02| Feenstaubenergie
Vorsichtig lugte ich über die noch immer am Boden liegende Heather in das Zimmer hinein. Wie ein toter Fisch lag sie begraben und umrandet von ihren Taschen auf dem Boden, während ihre blonde Lockenmähne ein sonnenartiges Gebilde um ihren Kopf bildete. „Heather? Bist du okay?" Mit einem großen Schritt begab ich mich neben sie und hockte mich hin. „Heather?", fragte ich erneut. Langsam begann ich mir Sorgen zu machen.
„Ist sie tot?", erklang eine gespielt ernste Stimme hinter mir. Heathers Sturz schien nicht allzu leise von statten gegangen zu sein, denn als ich mich umdrehte, stand ein Typ hinter mir. Er hatte braune Locken, die ihm wirr und ungeordnet auf dem Kopf lagen. Seine ebenfalls braunen Augen fixierten Heather belustigt, während ein Grinsen sein Gesicht zierte. Irgendwie war er mir jetzt schon sympathisch. Die offene Tür hinter ihm lag genau gegenüber von Zimmer 317.
„Jep, sie ist tot", ertönte eine vom Boden gedämpfte Stimme, die ich unweigerlich Heather zuordnen konnte. „Das ist aber schade", entgegnete der Typ und machte ein paar Schritte auf sie zu. Er schob die Taschen von ihrem Körper, ehe er sie mühsam aufrichtete. „Du bist schwerer als zu aussiehst", nörgelte er immer noch grinsend. „Ich nehm das jetzt mal als Kompliment." Heather sah sich ein wenig orientierungslos im Raum um, ehe ihr Blick an mir hängen blieb. „Lou! Meine Retterin!", rief sie und wollte gerade auf mich zustürmen, als sie von dem grinsenden Lockenkopf zu ihrer rechten gestoppt wurde. „Nein. Ich heiße Henry. Es heißt: Henry! Mein Retter. Nicht Lou. Henry." Er schaute Heather mit großen Augen an und redete langsam und deutlich als wolle er einem Kleinkind die Welt erklären. Heather schaute erst ihn, dann mich etwas verwirrt an. „Ich ignorier das jetzt einfach mal." Sie machte eine abwinkende Handbewegung in Henrys Richtung und begann erneut damit auf mich zu zustürmen. Henry verzog gequält das Gesicht und legte sich verletzt eine Hand auf die Brust.
„Danke Danke Danke! Ich weiß echt nicht wie ich die Biester ohne dich hier hoch schleppen hätte sollen!" Sie zog mich in eine stürmische Umarmung, sodass ich ihr süßes Parfüm einatmete. Als wir uns lachend voneinander lösten, fiel mir etwas ein. „Warte mal, Warum war dein Zimmer offen wenn... Ah" Mein Blick fiel in die hintere linke Ecke, in der ein Mädchen auf dem Bett saß und uns beobachtete. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem Dutt gebunden. Auch Heather und Henry drehten sich zu ihr um und beäugten sie kritisch. „Wer bist'n du?", fragte Heather sie ungeniert. „Maisie. Deine Zimmergenossin?" Heather schien ein Licht aufzugehen, denn ihre Augen weiteten sich schlagartig und sie stürmte auf Maisie zu. Mein Gott hatte das Mädchen Energie. „Oh mein Gott. Roomie!" schrie sie und warf sich uneingeladen auf ihr Bett, was Maisie ein Lächeln entlockte. „Ich hab dich gar nicht bemerkt", quasselte Heather weiter. „Du warst ja auch damit beschäftigt den Boden zu knutschen", warf Henry ein. „Da ist was wahres dran", ergänzte ich und grinste ihn an. Heather gab sich die größte Mühe uns mit bösen Blicken zu erstechen, was wenig Erfolg hatte, da sie aussah wie ein Hamsterbaby, das seine Milch nicht bekommen hatte.
In der nächsten Sekunde schien wieder alles vergessen zu sein und sie widmete sich wieder Maisie. „Warum hast du dich denn nicht bemerkbar gemacht?" Maisie schaute erst sie, dann uns an, die immer noch wie uneingeladene Gäste zwischen Tür und Angel standen. Vergessen wir hier und jetzt das wir genau das waren. „Ich wollte euch nicht unterbrechen. Ihr wart ja irgendwie beschäftigt." Henrys Grinsen wurde noch eine Spur breiter. „Beschäftigt damit sie vom Boden aufzukratzen, ja." Heather sprang wie ein Häschen auf Speed vom Bett auf und stemmte ihre Hände in die schmale Hüfte wie ein wütendes Hundebaby. Okay, Schluss mit den irrsinnigen Vergleichen. Als sie dann jedoch auch ihren Finger drohend hob wie eine- vergessen wir das, war es vollkommen um Henry geschehen. Er prustete los und hielt sich nach einiger Zeit den Bauch. Währenddessen kam Heather - mehr oder weniger wütend - auf ihn „zugestampft" und schob ihn mit den Bewegungen einer Elfe durch den Flur in sein Zimmer zurück. Er wehrte sich nicht und ließ sich protestlos in sein Zimmer begleiten. Als Heather wiederkam, ließ sie sich entrüstet auf ihr Bett fallen, um ihre Feenstaubenergie wieder aufzuladen. „Ich geh dann mal nach nebenan. Muss noch meinen Koffer auspacken. Du weißt ja wo du mich findest." Von ihrem Miniwutausbruch überwältigt, machte sie nur eine Handbewegung, die man weit hergeholt als Winken hätte deuten können und ich verließ schmunzelnd den Raum.
In Zimmer Nummer 315 angekommen fand ich Amber vor, die auf ihrem Bett lag und las. Als sie mich bemerkte, lunste sie kurz über das Buch hinweg und lächelte mich an. Ich erwiderte ihr Lächeln, zog anschließend meine Tasche vor meinen Kleiderschrank und begann - mehr oder weniger ordentlich - meine Klamotten einzuräumen. Nicht nur annähernd hatte ich so viel mitgenommen wie Heather, aber dennoch ausreichend. Zumindest für mich. Mit einem kurzen Blick auf Amber stellte ich fest, dass sie ihre Nase bereits wieder tief in ihr Buch gesteckt hatte. Es hätte mich wirklich schlimmer treffen können. Amber schien ganz nett zu sein. Sie war zwar etwas still und zurückhaltend, doch damit hatte ich kein Problem. Auch war es praktisch, dass Heather direkt nebenan wohnte und auch Maisie schien in Ordnung zu sein. Henry, der schräg gegenüber von mir wohnte, war mir auch sofort sympathisch gewesen. Unbewusst begann ich zu lächeln, ich hatte schneller Freunde gefunden als ich zu Beginn angenommen hatte und war wirklich froh darüber.
Nachdem ich meine Klamotten fertig verstaut hatte, fischte ich meinen schwarzen Laptop aus der Tasche und stellte ihn auf dem Schreibtisch ab. Meine 5 Bücher, die ich mitgenommen hatte, legte ich fein säuberlich gestapelt daneben. Danach kramte ich nach meinem Handy und erhaschte einen Blick auf die Uhrzeit. Aktuell war es 16.53 Uhr, also konnte ich mich heute noch getrost auf die ein oder andere Erkundungstour begeben.
„Ich will mir das Gelände ein bisschen anschauen. Willst du mit?", fragte ich Amber. Sie schüttelte nur leicht mit dem Kopf und widmete sich wieder ihrem Buch. Okay, dann eben nicht. Kurz schaute ich an mir herunter und beschloss, dass meine schwarze Jeans und mein graues Nirvana T-Shirt für eine Erkundungstour geeignet waren. Als ich auf den Flur trat, ging ich zum Zimmer 317 und klopfte. Wenig später öffnete mir Heather - in einem neuen Outfit - die Tür. Sie hatte einen rosa-orangenen Jumpsuit an und rockte mit ihrer blonden Lockenmähne den Shakira-Look. Als sie mich sah, begannen ihre grünen Augen zu strahlen. „Lou! Was gibt's?", fragte sie - wie immer - voller Energie. „Ich wollte mir den Campus und die Uni ein bisschen anschauen. Wollt ihr mit?" Wenig später erschien Maisie im Türrahmen. Erst jetzt fielen mir ihre strahlend blauen Augen auf. „Also ich bin bereit." Zur Bestätigung trat sie neben mich auf den Flur. Wie ein Flummi kam auch Heather zu uns getreten und schloss die Tür hinter sich.
In der zweiten und auch in der ersten Etage war nichts besonderes zu finden. Wie auch unsere Etage bestanden sie nur aus Wohnräumen und hatten den selben holzigen, natürlichen Look. Das einzige neue war, dass wir in allen Etagen je eine Mädchen und Jungentoilette sowie Duschen fanden. Als wir gerade dabei waren das Erdgeschoss zu erkunden, fiel mir eine Pinnwand mit einem nicht so leicht zu übersehenden Zettel auf. Neugierig näherte ich mich dem orangenen Blatt Papier und las dessen Aufschrift.
Willkommensparty für alle Neuankömmlinge
Wann: 18. Juli, ab 20 Uhr
Wo: Campus, Hinter dem Hauptgebäude an der Feuerstelle
Erscheinen ist keine Pflicht, Nichtkommen ist trotzdem nicht cool
Wir sehen uns!
Neugierig riss Heather das Stück Papier von der Wand und las es eifrig durch. Auch Maisie schielte immer wieder zu ihr rüber. „Eine Party!?", kreischte Heather aufgeregt, sodass sich einige Personen verwirrt zu uns umdrehten. „Da müssen wir hin. Guck da steht es. Nichtkommen ist nicht cool." Sie hüpfte aufgeregt hin und her. Ich schüttelte nur lachend den Kopf und schaute Maisie fragend an. Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, also schien es beschlossene Sache zu sein. „Wartet, wie spät ist es eigentlich?" Hastig wühle Heather in ihrer Tasche nach ihrem Handy und ließ kurz den Bildschirm aufleuchten. Sie hatte eine Hülle, deren Mustervielfalt meinen Augen bedenkliche Schmerzen zufügte. „Schon fast halb 7?!", kreischte sie erschrocken. „Da hab ich ja nur....Ein und ne halbe Stunde um mich fertig zu machen. Bis später Mädels!", rief sie, während sie schon die Treppe hoch sprintete. Sie war eine einzigartige Erscheinung.
Etwas verwirrt lachten wir über Heathers Art und machten uns dann auch auf den Weg nach oben. Es hatte keinen Zweck mehr untere kleine Tour fortzusetzen, da sie darauf bestehen würde, sie zu wiederholen, um sich alles anschauen zu können.
Oben angekommen, verabschiedete ich mich von Maisie und ging in mein Zimmer. Amber schien sich keinen Millimeter bewegt zu haben und lag immer noch mit dem Buch auf ihrem Bett. „Heute ist eine Willkommensansprache für alle Neuankömmlinge. Kommst du auch?", fragte ich sie. „Partys sind nicht so wirklich mein Ding." Sie zuckte mit den Schultern. „Aber vielleicht schaue ich ja mal vorbei." Zufrieden nahm ich mir ebenfalls ein Buch von meinem Schreibtisch und lies mich in mein Bett fallen. Anders als Heather brauchte ich keine Stunden um mich fertig zu machen, also konnte ich die restliche Zeit auch mit Lesen überbrücken. Ich machte es mir auch meinem Bett bequem und schlug die erste Seite auf. Wenig später war ich auch schon in der fremden Welt versunken.
Nach ein paar Kapiteln des Thrillers legte ich das Buch zur Seite und schaute auf mein Handy. Ich hatte noch ungefähr eine halbe Stunde um mich fertig zu machen. Also vollkommen ausreichend. Schlurfend begab ich mich zum Kleiderschrank und durchwühlte die einigermaßen ordentlich zusammengelegten Sachen. Da ich keine Ahnung hatte, was man zu zu einer Willkommensparty trägt und nicht overdressed sein wollte, entschied ich mich kurzerhand für einen kurzen schwarzen Faltenrock und ein weißes T-Shirt mit schwarzen Streifen, das ich unten in den Rock stopfte. Meine Haare band ich mir zu einem unordentlichen Dutt und ließ ein paar Strähnen vorne heraushängen. Dazu zog ich meine weißen Converse Chucks an und voilà, fertig. Da ich noch etwas Zeit übrig hatte und sonst nie dazu kam, kramte ich in meiner Kulturtasche nach meiner Mascara und wurde kurze Zeit später fündig. Zaghaft trug ich etwas davon auf beiden Seiten auf. Bloß nicht zu viel. Ich hatte keinen Bock, dass meine Wimpern verklumpten.
Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass die Party in einer viertel Stunde begann. Da ich uns aber zutraute, den Weg nicht auf Anhieb zu finden, beschloss ich meinen beiden Zimmernachbarinnen schon einen Besuch abzustatten. Als ich auf den Flur hinaus trat, konnte ich einen Pfiff vernehmen. Perplex drehte ich mich um und blickte in Henrys Teddybäraugen. „Nicht schlecht." Er lehnte an dem Türrahmen seines Zimmers und schien auf irgendjemanden zu warten. „Vielen Dank der Herr." Ich vollführte eine nicht ganz so damenhaften Knicks, der ihm ein Lächeln entlockte. „Auf wen wartest du?", wollte ich wissen. „Meinen idiotischen Zimmergenossen. Nathan." Er rollte mit den Augen. „Na dann viel Spaß weiterhin. Man sieht sich", rief ich ihm noch zu als ich gerade an der Tür mit der Aufschrift 317 klopfte. Kurze Zeit später öffnete eine ziemlich fertig aussehende Maisie die Tür. Als sie mich sah, erhellte sich ihr Gesicht ein wenig und sie zerrte mich nach innen. Protestlos ließ ich mich in den Raum schieben, in dem eine nervöse Heather in Unterwäsche herumrannte. „Eigentlich wollte ich euch nur abholen",entgegnete ich mit dem Blick auf Heather. „Du musst mich erlösen", flehte mich Maisie an, „Ich muss schon seit über einer Stunde ihre Outfits bewerten und eliminieren. Egal was ich sage, sie macht es eh anders und ist dann sauer auf mich!" Frustriert ließ sie die Schultern hängen. Diesmal trug sie die Haare offen, die ihr bis zur Taille reichten. Dazu umgab ein hellblaues Kleid ihren zierlichen Körper, das ihre Augen noch strahlender wirken ließ.
„Heather!", rief ich nun ebenfalls fertig, als sie zehn Minuten später immer noch nicht weitergekommen war, „Zieh dir jetzt irgendwas an oder wir schleifen dich so mit!" Ruckartig blieb sie stehen und starrte mich entgeistert an. „Das ist nicht so einfach!", rief sie hysterisch. „Doch das ist es. Es ist eine Willkommensparty und nicht deine Hochzeit verdammt!" Langsam überspannte sie meinen Geduldsfaden. „Ja es ist eine Willkommensparty. Der erste Eindruck entscheidet alles!", keifte sie zurück. „In der Tat. Wenn wir ne halbe Stunde zu spät kommen, dann haben wir ja diesbezüglich viel gewonnen.", entgegnete ich betont ruhig, schnappte Maisies Hand, zog sie aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter uns. Verwirrt schaute sie mich an. „Warte einfach."
Und tatsächlich: Keine zwei Minuten später stand Heather mit schuldbewusstem Blick neben uns. Sie hatte sich für ein kurzes rotes Kleid entschieden, das ihre schmale Taille betonte und sonst locker über ihren Körper fiel. Passend dazu hatte sie einen rötlichen Gloss auf die Lippen aufgetragen „'Tschuldigung", nuschelte sie nur und wir begaben uns auf den Weg nach unten.
Von Heathers anfänglicher bedrückter Stimmung war nichts mehr übrig geblieben. Wie zuvor hüpfte sie vor Aufregung vor uns auf und ab. Als wir aus dem Gebäude traten, empfand ich den Schwall an frischer Luft, die uns empfing, als eine Erlösung. „Und jetzt auf zur Party!"
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So, hier ist auch schon das nächste Kapitel. Keine Sorge es wird bald spannender.
Wie immer würde ich mich über Gedanken, Verbesserungsvorschläge und konstruktive Kritik in den Kommentaren freuen. Und natürlich über Votes :)
Viel Spaß beim Lesen.
Eure JewelMind
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