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Dreißig

Ich setze mich im Schneidersitz vor die Tür und schließe die Augen, erwecke den Anschein eines Meditierenden. Ab und an öffne ich ein Auge, um die Tür anzustarren. Vereinzeltes Gekicher ist aus dem Publikum zu hören. Auch hier werde ich nicht unterbrochen. Meine Konzentration liegt einzig und allein in der Szene. Vielleicht würde ich es auch gar nicht mitbekommen, wenn sie mich unterbrechen würden.

Ich spiele weiter, stehe auf, rüttle am unsichtbaren Türknauf, raufe mir die Haare. Irgendwann beschließe ich, das Improvisieren aufzugeben und halte mich an den Text. Es müsste ungefähr genug Zeit vergangen sein. In diesem Augenblick müsste Prinz Charmings Stimme ertönen. Er müsste so etwas sagen wie-

„Lebt sonst jemand in diesem Haus, dem dieser Schuh passen könnte?" Ohne darauf einzugehen, dass das tatsächlich gerade jemand laut ausgesprochen hat, reagiere ich. Oder darauf, dass diese Stimme nur zu einer Person gehören könnte.

„Stiefmama!" Sie würde mich weiterhin ignorieren. Wieder Charmings Stimme. Wieder klar und deutlich für mich hier in der Realität zu hören.

„Sind sie sich sicher?" Seine Stimme schneidend, gleichzeitig neugierig – und mir irgendwie bekannt.

„Nein!", rufe ich und öffne genau in diesem Moment die im Raum stehende Tür. Meine Gedankenstimme würde an dieser Stelle anmerken, dass vielleicht doch wahre Liebe eine Rolle spiele. Kitschig, ich weiß. Aber es ist eben ein Märchen. Prinz Charmings Stimme sei ein Segen – irgendwas in der Art.

Ich denke, die Szene sei zu Ende und drehe mich zum Publikum um. Seine Stimme war keine Einbildung. Khan steht in der Tür zur Aula. Wir sehen uns in die Augen und in diesem Moment habe ich das Gefühl, die Zeit stünde still. Langsam nähere ich mich der Leiter. Keine Ahnung, ob immer noch in Charakter oder längst ich selbst. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass Mrs. Bonnefelder zufrieden zwischen uns hin und her schaut. Das nehme ich als Aufforderung, einfach weiter zu spielen.

Khan, oder besser Prinz Charming, tritt ebenfalls auf mich zu. Jetzt haben wir doch unsere Chance bekommen, gemeinsam zu spielen. Ich lasse mir Zeit dabei, mich ihm zu nähern. Dann die altbekannte Szene, die wir mittlerweile in und auswendig kennen. Selbst wenn sie uns die Rolle nicht gibt, diese Szene wird für immer etwas ganz besonderes für mich sein.

„Entschuldigen sie, Miss." Er wendet den Blick nicht von mir ab.

„Ich suche ein Mädchen." Im Hintergrund wären jetzt die Stimmen der Stiefmutter und der Schwestern zu hören. Streit. Getümmel. Auch der Elf wäre anwesend. Nichts davon zählt für uns – für Cinderella und Charming. Er kniet sich hin. Ich verfolge jede seiner Bewegungen.

„Dieser Schuh dürfte ihr gehören. Seit Tagen suche ich verzweifelt nach diesem Mädchen, dürfte ich sie bitten, diesen Schuh anzuziehen, Miss?" Verzweiflung trübt seinen Blick. Seine Hand, in der er mal wieder einen Flipflop hält, zittert unmerklich. Ob er das absichtlich tut oder ob er ebenfalls aufgeregt ist, ich weiß es nicht. Khan wirkt auf mich allerdings nicht wie jemand, der das Wort Aufregung überhaupt kennt.

Ich weiß nur, dass ich plötzlich unglaublich ruhig bin. Obwohl ich mir sicher bin, dass im Skript steht, ich solle einen Moment zögern, lege ich die letzten Schritte in Eile zurück und stehe dann plötzlich vor ihm.

„Es wäre mir eine Ehre", sage ich leise, senke den Kopf und lasse mir den Flipflop anziehen.

„Er... passt", stammelt Khan, sieht von mir zum Schuh und wieder zurück.

„Er passt", bestätige ich. Khan steht auf, legt die Hände an meine Wangen, Erkenntnis in seinem Blick, von der ich nicht das Gefühl habe, sie sei gespielt. Die Zeit bleibt stehen. Seine Hände sind warm und rau, groß, passen perfekt an mein Gesicht.

„Du bist es! Du bist es wirklich." Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Es ist kein gespieltes Lächeln. Es ist echt. Bevor es zu einem Kuss oder Cinderellas Rumgestammle kommen kann, fängt Mrs. Bonnefelder an zu klatschen. Und mit ihr der ganze Rest des Saales. Ich werde furchtbar rot, als mir bewusst wird, dass wir immer noch so da stehen.

Ohne lange darüber nachzudenken, falle ich ihm um den Hals. Die Aufregung von vorhin ist weg, an ihrer Stelle ist nur noch ein wahnsinnig gutes Gefühl. Und Adrenalin. Am liebsten würde ich ihn tatsächlich küssen, so aufgedreht bin ich. Kein einziges Wort habe ich vergessen! Ich habe mich nicht verhaspelt. Fast schon zu perfekt, oder nicht?

„Du hast es noch geschafft", flüstere ich, sodass nur Khan es hören kann. Unauffällig atme ich seinen Duft nach Weihnachten ein und schließe kurz die Augen. Er trägt eine Jogginghose, wie mir erst jetzt auffällt und muss echt in Über-Eile losgefahren zu sein.

Irgendwann löse ich mich wieder. Die Augen der anderen liegen immer noch auf uns – einige Blick bewundernd, andere verstört und in wieder anderen Gesichtern sehe ich dieselbe Aufregung, die ich noch vor eine halben Stunde ebenso zur Schau gestellt habe. Ihr könnt euch denken, wer hämisch drein blickt.

Ich räuspere mich. Mrs. Bonnefelder lächelt mich kurz an und nickt unmerklich, um mir ihre Anerkennung zu vermitteln. Dann fährt sie fort, die Nebenrollen aufzulisten. Stolz erfüllt mich. Schon vor zwei Jahren war sie diejenige, die uns durch die Proben begleitet hat. Sie hat mich damals für die Hauptrolle ausgewählt und meinte nach der Aufführung, sie würde diese Entscheidung nicht bereuen.

Als nächstes sollen alle Anwärter auf Nebenrollen vorsprechen. Trubel entsteht. Mehrere Jungs wollen natürlich die Rolle des Elfs ergattern.

Während ich mich diesmal neben Khan in eine Reihe weiter vorne setze – die Nervosität ist schließlich jetzt vorbei – wende ich mich an den Typen, der mir da oben als Elf praktisch den Hintern gerettet hat. Er sitzt in der Reihe direkt vor uns.

„Hey du da", ich tippe ihm auf die Schulter, „danke, dass du eben eingesprungen bist." Einfallsreich, oder? Er dreht sich um, erkennt mich und grinst nur. Dann verbeugt er sich leicht, immer noch in Charakter.

„Stets zu Diensten, Goldlöckchen." Ich verdrehe nur die Augen, mustere ihn. Rote Haare, die ihn zum besten Anwärter auf die Elfenrolle überhaupt machen. Sein Gesicht ist bubenhaft, dennoch irgendwie erwachsen. Er dürfte mindestens zwei Jahre älter sein als ich, ist damit bestimmt ein mal sitzen geblieben. Ich höre auf zu spekulieren, was es mit seinem Alter auf sich hat und bemerke einen kleinen Ohrring an seinem rechten Ohr, der schwarz glänzt.

„Wie heißt du?" Weniger Trubel und Mrs. Bonnefelder hätte uns sicher zurecht gewiesen, weil wir uns unterhalten statt nach vorne zu sehen.

„Simon."

„Du solltest unbedingt diese Rolle bekommen, Simon." Ich grinse. Er hat das wirklich gut gemacht. Und die Rolle ist wie für ihn gemacht.

„Da kann ich Blondie nur zustimmen", sagt Khan. Hat er denn überhaupt mitbekommen, wie Simon gespielt hat? Während Simon rot wird und einen sarkastischen Kommentar zum Besten gibt, gebe ich Khan einen leichten Stoß in die Seite. Er verzerrt das Gesicht zu einer gespielt verletzten Miene und reibt sich die Seite.

„Wie geht es Aiden?", frage ich. Vor uns sammeln sich jetzt auf der Bühne drei Mädchen. Kandidaten für Cinderellas Familie. Wie schön.

„Besser. Er hat bloß eine Erkältung, konnte die ganze Nacht nicht schlafen." Khan zuckt die Achseln, wirkt etwas abgelenkt. Auch er sieht alles andere als ausgeschlafen aus. Jogginghose hin oder her, unter seinen Augen zeichnen sich dunkle Ringe ab.

„Du meinst die Männergrippe", korrigiere ich. Er geht nicht darauf ein, sieht mich stattdessen durchdringend aus seinen saphir-blauen Augen an. Ich... es ist mir unangenehm so aufmerksam gemustert zu werden, also drehe ich mich schnell weg. Er hebt eine Augenbraue. Vor uns beginnen die drei Mädchen eine Szene vorzustellen. Ich tue so, als würde ich mich auf sie konzentrieren, kriege in Wahrheit aber kein einziges Wort mit, was sie von sich geben.

„Das, was du da oben gemacht hast – das war unglaublich", ertönt dann plötzlich Khans Stimme ganz nah bei meinem Ohr. Mein Herz klopft heftig. Ich spüre, wie sich mir die Härchen im Nacken hochstellen. Er ist so nah. Und er weiß genau, dass ich nicht wirklich aufpasse.

„Danke", ich kratze mich an der Stirn.

„Wann bist du denn überhaupt gekommen?" Es ist mir peinlich, dass ich nicht mitbekommen habe, wie er angekommen ist. So vertieft war ich in meinem Schauspiel. Vorne schreit gerade jemand. Schätze, das blonde Mädchen spielt die Stiefmutter.

„In etwa da, als dein Freund Simon angefangen hat von Liebe zu reden", raunt Khan in dem Moment, in dem die Brünette neben Stiefmama anfängt zu jammern. Sie ist gut.

Hatte ich vorher noch eine Gänsehaut, so läuft mir jetzt ein Schauer über den Rücken. Das Wort Liebe aus seinem Mund so nah bei meinem Hals zu hören, macht mich schier wahnsinnig.

„Ich habe ja beim Proben gemerkt, dass du schauspielern kannst. Aber als du dich im Schneidersitz vor die Tür gesetzt hast, echt, das war genial." Er wirkt ehrlich begeistert. Mein Schauspieltalent begeistert ihn. Mein Schauspieltalent begeistert ihn?

„Es war... einfach improvisiert", versuche ich, die Scham zu überspielen. Er legt mir eine Hand auf die Schulter, damit ich ihn ansehe. Seine Berührung macht das ganze auch nicht unbedingt besser. Ich verkneife mir einen Kommentar und warte ab. Mein Gesicht so nah bei seinem, unsere Nasenspitzen so kurz davor sich zu berühren, der intensive Blick aus seinen Augen, in denen ich ein paar gelbe Sprenkel erkennen kann – das ist beinahe zu viel für mein überstrapaziertes Nervensystem.

„Spiel es nicht runter." Dann schweigt er, löst seine Hand von meiner Schulter und konzentriert sich auf die Bühne. Ob er genauso vorgibt aufzupassen wie ich es eben getan habe? Ich brauche ein paar Sekunden, um mich zu sammeln, normal zu atmen.

Mein Blick schweift über die Menge. Anne sitzt vorne, die Arme vor der Brust verschränkt und scheint irgendwie angesäuert zu sein. Darren neben ihr... Sein Blick liegt zu meiner Überraschung auf Khan und mir. Als er bemerkt, dass ich ihn erwischt habe, zuckt er nur die Achseln. Und mein Herz tut etwas noch unerwarteteres; es regt sich nicht. Es krampft sich nicht zusammen, es schlägt nicht außergewöhnlich schnell, es atmet einfach weiter.

Als wäre nichts gewesen.

Nach den restlichen Vorsprechen, verkündet Mrs. Bonnefelder, dass in den nächsten Tagen eine Liste an der Tür zum Sekretariat aushängen würde. Dort würden die Rollen stehen. Da die AG nur alle zwei Wochen stattfindet, sollen wir nach Erhalt unserer Rollen sofort mit dem Proben anfangen und die Woche darauf, würden die richtigen Vorbereitungen starten.

Es ist spät, als wir die Aula verlassen. Viel später als sonst. Der Vordereingang ist längst abgesperrt und außer dem Hausmeister läuft hier niemand mehr rum. Wir gehen also alle gemeinsam zum Parkplatz, Khan neben mir, ich spüre Darrens Blicke, die sich in meinen und Khans Rücken bohren.

„Ich fahr dich nach Hause", sagt Khan, scheinbar ohne Darren zu bemerken, der sich uns langsam nähert.

„Das musst du nicht...", setze ich an, immerhin ist er schon extra wegen dem Vorsprechen hergekommen. Aber der Blick, den er mir jetzt zuwirft, duldet keine Widerrede. Kurz führen wir ein stummes Blickduell. Ich möchte nicht, dass er denkt, er müsse mich überall hin kutschieren. Er tut schon genug für mich.

„Verdammt, warum bist du nur so stur", stoße ich hervor, eher zu mir selbst als zu mir. Er lacht leise.

„Das könnte ich dich genau so fragen." In dem Moment, in dem wir den Blickkontakt unterbrechen, erreicht Darren uns, Anne direkt hinter ihm.

„Darren, komm schon", weint sie, als er uns den Weg abschneidet. Mein Herz bleibt stehen.

„Stew." Er klingt außer Atem.

„Können wir reden?" Fühlt sich an wie ein DejaVu. Wie heute morgen mit Andrea. Ich balle die Hände zu Fäusten und kneife mich so fest in die Innenseite meiner Handfläche, dass ich das Gefühl habe, meine Hände könnten gleich platzen.

„Spar dir die Mühe", krächze ich. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Anne einen Schmollmund zieht. Ich erinnere mich an das Gespräch zwischen Andrea und mir heute morgen.

Du willst nicht, dass er sich um dich bemüht.

Nein, im Moment möchte ich nur, dass er sich verpisst. Miss Nadine hätte mich jetzt sicherlich mit ihrem Language-Schild getadelt. Aber sie ist nicht hier. Hier bin bloß ich, umringt von Khan, Darren und Anne und einigen Schaulustigen, die denken, wir wären kostenloses Kino.

„Bitte, Stew", sagt Darren, als ich versuche, mich an ihm vorbei zu schlängeln. Khan steht reglos mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck daneben, fast schon grimmig beschlossen, und überlässt es anscheinend mir selbst, mit ihm umzugehen. Irgendwie bin ich ihm dankbar. Schon klar, er hätte Darren bestimmt einfach eine reinhauen können und die Sache wäre gegessen. Aber ich kann nicht immer auf irgendwen warten, der mich aus meiner Misere rettet.

Das habe ich die letzten Jahre mit Darren gemacht und wir wissen alle, wie das ausgegangen ist. Ich muss anfangen für mich selbst einzustehen.

„Kein bitte, Darren. Lass mich einfach in Ruhe." Hinter ihm höre ich Anne schnauben.

„Du hast die Bullimikerin gehört, Darren. Sie will, dass du sie in Ruhe lässt." Es fühlt sich an, als würde mein Herz für eine geschlagene Minute vergessen, wie es zu schlagen hat. Ich stolpere einen Schritt zurück. Wie hat sie mich gerade genannt? Eilig setze ich ein Pokerface auf und weiche den Blicken der Umstehenden inklusive Khan aus. Wenn Darren sich wundert, warum Anne mich so nennt, so zeigt er es nicht.

„Lass mich einfach in Ruhe", wiederhole ich, diesmal leiser. Erst reagiert er nicht, mustert mich nur, als wäre er nicht sicher, ob ich wirklich sage, was ich will. Als müsste er vorher sicher gehen, dass ich ehrlich bin. Verdammt, wie schaffen die beiden es, mich dastehen zu lassen wie den Täter?!

Verzweifelt blicke ich doch zu Khan, der mich mit diesem beschlossenen Blick ansieht, dann nickt. Er weiß, was ich denke.

Ich drehe mich um und lasse mich von Khan zu seinem Wagen führen.

Als wir beinahe außer Hörweite sind, scheint in Darren ein Schalter umgelegt worden zu sein.

„Deshalb also soll ich dich in Ruhe lassen? Damit du mit ihm zusammen sein kannst?" Er schnaubt wütend. Ich bleibe stehen, ignoriere Khans besorgten Blick. Gott, diese Sorge macht mich krank. Genauso wie die Tatsache, dass sowohl Darren als auch Anne versuchen ihr schlechtes Gewissen an mir auszulassen. Das ist das Letzte.

„Du sollst mich in Ruhe lassen, weil du ein Arschloch bist, Darren. Das hat weder mit Khan noch mit Anne zu tun. Sondern einzig und allein damit, dass du dich mir gegenüber scheiße verhalten hast." Selbst wenn ich mit Khan zusammen sein wollte, würde es ihn nichts angehen. Ich laufe zurück zu Darren, stelle mich ganz nah an ihn ran und blicke ihm direkt an.

„Also hör gefälligst auf, auch nur ein einziges Wort zu mir zu sagen! Du warst es, der mich betrogen hat, erinnerst du dich?"

In diesem Augenblick mischt sich Anne mit ein.

„Du benimmst dich wie ein Miststück", höhnt sie und verdreht die Augen, stellt sich direkt neben Darren und bildet damit praktisch ein abwehrendes Schild. Meine Instinkte übernehmen für mich. Ich hadere nicht lange und gebe ihr eine schallende Ohrfeige.

„Wage es nicht noch mal, so mit mir zu reden", sage ich ganz ruhig.

„Und stell mich nicht als jemand da, der ich nicht bin." Damit gehe ich davon. Ich renne nicht, ich laufe nicht, ich stolziere und atme erst wieder aus, als ich auf dem Beifahrersitz in Khans Wagen sitze. Im Vorbeifahren sehe ich, wie sich Anne die Wange hält, die einen deutlich roten Abdruck aufweist. Fassungslos.

Ich komme nicht umhin, mich schlecht zu fühlen. Noch vor wenigen Wochen wäre ich ihr gegenüber niemals handgreiflich geworden. Sie war meine Freundin. Ich mochte sie wirklich, habe über all die Vorurteile hinweg gesehen, die andere in ihr sahen.

Ich habe sie verteidigt, wenn jemand schlecht von ihr geredet hat. Himmel, vielleicht habe ich mich ihr nicht häufig anvertraut, aber unsere Beziehung war trotzdem nicht weniger als eine Freundschaft. Freunde tun einem so etwas nicht an. Freunde halten zu einem, sie wählen dich vor einem Typen. Sie... Eine einzelne Träne rinnt mir aus dem Augenwinkel. Zu viele Tränen habe ich in letzter Zeit vergossen. Warum wusste ich nie, dass sie was von Darren will? Haben sie hinter meinem Rücken schon vorher etwas gehabt? War ich diejenige, die zu unaufmerksam war, um den Tatsachen ins Auge zu sehen?

Ich atme tief durch und blicke dann aus dem Fenster. Khan sagt nichts, was ich eigentlich ganz gut finde. Doch irgendwann macht mich die Stille nervös. Ich habe das Gefühl, irgendwas sagen oder tun zu müssen.

„Ich habe keine Bullimie", ist das erste, was mir einfällt. Er muss wissen, dass ich keine Bullimie habe. Das wäre... Khan hebt eine Augenbraue.

„Das, was Anne gesagt hat, das war Schwachsinn. Sie hat bloß heute morgen mitbekommen, wie ich mich vor Aufregung übergeben habe. Und dann eine ihrer Geschichten erfunden." Meine Hände zittern leicht, als ich das Fenster etwas runter-kurbel. Fahrtwind verweht mir die Haare, trocknet die Träne auf meiner Wange. Ich schließe kurz die Augen.

Dieses Gefühl vermittelt mir Freiheit. Ein Gefühl von Ruhe.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Teil ihres Klatsches sein würde. Das... verdammt." Ich mache den Mund zu, bevor ich ihm weiter mein Herz ausschütten kann.

„Du hast sie geschlagen", sagt Khan schließlich. Überrascht? Nein. Schockiert? Nein. Eher... Er feixt.

„Die Ohrfeige saß." Er verlässt die Autobahn und fährt in Richtung meines Zuhauses. Schade eigentlich. Ich hätte nichts dagegen gehabt, der Realität noch für eine Weile fernzubleiben. Ich begutachte meine Hand, die etwas gerötet ist und tatsächlich leicht pocht. Schnell wechsle ich das Thema. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich sie geschlagen habe.

„Aiden möchte übrigens mal bei eurem Training zuschauen." Das hatte ich über den Trubel mit dem Vorsprechen und Darren fast vergessen.

„Ich weiß. Er redet seit Wochen davon."

„Dein Bruder sieht zu dir auf." Einer Eingebung folgend grinse ich ihn an.

„Das..." Er stockt, ihm fehlt die Sprache.

„Spiel es nicht runter." Er biegt rechts ab, mein Haus kommt in Augenschein.

„Woher hast du denn diese schlaue Weisheit, Blondie?"

„Hat mir mal so ein komischer Typ in Flipflops gesagt."

„Soso, ein komischer Typ in Flipflops", erwidert er, schenkt mir allerdings ein vorsichtiges Grinsen.

„Hör auf, vom Thema abzulenken", sage ich und verschränke die Arme vor der Brust. Wir parken direkt vor unserer Einfahrt. Da Mikael sowieso der einzige ist, der unsere Einfahrt benutzt, ist das kein Problem. Sein Auto steht da, also hat er längst gearbeitet und muss das Haus bis morgen früh nicht verlassen. Khans Auto kann die Einfahrt versperren solange wie er will.

Seufzend fährt sich Khan über den Kopf. Zu meiner Überraschung sind die kurzgeschorenen Haare doch um einiges gewachsen. Ob er sie irgendwann wieder abrasiert?

„Vielleicht solltest du ihn mal zugucken lassen", schlage ich vor. Ehrlich gesagt habe ich auch nichts dagegen mal zuzugucken, wie er Football spielt. Seit dem Ende von Darrens und meiner Beziehung, bin ich zu keinem Spiel mehr gegangen.

Das einzige, was mich also abschreckt ist die Tatsache, dass er und Darren im selben Team spielen. Ich würde automatisch auch Darren begegnen, wenn ich Aiden zu Khans Training begleite.

„Und du hättest kein Problem dabei mit zu kommen? Versteh mich nicht falsch, aber ich habe einfach keine Zeit auch noch auf meinen Bruder aufzupassen, während ich spiele."

„Das ist als Babysitterin meine Aufgabe, erinnerst du dich?" Er sieht mich lange Zeit einfach nur an. Wieder ist es mir unangenehm, dass er meine Gesichtszüge zu studieren scheint. Ich beschäftige mich damit, das Fenster zu zu kurbeln.

Als ich ihn das nächste Mal ansehe, analysiert er mich noch immer.

„Willst du ein Bild? Das hält länger.", nutze ich die schlimmste Rede aller Zeiten, um die seltsame Atmosphäre zu vertreiben. Er rutscht in seinem Sitz näher – vermutlich ohne es selbst zu bemerken. Dann hebt er eine Augenbraue und lacht leise.

„Ich werde aus dir einfach nicht schlau", gibt er zu.

„Manchmal bist du so unglaublich selbstbewusst, du sagst, was du denkst – gleichzeitig bist du unglaublich nett. Niemand würde auf die Idee kommen, dass du auch diese anderen Phasen hast. Diese, in denen man dir eine Schere geben muss, damit du ein Kleid zerschneiden kannst. Phasen, in denen man dich von der Straße aufsammeln muss, damit du nicht von der nächsten Brücke springst." Er fährt sich erneut über den Kopf und seufzt. Meine Augen sind groß, nein, riesig. Kann es sein, dass mich Khan soeben durchschaut hat? Eilig steige ich aus seinem Auto. Er hadert nicht lange und, ich wünschte es wäre nicht so, folgt mir sofort.

„Blondie!", ruft er mir hinterher. Keine Reaktion. Das... er hat den Nagel so sehr auf den Kopf getroffen, dass mir kurz schwarz vor Augen wird. Ich bleibe trotzdem nicht stehen und erklimme die Treppenstufen vor unserem Haus.

„Stew." Ich höre seine Schritte hinter mir.

„Ich wollte dich nicht beleidigen." Stille.

„Du hast mich nicht beleidigt", seufze ich, drehe mich nicht um. Mit zittrigen Fingern suche ich in meiner Tasche nach den Haustürschlüsseln.

„Ich wollte dir auch nicht zu nah treten", fährt er fort. Ich steh jetzt direkt vor der Haustür. Drinnen geht ein Licht an. Super. Wenn jetzt auch noch Mikael kommt, muss ich wohl oder übel doch von einer Brücke springen.

„Du bist nicht...", flüstere ich, schüttle den Kopf. Er interpretiert das vollkommen falsch, aber wie soll ich ihm erklären, was ich gerade fühle? Wie soll ich ihm erklären, dass er mir gerade mitten in die Seele geguckt hat? Verdammt.

„Stew", haucht er und endlich drehe ich mich zu ihm um, sehe ihn an. Er steht nicht auf der Treppe, ich könnte ihm praktisch auf den Kopf spucken. Stirnrunzelnd weist sein Kopf in meine Richtung. Mir fällt auf, dass ich es mag, wie er meinen Namen ausspricht. Ich mag es, wenn er mich Blondie nennt. Aber viel mehr mag ich es, wenn er mich bei meinem richtigen Namen nennt.

Es kommt mir vor wie ein DejaVu. Vorhin stand ich genauso auf der Bühne und habe zu ihm hinunter gesehen. Bloß dass die Entfernung zwischen uns deutlich größer war. Wir sehen uns in die Augen, wieder entsteht diese Verbindung. Plötzlich fühle ich mich verstanden. Er hat mir in die Seele geblickt, er hat aufgedeckt, was ich versuche zu verbergen.

Und er ist noch hier. Er ist nicht davon gefahren. Er ist hier, bei mir, und seine Zuneigung ist spürbar – hängt zwischen uns in der Luft.

Ich bin im Inbegriff die Treppenstufen runter zu springen und die Szene von vorhin zu Ende zu spielen, da öffnet sich hinter mir die Haustür. Wie erstarrt bleibe ich stehen. Brücke, it is.

„Wusste ich doch, dass ich Stimmen gehört habe." Aber es ist nicht Mikael. Es ist meine Mum. Beim Klang ihrer Stimme zucke ich zusammen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, seit ich sie nicht mehr gehört, geschweige denn gesehen, habe.

♡♡♡

Ihr bekommt direkt noch eins, weil ich irgendwie in der Laune dafür bin :)

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