58 - Überraschungsbesuch
Sa. 12.5. a.d. 1571
Von Thaden und Maier sind offene, ehrliche Burschen, die begierig von Bader alles lernen, was er ihnen bietet. Wir genießen fröhliche Tischrunden zu viert, wenn die Brüder Weise dabei sind, zu sechst. Sie gewöhnen sich schnell daran, wie familiär ich mit meinen Bediensteten umgehe, und fühlen sich wohl. Allein schon für Gunther ist es richtig so, da er ja höheren Standes ist. Aber ich mag da keine Unterschiede machen. Lütgenhusen hat mich viel gelehrt ...
Bader hat mir schon am Mittwoch Abend auf die Schulter geklopft.
„Einen guten Fang habt Ihr da gemacht, Herr. Und gleich doppelt. Die beiden stellen sich so gut an, begreifen so schnell und sind so wissbegierig. Ich fürchte – da muss ich schon früher zurück aufs Altenteil."
Wir müssen beide grinsen.
Am Donnerstag Morgen haben wir miteinander besprochen, wie dieser Besuchstag in den Dörfern auf uns gewirkt hat, tauschen uns aus über die Vögte, die jeweiligen Probleme in den Dörfern und die Stimmung dort. Von Thaden und Maier stellen uns eine Unmenge von Fragen, die wir ihnen gerne beantworten. In den folgenden Tagen fangen wir dann an, das Durcheinander zu sichten, das Brudenhusen bei den Besitzverhältnissen in den Dörfern veranstaltet hat, damit möglichst bald alle wieder zu ihrem Recht kommen.
Inzwischen ist es schon wieder Samstag. Wir wollen uns nach einem ausgiebigen Frühstück grade wieder an die Arbeit begeben, als ich schnellen Hufschlag im Hof höre. Ein Blick aus dem Fenster bestätigt mir, was ich gehofft hatte. Wenn auch nicht um die Uhrzeit. Auf den zweiten Blick wundere ich mich ein bisschen, denn Benjamin ist allein, Ruven ist nicht bei ihm. Und auf den dritten Blick sehe ich, dass Benjamin in den letzten Tagen nicht viel aus dem Sattel gekommen sein kann. Und sein Pferd sieht genauso müde aus wie er.
Kurz darauf kommt er in mein Arbeitszimmer.
„Um Himmels Willen, Benjamin. Was ist geschehen, dass du allein und so abgehetzt hier ankommst?"
„Nischt Schlimmes, Herr. Keene Sorge! Im Geg'nteil. Wir sind gut hingekomm'n un hab'n Schloss Brabeck schnell gefund'n. Als wir mit'm Brief dort ankam'n, wurd'n wir zum Verwalter gebracht. Der hat'n Brief geöffnet, die ersten Worte geles'n un is wie angestoch'n aus'm Raum gerannt. Es hat eene Weile gedauert, bis er wedderkam un uns bat, ihm zu folg'n. Wir wurd'n in eenen Raum geführt, wo der alte Graf allein in ein' m Sessel vorm Kamin saß un sich weinend an die Sei'n des Briefes geklammert hat. Er war wirklich ganz erschüttert, un wir wusst'n erst nich, was wir tun soll'n. Dann hat er sich schließlich berappelt un uns zu sich gebet'n. Wir musst'n alles, alles erzählen, was wir in den letzt'n Monat'n miterlebt hab'n. Immer wedder hat er uns völlig vergess'n un in den Brief'n geles'n. Dann wedder hat er Frag'n gestellt. Es hat lang geduurt, bis er sich beruhigt hatte. Endlich bat er sein'n Verwalter, uns angemess'n unterzubring'n un die Pferde versorg'n zu lassen. Wir sollt'n uns ausruh'n un seine Antwort abwart'n."
Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie erschüttert und verwirrt der alte von Brabeck gewesen sein muss. Aber er freut sich sehr. Und das macht mich für Anna froh.
„Habt ihr eine Antwort erhalten?"
„Ja, Herr. Wenn ook nich die, die wir erwartet hatt'n. Er bat uns, zwei Tage zu blei'n un ihn dann nach Gieboldehus'n zu führ'n."
„Wie bitte? Er kommt hierher?"
"Er is schon auf'm Weg. Ik hab mich gestern Morg'n abgesetzt un bin fast durchgeritt'n, damit ik eenen entsprech'nd'n Vorsprung hab. Er wird geg'n Abend hier eintreff'n, un Ihr wolltet doch rechtzeitig Frau Adam benachrichtig'n."
Völlig verdattert starre ich Benjamin an, und das Denken fällt mir schwer.
Na sowas!
Dann stürme ich nach hinten in Baders Büro, reiße das Fenster auf und brülle über den Wirtschaftshof.
„Konrad!"
Ein Bursche flitzt in den Stall, und kurz darauf kommt Konrad heraus.
„Hier!"
„Anspannen. Fahr sofort nach Lütgenhusen und hol Anna Adam, die Kinder und Linde."
„Äh – jetzt? Sofort?"
Konrad ist mir entgegengelaufen. Nun bleibt er stehen.
„Ja, jetzt. Sofort! Sie muss bis zum Abend hier sein. Sag ihr, ihr Vater ist auf dem Wege hierher."
Konrad macht auf dem Absatz kehrt und rennt zurück in den Stall. Kurz darauf bringen zwei Burschen die Pferde zur Wagenremise und spannen die leichteste Kutsche an. Und im Handumdrehn ist Konrad vom Hof gerollt.
Ich gehe zurück in mein Büro.
„Wie kommt es, dass der alte Herr selbst kommt? Konntet ihr das heraushören?"
Benjamin schüttelt den Kopf.
„Erst unnerwegs so nach un nach. Er hat wirklich nich gewusst, dat ... nu – dat er eene Dochter hat. Er wollt alles über Frau Adam wiss'n. Un hat uns nach den Kinners ausgehorcht. Immer wedder hat er gemurmelt. 'Ik hab eene Dochter. Ik hab drei Enkel.' Es war wirklich ergreifend. Aber er is so rüstig, dat er wild entschloss'n war, keene Tied mit Brief'n zu verschwend'n. Er möcht'se alle sofort seh'n."
Ich kann nur mit dem Kopf schütteln.
„So plötzlich. - Danke, Benjamin, du kannst dich jetzt ausruhen. Könntest du mir noch Frau Jansen schicken?"
Benjamin nickt, verbeugt sich und geht hinaus. Einen Moment lang ist es ganz still im Raum. Ich stehe stocksteif da und starre die soeben geschlossene Tür an.
„Bader, von Thaden, Maier – würde es Euch etwas ausmachen, wenn Ihr in den nächsten Tagen weitgehend auf meine Mithilfe verzichten müsstet? Zu tun gibt es für Euch genug. Und ich möchte mich ganz auf Anna Adam und Graf von Brabeck konzentrieren können."
Alle drei versichern mir, dass sie sich problemlos zu dritt der Arbeit widmen können. Dann raffen sie all die Papiere, derer wir uns grade annehmen wollten, und gehen nach nebenan in ihr nun gemeinsames Büro.
Kurz darauf klopft Frau Jansen und tritt ein.
„Womit kann ich dienen, Herr?"
Allmählich habe ich mich wieder ein bisschen beruhigt.
„Frau Jansen, wir bekommen Besuch. Graf Caspar von Brabeck aus dem Hannoverschen ist auf dem Weg hierher, weil sich herausgestellt hat, dass ... Er ist Anna Adams Vater. Wir haben ihm geschrieben, und nun will er zu seiner Tochter eilen. Konrad ist schon unterwegs, die kleine Familie zu holen. Wir müssen also heute Abend rechnen mit dem Grafen, sicher einem Kammerdiener, Anna Adam, den drei Kindern und Linde. Lina wird also wieder gebraucht. Und unsere Tischrunden werden dadurch größer, vielleicht auch verändert. Das werden wir sehen. Benjamin ist wieder da, Ruven ist beim Grafen geblieben, und ein Kutscher wird unterzubringen sein. Vielleicht hat der Graf auch noch eigene Wachmänner, damit er auch heile wieder nach Hause findet. Schafft Ihr das alles?"
„Selbstverständlich, Herr. Es ist schön, dass es in diesem Haus wieder Besucher gibt. Wir werden bis zum Abend alles gerichtet haben."
„Danke, Frau Jansen. Ich bin froh, dass ich mich auf Euch immer verlassen kann."
Sie eilt hinaus, und kurz darauf höre ich, wie einige Bedienstete im Haus beginnen zu rumoren. Unser Mittagsmahl fällt eher kurz und einfach aus, dann besprechen wir noch, wie die drei Verwalter in den nächsten Tagen vorgehen werden. Vom Rest des Tages bekomme ich nicht mehr viel mit, weil meine Gedanken umherschwirren wie Bienen um ihren Stock.
Das Geräusch von Kutschenrädern erlöst mich aus der Anspannung. Anna ist da. Und sie zögert nicht, mir entgegen zu eilen.
„Hannes. Was ist ... wieso hat er nicht geschrieben? Ich ..."
Irgendwelche Zuschauer sind mir jetzt egal. Ich nehme Anna in meine Arme und drücke sie einmal fest, bevor ich sie die Stufen hoch geleite.
„Benjamin meinte, der alte Herr habe keine Zeit mit Briefeschreibereien verschwenden wollen. Und er habe immer wieder gemurmelt 'Ich habe eine Tochter. Ich habe drei Enkel.' Anna, weißt du, was das heißt?"
Verwirrt schaut sie mich an.
„Anna. Er hat DREI Enkel. Er hat Deinen Brief inzwischen sicher hundertmal gelesen, und Du hast es unmissverständlich geschrieben. Er kann keinen Zweifel haben, dass Jakob nicht dein leiblicher Sohn ist. Aber er hat gesagt 'drei Enkel'. Du musst dir keine Sorgen mehr machen."
Stille Tränen der Erleichterung laufen ihr übers Gesicht.
„Halt mich ganz fest, Hannes."
Zunächst beziehen Anna und ihre kleine Schar wieder dasselbe Zimmer wie letzte Woche. Jakob schnattert auf dem ganzen Weg die Treppe hinauf auf mich ein. Auch Lina gesellt sich gleich dazu und hilft mit den Kindern. Dann spricht Frau Jansen vor.
„Frau Adam? Sie hatten doch letzte Woche ein paar Gewänder bei Frau Bünte in Auftrag gegeben. Zwei Gewänder für Euch und je eines für die Kinder sind bereits fertig. Ich habe mir erlaubt, nachfragen zu lassen, als ich gehört habe, dass der Graf von Brabeck kommen würde. Ihr sollt Euch doch wohlfühlen."
Dankbar nimmt Anna Almuth Jansen in die Arme.
„Ihr seid einfach wundervoll, dass Ihr daran auch noch gedacht habt. Ja, das ist mir sehr recht. Nun kann ich sie gleich tragen."
„Ruh dich ein bisschen aus, Anna, damit du heute Abend alle Kraft für die erste Begegnung mit deinem Vater hast."
Linde und Lina gehen mit den Kindern ins Spielzimmer, und ich begebe mich wieder nach unten, damit ich gleich reagieren kann, wenn der Graf kommt. So hat Anna nun einen Moment Zeit, um alleine durchzuschnaufen und ihre Gedanken zu sortieren.
Als die Abendsonne ihre letzten Strahlen über den Horizont schickt und die Bäume im Park schon lange Schatten werfen, erklingt zum zweiten Mal heute das Geräusch von Kutschenrädern und Pferdehufen. Ich eile in die Eingangshalle, scheuche den herbei laufenden Barkhausen hoch zu Anna und öffne einfach selbst die Eingangstür. Am Fuße der Stufen steigt in dem Moment ein steifer Kammerdiener aus, wendet sich zurück zur Kutsche und reicht jemand seine Hände. Ruven reitet nach hinten und schickt zwei Stallburschen für die Kutsche.
Und dann steigt Graf von Brabeck aus. Er sieht erschöpft aus von der Reise. Aber vor allem hat er ein Strahlen und eine Vorfreude im Gesicht, dass mir das Herz aufgeht. In dem Moment tritt jemand hinter mich.
„Vater?"
Der alte Mann schaut auf, und sein Gesicht wird weich.
„Anna?"
Anna nickt. Die Tränen laufen ihr übers Gesicht.
„Komm her, mein Mädchen. Lass dich ansehen."
Wie der Wind eilt Anna die Stufen hinab und in die ausgebreiteten Arme ihres Vaters.
Stumm kümmert sich der Kammerdiener um das Gepäck, obwohl er offensichtlich vor Neugierde platzt. Stumm stehe ich oben an den Stufen und lasse den beiden ihre Zeit. Stumm verständigen sich die Stallburschen mit dem Kutscher und bringen so leise wie möglich Kutsche und Pferde weg. Und Vater und Tochter stehen, in seliger Umarmung verbunden, beieinander und halten sich, um sich zu vergewissern, dass das alles kein Traum ist. Erst nach einer ganzen Weile lösen sie sich und schauen sich in die Augen. Der alte von Brabeck geht auf die Treppe zu.
„Komm, mein Mädchen. Wir wollen unseren Gastgeber nicht länger warten lassen."
Von Brabeck reicht Anna den Arm, und gemeinsam kommen sie die Treppe hinauf auf mich zu.
„Grubenhagen, verzeiht, dass ich Euch so überfalle, aber ich musste einfach sofort zu meiner Tochter eilen."
Ich reiche ihm die Hand, als er oben angekommen ist.
„Nun, von Brabeck. Ich habe zwar nicht damit gerechnet. Wir wussten ja nicht, in welcher Verfassung meine Boten Euch vorfinden würden. Aber – ich an Eurer Stelle hätte nicht anders gehandelt. Jeder weitere Tag wäre ein verlorener Tag. Und Ihr seid mir von ganzem Herzen willkommen. Eure Gemächer sind bereits gerichtet, Ihr wollt Euch sicherlich etwas ausruhen von der langen Reise."
Er zwinkert mir zu.
„Oh nein! Jeder Moment ist ein verlorener Moment. Lasst mich nur ein wenig durchschnaufen."
Ich geleite die beiden in das Empfangszimmer der Damen, wir bereiten dem alten Herrn einen bequemen Platz – und dann sitzen die beiden einfach nebeneinander und strahlen sich an. Ich entschuldige mich leise und verlasse den Raum. Nach so vielen Jahren sollen die beiden einen Moment ungestört miteinander verbringen dürfen.
Glück
Sa. 12.5. a.d. 1571
Ich bin unendlich verwirrt, glücklich, traurig, neugierig. Vor mir sitzt mein Vater. Ich hätte nie im Leben geglaubt, dass ich jemals meinen Vater sehen würde. Schon, dass ich bei meiner Mutter aufgewachsen bin, ohne es zu wissen, war ein Schock. Aber hier sitzt er, strahlt von innen heraus und schaut mich unverwandt an. Er kümmert sich nicht um meine Kleidung oder meine sonnengebräunte Haut. Er fragt nicht nach Anstand und Ehre und Rang. Er ist einfach da.
„Wie sehr du deiner Mutter ähnelst. Ihr Brief an dich war ein bunter Strauß an Liebe – für dich und für mich. Danke, dass du ihn mir abgeschrieben hast."
Ich schaue ihm in die alten, aber immer noch klaren Augen. Sie sind grün.
„Mutter hat ja geschrieben, dass ich meine Augen von dir geerbt habe. Und es stimmt. Deine Augen sind auch grün, Vater."
Er lächelt.
„Selbst wenn du keine Heiratsurkunde vorweisen könntest – ein Blick in dein Gesicht und in deine Augen beweist alles. Ich bin so reich beschenkt!"
Er schaut an meine Hand. Ich habe eines der Kleider von Frau Bünte angezogen, das in sanften Grüntönen gehalten ist, und dazu den Ring aus der Schatulle, den Mutter von Vater zur Hochzeit bekommen hat. Vater sieht den Ring und greift nach meiner Hand.
„Der Ring! Hast du ... Hat sie ..."
„Mutter hat mir ein Kästchen vermacht. Darin war alles, was für uns drei einen Wert hat. Geld, Schmuck, dieser Ring. Die Heiratsurkunde, ein Bild von dir, ihr Brief an mich. Und ... Warte."
Ich habe vorsorglich die Schatulle mit herunter gebracht. Ich hole sie von dem Seitentischchen und zeige sie ihm.
„Den Schlüssel dazu habe ich mein ganzes Leben lang um den Hals getragen, ohne zu wissen, zu welchem Schloss er gehört."
Ich öffne die Schatulle.
„Und das hier war auch noch darinnen. Ich habe nichts gelesen. Ich dachte mir, das solltest besser du entscheiden, Vater."
Ich reiche ihm das Bündel mit Liebesbriefen zwischen ihm und Mutter. Ungläubig staunend greift er danach, erkennt, was er in der Hand hält, und beginnt zu weinen. Es dauert eine Weile, bis er sich wieder fasst. Dann zieht er einzelne Briefe aus dem Stapel, um mir daraus kleine Stückchen vorzulesen - zarte Worte tiefer Verbundenheit.
Nach einer ganzen Weile glücklicher Vertrautheit kommt Hannes zu uns zurück und teilt uns mit, dass bald das Abendessen angerichtet wird.
„Na, dann muss ich jetzt wohl doch die Treppe raufwackeln, Grubenhagen. In dem Aufzug kann ich mich nicht beim Essen blicken lassen. Aber, sag mal, Anna. Wo sind denn meine drei Enkel? Werde ich sie heute noch sehen?"
Mein Herz macht vor Freude einen großen Hüpfer, während wir uns erheben und mit Hannes in die Halle zur Treppe gehen.
„Sie sind oben, im Spielzimmer. Und du darfst sie gerne ganz viel sehen."
"Von Brabeck, wäre es für euch genehm, wenn die Kinder beim Essen dabei wären, auch wenn sie noch klein sind? Sie sind gut erzogen. Und normalerweise sind auch meine Verwalter anwesend. Aber es liegt ganz bei Euch, Ihr müsst nur wünschen."
Vater schüttelt den Kopf.
„Neinnein, Grubenhagen. Ich will hier nichts durcheinanderbringen. Alles so, wie Ihr es gewohnt seid."
Ich gehe mit Vater die Treppe hinauf. Oben kommt uns ein Diener entgegen, der Vater zu seinem Gemach führt. Ich hingegen gehe ins Spielzimmer und informiere die Mädchen und die Kinder, dass unser Gast nun da ist und wir mit ihm gemeinsam zu Abend speisen werden.
Also machen wir uns zu dritt daran, die Kinder ein wenig zu waschen und ihnen die neuen Gewänder anzuziehen.
„Jakob schaut an sich hinunter und staunt.
„Jetzt sehe ich wirklich aus wie ein Graf!"
Susanna dreht sich im Kreis, mit ausgebreiteten Armen, und freut sich am Schwung ihres Rockes.
„Mutter, ich bin eine feine Dame, wie du!"
Dem Peterle ist es noch egal, in was man ihn steckt. Hauptsache er kann darin rennen und Unfug machen.
"Euer Großvater ist inzwischen da, und wir werden gleich mit ihm zu Abend essen."
Wir gehen noch einmal mit dem nassen Kamm durch alle drei Schöpfe, dann greift sich jede von uns eine Kinderhand und wir laufen los zur Treppe.
Peter will natürlich sofort auf die Stufen lossteuern, aber ich halte ihn schnell fest. Dann probiere ich etwas aus. Ich setze ihn rückwärts, mit dem Blick nach oben, auf die Treppe und zeige ihm, wie er so rutschend die Treppe alleine runterkommt. Immer, wenn er aufstehen will, hindere ich ihn sofort daran. Und nach der halben Treppe kapiert er, dass es ihm lieber ist, selbständig zu rutschen als laufend an meiner Hand zu hängen. Hannes erwartet uns schon in der Halle und fängt schallend an zu lachen, als ihm auf den untersten Stufen der kleine, pralle Windelpopo entgegenrutscht.
Lina knickst und geht. Dafür schnappt sich Hannes die frei gewordene Hand von Susanna und verbeugt sich tief.
„Edle Prinzessin! Es ist mir eine Ehre, Euch zu Tisch zu geleiten."
Susanna schaut ihn mit kraus gezogener Nase an.
„Aber ich bin doch nicht wirklich eine Prinzessin. Ich seh doch nur so aus!"
Hannes geht zu ihr in die Hocke und umarmt sie feste.
„Das weiß ich doch, meine Prinzessin. Aber ich mag dich gar so gern. Also behandele ich dich auch wie eine Prinzessin."
Susanna kichert vergnügt.
Auf der Treppe sind Schritte zu hören, und so wenden wir uns alle um. Mein Vater kommt bedächtig die Stufen herunter und schaut dabei die ganze Zeit auf die Kinder. Die werden unter dem Blick des alten Mannes etwas scheu. Aber als Vater dann unten bei uns angekommen ist, gehen die beiden Großen doch auf ihn zu, verbeugen sich und knicksen. Jakob nimmt all seinen Mut zusammen.
„Großvater, ich bin Jakob. Das ist Susanna, und das Peterchen da muss man immer festhalten, weil er sonst Unfug macht."
Vater treten Tränen in die Augen, als er die beiden an den Händen nimmt und sich uns anschließt auf dem Weg ins Speisezimmer. Wieder sind Linde und ich die einzigen Frauen am Tisch und haben die Kinder zwischen uns. Auch die drei Verwalter Bader, von Thaden und Maier sind anwesend.
Vater setzt sich auf den ersten Stuhl neben Hannes und strahlt quer über den Tisch seine Enkel an. Es wird ein vergnügt verplauderter Abend. Die Kinder werden nach dem Essen ins Bett gebracht, von Thaden und Maier ziehen sich auch zurück. Aber Vater und Bader unterhalten sich prächtig am Kamin. Hannes hält wacker mit, und ich sitze dazwischen und amüsiere mich über die drei Männer. So habe ich Gelegenheit, meinen Vater einfach zu beobachten und in seiner ganz eigenen Art kennen zu lernen.
In den folgenden Tagen verbringen wir alle viel Zeit miteinander. Vater, Hannes, die Kinder und ich spielen, erzählen, gehen spazieren, singen. Vater erzählt mir sehr viel von Mutter, wie er sie kennengelernt hat. Ich erzähle ihm von unserem Leben im Christophorus-Haus. Wir lassen uns mit der Kutsche dort hinfahren, und ich zeige ihm, wo und wie ich aufgewachsen bin. Die Hannovers sind ganz glücklich und freuen sich sehr für mich, dass ich meinen Vater gefunden habe. Die Kinder erzählen auf ihre entzückende Weise vom Leben in unserem Dorf, Jakob zeigt, wie gut er schon schreiben kann.
Wer es nicht besser weiß, könnte meinen, wir seien eine große glückliche Familie. Und doch spüre ich immer wieder Momente der Unsicherheit, halte mich zurück, kann mich selbst oft nicht verstehen. Das Glück, meinen Vater kennen zu lernen, lässt mir zum Glück kaum Platz zum Grübeln, und so kann auch ich die meiste Zeit genießen.
Über ein Thema reden wir überhaupt nicht. Wird Vater bleiben oder wieder nach Hause fahren? Wann? Geht er davon aus, dass ich mitkomme? Oder nicht? Wir rühren nicht daran. Bis ich fünf Tage später mit Vater im Schlosspark spazieren gehe.
„Meine liebe Anna. Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass wir einander gefunden haben. Zu wissen, dass meine große Liebe ein so erfülltes Leben hatte und als Trost unsere Tochter an ihrer Seite, das ist für mich ein so großes Geschenk! Und was für eine entzückende Familie ich auf einmal habe."
„Das macht mich auch sehr, sehr froh."
„Was willst du denn jetzt mit deinem Leben anfangen, wo du plötzlich weißt, dass du eine Gräfin bist?"
Ich verstumme schlagartig. Da ist sie nun doch, diese Frage.
„Ich ... bin etwas hin und hergerissen. Jakob ist der Sohn eines unfreien Bauern und wird seine Kate und seine Fron erben. Wenn ich in die Stadt ziehe, entwurzele ich ihn seinem Leben, und das ..."
Abrupt bleibt mein Vater stehen und wendet sich mir zu.
„Mein liebes Mädchen. Du bist erwachsen und hast schon so viele Herausforderungen überstanden ohne mich. Ich habe nicht das Recht, dich mit zu mir zu nehmen. Und ich habe nicht das Recht, dir irgendetwas vorzuschreiben. Aber raten darf ich dir doch, oder?"
Ich nicke bloß. Das kommt so plötzlich.
„Der eine Acker, der an der Kate hängt, kann vor irgendjemand bestellt werden. Das muss nicht dein Sohn sein. Und - ja, ich weiß, dass du diesen Sohn nur geerbt hast. Aber es ist nicht zu übersehen – er ist in deinem Herzen dein Sohn und dein Stolz. Und dieser kleine Stolz will mehr, will hinaus, will wissen. Das einzig Wichtige in seinem Leben bist du. Und darum ist es völlig egal, wo du bist. Er wird immer bei dir sein. Löse dich von dem, was war, denn es gilt für dich nun nicht mehr. Und es gibt noch einen anderen Grund. Ich bin nämlich nicht blind. Der Grubenhagen hat mir ja schon einiges geschrieben und inzwischen noch viel mehr erzählt. Anna, dieser Mann betet dich an. Wenn er dich das nächste Mal fragt – dann sag ja!"
„Ach, Vater."
Unwillig schüttelt er den Kopf.
„Nein. Ach, Anna! Das einzige Hindernis zwischen dir und deinem Glück bist du. Nicht Jakob. Nicht deine Kindheit im Waisenhaus. Und ganz bestimmt nicht ich. Nur du. Letzten Endes schwankst du die ganze Zeit hin und her, weil du deine Freiheit nicht aufgeben willst oder vor irgendetwas Angst hast. Aber ich bin mir sehr sicher, dass du an der Seite dieses Mannes nicht unfrei sein wirst!"
Stumm starre ich auf meine Fußspitzen.
„Und jetzt lassen wir es gut sein. Ich will nicht übermäßig in dich dringen. Wähle weise, liebe Tochter. Aber wähle bald."
Es dauert eine Weile, bis wir wieder normal miteinander plaudern und uns an der schönen Natur erfreuen können.
Vater hält Wort. Er erwähnt diese Frage nicht mehr. Wir sind einfach gemeinsam Gäste von Hannes und dürfen uns wie zu Hause fühlen. Ohne, dass ich es merke, wird es für mich immer selbstverständlicher, hier zu sein, im Schloss zu sein, in Gesellschaft zu sein. Bei Hannes zu sein. Und so kann ich nach und nach die nächsten inneren Schrittchen gehen.
ein kleiner Schubs
Do. 17.5. a.d. 1571
Ich habe so große Freude daran, Anna und die Kinder hier zu haben. Ich habe so große Freude daran, Anna und ihren klugen Vater miteinander zu sehen. Ich habe so große Freude, wie sehr die Kinder das Leben hier genießen. Ich habe große Freude daran, nach sieben Wochen zu sehen, wie die Menschen im Schloss, in der Stadt, im Waisenhaus und auf den Ländereien ihre Angst ablegen, wie sie nach und nach zuversichtlicher aussehen und auch gesünder, wie sie mir ihr Vertrauen entgegenbringen und ihr bestes geben.
Da von Brabeck selbst sein Leben lang eine Grafschaft mit mehreren Gütern geführt hat, hat natürlich auch er reichlich Erfahrung darin. Und so geht er mal mit Anna spazieren, erzählt mal den Kindern Geschichten und findet sich auch mal in meinem Büro ein, um uns über die Schulter zu schauen. Mit viel Interesse lässt auch er sich die Geschichte der letzten Monate im Lehen ausführlich erzählen und steuert dann manche neue Idee bei, wie meine Ländereien gerecht und ertragreich zu führen sind.
Ohne, dass ich es abgesprochen hätte, entwickelt sich für den Haushalt eine Gewohnheit, die ich Frau Jansen zu verdanken habe. Sie ist genauso wenig blind wie alle anderen auch. Und so fängt sie an, Anna den Speiseplan für den nächsten Tag vorzulegen. Sie spaziert mit Anna durchs Haus und zeigt ihr, was in der Zwischenzeit an Veränderungen vorgenommen wurde, und fragt sie um Rat, den Anna gerne gibt. Nach und nach lernt Anna alle Hausangestellten kennen, weil Frau Jansen es fertig bringt, dass sie jeder und jedem mal begegnen. Und ich bin mir nicht sicher, ob Anna merkt, dass sie so nebenbei lernt, einem so großen Haushalt als Herrin vorzustehen. Es wird ihr jedenfalls von Tag zu Tag selbstverständlicher, und sie selbst entspannt sich nach und nach.
Da wir den Brief der Frau von Lenthe an Anna kennen, haben ihr Vater und ich noch etwas entdeckt, auf das er mich schließlich kurz vor Pfingsten anspricht. Anna ist mit den Kindern beschäftigt, und so spazieren wir zu zweit durch den Schlosspark.
„Grubenhagen, darf ich mir ein offenes Wort erlauben?"
„Selbstverständlich, von Brabeck. Haltet Euch nicht zurück."
Ich ahne schon, was jetzt kommt, denn ich habe nun zu Genüge erlebt, dass dieser Mann weise und ein aufmerksamer Beobachter ist.
„Ich habe sehr wohl begriffen, wie hier alles zusammenhängt, als ich Euren dankenswerterweise sehr ausführlichen und ehrlichen Brief bekam. Anna fällt es nicht leicht, sich auf das neue Leben einzustellen. Ahne ich richtig, dass Ihr sie um ihre Hand gebeten habt und sie abgelehnt hat? Wegen der Kinder, wegen ihrer Armut, aus Stolz, aus ihrem Freiheitsdrang heraus, den sie von ihrer Mutter geerbt hat?"
Nun kann ich mir einen Seufzer doch nicht verkneifen.
„Ja. Genau so. Aus – warum auch immer. Sie hat nein gesagt, bevor wir beide wussten, wer wir sind. Und danach noch einmal. Und nun denkt sie, dass sie nicht mehr ja sagen darf. Sie hat keine leichten Monate hinter sich, da sie sich erst für mein Leben und meine Sicherheit verantwortlich gefühlt hat und dann auch noch gewaltsam von ihren Kindern getrennt wurde. Und weil die Kinder mich so lieben. Aus einer Aussage ihrerseits kann ich schließen, dass der pfiffige Jakob ihr direkt gesagt hat, dass er mich als Vater haben möchte. Und dann ist sie auf einmal auch noch Gräfin und Erbin. All das, was seit November geschehen ist, hat sie tüchtig durchgeschüttelt. Ich glaube, sie wartet einfach darauf, dass ihr Leben in irgendeiner Form wieder 'normal' wird, damit sie dann in Ruhe entscheiden kann, was sie will."
„Es wird aber nicht wieder 'normal'. Es wird anders, ob sie will oder nicht."
Schweigend in Einigkeit spazieren wir weiter.
„Grubenhagen? Ich habe den Brief nochmal gelesen, den meine Frau an Anna geschrieben hat. Anna hat jetzt am Sonntag Geburtstag. Sie wird 22 Jahre alt. Und es ist Pfingsten. Wir könnten also ihren Geburtstag feiern."
„Geburtstag! Ich weiß, dass sie aus den Geburtstagen der Kinder immer etwas besonderes macht. Dann wollen auch wir das für sie tun. Danke für den Hinweis."
„So dachte ich mir das. Dann lasst uns planen."
Eine ganze Weile spazieren wir noch ums Schloss, dann gehen wir hinein und beraten uns mit Frau Jansen, die sogleich verschiedene Ideen hat.
Anna zu ehren, indem wir sie in unserer Mitte feiern, finde ich einen wunderschönen Gedanken. Allerdings weiß ich auch, dass Brabeck hinter diesem Hinweis auf den Geburtstag versteckt noch eine andere Frage gestellt hat – auch wenn die Frage normalerweise andersherum gestellt wird. Ihr Vater hat die Signale genau verstanden und wünscht sich offensichtlich, seine Tochter bei mir geliebt und versorgt zu wissen. Aber wir sind uns einig, dass Anna schon so lange selbst für ihr Leben und das ihrer Kinder sorgt, dass väterliche Einflussnahme sich verbietet. Und obwohl er sich nicht einmischen will, wollte er mir doch einen Schubs geben, dass ich noch einmal versuche, von Anna eine Zustimmung zur Heirat zu bekommen. Damit er beruhigt nach Hause reisen kann.
Nun brauche ich diesen Schubs gar nicht, denn ich trabbele ja selbst mit den Hufen und erwarte sehnsüchtig den Moment, an dem ich diese Frage stellen kann und Anna sie hoffentlich mit Ja beantworten wird. Aber ich werde immer unsicherer, wann das sein könnte.
Eigentlich sind alle Hindernisse aus dem Weg geräumt. Wovor also hat Anna Angst?
Lange liege ich wach in dieser Nacht und grübele nach über diese Frage. Und am nächsten Morgen drängt es mich dermaßen, endlich offen darüber sprechen zu können, dass ich von Brabeck in mein Büro bitte.
Ich bitte ihn, offen sein zu dürfen. Ich erzähle ihm nun die ganz persönliche Geschichte von Anna und mir, die ich bisher bei allen Berichten über diese Monate immer versucht habe zu verschweigen. Ich werde nicht indiskret um Annas Würde willen. Aber ich schildere sehr deutlich unsere Geistesverwandtschaft, ihre und meine Verwirrung und Ratlosigkeit, meine Suche nach ihrer Herkunft, verschweige nicht Annas Schock über diese letzte Wendung, nicht, wie sehr sie von all dem blockiert ist und inzwischen unfähig, sich für irgendwas zu entscheiden.
Von Brabeck hört aufmerksam zu und nickt am Ende.
„Das alles habe ich nicht gewusst, aber geahnt. Nun weiß ich nicht mal mehr, ob es richtig war, dass ich auch schon mit Anna gesprochen habe, um sie ein klein wenig zu schubsen. Habe ich sie damit noch mehr verwirrt? Ich weiß es nicht. Manchmal würde ich sie und die Kinder gerne mitnehmen, um ihnen zu zeigen, was nun alles zu ihnen und eines Tages ganz ihnen gehören wird. Dann wieder denke ich, ich sollte sie in Ruhe lassen. Ich bin offen, ich wünsche sie sicher in Euren Armen. Ich denke darüber nach, wie ich ihre drei Kinder, auch Jakob, den ich sehr ins Herz geschlossen habe, gut versorgt wissen kann, obwohl sie nicht von Stand sind. Aber ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Und im Gegensatz zu Euch werde ich nicht mehr viel Zeit haben, das zu entscheiden und zu regeln."
„Dann lasst uns doch wenigstens das ausführlicher miteinander beraten, damit sich unsere beiden Vorstellungen von der Zukunft dieser Kinder ergänzen können. Einiges von Eurem Besitz ist sicher Fidei Commis* und wird automatisch irgendeinem sonstwie entfernten männlichen Verwandten zufallen. Aber anderes wird freier Besitz sein, den Ihr Anna und damit auch den Kindern hinterlassen könnt. Ich für meinen Teil kann völlig frei über dieses Lehen verfügen, da es nicht an eine männliche Erbfolge gebunden ist. Unsere Möglichkeiten, die Kinder gut zu versorgen, sind also nicht so klein."
Also sortieren wir unsere jeweiligen Standes- und Vermögensverhältnisse auseinander und versuchen, für Anna und ihre Kinder gute Vorsorge zu treffen. Es bleibt allerdings die Frage, wie Anna endlich wieder zu innerer Ruhe und Gottvertrauen finden und dann gute Entscheidungen für ihre eigene Zukunft fällen kann. Es tut uns beiden gut, offen darüber zu reden und zu spüren, dass Annas Leben egal wie und wo in guten Händen ist. Mehr als einmal bedauern wir zutiefst, dass unsere Liegenschaften so weit voneinander entfernt sind. Es wäre für Anna leichter, wenn ihr Vater in der Nähe wäre, wenn sie öfters kürzere Besuche machen, wenn sie eines Tages problemlos an sein Sterbebett eilen könnte. Aber wir können es nicht ändern.
Und schließlich beenden wir unsere Beratungen und begeben uns auf die Suche nach ihr und den Kindern, damit Anna sich nicht über unser langes Ausbleiben wundert.
Wir erfahren von Barkhausen, dass die Damen und die Kinder zum Christophorushaus spaziert sind. Also lasse ich anspannen und fahre mit von Brabeck hinterher. Dort angekommen, finde ich dann auch die Brüder Weise vor. Sie sind gekommen, um die Hannovers und das Waisenhaus kennenzulernen und eine gute Zusammenarbeit vorzubereiten.
Unsere Ankunft wird also sehr begrüßt, denn wir sind eine willkommene Verstärkung bei diesen Überlegungen. Von Brabeck lauscht stumm und sehr interessiert all unseren ungewöhnlichen Ideen zur Schule. Aufmerksam beobachtet er, wie die Kinder behandelt werden und wie sie sich geben. Wieder erzählt Anna einiges von dem, wie es früher war. Und so kommen wir gemeinsam zu dem Schluss, dass die Stadtkinder und die Waisenkinder alle einen Zugang zur Schule bekommen sollen, dass die Schulkosten gering gehalten werden sollen, damit es sich viele selbst leisten können, und dass ich für alle anderen bezahle, damit niemand aus finanziellen Gründen die Bildung verweigert werden muss. Außerdem sind wir uns einig, dass sicher viele Eltern auf den Dörfern ihre Kinder gar nicht werden hergeben wollen. Dass wir aber jedes Jahr einmal nach der Ernte in den Dörfern alle Kinder testen wollen, damit wir sie kennen und denen, die es möchten, den Schulbesuch ermöglichen können. Diese Kinder sollen dann jeweils von Oktober bis Ostern im Christophorushaus leben und mit den anderen Kindern von dort zur Schule gehen. So werden sie sich sicher am leichtesten einfinden in dieses andere Leben. Zu Weihnachten werden wir diese Kinder nach Hause bringen, damit sie bei ihren Familien sein können. Und da ja die Waisenkinder schon einheitliche Kleidung haben, werden die Dorfkinder die gleiche Kleidung bekommen, damit niemand sie auslachen kann für ihre Armut oder ihr dörfliches Aussehen.
Anna strahlt bei all diesen Überlegungen, und ich fühle mich glücklich, dass ich mein Ziel bald erreicht habe. Als wir uns alle zusammen auf den Heimweg machen, beginnt von Brabeck, interessierte Fragen zu stellen.
„Dass so viele Kinder eine Schulbildung bekommen, ist ja schon ungewöhnlich."
„Das stimmt, Vater. Aber das war Mutters einzige Möglichkeit, auch mir Bildung zu ermöglichen. Und so konnte sie so vielen benachteiligten Kindern den Weg in ein besseres Leben öffnen. Und ihnen hier in der Stadt Achtung verschaffen. Was wird denn aus Waisenhäuslern, wenn man sie vernachlässigt und missachtet? Daraus werden dann bettelarme Menschen, die sich ihr ganzes Leben lang irgendwie durchschlagen müssen und am Ende im Zweifelsfalle im Armenhaus landen wo sie wieder durvchgefüttert werden müssen. Und das wäre dann wirklich sinnlos."
Von Brabeck lächelt seine Tochter stolz an.
„Deine Mutter hatte recht in ihrem Brief. Du hast ihren Freiheitsdrang und meinen Wunsch nach Gerechtigkeit geerbt. Ich bin stolz auf dich!"
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13.2.2022
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