07| Der Beginn des Horrors
Ich war wie erstarrt. Noch immer konnte ich mich nicht bewegen und das lag diesmal nicht an den Schmerzen. Sie waren in den Hintergrund gerückt, sodass ich sie kaum noch wahrnahm. Kurz kniff ich die Augen zusammen, in der Hoffnung das grausame Bild würde verschwinden, doch das tat es nicht. Als ich meine Lider erneut hob, hatte sich nichts verändert. Zwei leblose grau-blaue Augen starrten mich an, nein, eher durch mich hindurch. Getrocknete Tränen klebten an der bleichen Haut und kleine Sommersprossen zierten die schmale Nase, die nur wenige Zentimeter von meiner entfernt war. Der Mond, der durch das Loch in den Baumkronen schien, legte einen unheimlichen Schimmer auf ihren Körper.
Mein Atem ging stoßweise. Zwischenzeitlich vergaß ich sogar komplett zu atmen. Es fühlte sich so surreal an. Inzwischen war ich mir sogar ziemlich sicher, dass ich träumte - und es war sicherlich kein schöner Traum. Die Haare der Frau waren blond, zumindest ein großer Teil. Der Rest war blutrot gefärbt und klebte in ihrem bleichen Gesicht, auf dem sich ebenfalls unzählige Blutspuren abzeichneten. Ein spitzer Stein hatte sich in ihre Gesichtshälfte gebohrt, an dem das Blut in eine kleine Lache lief. Ich spürte etwas Feuchtes an meiner Seite, das meine Wange erreichte.
Urplötzlich löste ich mich aus der Starre und rutschte, so schnell und gut es ging, von ihr weg, als ich bemerkte, dass ich in einer Blutlache lag. Ein Wimmern entfuhr mir, als ich das ganze Blut an mir sah. Meine Schmerzen waren verschwunden, aber mein Kopf dröhnte noch immer. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen und meinen Blick nicht von der Leiche abwenden. Jetzt, wo ich etwas Abstand gewonnen hatte, offenbarte sich mir das komplette Ausmaß der schrecklichen Tat. Ich wimmerte erschrocken auf, als ich das blutgetränkte Oberteil sah. Die ursprüngliche Farbe konnte man nur erahnen. Die Gliedmaßen der Frau standen in unnatürlichen Winkeln von ihrem Körper ab, doch was meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog, war das Messer, das tief in ihrer Brust steckte. Erschrocken hielt ich mir meine unverletzte Hand vor den Mund, bereute es jedoch sofort, als ich das Blut an ihr sah. Hektisch blickte ich an mir herab, wo sich ein gleiches Bild bot. Von Panik ergriffen, robbte ich ein paar Zentimeter zu dem reißenden Strom und versuchte das Blut von mir wegzubekommen.
Als ich jedoch meine Hand in das wilde Gewässer streckte, drückte die Strömung mit solch einer Kraft dagegen, dass ich sie nach einem kurzen Schmerzensschrei zurückzog. Meine Starre schien sich nun endgültig gelöst zu haben und die blanke Panik erfasste meine Knochen. Ich begann zu schluchzen, als mein Blick erneut auf den leblosen, blutgetränkten Körper der Frau fiel. Mein Herz klopfte so schnell gegen meine Brust, dass ich Angst hatte, es würde in die Blutlache springen. Mit zittrigen, schwitzigen Händen erhob ich mich und versuchte den Schmerz, so gut es eben ging, auszublenden.
Mit zusammengebissenen Zähnen stand ich schwankend auf und konnte gerade noch so ein Wimmern unterdrücken. Die Frau behielt ich weiter im Blick, als ob sie jeden Moment aufspringen würde – doch das tat sie nicht. Sie war schließlich tot. Der Schock verbot meinem Gehirn, die Tragweite des Problems zu verarbeiten und schwächte ebenfalls die Schmerzen ab. Dennoch bewegte ich mich humpelnd vorsichtig auf sie zu.
Neben ihrem leblosen Körper lag eine Handtasche, dessen gesamter Inhalt sich auf dem Boden ausgebreitet hatte, was meine Neugier sofort dazu veranlasste, die Oberhand zu gewinnen. Langsam bewegte ich mich darauf zu und warf der toten Frau immer wieder ängstliche Blicke zu. Von sicherer Entfernung betrachtete ich die Gegenstände, die sich verlockend vor mir ausbreiteten.
Ein Lippenstift, einige Packungen Taschentücher, Autoschlüssel und ihr Portemonnaie lagen einige Meter neben ihrem Körper ausgebreitet. Mir juckte es in den Fingern, die Gegenstände aus der Nähe zu inspizieren, doch mein gesunder Menschenverstand – ja, den glaubte ich noch zu haben – hielt mich davon ab, denn ich wollte keine Fingerabdrücke hinterlassen.
Wie Schuppen fiel es mir von den Augen – Heilige Scheiße! Ich befand mich hier an einem Tatort. Es wurde jemand ermordet und der Mörder – ich musste schwer schlucken – befand sich mit höchster Wahrscheinlichkeit in meiner unmittelbaren Umgebung. Beunruhigt blickte ich mich mit immer schneller klopfendem Herzen um. Mein ungleichmäßiger, zittriger Atem erfüllte die gespenstische Stille wie ein Kanonenschuss, doch die rabenschwarze Dunkelheit verbot es mir in die Ferne zu blicken. Urplötzlich lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, der mich vollkommen mit einer Gänsehaut überzog. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper und fühlte mich so hilflos wie noch nie in meinem Leben. Jedes Geräusch nahm ich nun verstärkt wahr und zuckte bei jedem knackenden Ast zusammen, während mir die kleinste sichtbare Bewegung einen fürchterlichen Schrecken einjagte. Ich betete innerlich, dass sich der Mörder bereits aus dem Staub gemacht hatte und in mir nicht sein nächstes Opfer sah.
Ein Geistesblitz erfülle mich plötzlich mit ungeahnter Energie. Mein Handy! Ich musste die Polizei anrufen! Hektisch blickte ich um mich, doch ich konnte es nirgendwo erkennen. Humpelnd bewegte ich mich auf dem unebenen Steinboden fort, um meine Umgebung abzusuchen, doch ich blieb weiterhin erfolglos. Da es mir bei meinem Sturz aus der Hand gerutscht war, konnte es ja nicht allzu weit vom Hang entfernt liegen. Der Schock hatte mein Gehirn dermaßen vernebelt, dass ich die einst so stechenden Schmerzen nur noch als dumpfes Brennen wahrnahm. Ob das jetzt gut oder schlecht war, wusste ich nicht, jedoch war ich erstmal froh darüber, einigermaßen laufen zu können.
Ich ließ meinen Blick über den steinigen Untergrund wandern und wünschte mir sehnlichst eine Taschenlampe herbei. Der silberne Schimmer des Mondlichts war nicht ansatzweise ausreichend, um die Schatten der Felsen zu erhellen. Ich wagte mich etwas weiter nach links, jedoch nicht ohne mich nochmals nach der Leiche umzusehen. Sicher ist sicher. Als ich ein Gebiet etwas entfernt von mir musterte, konnte ich eine Lichtreflexion erkennen. Hoffnungsvoll schob ich mich darauf zu und stellte erleichtert fest, dass es mein Handy war. Ein erleichtertes Seufzen verließ meine Lippen, während ich leicht in die Knie ging und es mit meiner linken Hand aufhob. Hektisch drehte ich es um und versuchte geflissentlich die Blutspuren zu ignorieren, die ich auf dem Gehäuse und Display hinterließ, während ich meine Enttäuschung über das zersprungene Glas aus meinen Gedanken verbannte.
Als ich es einschaltete und entsperren wollte, wäre mir beinahe die Spucke weggeblieben und ich vergaß kurze Zeit zu atmen. Auf dem Sperrbild empfing mich nicht wie immer eine lachende Wassermelone, sondern ich wurde von zwei identisch aussehenden kleinen Jungs angelacht. Oh verdammt. Das war nicht mein Handy.
Bevor ich mich in die Situation hineinsteigern konnte, dass gerade zwei kleinen Kindern ihre Mutter genommen wurde oder meine Fingerabdrücke überall an dem Handy des Opfers waren, wischte ich hastig hoch, sodass sich das Tastenfeld öffnete und wählte den Notruf. Man würde mich sicherlich nicht verurteilen, das Handy der Toten verwendet zu haben. Schließlich hatte ich es ja nur benutzt, um Hilfe zu holen. Das wohlbekannte Tuten ließ mich beinahe wahnsinnig werden und es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an, bis es endlich aufhörte. „911. Was ist ihr Notfall?", ertönte eine tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung, doch ich war wie gelähmt. Die Stimme an meinem Ohr gab mir das Gefühl die Umgebung nicht mehr vollkommen wahrzunehmen, da ich mich weniger auf meine Umgebungsgeräusche konzentrieren konnte. Was wäre, wenn der Mörder jetzt zurückkommen würde. Mein Herz begann noch schneller zu rasen und mein Atem überschlug sich beinahe. „Hallo? Befinden sie sich in akuter Gefahr? Wie ist ihr Name?" Die Stimme des Mannes war nun lauter geworden. Ich fühlte mich nicht bereit zu sprechen, meine Hände zitterten wie verrückt und ich hatte Angst, dass mir das Handy aus der Hand fallen würde, da sie vor Angstschweiß geradezu tropfte.
„Eloise Montgomery", flüsterte ich und war erschrocken über meine eigene Stimme. Ich erkannte sie kaum wieder, so piepsig und zittrig klang ich. „Okay Eloise. Warum haben Sie den Notruf gewählt? Geht es Ihnen gut?", erwiderte er ruhig. „Ich-ich habe..." Ich musste schwer schlucken und verpasste mir eine innerliche Backpfeife. Verdammt, ich war doch keine Memme. Ich atmete tief durch und setzte erneut an: „Ich habe eine Leiche gefunden."
Es folgte ein kurzer Moment der Stille, ehe ich eine Antwort bekam. „Sind sie sich sicher?" Ich blickte zu der toten Frau, während sich mein Herzschlag erneut beschleunigte. Gott, das konnte wirklich nicht gesund sein. „Ja." Ich starrte in die unergründliche Dunkelheit und wünschte mir einfach nur hier wegzukommen. Noch länger konnte ich es nicht aushalten. „Wo befinden sie sich gerade?" Ich musterte die Umgebung, da ich das so genau ja auch nicht wusste. „Im Wald neben der Linwood Universität. Hier ist so ein tiefer liegendes Tal mit einem Fluss und kleinem Wasserfall", versuchte ich meine Lage so gut es ging zu beschreiben. „Und Officer?", ich atmete zittrig aus, bevor ich weiter sprach, „Sie wurde ermordet. Bitte beeilen Sie sich." Ich ließ mich an der kalten, spitzen Steinwand nach unten rutschen und hielt das Handy fest umklammert. „Alles klar. Keine Sorge, wir sind bald da. Bewahren sie Ruhe." Und damit war der Anruf beendet.
Leichter gesagt als getan. Ich war nur ein hilfloses Mädchen allein im Wald, während ein Mörder durch die Gegend streifte. Mein Atem beschleunigte sich erneut und ich blickte mich hektisch um. Das Handy ließ ich unbewusst in meine Tasche gleiten und vergrub mein Gesicht in den Händen, doch zuckte kurz darauf zusammen, als meine rechte Hand mein Gesicht berührte. Der Schmerz strahlte bis in meinen ganzen Körper aus und schien mein Bein und meine Wange ebenfalls zu aktivieren. Als wäre ein Schalter umgelegt wurden, glühten die Schmerzen hell wie die Sonne auf und ließen mich beinahe sonnenblind werden – so überwältigend empfand ich es. Es schien mich zu erdrücken, mir die Luft zum Atem zu nehmen, doch es waren nicht nur physische Schmerzen, die mich zertrampelten wie eine wild gewordene Rinderherde, es belastete mich aus psychisch. Es machte keinen Unterschied, ob ich die Augen offen oder geschlossen hielt, ich sah die tote Frau klar und deutlich vor mir, sowie das Messer, das ihr das Leben entzogen hatte.
Meine Gedanken wanderten erneut zu dem Bild der beiden Kinder, das sie als ihren Hintergrund eingestellt hatte. Es schienen Zwillinge zu sein, denn anders konnte ich mir ihr identisches Aussehen nicht erklären. Sie sahen so süß und unschuldig aus, dass es mir das Herz brach. Es war nicht fair seine Mutter auf diese Art und Weise verlieren zu müssen. Sie war ihnen genommen worden. Verdammt, diese Welt war so unfair, so schlecht. Ich musste daran zurückdenken, wie schwer ich es hatte oder immer noch habe, mit dem Tod meines Vaters klarzukommen. Mir taten die beiden Jungen so unfassbar leid. Ich wollte nicht, dass sie diese schwere Zeit ertragen mussten - das ihr Leben so beeinflusst werden würde.
Ich lehnte meinen Kopf an meine Knie und konnte die aufkommenden Tränen nicht länger zurückhalten. An diesem einzigen Tag hatte ich so viel geweint wie schon lang nicht mehr. Erschöpft schloss ich die Augen und versuchte das Bild der Leiche so gut es ging zu verdrängen - vergeblich. Es tauchte immer wieder auf. Mir entfuhr ein zittriges Schluchzen und mein Körper begann zu zittern. Es war einfach zu viel für mich. Die schreckliche Tat, das Bild der toten Frau, die Ungewissheit und das Gefühl eines frei laufenden Mörders in meiner unmittelbaren Nähe waren einfach zu viel. Würde er hier und jetzt auftauchen, ich wäre sowas von geliefert. Ich konnte einfach nur hoffen, dass er nicht zurückkehren würde. Schließlich wäre es ja auch ein Risiko für ihn, deshalb blieb mir nichts anderes übrig als auf seine Intelligenz und Logik zu vertrauen. Die Fähigkeit einen Mord zu begehen stellte jedoch einen gehörigen Kontrast zu diesen vernünftigen Eigenschaften dar.
Das ferne Geräusch einer Sirene ließ mich hoffnungsvoll den Kopf heben, sodass ich versuchte mich mühevoll aufzurappeln. Ich stöhnte schmerzerfüllt auf und biss die Zähne zusammen, doch stand nach wenigen Momenten mehr oder wenig aufrecht. Mein Blick glitt wie automatisch zu der Frau und obwohl sich ihr Bild schon wie ein Brandzeichen in meinem Hirn festgesetzt hatte, konnte ich meine Augen einfach nicht von ihr reißen. Ich wollte nicht hinschauen, ich hatte sie schon viel zu genau inspiziert, doch ich konnte einfach nicht wegschauen. Ich fokussierte erneut das Messer, das ihr brutal in die Brust gestoßen wurde, während die Sirenen immer lauter wurden. Bald würde dieser Horror enden. Bald würde ich aus diesem gottverdammten Wald herauskommen und endlich nicht mehr allein sein.
Der sanfte Schein einer Taschenlampe ließ mich erfreut schluchzen. Ich humpelte in die Richtung des Lichts und wurde kurze Zeit von einem hellen Strahl geblendet, sodass ich meine Hände vor das Gesicht halten musste. „Sind sie Eloise Montgomery?", fragte eine tiefe, warme Stimme. Ich nickte kräftig und humpelte ein paar Schritte auf den Mann zu, während er das Licht weiter schweifen ließ und bei der Leiche zum Stehen kam. Mein Blick folgte dem Strahl und es fühlte sich an, als würde mir die Realität mit voller Wucht ins Gesicht schlagen. Da lag eine Leiche. Eine tote Frau. Ich hatte sie gefunden und war die ganze Zeit allein im Wald umhergeirrt. Wahrscheinlich war der Mörder genau zu dieser Zeit ebenfalls im Wald unterwegs gewesen. Oh mein Gott, es war beinahe ein Wunder, dass ich ihm nicht über den Weg gelaufen war. Doch wäre dies der Fall gewesen, dann würde ich jetzt höchstwahrscheinlich nicht mehr leben. Oh mein Gott. Wie die Frau hätte dann auch in meiner Brust ein Messer gesteckt. Bei dem Gefühl nur wenige Meter entfernt gewesen zu sein, als sie ermordet wurde, gaben meine Beine zitternd nach und ich sackte zusammen. Doch diesmal bahnten sich keine Tränen ihren Weg über meine Wangen. Ich fühlte mich komplett leer. Wie gebannt starrte ich vor mich hin, ohne irgendetwas Bestimmtes zu fokussieren. Mein Hirn fühlte sich an wie ein großes schwarzes Loch, das jegliche Emotionen zu verschlingen schien.
Ich hatte mich geirrt, der Horror war nicht vorbei, er hatte gerade erst begonnen.
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Jetzt ist die Woche rum und ihr wisst endlich was Eloise zu ihrem Schrei veranlasst hat. Habt ihr es so erwartet?
Was sagt ihr zu dem Fund? Wie wird es wohl weitergehen?
Wie immer würde ich mich über Feedback, Verbesserungsvorschläge und Anmerkungen in den Kommentaren freuen.
Lasst ein Sternchen da, wenn es euch gefallen hat.
Bis nächsten Sonntag.
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