Acht
Kaum sitzen wir im Auto und sind um die nächste Ecke gebogen, ergreife ich das Wort.
„Hör zu. Wir haben da schon mal drüber gesprochen, aber die Sache eben gerade mit Ashton und Darren und was Ash gesagt hat, das hat mir irgendwie klar gemacht, dass ich es noch mal deutlich machen muss. Du bist keine Ablenkung für mich. Und keine zweite Wahl. Darren und ich sind Geschichte. Wie ich eben gesagt habe – ja, ich gehe Konflikten gerne aus dem Weg – zwischen Darren und mir ist nur noch diese komische Leere. Keine Gefühle, nur noch Reue. Reue, weil ich zu spät bemerkt habe, dass er mir entglitten ist. Reue, weil ich so viel Zeit an ihn verschwendet habe." Ich hole tief Luft. Ein zaghaftes Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen. Ich öffne den Mund. Und schließe ihn wieder.
„Red ruhig weiter", sagt er, was ich dann auch tue.
„Ich mag dich, Khan, okay? Also bitte bitte denk nicht – keine Ahnung – das, was du eben denkst. Oder so ähnlich?" Ich werde rot. Zugegeben, ich habe meinen Faden verloren. Aber doch nur, weil er so offensichtlich in Awe ist. Sein zaghaftes Lächeln verwandelt sich in ein Grinsen.
„Das ist vermutlich das erste Mal, dass du mich direkt bei meinem Namen ansprichst, Blondie." Wir halten an einer Ampel und als er meinen verdutzten Gesichtsausdruck bemerkt, gibt er mir einen sanften Ellenbogenstoß in die Seite.
„Aber ehrlich gesagt habe ich gerade gar nicht darüber nachgedacht, dass du mich als Rebound benutzen könntest. Auch wenn es mir durchaus gefällt, wenn du sagst, dass du mich magst, Stew." Er zwinkert. Oh Gott. Wenn überhaupt möglich, so laufen meine Wangen noch röter an.
„Und wenn du knallrot wirst."
„Das hilft nicht gerade dabei, dass ich weniger rot werde, das ist dir klar?" Er legt eine Hand an meine Wange. Hitze, ein Stromschlag. Die Luft zwischen uns ist förmlich aufgeladen. Als die Ampel auf grün umspringt, nimmt er sie wieder weg. Automatisch ist mir weniger warm.
„Bevor du fragst – nein, ich habe auch nicht über Ashtons Vorschlag nachgedacht, die Sache im Auto fortzuführen." Einen Moment sehe ich ihn perplex an. Dann bricht das Lachen aus mir heraus.
„Auch wenn ich nichts dagegen hätte..." Er lässt den Satz offen in der Luft stehen.
„Worüber hast du denn dann nachgedacht?", frage ich, als sich mein Lachen wieder beruhigt hat.
„Ehrlich? Ich bin die vielen Strategien durchgegangen, die mir mein alter Karatelehrer beigebracht hat. Selbstverteidigungsstrategien, die wir nur im Notfall durchgehen sollten." Er nimmt den Blick von der beinahe leeren Autobahn.
„Ich hätte Ashton echt gerne noch mal eine rein gehauen", gibt er mit einem dümmlichen Grinsen zu. Daraufhin kann ich nur lachen – unsicher, ob er das wirklich ernst gemeint hat. Hoffentlich nicht. Wir lachen den Rest der Fahrt, vor meinem Zuhause hält er an. Kurz bevor die Straßenlaterne erlischt. Wir geben uns einen Abschiedskuss und ich schiebe ein „Bitte schlag ihn nicht zusammen, wenn du ihn das nächste Mal siehst", hinterher. Woraufhin er mit einem schelmischen: „Er hätte es zwar verdient. Aber ich denke, ich kann mich zurück halten", antwortet. Wir wissen beide, dass es ihn höchste Anstrengung kosten wird.
Am Montag teilt Mrs. Bonnefelder in der Drama-AG Infoblätter und zugehörige Eltern-Einverständniserklärungen für die Theaterfahrt aus, die in zwei Wochen stattfinden soll, also genau eine Woche vor den Winterferien. Es entsteht sofort aufgeregtes Getuschel. Die Theaterfahrt ist grundsätzlich das Highlight meines Schuljahres. Von morgens bis abends wird geprobt, in den Pausen kann man sich die Stadt angucken, in die wir fahren. Dieses Jahr ist es eine Stadt mitten im Ski-Gebiet.
Als ich das vor etwa zwei Monaten erfuhr, habe ich freudig aufgequiekt. Ich bin noch nie Ski gefahren und ehrlich gesagt jagt mir das Ganze eine heiden Angst ein, aber ich liebe den Schnee. Die Woche vor Weihnachten im Schnee zu verbringen und zu proben – mit Khan – das ist eine verdammt schöne Vorstellung.
Wie wenn man vom Teufel spricht, taucht in eben diesem Moment Khan neben mir auf, stupst mich in die Seite und grinst dann.
„Freust du dich?", will er wissen.
„Ich werde mir sowas von diesen schicken Schneeanzug in hellrosa zulegen", platzt es im selben Moment aus mir heraus. Der vom letzten Jahr müsste zwar noch passen, aber ich schwärme für den Anzug, den ich letztens im Netz gesehen habe. Flauschig, dick, warmhaltend und hellrosa.
„Ich nehme das als ein Ja", lacht er.
„Hatte ganz vergessen, dass du auch so ein Mädchen sein kannst. Was passiert denn mit deinen Highheels, wenn du im Schnee spielen gehst?" So ein Mädchen. Aha. Ich habe nie gesagt, dass ich nicht auf Klamotten stehe.
„Schätze, tief in mir drinnen, bin ich eben doch eine Blondie." Khan übergeht meine Worte.
„Und was wohl mit den Flip Flops passiert." Mit verstörtem Gesichtsausdruck fällt er auf die Knie. Dann schlägt er gegen den Boden. Mehrmals. Ich lache laut los. Mit zusammengekniffenen Augen blickt er zu mir auf.
„Du findest das lustig?" Er schnieft.
„Meine geliebten Flip Flops." Immer noch kniet er auf dem Boden und langsam fangen die anderen, die sich von ihrem Adrenalinkick erholt haben, an zu starren. Die Röte steigt mir ins Gesicht, als ich ihm meine Hand hinhalte. Er wischt sich ein mal über das Gesicht, dann erscheint ein amüsiertes Funkeln in seinen Augen.
„Hast du Angst, man könnte über uns lachen?"
„Über uns? Ich stehe nur daneben, während du so tust, als wäre dein Spielzeugteddybär gestorben. Wenn sie lachen, dann lachen sie dich aus."
„Gut zu wissen, dass du immer zu mir halten wirst, Blondie." Schließlich nimmt er doch meine Hand und lässt sich hochziehen. Gerade richtig, denn Mrs. Bonnefelder beginnt eine ihrer Reden.
„Ich möchte bis zur Fahrt, alle Szenen durchgespielt haben. Mehrmals. Ihr solltet alle eure Texte können. Auch die Zweitbesetzungen." Dabei wirft sie Anne und Darren einen vielsagenden Blick zu.
„Auf der Fahrt werde ich euch dann immer in Szenen zu mir rufen und wir proben bis ihr tot umfallt." Stille. Niemand rührt sich.
„Das war ein Spaß, Kids. Am Ende der Theaterfahrt möchte ich das Stück zwar mindestens drei Mal komplett durchgespielt haben, aber ich werde euch nicht umbringen." Ein Junge im hinteren Teil des Raums jubelt laut.
Jemand ruft: „Dann können wir ja Ski fahren." Mrs. Bonnefelder nickt nur nachgiebig, ehe sie mich und den Elf auf die Bühne ruft.
„Soll ich dich nachher heim fahren?", will Khan wissen, als ich meine Materialien auspacke.
„Andrea nimmt mich mit." Wir haben da noch ein Hühnchen zu rupfen.
„Du triffst dich wieder mit Ashton?", frage ich, sobald ich neben ihr in ihrem Auto sitzt. Heute Morgen konnte sie mich nicht mitnehmen, weil sie einen Arzttermin hatte. Zu schade auch.
„Einen guten Tag dir auch, Stew", sagt sie, schaltet den Motor ein und fährt aus der Parklücke. Sie richtet ihren Spiegel und weicht meinem Blick aus. Als sie merkt, dass ich nicht nachgeben werde, seufzt sie. Laut.
„Ich habe mich vorgestern mit Ashton getroffen, wenn du es genau nehmen willst", gibt sie zu. Abwartend sehe ich sie weiterhin an. Ein erneutes Seufzen.
„Um ihm zu sagen, dass er mich in Ruhe lassen soll." Ihre Stimme ist rau und ungewohnt leise. Sie nimmt eine Hand vom Lenkrad und fährt sich damit durch die Haare.
„Willst du... eh... darüber reden?"
„Das tun wir doch gerade." Sie lacht leise, freudlos.
„Er hat das nicht gut aufgenommen. Weißt du, er kam letzten Dienstag auf mich zu – mal wieder. Hat mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehe. Ein zweites erstes Date. Als seien wir nie zusammen gewesen oder so." Sie schüttelt den Kopf.
„Ich wusste schon da, dass ich nur zustimme, damit ich ihm endlich weiß machen kann, dass er mich in Ruhe lassen soll." Ich nicke. Sie scheint Ashton gegenüber dasselbe zu empfinden wie ich für Darren.
„Naja und du kennst Ashton. Seine Reaktion war nicht... nett. Echt unangebracht."
„Das kann ich mir vorstellen." Die Art und Weise, wie er an dem Abend vor dem Restaurant darüber geredet hat, war Indiz genug.
„Kurz dachte ich, er würde aufstehen und mich schlagen." Der Wagen vor uns hält an einer grünen Ampel, woraufhin Andrea sich aus ihrem Fenster beugt, gleichzeitig hupt und einen vulgären Kommentar nach dem anderen loslässt.
„Du kannst mir glauben, ich wäre ebenfalls aufgestanden und hätte heftig zurück geschlagen", fügt sie hinzu, als sei das nicht offensichtlich. Ich bewundere Andrea dafür. Klar, ich habe Anne mal eine Ohrfeige gegeben. Aber Andrea. Sie ist so stark. Nicht körperlich – obwohl sie das vermutlich auch ist – sondern mental. Sie hat gleichzeitig diese Ruhe an sich und dann diese Aura, die ruft: „Ich habe was zu sagen, do not mess with me." Ich wünschte, ich könnte dasselbe von mir sagen.
„Kurz um: er wurde aus dem Restaurant geworfen und ich konnte für beide unsere Bestellungen bezahlen." Sie schüttelt nur den Kopf, aber ein Lächeln stiehlt sich auf ihre Lippen.
„Satt war ich dann jedenfalls." Ich runzle die Stirn.
„Du hast sein Essen gegessen?" Wie viel sie da wohl gegessen hat?
„Sieht nicht so aus, aber in diesen Körper passt ganz schön viel Essen." Demonstrativ klopft sie sich auf den Bauch. Für wenige Sekunden bin ich geneigt, sie zu fragen, wie das funktioniert, aber ich verkneife es mir.
„Andere Frage, wie geht's Mr. Kahlkopf?", will Andrea wissen, als ich eine Weile auf ihren ziemlich flachen Bauch gestarrt habe.
„Mr. Kahlkopf", wiederhole ich langezogen.
„Tut mir leid, aber mein Versprechen diesbezüglich kann ich nicht halten. Ich werde ihn für immer so nennen", scherzt sie. Wir sind uns ziemlich ähnlich, stelle ich fest. Nicht, dass wir dieselben Dämonen hätten, die uns von innen auffressen. Doch wir haben dieselbe Taktik, diese Dämonen zu ignorieren.
„Sicher, dass wir uns nicht noch weiter über dich und Ashton unterhalten wollen? Sicher, dass es dir... okay geht?" Von gut wollen wir lieber nicht anfangen.
„Einhundert Prozent. Weißt du, manchmal hilft es nicht darüber zu reden. Egal, wie viel du redest, es ändert ja doch nichts. Darüber nachdenken hilft übrigens auch nicht. Ich bin Langstreckenläuferin, ich habe genug Zeit, um zu denken. Gute Sache, wenn du schnell laufen willst. Aber im Endeffekt läufst du deinen Problemen ja auch nur davon." Ich brauche kurz, um die verschiedenen neuen Informationen zu sammeln. Sie ist Läuferin. Sie läuft ihren Problemen davon.
„Ich kann mich nicht ständig mit meiner Vergangenheit beschäftigen, wenn ich eine Zukunft haben will. Das ist ungesund und es macht mich nicht glücklich." Sie fummelt an ihrem Spiegel herum, während wir die Autobahn verlassen.
„Ist natürlich einfacher in Theorie als in Anwendung." Sie zwinkert mir zu. Ich kann sie nur anstarren. Erneut.
„Manchmal erinnerst du mich echt an Mikael", sage ich schließlich. Andrea zuckt leicht zusammen, hebt dann beide Augenbrauen.
„Das ist nicht negativ gemeint oder so. Ihr seid beide so jung", sie ist jünger als ich und doch... „aber ihr habt diese erwachsene, reife, mega krasse Einstellung. Ich bewundere euch dafür, weil ihr irgendwie beide in einer schlechten Situation das gute sehen könnt." Das Lächeln, das zuvor zaghaft und eher unecht in ihrem Gesicht erschienen war, erweitert sich. Ihre Wangen färben sich leicht rötlich.
„Das... ist lieb von dir Stew. Ehrlich gesagt, sehe ich aber auch nicht in jeder Situation das gute. Es kostet mich enorme Kraft, mir selbst zu sagen, dass es mir nichts bringt, das schlechte zu sehen. Jedes einzelne Mal. Wenn du dir oft genug etwas sagst, dann wird es irgendwann wahr." Ich denke an Mikael. Mikael, der noch nie laut geworden ist, den ich bisher erst ein oder zwei Mal habe weinen sehen. Mikael, der immer weiß, wie er mich aufbauen muss. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er in Wahrheit nicht weiß, was er tut...
„Also, was ist jetzt mit Mr. Kahlkopf?" Andrea biegt rechts ab. In wenigen Minuten werden wir mein Zuhause erreicht haben.
„So kahlköpfig ist er doch gar nicht mehr", meine ich. Seine Haare wachsen langsam nach, auch wenn ich mir nicht mehr sicher bin, ob er sie länger wachsen lassen will oder am Ende wieder abrasiert. Im Moment wirkt er etwas zwiegespalten – was so ziemlich jeden Lebensbereich betrifft. Kann man ihm auch nicht verdenken.
„Stimmt, ich sollte anfangen, ihn Tarzan zu nennen", lacht Andrea und schüttelt den Kopf.
„Und jetzt hör auf, um den heißen Brei zu reden."
„Was willst du denn wissen?", frage ich und beiße mir auf die Lippe.
„All the juicy details, natürlich." Augenverdrehend hält Andrea vor meinem Haus.
„Bist du glücklich mit ihm?", stellt sie dann leiser ihre eigentliche Frage. Prompt muss ich grinsen. Zaghaft nicke ich. Ich seufze und blicke sie vorsichtig an. Keine Ahnung, wie sie es auffängt, wenn ich von Khan und mir anfange. Ich will sie nicht deprimieren. Mit einer Handbewegung fordert sie mich auf, zu reden.
„Es ist anders als mit Darren. Irgendwie... fantastischer, wenn du verstehst, was ich meine. Es heißt immer, die erste Liebe wäre was besonderes. Aber ich glaube, meine zweite Liebe ist wertvoller."
„Vielleicht war Darren nie deine erste Liebe, hm?" Die Knöchel ihrer Finger, die das Lenkrad umklammern, treten leicht weiß hervor.
„Vielleicht war Ashton nie deine...", sage ich.
„Vielleicht..." Einer Eingebung folgend löse ich meinen Gurt und schließe sie in eine unangenehme Umarmung über unsere Sitze hinweg.
„Du kannst gerne mit rein kommen", schlage ich vor und überraschenderweise stimmt sie zu. Wir verbringen den Rest des Nachmittags damit, zu reden. Nicht ausschließlich über Ashton und Darren. Es ist anders als mit Mariah. Versteht mich nicht falsch. Mit Mariah kann ich auch gut reden und wir kommen prima mit einander aus. Aber Andrea und ich haben dasselbe durchgemacht, wir verstehen uns auf eine Art und Weise, wie es mit Mariah nicht der Fall ist. Es fühlt sich gut an, mich jemandem zu öffnen – zumindest mich teilweise zu öffnen.
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