
11. Kapitel
11. Kapitel
„Das gefällt mir nicht. Jede Antwort wirft eine neue Frage auf“, seufzte ich, als wir wieder fuhren. „Und hast du das Fahrrad bemerkt? So eins will ich auch haben, wenn ich groß bin.“
Timo, mal wieder hinten drauf, blieb stumm, abgesehen von einem belustigten Grummeln.
Fünf Minuten später meldete er sich doch zu Wort.
„Warum hältst du vor Smugs Garten? Was wollen wir hier? Geköpft werden?“
„Neee. Ich habe nur nachgedacht und bin zu folgendem Entschluss gekommen … Wenn wir Lynn befreien, wird sie zu einem wilden Dämon, der regelmäßig Menschen umbringt. Wenn wir sie allerdings in Smugs Händen lassen, wird sie willenlos ins Verderben laufen. Erst müssen wir rauskriegen, was genau er mit ihr plant, und dann die beiden Möglichkeiten gegeneinander aufwägen“, erklärte ich.
„Ah. Ziemlich aussichtslos, wenn du mich fragst.“
„Wer weiß, vielleicht entdecken wir die erleuchtende letzte Information per Zufall? Also auf geht’s!“
„Auf ins Verderben“, stöhnte Timo und folgte mir widerwillig. Erst jetzt kam mir der Gedanke, dass auch er mir willenlos ins Verderben folgen würde. Doch dieser Gedanke war so scheußlich, dass ich ihn lieber gleich verdrängte. Außerdem: Was sollte ich schon tun? Ihn befreien? Ihn zurückweisen? Beides war dem Buch zufolge, in dem wir gerade gelesen hatten, nicht sinnvoll. Ganz und gar nicht sinnvoll.
Mir bleibt keine Wahl!, brachte ich mein Gewissen zum Schweigen, als ich durch Smugs Wohnzimmerfenster lugte.
Timo warf nur einen Blick hinein, dann ließ er seinen Blick über den Garten schweifen. „Lynn ist nicht bei ihnen“, murmelte er leicht nervös, aber ich reagierte gar nicht. Meine Aufmerksamkeit galt ganz dem Buch, das einer der Dämonen in der Hand hielt und nun mit einer gewissen Endgültigkeit zuschlug. Durch die schmutzige Scheibe konnte ich den Titel nur schwer erkennen, und so realisierte ich erst, als das Buch in den Kamin geworfen wurde, dass die Worte auf dem Bucheinband „Der Schwarze Dämon“ lauteten.
„Der schwarze Dämon!“, raunte ich eine gute Spur zu laut. „Timo! Sie verbrennen das Buch!“
„Was?“ Timos Blick folgte meinem Finger und nun sah auch er das Buch im Karmin, um das glühende Funken tanzten.
„Wir brauchen das Buch! Das lasse ich nicht zu!“ Von einer plötzlichen Wut erbebend machte ich einen Schritt zurück, zog Timo aus der Gefahrenzone und trat mit meinem robusten Schuh die Scheibe ein. Sofort rieselte es Glassplitter, ein paar wurden in den Raum hineingeschleudert, einer blieb in meinem Schuh stecken.
Die Dämonen wirbelten herum, aber noch bevor sie die Lage ganz überblickt hatten, war Timo wie eine Katze durchs Fenster gesprungen, schlitterte auf den Kamin zu und pflückte zu meinem grenzenlosen Entsetzten das Buch aus dem Kamin. Dabei verzog er nicht einmal eine Miene, im Gegenteil: Er spuckte Smug vor die Füße, machte eine Kehrtwendung und hastete aufs Fenster zu.
Erst da reagierte ich und griff blitzschnell zwischen den Glassplittern durch, um das Fenster richtig zu öffnen. Ich hatte das Gefühl, mein Herz setze aus und alles liefe plötzlich furchtbar langsam ab. So sah ich nur allzu genau, wie Timo in weiten Sprüngen auf mich zugerannt kam, spürte, wie ich an einer Glasspitze hängen blieb, bekam den Fenstergriff zu fassen und drehte.
Der Schmerz erreichte mein Gehirn Sekunden später, etwa zur selben Zeit, als ich den größten der Dämonen vorspringen sah.
Mein Warnschrei kam zu spät. Zwar schwang das Fenster auf, aber Timo erreichte es nicht rechtzeitig. Der andere Dämon war schneller und schmetterte ihm so heftig einen Arm vor die Brust, dass er zurücktaumelte und hinfiel.
Leise, fast kläglich und doch für meine Ohren so laut und herzzerreißend klang der Schrei, der Timos Mund entwich. Ein dünner Blutrinnsal lief aus seinem Mund.
Von einer Sekunde auf die andere schoss Adrenalin durch meine Adern, mit gefletschten Zähnen setzte ich mit einem gewaltigen Sprung durchs Fenster und landete auf dem Rücken des Dämons. Der wirbelte fluchend herum, aber ich hielt fest. Zumindest so lange, bis ein weiterer Gegner mich an den Haaren packte und meinen Kopf nach hinten zwang.
Doch mit Leuten, die mir an den Haaren zogen, hatte ich noch nie Gnade gekannt. Erbost biss ich zu, spürte, wie der Griff sich lockerte und jemand stattdessen meine Kehle packte.
Ich trat, wälzte mich über den Boden, biss und fluchte gelegentlich, aber meine Gegner waren in der Überzahl, zumal es alle drei Dämonen auf einmal auf mich abgesehen hatten. Dann, als einer eine Glasscherbe aufhob und damit auf mich zukam, wurde alles zu viel.
Ich schrie und tobte und fühlte mich gleichzeitig so machtlos wie noch nie, sah, wie Timo taumelnd auf die Beine kam, viel zu schwach, und etwas auszurichten und hatte plötzlich richtig Angst.
Todesangst.
Ich habe dich einmal getötet. Jetzt töte ich dich ein zweites Mal, Timo. Es tut mir leid, dachte ich, doch kein Ton kam über meine trockenen Lippen. Voller Angst und doch plötzlich von einer unheimlichen Ruhe befallen schloss ich die Augen.
„Sofort aufhören! Sofort!“, durchschnitt Smugs Stimme den Kampfeslärm, wobei sie eine seltsame, angespannte Stille hervorrief. „Noch einen Toten in meinem Haus kann ich nicht gebrauchen! Was denkt ihr denn, was die Polizei davon halten wird! Lasst sie auf der Stelle los! Loslassen habe ich gesagt!“
Erst da schien langsam wieder Bewegung in die Dämonen zu kommen, man ließ mich los und die Glasscherbe fiel klirrend auf den Boden. Nur an ihrem Schimmern, das an der Decke reflektierte, konnte ich sehen, wie sie in tausend Stücke zerbrach. Dann war Timo auch schon bei mir, zog mich auf die Füße und im nächsten Moment hasteten wir aus dem Fenster, Timo noch leicht zittrig, aber er hielt das Buch fest umklammert.
Keuchend und zerkratzt stolperten wir den Gartenweg entlang, konnten unsere Flucht nicht fassen, trauten uns jedoch gleichzeitig nicht, uns umzudrehen. Erst als wir Hand in Hand das Gartentor erreichten, hörte ich Mr Smugs Stimme erneut.
„Halt! Sie haben noch das Buch! Sofort hinterher! Holt das Buch zurück!“, schrie er so laut, dass selbst wir es noch allzu deutlich hören konnten.
„Ist das eine Falle?“, raunte ich Timo zu, während ich das Tor aufstieß und mich misstrauisch umsah.
„Kann sein. Aber Hauptsache, wir kommen hier lebend fort!“
Da konnte ich ihm nur zustimmen und so radelten wir um die nächste Kurve davon, noch bevor ein Dämon seine Nase auf der Straße blicken ließ.
„Das nenne ich mal einen erfolgreichen Tag“, nuschelte ich, da ich den Mund randvoll mit Essen hatte. Das Fahrrad wieder unterm Bett, sogar noch ein paar Dosen mit schmackhaftem Inhalt aufgetrieben, Informationen bei Timos Zuhause gefunden und ein Buch, das die Lösung all unserer Probleme versprach. Oder uns zumindest auf denselben Stand wie Mr Smug brachte. Das war doch vielversprechend, oder nicht?
„Naja. Irgendwann kettet die Direktorin uns wahrscheinlich an. Wir haben die Cafeteria immer noch nicht fertig geputzt“, merkte Timo an und warf dabei einen vielsagenden Blick auf den Stuhl, der mal wieder unter der Türklinke klemmte. Keine fünf Minuten vorher hatte der Stellvertretende Schulleiter an der Türklinke gerüttelt und uns damit gedroht, dass wir kein Abendessen bekommen würden. Das mit dem Abendessen sah ich allerdings anders.
Natürlich war uns klar, dass an Smugs Verhalten etwas faul war. Eine weitere Leiche im Keller würde ihn wohl kaum interessieren, aber wir hielten uns nicht lange mit Fragen auf.
Kaum, dass wir fertig gegessen hatten, öffneten wir das erstaunlich dünne Buch.
„Sieh mal, es hört hier einfach auf.“ Verwundert zeigte ich auf die letzte Seite, die mitten im Satz abbrach. „Komisch.“
„Lass uns lieber von vorne beginnen“, meinte Timo und las vor: „Entstehung – eine einmalige Geschichte. Aha.“
„Lies weiter“, drängte ich, plötzlich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Eigentlich gab es keinen Grund Angst zu haben, ich wusste selbst nicht wovor, aber ich fürchtete mich, warum und wovor auch immer.
„Vor über hundertzwanzig Jahren starb ein unbekannter Mann, von dem bis heute keiner weiß, wer er war.“ Timo runzelte die Stirn. „Er wurde ermordet von einem gefürchteten Massenmörder und war so von Anfang an mit vielen gebundenen Dämonen in Kontakt. Nach und nach opferte ihr Herr sie jedoch für seine Pläne und schließlich war auch dieser unbekannte Mann an der Reihe. Wie jeder Dämon würde er für seinen Herrn ohne zu zögern sterben, und so lief er willenlos in sein Verderben. Aber er, ein junger und kräftiger Dämon, überlebte den Kampf, in den er geriet. Zwar so schwach, dass sein Herr ihn als nutzlos empfand und liegen ließ, aber er lebte, immer noch gebunden und immer noch so zäh, dass er schon bald wieder aufstehen konnte.
Wild und grausam und unberechenbar, wie er durch die fürchterliche Behandlung geworden war, fiel er seinem Herrn keine Woche, nachdem er zurückgelassen worden war, in den Rücken. Noch nie zuvor in der Geschichte hatte ein Dämon seinen Menschen ermordet, und nur logisch wäre es gewesen, hätte diese Tat auch seinen eigenen Tod bedeutet …“
„Psst“, wisperte ich. „Ich glaube, da ist was!“
Aber so angestrengt, wie wir auch lauschten, nichts war zu hören, bis auf die alltäglichen Geräusche in einem Internat. Timo schüttelte den Kopf, stieß mich leicht grinsend an und las weiter.
„Was dann geschah, kann keiner so genau sagen. Sicher ist nur, dass keiner der anderen Dämonen überlebte, genauso wenig wie ihr Herr. Nur dieser eine junge Mann, von Hass und Liebe, Wildheit und Gefangenschaft zerrissen, starb eben nicht. Stattdessen wuchsen über das Zeichen seiner Gefangenschaft schwarze Schuppen, die nach wenigen Tagen als Ring abfielen, unzerstörbar und immerzu leicht schimmernd, selbst wenn kein Lichtstrahl sie erreichte. Und der sagenumwobene Seelenring war entstanden.
Auch die Legende vom Schwarzen Dämon, einem wilden, gefährlichen und zutiefst begehrten Wesen, verbreitete sich schnell, denn seine Macht ist unvergleich…“
In diesem Moment wurde Timo durch ein erneutes Rütteln an der Tür unterbrochen.
„Nicht schon wieder der stellvertretende Schulleiter!“, stöhnte ich, als ich den Herzinfarkt, den ich beinahe gehabt, überlebt hatte.
„Nicht schon wieder!“, ärgerlich klappte Timo das Buch zu und wollte schon aufstehen, als das Rütteln aufhörte.
„Hm?“, wunderte ich mich und stand ebenfalls auf. In diesem Moment riss jemand die Türklinke so stark nach unten, dass sich das Metall leicht verbog und ein Stuhlbein brach. Entsetzt wich ich zurück, Timo hinter mir herziehend, der plötzlich mit gefletschten Zähnen denjenigen anknurrte, der nun mit einem großen Schritt hineinkam und die Tür wieder hinter sich zuknallte. Den Stuhl trat er einfach achtlos in eine Ecke.
„Keine Türen knallen!“, schrie eine der Aufseherinnen zu uns hoch, worauf der Mann, der nun mitten in meinem Zimmer stand, höhnisch grinste. Doch weder mir noch Timo war ein Lächeln abzuringen.
Der junge Mann war nicht der stellvertretende Schulleiter. Er war auch niemand anderes, den ich kannte. Groß, schlank, keine Zwanzig, wilde schwarze Haare, die ihm in die Stirn fielen, schmales, seltsam hübsches Gesicht aus dem stechend grausame Augen auf uns herabstarrten und ein Benehmen, als wäre es das normalste auf der Welt, in irgendwelche Zimmer hereinzuplatzen.
Natürlich hatte ich diesen Mann noch nie zuvor gesehen, und doch bestand für mich kein Zweifel, wen ich da vor mir hatte: Der Schwarze Dämon höchstpersönlich. An Timos Augen konnte ich erkennen, dass auch er es wusste, seine ganze Haltung war abwehrend und er hatte sich leicht vor mich geschoben.
„Zwei … Kinder.“ Die Stimme des Dämons klang abwertend und gleichzeitig tief und angenehm, gar nicht kratzig für hundertzwanzig Jahre Gebrauch.
„Was willst du von uns?“, fragte ich trotzig, obwohl ich ein leichtes Zittern nicht verbergen konnte.
Da lachte der Dämon scheußlich und wild. „Was ich von euch will?“ Unbarmherzig stieß er uns zur Seite, wobei ich überrascht feststellte, dass Timo sich trotz wilden Knurrens nicht traute, ihn anzufallen. Eigentlich war ich ganz froh darüber, denn ich hatte nicht den Eindruck, dass man einen Kampf gegen dieses Wesen gewinnen konnte. Nicht nur, weil der Dämon von Natur aus ein guter Kämpfer schien.
Im Handumdrehen hielt der Schwarze Dämon das Buch in der Hand, in dem wir gerade noch gelesen hatten. „Ihr wollt mich beherrschen? Das ist ein schlechter Witz, ihr elenden Kreaturen.“ Seine Augen funkelten so böse, dass ich Angst hatte, schon alleine von dem Blick zu sterben. Und es wurde nicht gerade besser, als er das Buch anzündete und es in seiner Hand verbrennen ließ. Den übrig gebliebenen Aschehaufen ließ er betont langsam auf den Boden rieseln. Das war zu viel für mich. Das Gefühl von Unterlegenheit hatte sich zwar schon längst eingestellt, aber plötzlich wirkte unser Gegner unbesiegbar, grausam und so entsetzlich, dass ich kein Wort mehr über die Lippen brachte. Ganz abgesehen davon, dass er uns den wahren Grund, warum wir das Buch gelesen hatten, wohl eh nicht glauben würde.
„Willst du kämpfen, kleiner Dämon? Willst du kämpfen? Du kennst sicher meine Geschichte. Nun werde ich dir deine erzählen: Keiner von euch wird überleben.“ Er grinste uns kalt und wild an, viel eher war es ein Zähnefletschen als ein Lächeln. Verwirrt und verängstigt starrte ich ihn an. Seine extremen Gegensätze ließen ihn unwirklich erscheinen, die ruhige, angenehme Stimme und die wilden, stechenden Augen. Die anziehende Schönheit, umrahmt von abstoßendem Hass, der sich in jeder seiner Bewegungen offenbarte.
Bisher hatte der Schwarze Dämon nur geredet und gedroht, und so war ich nicht vorbereitet, als er auf mich zusprang, und mich trotz meines kläglichen Ausweichversuchs an der Kehle zu fassen bekam.
Timo wimmerte kläglich und versuchte, die mörderisch zudrückenden Finger zu lösen, doch keiner von uns traute sich einen richtigen Angriff. Schwer zu sagen, was wir unter richtiger Todesangst getan hätten, aber der Dämon vermittelte den unangenehmen Eindruck, dass er jedem, der ihm auch nur ein Haar krümmte, zu einem langsamen und schmerzvollen Tod verhelfen würde.
Bis zur Ernstsituation kamen wir auch nur deshalb nicht, weil in diesem Moment die Tür aufflog.
Wenn das jetzt die Direktorin ist, werde ich mein Leben lang freiwillig Cafeteria putzen!, dachte ich, von tiefer Erleichterung durchflutet, als der Schwarze Dämon plötzlich meinen Hals losließ, das Fenster aufriss und im nächsten Moment verschwunden war.
Angsterfüllt, und in meinem Falle tief Luft holend, blickten Timo und ich nach unten und sahen gerade noch eine schwarze Gestalt davonhuschen. Komischerweise hatte ihm der Sturz aus vier Metern Höhe nicht das Geringste ausgemacht.
„Das war knapp“, sagte eine Frau, die mit Sicherheit nicht die Direktorin war.
„Allerdings“, sagte ich, drehte mich um und erstarrte. Wer waren diese fremden Leute und was wollten sie von mir? Die Welt schien über Kopf zu stehen.
„Ich bin Mira“, sagte die Frau und lächelte uns freundlich zu. Nun fiel mir ein, wo ich sie schon einmal gesehen hatte, nämlich auf einem Foto. Sie war Timos Mutter.
„Äh, schön Sie kennenzulernen.“ Schnell schob ich mich vor ihren Sohn, damit sie ihn ja nicht erkannte.
Was sie wohl mit mir macht, wenn sie erfährt, dass ihr Sohn noch am Leben ist? Oder besser gesagt: Dass ich ihn vorher sogar erst umgebracht habe?, überlegte ich mir voller Grauen. Sie konnte ihn doch nicht erkannt haben? Sonst würde sie sicher nicht so ruhig sein …
„Und ich bin Richard.“ Nun kam auch noch ein Mann ins Zimmer spaziert, der erstaunliche Ähnlichkeiten mit Timo hatte. Oh nein! Ich war so gut wie geliefert!
„Äh, schön Sie kennenzulernen“, stotterte ich noch einmal und errötete leicht. „W-Was genau wollen Sie denn von mir? Kann ich irgendwie helfen?“
„Nein, nein“, wehrte Richard freundlich ab. Er hatte ein breites, offenes Lächeln. „Obwohl … könntest du uns sagen, was dieser … ausgesprochen nette junge Mann bei dir gemacht hat?“
„Was?“ Hastig schob ich Timo noch ein Stückchen weiter hinter mich und versuchte, ein gelassenes Gesicht zu wahren, was allerdings reichlich schwer war.
„Nein, nicht der!“ Nun lachte Richard ausgelassen. „Der Mann mit den schwarzen Haaren, der gerade aus dem Fenster gesprungen ist.“
Wie sollte ich ihnen das nur erklären? Sie würden mich ja für verrückt halten, wenn ich ihnen die Wahrheit erzählen würde!
„Äh, ach, ähm, ihr meint meinen Onkel?“, versuchte ich wenig überzeugend und musste kläglich mit ansehen, wie sich die beiden Erwachsenen erst angrinsten und dann in fröhliches Lachen verfielen.
„Du brauchst keine Angst haben“, sagte die Mira, die sich schneller einkriegte als ihr Mann. „Wir sind Dämonenjäger. Wir wissen, dass dein Gast der Schwarze Dämon war.“
„Oh“, sagte ich trocken. Dämonenjäger. Timos Eltern waren Dämonenjäger. Na, da konnte ich mich aber auf was gefasst machen, wenn sie erfuhren, was ich mit ihrem Sohn angestellt hatte.
„Ich hatte ein Buch, das hat er verbrannt. Es handelte über den Schwarzen Dämon und es hat ihm offensichtlich nicht allzu gut gefallen, dass ich es gelesen habe“, gestand ich immer noch verlegen und äußerst besorgt.
„Hm, dachte ich es mir doch“, murmelte Mira. „Dieser elende Mr Smug! Wenn ich den in die Finger bekomme …“
„Ach, Mr Smug kennen Sie also auch“, sagte ich schwach.
„Du kannst uns ruhig duzen. Wir haben dich in letzter Zeit … öfters beobachtet. Deshalb wissen wir so viel. Ann heißt du, oder?“
„Ja.“ Meine Stimme klang trocken und rau. Oft beobachtet. O-K.
„Du brauchst dann auch unseren Sohn nicht mehr verstecken“, riet Richard mir ausgelassen. „Er ist sowieso einen halben Kopf größer als du.“
„Ich bleibe bei Ann, das wisst ihr, oder?“, fragte Timo und umarmte mich.
„Äh …“, begann ich hilflos, aber Richard unterbrach mich.
„Ja, das wissen wir. Weißt du auch noch etwas über uns?“
„Nicht viel“, gestand Timo und ließ mich langsam wieder los. „Ihr seid also Dämonenjäger? War ich das auch?“
„Angehender“, antwortete sein Vater. „Wir waren Smug auf der Spur, weil er sich mit ein paar sehr gefährlichen Dämonen verbündet hat. Leider hast du dich mitten in der Nacht in seinen Garten geschlichen. Aber den Rest der Geschichte musst du wohl mir erzählen.“ Kurz darauf waren sie ins Gespräch vertieft und ich unterhielt mich währenddessen mit Mira, denn ich hatte so viele Fragen zu stellen.
Viel über den Schwarzen Dämon konnte Mira mir nicht sagen, aber sie wusste, dass der Autor, der über ihn geschrieben hatte, noch vor der Fertigstellung des Werkes ermordet wurde, und dass fast alle gedruckten Exemplare in einem großen Brand vernichtet wurden. Nur ein paar wenige hatten überlebt und wurden seitdem von dem Schwarzen Dämon gejagt und zerstört, wo er nur konnte.
Denn er wollte nicht, dass jemand etwas über ihn erfuhr oder gar wie Smug versuchte, ihn sich zu Eigen zu machen. Außerdem spürte er irgendwie, wenn seine Bücher ohne spezielle Sicherheitsvorkehrungen geöffnet wurden.
„Wir waren gerade damit beschäftigt, den Schwarzen Dämon zu beschatten, als er plötzlich herumwirbelte und loslief. Beinahe hätten wir ihn aus den Augen verloren“, berichtete Mira. „Aber wirklich viel kann ich dir über ihn nicht erzählen. Würde er Richard und mich als ernsthafte Gefahr ansehen, wären wir schon längst tot. Deshalb beschränken wir uns darauf, die anderen freien Dämonen zu jagen.“
„Und … was macht ihr mit ihnen, wenn ihr sie gefangen habt?“, fragte ich zögerlich.
„Na, wir töten sie, damit sie nicht länger ihr Unwesen treiben und irgendwelche Menschen töten. Außerdem sind sie rein praktisch gesehen eh schon tot.“
„Ich bin mit nicht ganz sicher, ob ich das gutheißen kann“, merkte ich an, wobei ich einen leicht verunsicherten Blick Richtung Timo warf. „Er zum Beispiel würde keiner Fliege was zuleide tun.“
„Er ist ja auch an dich gebunden“, erklärte Mira. Inzwischen saß sie auf meinem Bett, ich neben ihr, während Timo und sein Vater auf meinem Schreibtisch platzgenommen hatten. Der Stuhl war ja nicht mehr zu gebrauchen.
„Mögen eigentlich alle unfreien Dämonen ihre Menschen … ähm so … stark?“, fragte ich.
„Ja. Selbst wenn sie schlecht behandelt werden, sie würden alles für sie tun.“
Niedergeschlagen sah ich auf den Boden und fragte mich, was ich Timo angetan hatte. Wahrscheinlich mochte er mich gar nicht wirklich, er konnte nur nicht anders … Ärgerlich verdrängte ich diesen Gedanken und setzte eine undurchdringliche Miene auf.
„Wir sind dir übrigens sehr dankbar, dass du ihn anerkannt hast“, sagte Mira plötzlich. „Du glaubst gar nicht, was für wilde Wesen solche freien Dämonen werden können.“
„Ich habe was?“, fragte ich, endgültig den letzten Reuegedanken verscheuchend.
„Ihn anerkannt.“
„Wirklich?“
„Ja. Als du ihn bei eurer ersten Begegnung berührt hast, anstatt ihn zu meiden und zu verabscheuen.“
„Ach so“, sagte ich schwach. Unsere erste Begegnung. Naja, tiefe Zuneigung war es garantiert nicht gewesen, die mich dazu veranlasst hatte, ihn zu berühren. Andererseits war ich jetzt froh darum, dass ich ihn hatte. Und vor allem, dass seine Eltern so ruhig und ohne Vorwürfe damit umgingen.
Kurz bevor Timos Eltern wieder gehen wollten, wurden wir beide noch einmal umarmt, dann sagte Richard: „Liege ich richtig, wenn ich vermute, dass Lynn deine Freundin ist?“
„Ja, wieso?“
„Willst du sie befreien?“
„Eigentlich schon …“ Leicht unsicher sah ich ihn an.
„Sei vorsichtig. Auch freie Dämonen können sich kaum an ihr voriges Leben erinnern. Und du weißt, dass sie ziemlich böse und grausam werden können.“
„Und was können wir tun?“, fragte Timo.
„Da hast du das Problem wohl im Kern getroffen“, sagte sein Vater und zuckte die Schultern. „Auch wir können euch auf diese Frage keine Antwort geben.“
Sie winkten noch zum Abschied, dann gingen sie. Die Tür versperrten wir nicht mehr, nicht nur, weil der kaputte Stuhl sowieso nichts hielt.
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