, was ich hören will. Wann und wo soll die Offensive beginnen?"

Sprechen funktionierte nicht mehr, das spürte er bereits. Es war, als befinde sich ein Knödel in seinem Mund, den er ausspucken wollte, während er sich zugleich an ihm festbiss – ein Ding der Unmöglichkeit. Schreiben konnte er allerdings noch, die Lähmungserscheinungen waren bisher nicht eingetreten. Sollte er? Er schielte auf das Papier und den Stift, die nur darauf warteten, von ihm benutzt zu werden. Nein.

Erwartungsvoll hob der Major die Augenbrauen. „Ich höre."

Nikolai blieb stumm. Von Hohenstein gab Schwarzer ein Zeichen.

„Übersetzen Sie."

Gehorsam gab der Gefreite die Worte auf Russisch wieder, doch das kümmerte Nikolai wenig. Er hatte den Major verstanden.

„Ich weiß nicht, ob ich Sie für stur oder für dumm halten soll, Leutnant. Sie könnten sich so leicht retten, Sie müssen nur ein paar meiner Fragen beantworten und dieser Spuk hier ist zu Ende, bevor er richtig angefangen hat."

Spuk ist gut ausgedrückt, schoss es Nikolai durch den Kopf, wenn er an letzte Nacht dachte. Von Hohenstein ging in keiner Weise auf diesen Vorfall ein, er tat so, als hätte er nie stattgefunden. Mit rasendem Herzen versuchte Nikolai sich an ein paar Worten. „Ich w...w..."

Verdammt. Vor Scham lief er feuerrot an.

„Ich w...w...weiß...es...nicht."

Geschafft. Für einen Moment erlaubte er es sich, aufzuatmen. Ein weiteres Mal suchte er im Gesicht seines Peinigers nach irgendwelchen Anzeichen. Wurde er wütend? Ungeduldig? Er konnte es nicht erkennen. Scheinbar seelenruhig blätterte der Major erneut in den Akten.

„Sie wurden in Moskau geboren?"

Nikolai brachte ein Nicken zustande.

„Und Sie waren Tänzer?"

Noch ein Nicken, obwohl er nicht verstand, was diese Fragen bezwecken sollten. Ging es hier nicht um die Offensive? War es da nicht unwichtig, wo er geboren worden war und was er vor dem Krieg gemacht hatte?

„Vom Tänzer zum Offizier. Interessante Laufbahn."

Genau wie Reiser sprach auch von Hohenstein sehr langsam, bei ihm hingegen klang es nicht so, als täte er das bewusst. Es schien, als wolle er sein Folterinstrument – seine Worte – in Gänze auskosten und genießen.

„Warum haben Sie sich gemeldet?"

Der Major taxierte ihn mit einem Blick, der so intensiv war, dass Nikolai unwillkürlich wegsah. Bevor er sich nicht mehr bewegen konnte, schnappte er sich Stift und Papier, richtete letzteres genau parallel zur Tischkante aus und kritzelte rasch darauf: Wollte meine Karriere voranbringen.

Von Hohenstein nahm das Blatt entgegen und las. „Indem Sie als Held zurückkehren?"

Nikolai nickte.

„Verstehe. Ich wusste nicht, dass man in Russland stotternde Offiziere zulässt. Wie haben Sie Ihre Befehle erteilt, wenn Sie kaum ein Wort herausbringen?"

Die Aussage versetzte Nikolai einen schmerzhaften Stich. Es war ungewohnt, die Worte so deutlich ausgesprochen zu hören. Was sollte er darauf antworten? Die Wahrheit? Die Frage war bloß, was die Wahrheit war. Dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestottert hatte und von heute auf morgen schon? Das klang so unglaubwürdig, dass er es selbst nicht begreifen konnte. Er beschloss, die Frage zu ignorieren.

Seelenruhig schob von Hohenstein Blatt und Stift über den Tisch und wies einladend darauf. „Bitte sehr. Sie müssen nicht sprechen, wenn Sie nicht können, schreiben zählt ebenso."

Ich hatte meine Methoden, schrieb er also.

„Eine kryptische Antwort, sehr schön", kommentierte von Hohenstein zu seiner Überraschung. „Schwere Fälle wie Sie sind mir die liebsten, da bereitet es mir ein besonderes Vergnügen, sie zu Fall zu bringen und ihren Willen zu brechen wie..."

Von Hohenstein legte eine Pause ein, zog auf unerklärliche Weise einen Ast hervor und brach ihn in der Mitte durch. Das leise Knacken brachte Nikolais Beine zum Zittern. Achtlos ließ der Major die zwei Teile auf den Boden fallen und beendete seinen Satz: „...wie diesen Ast. Das hätte Ihr Finger sein können, meinen Sie nicht? Sie haben so dünne Hände..."

Hastig legte Nikolai seine Hände auf die Knie, um sie unter Kontrolle zu halten, aber das Zittern wurde stärker, sodass seine Mühen erfolglos waren.

„Wann und wo wird die Offensive beginnen?", wiederholte von Hohenstein seine ursprüngliche Frage, die Schwarzer sogleich übersetzte. Obwohl er schon vor sich sah, wie man ihm gleich jeden einzelnen Finger brechen würde, zeigte Nikolai keine Regung. Er wollte nicht das Todesurteil so vieler Männer unterschreiben. Flüchtig betrachtete er Reiser, der sich tief über die Tischplatte beugte und mit fliegenden Fingern etwas in ein Protokoll schrieb. In regelmäßigen Abständen zog er den Rotz hoch.

„Reiser", sprach der Major seinen Untergebenen an, ohne sich zu ihm umzudrehen. Dieser unterbrach sofort seine Tätigkeit. „Herr Major?"

„Erläutern Sie dem Herrn Leutnant, wie man einem Menschen am besten die Finger bricht."

„Jawohl, Herr Major. Es gibt eine breite Auswahl an Methoden. Man kann die Finger zum Beispiel so sehr verdrehen, überdehnen oder auseinanderziehen, bis der Knochen nich' mehr standhält. Am besten biegt man den Finger in eine Richtung, in die man ihn eigentlich nich' biegen sollte. Darüber hinaus is' es möglich, einen Stein zu nehmen und so fest wie möglich darauf zu schlagen."

Reiser sprach so nüchtern über diese Grausamkeit, als halte er einen Vortrag über die Nahrungsaufnahme von Pflanzen. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Nikolai beinahe über Reisers Bemühungen, in Gegenwart seines Vorgesetzten nicht zu sehr der Umgangssprache zu verfallen, gelacht. Mittlerweile hatten auch Nikolais Hände angefangen zu zittern. Er gab sich die größte Mühe, sich die Ausführungen des Kompaniefeldwebels nicht vorzustellen, aber es gelang ihm nicht.

„Danke, Kompaniefeldwebel. Das klingt nicht sehr angenehm, oder?"

Von Hohenstein beugte sich ein Stück nach vorne, woraufhin Nikolai seinen Oberkörper nach hinten bog, um diesem Mann nicht so nahe sein zu müssen.

„Hören Sie, Leutnant. Ich will solche Methoden nicht anwenden, aber wenn Sie nicht antworten, habe ich keine andere Wahl. Ich will den Ort und das Datum wissen."

Ich weiß es nicht., schrieb Nikolai auf das Blatt, in der Hoffnung, der Major könne die vollkommen verwackelten Buchstaben lesen.

„Ich bitte Sie, das soll ich Ihnen glauben? Wenn Sie Befehle erhalten haben, müssen Sie doch auch wissen, wann und wo Sie diese umsetzen sollen."

Fieberhaft starrte Nikolai auf das Blatt und überlegte, was er als nächstes darauf schreiben sollte. Der Major hatte recht, eine gute Lüge war das nicht. Wäre sein Kopf nicht so leergefegt, wäre ihm womöglich etwas Besseres eingefallen.

Ein Stein, der seine Finger brach. Das Bild drängte sich ihm erneut auf, sodass sich seine Muskeln verkrampften. Jeder einzelne zog sich zusammen, ruckartig und heftig. Ein mörderischer Schmerz ließ ihn erbeben. Es fühlte sich an, als jagten Stromstöße durch seine Sehnen, bis nicht nur seine Hände und Beine zitterten, sondern sein gesamter Körper.

Von Hohenstein beachtete seinen Anfall nicht, sondern versuchte es mit einer anderen Frage. „Wie viele Divisionen werden beteiligt sein?"

Nikolai schüttelte den Kopf, um damit zu signalisieren, dass er es nicht wusste. Zumindest gab er das vor. Allmählich schaufelte sich das, was in der Lagebesprechung erörtert worden war, vom Unbewussten zurück ins Bewusstsein. Offenbar brauchten die Informationen nichts weiter als einen kleinen Schubs, um sich aus der Deckung zu wagen. Ob es sich mit den Geschehnissen im Bunker auch so verhalten würde?

„Aber die Namen der Befehlshaber werden Sie doch wohl kennen?"

Nikolai blieb stumm auf seinem Stuhl sitzen. Dieses unablässige Zittern war so unangenehm, dass es beinahe dem Gefühl von Schmerz glich. Er spürte die ungeheure, historische Verantwortung auf seinen Schultern, die ihn schier erdrückte. Sieg oder Niederlage für Russland. Es könnte von ihm abhängen. Er konnte es einfach nicht glauben und fragte sich, was ein Sieg Deutschlands über seine Heimat verändern würde. Solange er weiterhin tanzen konnte, sollte ihm das egal sein, wären da nicht die vielen Soldatenleben, die rettungslos verloren wären ... Die ganze Zeit musste er daran denken und wie zuvor in seiner Zelle focht er einen stummen Kampf gegen sich selbst aus. Moral oder Eigennutz? Wer würde siegen?

„Wird General Michail Wassiljewitsch Alexejew beteiligt sein?"

Nikolai horchte auf. Woher wusste er das? Von Hohenstein war sein überraschter Gesichtsausdruck nicht entgangen.

„Sehen Sie mich nicht so an. Wir hören die Funksprüche Ihrer Armee schon seit Kriegsbeginn ab. Wundert Sie das etwa?"

Nein, im Prinzip nicht. Bei dem ganzen Durcheinander in der Armee sollte es ihn nicht überraschen, dass bei der Übertragung der Funksprüche etwas schiefgelaufen war. War es dann auch möglich, dass die Deutschen bereits etwas über die Brussilow-Offensive wussten und er nur ein weiteres Teil in ihrem Puzzle war, das er vervollständigen sollte? 

Die Ungewissheit, wie viel diesem Major schon bekannt war, nagte wie eine hässliche Ratte an ihm, die ihm qualvoll kleine Fleischstücke vom Leib riss. Was konnte er guten Gewissens zugeben, weil sein Gegenüber ohnehin schon darüber informiert war? Was wäre diesem Mann neu und somit schädlich für Russland?

Von Hohenstein lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schlug die dürren Storchenbeine übereinander und legte die Hand auf seinen Spazierstock. Die Position wirkte selbstsicher, als täte er nie etwas anderes als jemanden zu verhören.

„Wissen Sie, was euer Problem ist, von euch Russen?", fragte er und erneut war Nikolai verwundert über seinen Ton. Es klang nicht vorwurfsvoll oder gar gehässig, sondern als würde er plaudern wollen, eine lockere Unterhaltung zwischen zwei Bekannten.

„Ihr seid impulsiv und unkontrolliert", klärte er seine rhetorische Frage auf. „Eure Männer folgen euch Offizieren aus Angst vor Bestrafung, nicht aus Loyalität. Deswegen ist eure Armee in einem solch verlotterten Zustand."

Das war Nikolai nicht neu. General Brussilow hatte das ebenso erkannt. Das einzige, was ihn erschreckte, war die Tatsache, wie gut dieser Mann über die inneren Strukturen der russischen Armee informiert war. Seine unheimlichen Augen schienen alles zu sehen, alles zu durchblicken und alles zu wissen. Sie waren tief und unergründlich wie ein tückischer Urwald voller Gefahren. Nikolai fröstelte.

„Sind Sie mit General Brussilow gut vertraut?", fragte der Major weiter.

Nikolai schüttelte den Kopf.

„Haben Sie die Befehle von ihm persönlich erhalten?"

Kurzzeitig fragte er sich, ob er darauf antworten durfte oder nicht. Eigentlich war es keine Information, die von Hohenstein direkt nützen könnte, also nickte er.

„Sie wurden zu einer Lagebesprechung eingeladen?"

Was war mit dieser Frage? Sollte er antworten oder nicht? Sie klang nicht gefährlich, aber was konnte er schon über die Methoden dieses Mannes wissen? In seinen Schläfen begann es, unangenehm zu pochen.

Nach einem längeren Zögern nickte er. Hoffentlich war das nicht falsch gewesen.

„Wo hat diese Besprechung stattgefunden?"

Nikolai zermarterte sich das Hirn. Brachte es von Hohenstein etwas, wenn er das verriet? Dieses Mal zögerte er noch länger. Der Major wartete geduldig und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Das Pochen in seinen Schläfen verwandelte sich in einen bohrenden Schmerz, der in seinen Kopf und seinen Nacken ausstrahlte. Es schien, als wolle sich sein Körper gegen diese gewaltige mentale Anstrengung mit aller Macht auflehnen. Er schrie ihn an, dass er Ruhe brauche, dass er sich erschöpft fühle und an seine Grenzen geriet.

Die Stille im Verhörraum war bedrückend und wurde ausschließlich von Reisers häufigem Schnäuzen und dem Geräusch, wenn er in dem Protokoll blätterte, durchbrochen. Was mochte er darin festgehalten haben? Stand bereits irgendetwas darin, das dem Feind von Vorteil wäre? Hatte er einen Fehler begangen, ohne es zu merken? Und wenn schon, mischte sich sein innerer Teufel ein. Eine Schlacht wird es so oder so geben, es werden in jedem Fall Männer sterben, nicht nur dann, wenn du etwas verrätst.

Das stimmte natürlich, aber wenn er die Informationen für sich behielt, würden die Opferzahlen geringer ausfallen. Am liebsten hätte sich Nikolai in eine Ecke verkrochen, die Arme um seinen Leib geschlungen und sich für immer von dieser Welt abgeschottet. Er wollte diese Verantwortung nicht, wollte nicht über Leben und Tod entscheiden.  In gewisser Weise musste er sich nicht nur gegen seine Peiniger behaupten, sondern vor allem gegen sich selbst und er wusste nicht, ob er dafür stark genug war.

„Leutnant Orlow, ich warte", riss ihn von Hohenstein aus seinen Gedanken. Nikolai holte tief Luft und versuchte es noch einmal mit Sprechen. Er konzentrierte sich so gut es ging, dachte die Worte und versuchte, sie behutsam in seinen Mund zu legen. Das funktionierte, doch als er sie aussprechen wollte, blieben sie stecken. Es war, als hätte eine unsichtbare Macht seine Stimmbänder gelähmt. Mit bebenden Fingern griff er nach dem Papier. Er setzte die Bleistiftmine an und wollte schreiben. Keine Chance. Seine Hände zitterten so stark, dass alles, was er zustande brachte, ein unkontrollierter Strich über das gesamte Blatt war. Versehentlich drückte er dabei so fest auf, dass das Papier riss.

Nikolai hob den Kopf und begegnete dem Blick des Majors. Ich kann nicht, dachte er. Begreif das doch und lass mich in Frieden.

Abermals putzte sich Reiser mit einem trompetenden Geräusch die Nase.

„Verzeihung", murmelte er. „Die Pollen, Sie wissen schon."

Gebieterisch hob von Hohenstein die Hand. „Habe ich Ihnen erlaubt, das Wort zu ergreifen, Kompaniefeldwebel?"

Reiser erbleichte. Am Auf- und Abhüpfen seines Kehlkopfes konnte Nikolai erkennen, dass er schluckte. Wenn sogar seine Untergebenen Angst vor ihn hatten, wie sollte Nikolai dann keine verspüren?

„Nein, Herr Major."

„Dann tun Sie es nicht."

„Jawohl, Herr Major, ich bitte um Entschuldigung."

Unausstehlich langsam zog von Hohenstein das Blatt, das Nikolai soeben zerstört hatte, zu sich heran und betrachtete es. Lange. Viel zu lange. Man hätte gar meinen können, er begutachte ein historisches Dokument, das noch niemand vor ihm zu Gesicht bekommen hatte. Seine Augen lagen im Schatten, weshalb Nikolai seinen Blick nicht erkennen konnte und dennoch glaubte er, etwas Entrücktes darin zu bemerken. Das schwarze Leder seiner Handschuhe glänzte im Licht der Petroleumlampen. Was mochte der Grund dafür sein, dass er sie hier drinnen trug?

Nikolais Kopf schien vor Anstrengung zu explodieren. Er presste seine Hände dagegen, wohlwissend, wie elendig das aussah. Das Gefühl von Demütigung und Erniedrigung floss glühend heiß durch seine Adern.

„Sie wollen mich zum Narren halten", beschuldigte ihn sein Peiniger mit einem Mal. Ein seltsamer Nachklang begleitete seine Stimme, schon die ganze Zeit über. Er sprach nicht nur langsam, sondern zog selbst einzelne Wörter unnötig in die Länge, was sie nur umso bedrohlicher klingen ließ. „Sie tun so, als könnten Sie weder sprechen noch schreiben, indem Sie einen Zitteranfall vortäuschen", fuhr der Major fort. „Sie sind ein guter Schauspieler. Kein Wunder, wenn Sie am Theater gearbeitet haben, doch mich führt man nicht hinters Licht, ich durchschaue jeden."

Nikolai versuchte, etwas Flehentliches in seinen Ausdruck zu legen, um dem Offizier zu signalisieren, dass er nichts vortäuschte, dass sein Problem echt war. Von Hohenstein verstand die Botschaft nicht oder er wollte es nicht. Jedenfalls erhob er sich, stützte sich auf seinen Gehstock und trat auf Nikolai zu. Kurz vor ihm blieb er stehen, sah auf ihn herab wie ein König auf einen Sklaven und funkelte ihn an. „Sie wollen spielen? Schön, Ihre Entscheidung. Es hätte auch einfach ablaufen können, aber fortan werde ich nicht mehr so nachsichtig mit Ihnen sein."

Unvermittelt beugte sich der Major zu ihm herunter, bis er seinem Gesicht ganz nahe war und zischte so leise, dass nur Nikolai es hören konnte: „Ich werde Sie vernichten, wenn ich nicht von Ihnen bekomme, was ich will."

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro

Tags: #ballett