9. Kapitel
9. Kapitel
„Ach verdammt! Das nennt sich mal eine sinnlose Aktion!“, jammerte Timo niedergeschlagen.
„Im Gegenteil“, warf ich ein. „Denk doch mal an all die Informationen, die wir jetzt haben!“
Am liebsten hätte ich Timo beruhigend auf die Schulter geklopft, aber das ging etwas schlecht, da er mich immer noch umklammerte, als wolle er mich nie wieder loslassen.
Wir saßen auf meinem Bett, neben uns ein paar Konservendosen, die wir allerdings nicht essen konnten, weil wir uns immer noch gegenseitig festhielten. Ein eher nebensächliches Problem stellte auch dar, dass wir bei jedem Geräusch am liebsten unters Bett verschwunden wären, was allerdings nicht ging, weil sich dort schon mein Drahtesel und mein gesamter Vorrat an Konservendosen befanden.
„Wenn uns hier jemand findet, sind wir tot. Egal ob es die Schuldirektorin oder Smug oder sonst wer ist“, seufzte Timo. Darauf wusste auch ich nichts mehr zu sagen. Unsere Lage war wahrlich miserabel, aber noch gab es Hoffnung.
„Sieh mal“, sagte ich nach einer Weile des Schweigens. „Jetzt wissen wir immerhin, wie wir Lynn befreien können. Noch müssen wir die Hoffnung nicht aufgeben.“
„Was du nicht sagst.“ Timo grinste und sprang auf. „Solange sie dich mir nicht wegnehmen.“ Mit diesen Worten fischte er einen Schal aus meinem Schrank und warf ihn mir zu. „Hier. Nur zur Sicherheit.“
„Hm. Stimmt.“ Lächelnd hob ich den Schal auf und band ihn mir um. „Du brauchst aber auch einen. Dein Zeichen ist an derselben Stelle. Wenn jemand das sieht, weiß er auch, wo er bei mir zustechen muss. Wenn man dein Zeichen verletzt, ist die Bindung aber nicht weg, oder?“
„Nein. Es funktioniert nur, wenn das Zeichen des Menschen verletzt wird.“
Kurz darauf hockten wir etwas entspannter auf meinem Bett – beide natürlich mit einem Schal ausgerüstet – und löffelten Dosenbohnen. Leider kalte.
„Was ich mich allerdings noch frage“, nuschelte ich mit vollem Mund. „Wie will Smug den Schwarzen Dämon, wer auch immer das ist, zu seinem eigenen machen?“
„Gute Frage. Wenn man das Zeichen verletzt ist der Dämon ja frei … und da der schwarze Dämon ja offensichtlich schon ein Dämon ist, kann er ihr auch schlecht umbringen, was?“
„Allerdings. Und wofür er Lynn dabei braucht, ist mir auch schleierhaft.“
„Wahrscheinlich ist die Wahrheit keine angenehme, also besser, wir holen deine Freundin da raus, bevor es so weit ist“, schlug Timo vor.
„Ja. Aber wann ist es so weit? Fragen über Fragen …“, seufzte ich.
„Auf die wir nur an einem Ort Antworten finden: In Smugs Haus.“
„Was?“, rutschte es mir heraus. „Da geh ich nicht noch einmal rein!“
„Willst du nun Lynn retten oder nicht?“
Meine Antwort bestand nur aus einem Husten, da ich mich an meinen Bohnen verschluckt hatte. Auch Timo blieb das Zeug buchstäblich im Hals stecken.
Es dauerte eine Weile, bis ich wieder sprechen konnte, doch bis dahin hatte ich ein wenig Zeit gehabt, um nachzudenken.
„Was hältst du davon, wenn wir morgen besser zu deinem Zuhause gehen?“
„Ich habe doch gesagt, ich interessiere mich nicht für meine Vergangenheit“, sagte Timo verwundert.
„Aber ich. Außerdem muss es doch einen Grund gegeben haben, weshalb du in Smugs Garten rumgeschlichen bist. Vielleicht finden wir auch bei dir Antworten.“
„Ein Versuch ist es wert“, stimmte Timo mir zu und kurz darauf schlummerte wir friedlich nach einem anstrengenden Tag in meinem Zimmer. Aber natürlich nicht ohne meinen Schreibtischstuhl unter die Türklinke geschoben zu haben.
Der nächste Tag begann leicht nebelig, was unsere Laune jedoch nicht trüben konnte.
„Gehen wir gleich los?“, fragte ich munter. „In die Schule können wir jedenfalls unter diesen Umständen nicht.“ Voller Tatendrang öffnete ich die Tür und starrte direkt in das tödliche Gesicht der Schuldirektorin.
„Argh!“ Beinahe hätte ich die Tür einfach wieder zugeschlagen, aber sie war schneller und schon steckte ein Fuß zwischen der Tür.
„Mach die Tür wieder auf, Ann. Du quetschst meinen Fuß ein“, drang die eiserne Stimme durch den Türspalt zu uns herein.
„Ja, genau. Du machst die Tür auf und ich mache Hackfleisch aus ihr“, schlug Timo grimmig vor. Zum ersten Mal seit längerer Zeit trug er wieder sein bedrohliches Lächeln auf den Lippen und ich erschauderte, als ich ihn so sah.
„Das habe ich gehört!“, rief die Direktorin. „Halte besser deinen Cousin in Schach! Wenn er mich noch einmal anspringt, könnt ihr etwas erleben, gegen das Cafeteria putzen das reinste Zuckerschlecken ist! Apropos: Das dürft ihr heute natürlich auch noch machen.“
Timo knurrte, ich erbleichte bei der bloßen Vorstellung, in einer Schule gefangen zu sein, in der Smug voller Mordlust herumgeisterte, und die Direktorin nutzte die Gelegenheit, die Tür aufzustoßen. Erst jetzt sah ich, dass neben ihr auch noch der Stellvertretende Schulleiter und der Stufenleiter standen. Heute war an Entkommen wohl nicht zu denken.
Beim Frühstück bekamen wir kein Bissen hinunter und das nicht nur, weil uns eigentlich jeder hier im Raum anstarrte. Dass wir danach mit Leibwächtern zur Schule gebracht wurden, machte es nicht gerade besser.
Ich zitterte vor Angst und blickte mich ständig hektisch nach Mr Smug um, während Timo jedem der beiden Männer mindestens dreimal fast an die Kehle gesprungen wäre. Er war so wild wie an unserem ersten Tag, zuckte bei jedem Geräusch und ließ nicht selten ein leises Grummeln hören. Meine Angst schien ihn wahnsinnig zu machen.
Kaum in der Klasse angekommen hoben alle Schüler den Kopf und sofort hatten sie uns umzingelt. Fassungslos blickte ich mich um und fragte mich, ob meine Abwesenheit wirklich so auffällig gewesen war.
„Was ist passiert? Wo warst du? Warum bringt die Direktorin persönlich dich hierher?“ Fragen umschwirrten mich, aber ich fand gar keine Zeit, sie zu beantworten, denn Timo sah gar nicht gut aus. Totenbleich stand er da, anscheinend hoffnungslos überfordert mit so vielen Menschen, die er alle auf einmal angreifen wollte.
„Timo“, sagte ich so leise, dass man es im allgemeinen Lärm kaum hören konnte, und hielt ihn vorsorglich am Arm fest. Seine Muskeln waren angespannt, ich spürte das leichte Beben seines Körpers und seltsamerweise beruhigte es mich. Auch Timo schien nun ruhiger zu werden, denn er drehte sich zu mir um und lächelte sogar leicht, ein trauriges, jedoch nicht gefährliches Lächeln.
„Da müssen wir jetzt durch. Aber keine Angst“, sagte er und legte mir eine Hand auf die Schulter, als wäre ich diejenige, die beinahe durchgedreht wäre und nicht er.
„Ist das wirklich dein Cousin?“, fragte ein Mädchen beinahe eifersüchtig.
„Ja, wieso?“, fragte Timo zurück und versuchte mich zu umarmen, doch ich wich ihm aus.
„Lass das! Der Lehrer starrt uns ja jetzt schon bitterböse an“, sagte ich, wobei ich Timo gerade noch rechtzeitig festhalten konnte, bevor er wild entschlossen auf unseren Lehrer zumarschierte.
Die erste Stunde verlief ehrlich gesagt wie am Schnürchen. Timo und ich wechselten uns mit schreiben ab, da Timo unbedingt auch wollte (inzwischen schrieb er so, dass das Heft dabei heil blieb), und auch die zweite Stunde war ertragbar. Da der Lehrer keinen Grund fand, mich zu ermahnen, fand Timo auch keinen Grund, ihm an den Kragen zu gehen, und so war ich bester Laune, als die Pause begann. Besser gesagt: Ich war bester Laune, bis die Pause begann. Der Gedanke, Smug zu begegnen, ließ mich kreidebleich vor Angst werden, während Timo es nicht gerade besser machte. Alle zwei Meter zog er mich an eine Wand, um dann zuzugeben, dass es ein Falschalarm gewesen war.
Nunja. Und auf dem Schulhof kamen wir auch nicht weiter. Denn eigentlich hatte ich geplant, auf der Stelle mit meinem Drahtesel abzuhauen, aber da stand nunmal leider nicht nur die Pausenaufsicht sondern Mr Smug persönlich im Weg. Unwillig gab ich mich geschlagen, selbst Timo sah ein, dass ein Kampf nicht die bessere Lösung war. Stattdessen war er ruhig geworden, ließ meinen Ärmel jedoch kein einziges Mal los. Das war das einzige Zeichen, das verriet, dass auch er Angst hatte.
Zehn Minuten später saßen wir in einer öden Mathestunde und Timo schrieb mal wieder in mein Heft, diesmal jedoch nichts zum Unterricht.
Wusstest du, dass Smugs Zeichen auf seinem Arm ist?, schrieb er. Früher oder später müssen wir ihn angreifen.
„Aber nicht jetzt“, flüsterte ich zurück.
„Was beredet ihr denn da so ungeheuer Geheimes?“, mischte sich die Lehrerin ein, wobei ich unschuldig das Geschriebene mit dem Arm verdeckte.
„Nichts. Nichts Geheimes. Wir müssen nur beide ungeheuer dringend aufs Klo“, behauptete ich scheinheilig.
„Ich lasse euch nur einzeln.“
„Na, dann eben nicht. Wir können auch noch bis zur nächsten Pause warten“, seufzte ich. Alleine zu gehen war viel zu gefährlich – wer wusste schon, ob Smug wirklich gerade Unterricht hatte oder heimlich auf dem Gang lauerte?
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