33 - nur über meine Leiche
FR. 16.3. a.d. 1571
Verärgert, verstört, traurig – ich schleiche förmlich die Dorfstraße entlang zu meinem eigenen Hof, von wo aus ich dann wieder auf mein Feld zum Pflügen gehen will. Ich weiß echt nicht mehr, was ich noch machen soll.
Hannes is een dermaß'n sturer Bock!
Daran rennen wir uns grade alle die Hörner ab. Und das Verrückte ist – ich merke ganz genau, dass er selbst weiß, wie idiotisch sein Verhalten grade ist. Und das hat irgendwie auch nicht mehr viel mit Anna zu tun. Hannes will den Brudenhusen auch vertreiben, er will diese Hochzeit auch verhindern, er will für die Menschen in diesem Lehen das allerbeste! Aber seine Gedanken scheinen sich irgendwo festgebissen zu haben, so dass er nicht mehr klar denken kann. Im Grunde habe ich eben schon die letzte Karte ausgespielt, als ich ihn darauf hingewiesen habe, dass er jetzt bitte trotz seines Ranges auf uns hören soll.
Ich schaue auf den Sonnenstand, biege in einen Feldweg ab und marschiere drauflos. Es ist noch zwei Stunden bis Mittag, in der Zeit kann ich noch ein paar Furchen schaffen. Und vielleicht hat sich Hannes bis dahin ja wieder abgeregt, und ich kann nochmal vernünftig mit ihm reden.
Rudolph hat sich in der Zwischenzeit mit meinem Ochsen weiter durch die schwere Erde gewühlt. Ich sehe zufrieden auf schöne grade Furchen und freue mich, dass Rudolph so tüchtig und anscheinend genau der Knecht ist, den wir hier gebraucht haben. Er ist anstellig, arbeitet selbständig, sorgfältig und genau. Warum auch immer sein ältester Bruder, der den väterlichen Hof geerbt hat, das nicht begriffen hat – uns kommt es nun zu Gute, dass der Rudolph hat ziehen lassen.
Morgen wollen wir an meinen zweiten Acker gehen, Am Sonntag ist der Acker von Anna dran. Und ab Montag müssen wir auf die Felder unseres Lehnsherren – der vielleicht-hoffentlich Hannes ist. Ich löse Rudolph am Pflug ab und schicke ihn vor, damit er den kleinen Jasper ablöst und den Ochsen wieder selbst führt.
Wie so oft in den letzten zwei Wochen kommt da ein Bote aus Rhumaspring angeritten. Und zu meiner Bestürzung kommt er schon wieder hintenrum und sehr in Eile. Ich beschatte meine Augen mit den Händen und schaue genau hin. Es ist der Knecht vom Freese, der meistens losgeschickt wird.
Ja, hat denn das große Tob'n vom Hauser gestern noch nich gereicht??? Nu hab'n wir Hannes grade erst wieder beigeholt, un jetzt kommt die nächste Heimsuchung?
Ich möchte ihm am liebsten den Kopf abreißen. Ich werde Hannes ganz sicher noch heute Nacht zurück nach Duderstadt schicken. Das ist einfach kein Zustand hier, und wir alle schweben durch seine Anwesenheit ständig in Gefahr. Ich pfeife Jasper wieder ran, übergebe Rudolph wieder den Pflug und sprinte Zähne knirschend zurück zur Dorfstraße.
Aber der Knecht aus Rhumaspring reitet mir entgegen und berichtet nur, dass ein vornehm gekleideter Fremder auf dem Weg von Gieboldehusen her gemächlich durchs Dorf in diese Richtung geritten sei. Er sei in Begleitung zweier Bewaffneter, habe beim Bauern Freese gegen Bezahlung einen Krug Bier getrunken und sich beiläufig nach dem Weg nach Lütgenhusen erkundigt. Dann habe er noch die schöne Gegend gelobt und sei genauso gelassen weitergeritten.
Der Knecht macht sich auf den Rückweg. Ich bleibe mitten auf der Dorfstraße stehen, mache mir Gedanken, wer das denn schon wieder sein könnte, und versuche fieberhaft, meinem Hirn ein Ablenkungsmanöver einfallen zu lassen. Ich will nicht, dass er ganz bis zu meinem Hof durchreitet, muss ihn irgendwie vorher aufhalten. Ich mache auf dem Absatz kehrt, eile in meinen Stall, schnappe mir im Vorbeirennen meinen Wasserbottich und laufe eilig zum Dorfbrunnen.
Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen, was das jetzt wieder soll. Außer, dass es der Brudenhusen versucht, indem er einen völlig neuen Mann losschickt, in der Hoffnung, dass er uns damit nicht misstrauisch macht.
Versteh einer den Verwalter. Entweder hab'n wir Hannes, dann macht uns alles misstrauisch. Oder wir hab'n keine Ahnung von Hannes, dann macht uns nischt misstrauisch, weil wir sowieso die ganze Tied nicht wiss'n, wie uns grad geschieht.
Dummerweise habe ich keine Zeit mehr, Hannes zu warnen und ihn wiederum in den Wald zu scheuchen, denn nun kommen drei Reiter aus dem Wald, an Annas Kate vorbei und direkt auf den Dorfplatz zu, wo ich gerade eben etwas außer Atem am Brunnen ankomme. Aber es ist seltsam. Sie schauen sich nicht neugierig um, sie flüstern nicht miteinander, sie reiten einfach nur langsam durchs Dorf, grüßen mich am Brunnen und sind schon fast auf der anderen Seite wieder am Waldrand angekommen. Da lenkt der vornehme Mann plötzlich sein Pferd auf meinen Hof, steigt ab und marschiert, als hätte er eine schriftliche Einladung, einfach in meinen Stall.
Hastig hole ich den Eimer Wasser ganz nach oben, fülle ihn in meinen Bottich um und gehe, so schnell man mit einem schweren Bottich voller Wasser laufen kann, nach Hause. Die beiden Bewaffneten sitzen auf ihren Pferden und schauen unbeteiligt in die Gegend. Aber ich nehme ihnen das kein Stück ab. Sie sind so wachsam, als gelte es, einen Krieg zu verhindern. Allmählich bekomme ich Angst.
Mit zitternden Fingern öffne ich das Tor zu meinem Stall. Mir bleibt fast das Herz stehen. Der Fremde steht in aller Seelenruhe in meinem Stallgang, beachtet die drei Pferde von Hannes Begleitern mit keinem Blick – sondern durchbohrt Hurtig mit seinen Blicken. Still stehe ich im Tor und beobachte ihn. Er scheint mich gar nicht zu bemerken. Plötzlich löst er sich aus seiner Starre, greift einen Apfel aus dem Korb neben Hurtigs Verschlag und hält ihn lächelnd dem großen Braunen hin. Hurtig zeigt keinerlei Scheu vor ihm, nimmt ihm vorsichtig mit den Lippen den Apfel aus der ausgestreckten Hand und kaut genüsslich darauf herum.
„Wer seid Ihr, un was macht Ihr in meinem Stall!?!"
Ich versuche, Sicherheit und Tatkraft auszustrahlen, auch wenn ich in Wahrheit überhaupt nicht mehr einschätzen kann, was hier grade geschieht. Der Fremde dreht sich langsam zu mir um und fragt völlig gelassen zurück.
„Und wer bist du?"
Noch ehe ich eine Antwort finden kann, verändert sich sein Tonfall ganz plötzlich. Mit schneidender Stimme stellt er die nächste Frage sofort hinterher.
„Und wo ist der Besitzer dieses Pferdes!?!"
Ich bin nun wirklich überfordert.
Dieser Mann weiß zuviel!
Also fange ich an, um den heißen Brei herumzureden, ihn hinzuhalten. Dabei weiß ich gar nicht, wer oder was mir jetzt helfen könnte. Ich versuche einfach, Zeit zu gewinnen, bis mein Verstand wieder einsetzt. Und mein Überlebenswille und mein Witz auch. Scheinbar völlig gelassen und selbstsicher richte ich mich dann auf und antworte in aller Ruhe.
"Der steht vor Euch, werter Herr."
Er lacht leise.
„Hm, genau. Und ich bin der Habsburger."
Ich spiele sein Spiel mit. Mit einem breiten Grinsen verbeuge ich mich seeeeeehr tief vor ihm.
„Seid willkommen in meinem bescheidenen Heim, allerdurchlauchtigste Hoheit!!"
Wieder lacht er. Und ich meine, sein Gemurmel zu verstehen.
„Sie hat mich gewarnt."
Was auch immer das heißt - ich schenke dem keine Beachtung. Ich muss ihn irgendwie hier rausbekommen.
„Wenn mir Eure durchlauchtigste Durchlaucht bitte folgen würden? Dies ist nicht der rechte Ort für einen so hochwohlgeborenen Herrn."
Ich gehe voraus, halte ihm die Tür zu meiner Diele auf und mache noch einen übertriebenen Kratzfuß.
Er rührt sich aber leider nicht von der Stelle. Ich versuche es noch einmal.
„Wenn ich bitten dürfte..."
Doch eh ichs mich versehe, hat mich der aufdringliche Fremde beim Kragen gepackt, dass die Nähte krachen, mich wieder in meinen Stall gezerrt und quetscht mich gegen meine Stallwand. Ich bekomme kaum noch Luft, aber noch gebe ich nicht auf. Und wenn ich Hannes mit meinem Leben schützen muss. Immerhin kann er mich hier totschlagen, aber die drei Männer kommen jedenfalls nicht gegen das ganze Dorf an.
Warum is der Idiot auch wiedergekomm'n vor der Tied??? Die Botschaft enthielt unmissverständlich die Aufforderung, NICHT herzukomm'n sondern abzuwart'n, was wir über Annas Verbleib herausfind'n könn'n.
„Zum letzten Mal – wo ist der Besitzer dieses Pferdes?"
Ich versuche, ihn zu verblüffen.
„Warum sollte ich Euch trau'n, edler Herr? Wer sagt mir, dat Ihr ihm nichts Übles wollt? Nehmt mir dat Leb'n. Aber ich werde mein'n best'n Freund nich verrat'n."
Fast falle ich auf meine Diele, so abrupt lässt der Fremde mich los.
„Was hast du gesagt? Du willst ihn SCHÜTZEN?"
Er schüttelt den Kopf, und diesmal grinst er wieder.
„Bei so vielen Freunden habe ich allmählich den Verdacht, er braucht gar keinen Schutz von mir mehr."
Am liebsten würde ich meine Faust ausfahren und mitten in seinem Gesicht landen lassen.
Mann, hat der'n Rad ab? Weiß der überhaupt, was er will? Kann der mal aufhör'n, immer abwechselnd zufried'n un angriffslustig zu kieken?
Es ist vielleicht ein bisschen aufreizend, aber erstmal stehe ich auf, klopfe mir den Hosenboden ab, sortiere in aller Ruhe mein verrutschtes Hemd und sehe ihn gelassen an. Ich muss ihn noch weiter aus der Reserve locken, sonst kann ich mir nicht sicher sein.
„Ja, ik weet, wo der Besitzer dieses Peerdes is. Un ik weet auch, wer er is. Oder besser – ik weet genauso wenig wie er, wer er is. Aber er is in Gefahr, un solange ik nich davon überzeugt bin, dat diese Gefahr nich von EUCH ausgeit, werd ich schweig'n, un wenn ik dafür ins Grab sinke."
Ungläubig schüttelt der Fremde den Kopf. Das Vergnügen, das für einen Moment in seinen Augen aufblitzt, kann ich nicht deuten. Schon wieder.
Der Kerl macht mich noch wahnsinnig.
„Du hast wirklich Schneid! ... Dann steht hier wohl Misstrauen gegen Misstrauen. Denn ich wiederum betrachte den Besitzer dieses Pferdes als meinen besten Freund und bin im Auftrag seines Bruders unterwegs, um ihn zu finden. Und ich glaube, inzwischen herausgefunden zu haben, dass er tatsächlich in Gefahr ist. Wenn er denn noch lebt."
Lauernd blicken wir uns an, bis er einen Vorschlag macht.
„Information gegen Information?"
Ich nicke. Er beobachtet mich genau, während er spricht.
„Das Pferd ... heißt Hurtig."
Jetzt wird es spannend.
Natürlich kann auch sein Mörder wissen, wie sein Pferd heißt. Ich taste mich langsam vor.
„Und wir nenn'n den Mann ... Hannes."
Zufriedenheit stiehlt sich in seine Augen, aber auch Erleichterung, er atmet tief durch. Dann verblüfft er mich, denn sein Tonfall ist abermals auf einen Schlag ein völlig anderer.
„Sag mir nur eines: ist er am Leben, und ist er in Sicherheit? Bitte. Sein Bruder quält sich zu Tode vor Sorge, weil wir so sehr lange nichts von ihm gehört haben."
Mit diesen Worten hält er mir seine Hand hin. Einen Moment lang schaue ich ihm noch ins Gesicht, das nichts als ehrliche Freude zeigt. Ich werde einfach nicht schlau aus diesem Mann. Mir gegenüber gibt er sich energisch, kampfbereit und seltsam belustigt. Aber sobald es um Hannes geht, ist er gleichzeitig aufgeregt und weich wie Butter.
Ich entschließe mich, mehr preiszugeben.
„Er lebt, er is in Sicherheit. Und er hat durch ein'n Unfall sein Gedächtnis verloren. Er weet nich, wer er is. Aber er hat geträumt. Sagt mir doch, edler Herr - wie heißt sein Bruder?"
Fast springt mich der Mann an.
„Wo ist er?"
„Wie - heißt - sein - Bruder?"
„Er ..."
Mein Misstrauen erwacht wieder, das dauert mir alles zu lange hier. Doch dann antwortet er mir wieder.
„Er nennt seinen Bruder Ludo."
Jetzt bin ich es, der erleichtert aufatmet.
Ik muss ene Entscheidung fäll'n. Hannes sitzt, tief verwirrt, weil er nu doch kein Minnigerode is, irgendwie beschämt, trotzig un zu Tode besorgt um Anna in ihrer Kate un weet nich mehr vor un zurück. Er weet nich, wer er is, also kann er auch nich nach Huus. Aber dieser Mann hier könnte der Schlüss'l zu allem sein. Oder auch nich.
Ik wage es.
Ich schüttele kurz seine immer noch ausgestreckte Hand.
„Folgt mir doch, Herr."
Ich wende mich zur Tür. Zur Sicherheit werfe ich ihm aber doch noch über die Schulter einen Brocken hin.
„Euch sollte klar sien, dat nich nur Ihr Wach'n mitgebracht habt, die übrigens da drauß'n ziemlich auffällig inner Gegend rumsteh'n. Auch Hannes hat drei Bewaffnete bei sich, die zu all'm entschloss'n sind. Solltet Ihr doch Übles woll'n - so leicht wird er nicht zu krieg'n sein. Will heiß'n: Eure zwei Anstandswauwaus bleib'n schön hier, mitt'n op der Dorpstraß, wo ich sie gut von weit'm seh'n kann."
Ich gebe den Starken, doch mein innerer Widerstand löst sich bei seinen nächsten Worten ganz schnell auf.
„Das freut mich sehr zu hören. Er ist bei Nacht und Nebel verschwunden, ganz allein von zu Hause fort. Und wir haben gefürchtet, dass ihm etwas Unschönes widerfahren ist, weil er sich keinen Schutz mitgenommen hat. Nur sein Stallknecht war bei ihm, und der kam nach einer Weile ohne ihn wieder zurück."
Gemeinsam treten wir hinaus in die Frühlingssonne. Kurz gibt er seinen Männern den Befehl, einfach an Ort und Stelle zu bleiben, bevor wir loslaufen. Ich sehe ihn von der Seite an, während wir die Dorfstraße entlanggehen. Er wirkt ehrlich erleichtert, und jetzt sehe ich auch, dass er sehr müde und abgekämpft aussieht, als hätte er sich in letzter Zeit recht viele Sorgen gemacht.
„Wie seid Ihr auf seine Spur gekomm'n, Herr?"
Er zögert nicht mehr, mir Auskunft zu geben.
„Er hatte seinem Bruder eine kurze Notiz hinterlassen, wohin er sich wenden will. Ich bin auf der Suche nach ihm also zunächst zu seinem eigentlichen Reiseziel gekommen, aufs Schloss nach Gieboldehusen. Dort gingen und gehen seltsame Dinge vor sich. Der Verwalter hat mit aller Macht versucht, mich wieder los zu werden. Aber dann habe ich über einen alten Diener eine junge Stickerin kennengelernt, die aus diesem Dorf stammen muss."
„Anna! Bitte, geit es ihr gut?"
Sofort bleibe ich stehen und starre ihn an.
„Ja, ihr geht es den Umständen entsprechend gut. Sie sorgt sich nur sehr um ihre Kinder. Und sie gab mir eine Botschaft mit an Hannes. Oder an Klaas, Jorge, Jasper, Lene, ..."
Nachdenklich bleibt auch er stehen und zählt die Namen an seinen Fingern ab.
„Ach ja, an einen Ferz oder den Pastor oder den Vogt. Sie müsse viel arbeiten, damit der Herr zu seiner Hochzeit fein gewandet sei, aber sie würde gut behandelt und habe die Hoffnung, sie dürfe nach der Hochzeit wieder nach Hause."
Nach dieser exakten Aufzählung habe ich keinerlei Zweifel mehr. Ich halte ihm mit einem breiten Grinsen meine Hand hin. „Klaas."
Mit einem feinen Lächeln ergreift er meine Hand. Er hat einen angenehmen Händedruck.
„Ich weiß. Anna hat mich vorgewarnt, dass es nicht einfach werden dürfte, an dir vorbeizukommen. Karl von Pagenstecher. Wollen wir?"
Mit schnelleren Schritten gehen wir nun auf die Kate von Anna am anderen Ende des Dorfes zu, wo Caspar auf der Bank in der Sonne sitzt und die ersten Frühlingssonnenstrahlen genießt.
„Ist er drinnen?"
Caspar nickt.
„Ja. Auf'm Dachbod'n, die ganze Tied. Er schmollt, rennt Kreise in die Bretter un wütet in sich hinein vor lauter Ungeduld un Unzufriedenheit."
Ich muss schmunzeln, bin ich doch selbst sehr erleichtert, dass ich nun endlich mit besserer Nachricht zu ihm komme.
„Danke, Caspar."
Wir betreten die dämmrige Diele der kleinen Kate. Melchior sitzt am Tisch und fettet grade seine Stiefel. Balthasar liegt auf der Pritsche und schnarcht leise vor sich hin. Ich rufe einfach die Leiter hinauf.
„Hannes, du hast Besuch."
Oben poltert es vernehmlich, und wir zucken alle zusammen. Balthasar stößt dabei seinen Kopf an der Wand und flucht leise. Offensichtlich hat Hannes den armen Schemel durch die Gegend gepfeffert. Aber ich lasse mich nicht beeindrucken.
„Komm runter, du Idiot! Jetzt wird alles gut."
Noch ein Rumpeln, ein deftiger Fluch, Schritte, dann sehen wir seine Beine an der Leiter. Einen Augenblick später steht er mit trotzig verschlossenem Gesichtsausdruck vor mir.
„Wer ists?"
Ich muss gar nichts sagen. Sein Blick wendet sich von allein zu meinem vornehmen Begleiter. Hannes erstarrt. Im nächsten Augenblick greift er sich mit einem Stöhnen an den Kopf, wankt - und stürzt der Länge nach hin wie ein gefällter Baum.
„Hannes!"
Mit einem Schritt sind wir bei ihm, heben ihn auf und tragen ihn zu Annas Pritsche. Balthasar rollt sich schnell herunter, um für Hannes Platz zu machen. Hannes ist ohnmächtig und weiß wie die Wand der Dorfkirche.
Ängstlich beugt sich Karl von Pagenstecher über ihn.
„Was ist mit ihm?"
Ich bin nun auch nicht grade fröhlich nach diesem Schreck, aber ich habe einen beruhigenden Verdacht, was grade in Hannes passiert sein könnte.
„Wann immer er in seiner Tied hier een'n Traum von früher hatte oder unverhofft een Stichwort bekam, dat etwas in ihm bewegt hat, hat er plötzlich Koppschmerz'n bekomm'n un sich so annen Kopp gefasst wie eb'n. Dat hier ist jetzt sehr heftig. Aber wenn wir Glück hab'n, heißt es einfach, dat er sich bei Eur'm Anblick zumindest an Euch erinnert hat. Oder sogar vollständig an siene Vergang'nheit."
Der Pagenstecher schaut mich mit großen Augen an.
„Das mit dem Gedächtnisverlust ... Auch Anna hat das schon erwähnt, aber ich hatte das noch nicht so richtig ernst genommen. Er kann sich tatsächlich nicht erinnern, wer er ist?"
Ich schüttele den Kopf.
„Keen Stück. Selbst siene Kleidung, sien teures Peerd, der Inhalt siener Büdd'l hab'n ihm nich auf die Sprünge geholf'n. Sogar sein'n Nam'n hat er nur geträumt un nach ein paar Träum'n begriffen, dat er dat wohl is. Er hat darauf bestand'n, dat wir ihn mit Hannes un Du anred'n, wollte ums Platz'n nich een Adliger gewes'n sien. Allein die Vorstellung hat ihm unglaubliche Angst gemacht. Richtig Angst."
Karl von Pagenstecher wendet sich wieder Hannes zu und murmelt kaum vernehmlich.
„Ja, das kann ich mir vorstellen. Er war total überfordert. Darum ist er abgehauen, der Trottel."
Wir versuchen, Hannes so bequem wie möglich zu betten und ihm Luft zu verschaffen. Uns bleibt nichts übrig, als abzuwarten, wann sein Geist sich endlich seinem Leben stellen will. Dann wird er hoffentlich einfach aufwachen, und alles kann gut werden. Na ja - fast alles. Anna wird dann für immer unerreichbar sein für ihn, wenn der gütige Gott nicht noch ein Einsehen und Hannes selbst eine zündende Idee haben werden.
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12.1.2022
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