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30 - gleichförmige Tage

Fr. 9.3. a.d. 1571

Meine Tage verlaufen völlig gleichförmig. Ich stehe auf, bete, esse mein karges Brot, zeichne Entwürfe, sticke Muster, singe mir Mut zu, bezahle Jochen Hannover oder die alte Maria, damit sie mir ein paar Dinge des täglichen Bedarfs besorgen, ohne dass es jemand mitbekommt, und verlasse den kleinen Raum unter der Treppe nicht. Abends gehe ich zur Ruhe und bete für alle Menschen, die mir etwas bedeuten oder mir hier zu Unterstützern werden. Nach und nach verschwimmen Tag und Nacht, ich verliere jedes Gefühl für Zeit und Raum. Ich habe nur meine Kinder vor Augen und hoffe auf Erlösung.

Aber ich fühle mich nicht mehr einsam. Jochen Hannover ist wie ein Vater für mich, den ich ja nie hatte. Er behandelt mich wie ein geliebtes Kind, liest mir jeden Wunsch von den Augen ab, auch wenn er sie mir lange nicht alle erfüllen kann. Wie sich herausstellt, ist die alte Maria seine Frau, genauso verbannt wie ihr Mann, weil sie noch zur alten Dienerschaft der Gräfin Agnes gehört hat. Er erledigt nun Laufereien, sie hockt in der Spülküche. Aber sie haben Herz und sind für mich da.

Das Wetter wird milder, ich kann sogar mittags das Fenster ein wenig öffnen. Wenn ich dann voller Dankbarkeit mein Gotteslob singe, kommt es vor, dass draußen auf dem Wirtschaftshof jemand stehen bleibt und lauscht. Ich werde gegrüßt durchs Fenster, obwohl mich hier doch keiner kennt, und grüße fröhlich zurück. Und wenn Maria Erbsen pulen oder Pastinaken schälen muss, dann hockt sie sich auf die Treppe in der Nähe meiner Kammer und summt leise mit.

Ich habe mir als erstes das Wams vorgenommen und arbeite grade an einer komplizierten Borte, die die Nähte zieren soll. Da klopft es kurz, und die Hausdame tritt ein. Ich grüße sie, lächele ihr zu und arbeite weiter. Sie sagt schon immer von selbst, was sie wünscht.
Doch diesmal ist es still. Ich wundere mich über die anhaltende Stille und schaue wieder hoch zu ihr. Ihr Gesicht spiegelt die blanke Unsicherheit, es scheint, als ringe sie um Worte. Sie schließt fest das Fenster. Und plötzlich bricht es aus ihr heraus.

„Danke, Anna, für dein Singen. Du ahnst es nicht. Hier im Schloss ist niemand fröhlich, nie. Alle haben Angst. Aber seit du hier eingesperrt bist und trotz deiner Angst und deiner Sehnsucht nach deinen Kindern Danklieder singst, ändert sich etwas. Wir verändern uns. Es ... Das Leuchten in den Augen von Maria und Jochen. Stallburschen, die weniger fluchen. Maria ist eben aus Versehen eine Schüssel heruntergefallen. Sie hat die Luft angehalten, denn unser Koch ist streng. Aber statt sie zu schlagen und zu beschimpfen, hat er nur gesagt, sie möge die Scherben wegräumen und ihm eine andere bringen. Die Mägde in der Spülküche singen miteinander, statt sich anzukeifen. Anna. Du ...Du hast mich Herrin genannt. Aber das bin ich nicht. Ich bin eine Gefangene genauso wie du. Wir alle sind gefangen in einem immer währenden Alptraum. Du tust uns gut, Anna."
Sie stockt einen Moment – und dann rennt sie fast aus meiner Kammer und wirft die Tür hinter sich zu.

Völlig verblüfft habe ich sie angestarrt, während sie geredet hat, starre nun auf die wieder geschlossene Tür, sitze bewegungslos da und begreife nicht, was ich eben erlebt habe. Aber wenn der gütige Gott es so will, dann bin ich eben jetzt hier am richtigen Platz und bringe Lebensfreude und Gottvertrauen zurück in die Herzen der Menschen an diesem düsteren Ort. Es fühlt sich warm und glücklich an in meinem Herzen, dass ich Gott so dienen kann bei dem, was böse Herzen sich für mich ersonnen haben.

Ich bin nun eine Woche hier. Fast täglich gehen Nachrichten zwischen einem der Bediensteten des Bauern Freese und mir hin und her. Inzwischen gehen diese Nachrichten bis Lütgenhusen und zurück. Irmel sendet Grüße von den Kindern. Klaas oder Jorge berichten, was im Dorf geschieht. Wie es der Müllerin Britt geht, dass der Schnee bald ganz fort ist und der Boden auftaut. Nun wird bald die Frühjahrsbestellung losgehen. Am Nachmittag kommt Maria Hannover zur Tür herein.

„Anna, Liebes, soeben kam Nachricht aus Lütgenhusen. Nachdem sie erfahren haben, dass du hier sicher bist und nur arbeiten musst, und dass du über uns Kontakt für Nachrichten nach draußen hast, haben sie am Donnerstag den neuen Knecht nach Duderstadt geschickt, damit der einen Hannes benachrichtigen soll. Die Magd vom Freese meinte, das sei irgendwie wichtig."
Ich fahre auf. Ich weiß sofort, was das bedeutet. Hannes liebt mich. Er würde ALLES für mich tun. Und er handelt manchmal etwas unüberlegt. Wenn er nun erfährt, dass ich hier gefangen gehalten werde, dann wird er durchdrehen.
Das ist gar nicht gut.

„Maria, ist die Magd noch da? Bitte, ich muss ihr eine dringende Nachricht mitschicken!"
„Ja, sie ist noch da und wartet auf eine Botschaft von dir. Was soll ich ihr zutragen?"
Ich ringe die Hände.
Ich kann doch gar nichts tun!
„Sie soll ... Die Lütgenhusener sollen ... Hannes darf NICHT hier herkommen. Sie müssen ihn unter allen Umständen davon abhalten, hier herzukommen. Er kann nichts ausrichten hier, nur Unheil stiften. Lauf, Maria! Hannes darf nicht hier herkommen!"
Völlig verwirrt von meiner Reaktion und meiner Dringlichkeit eilt Maria davon und überbringt meine Nachricht.
Hoffentlich kommt Hannes nicht gleich direkt hier hergestürmt. Hoffentlich kann Klaas ihn zur Vernunft bringen. Er ist wahrscheinlich der einzige, auf den Hannes hört. Vielleicht ist der auch noch nicht wieder in Duderstadt nach seiner Suche. Oder er ist von dieser Frau von Minnigerode gleich in eine andere Richtung weitergereist. Ach, Hannes! Mach bitte keinen Unsinn!

Ich kann kaum weiter arbeiten, so sehr zittern mir die Hände. Also bringe ich meine Sorge ins Gebet. Aber erst, als Maria mir sagt, dass sie die Magd noch angetroffen hat und ihr die Nachricht mitgeben konnte, werde ich etwas ruhiger. Ich kann wirklich nichts tun. Aber ich kann darauf vertrauen, dass die lieben Menschen in meinem Dorf das Richtige tun, und dass Gott seine Hand über uns allen halten wird. Allmählich kann ich wieder zur Ruhe kommen und weiterarbeiten. Und als es Abend wird, habe ich meinen inneren Frieden wieder gefunden und kann auch wieder singen.

Ich bekomme mein Nachtmahl, eine zeitlang ist seltsame Unruhe in der Halle, dann Hufegeklapper im Wirtschaftshof, auf dem Weg zu den Ställen. Dann wird es still im Haus. Ich arbeite grade an einer kniffligen Stelle, muss das Muster um eine Kurve arbeiten und konzentriere mich sehr darauf. Wie so oft taucht ein Loblied aus meiner Seele auf und will gesungen werden. Ich merke gar nicht, wie die Zeit verfliegt. Bis auf einmal ein fremder, vornehm gekleideter Herr zur Tür hereinschaut, mich kurz nachsinnend ansieht und wieder verschwindet.
Wer war das denn? Hat der Brudenhusen jetzt schon einen Hochzeitsgast? Er lässt doch sonst niemand in sein Reich. Und schon gar nicht jemand, der ihm das Wasser reichen oder ihn enttarnen könnte!
Ich werde es sicher von Maria oder Jochen Hannover erfahren. Also arbeite ich weiter, bis mir fast die Augen zufallen. Aber nun bin ich auch geschickt herum um die Kurve und kann getrost schlafen gehen.

Die Seitentür, die neben meiner Kammer in den Wirtschaftshof führt, ist wie alle anderen des Nachts immer verschlossen. Nicht lange, nachdem ich eingeschlafen sein muss, schrecke ich wieder auf. Diese Türe knarzt ziemlich laut, und von diesem Knarzen bin ich wohl wach geworden.
Wer geht denn mitten in der Nacht noch zum Wirtschaftshof? Das ist seltsam ...
Ich stehe auf und husche zum Fenster. Vorsichtig spähe ich nach draußen. Im Dunklen kann ich nur einen Schatten sehen, der um die nächste Ecke schleicht. Aber bevor ich mich wieder hinlegen will, sehe ich einen weiteren Menschen zu dieser Türe herauskommen. Er bewegt sich ungezwungen, stockt kurz vor der Ecke aber und lehnt sich lauschend an die Wand. Wenige Augenblicke später eilt er unter die Treppe und verschmilzt mit den Schatten. Nun kommt der erste Mann wohl wieder, geht durch die knarzende Tür zurück ins Schloss und scheint abzuschließen. Erst nach einer ganzen Weile kommt der Zweite unter der Treppe hervor und schleicht, sich immer wieder umsehend, in Richtung der Ställe davon.

Eine Zeit lang denke ich noch nach über das, was ich da beobachtet habe.
Irgendwas geht hier vor. Erst dieser gut gekleidete Fremde, der einfach so bei mir den Kopf zur Türe hereinsteckt und stumm wieder verschwindet. Jetzt zwei Gestalten, die des nachts durch Türen schleichen, die eigentlich geschlossen sein sollten. Vielleicht können mir Maria und Jochen etwas darüber erzählen.
Aber schließlich schlafe ich doch wieder ein.

Sa. 10.3. a.d. 1571

Als Maria mir am nächsten Morgen mein Frühstück bringt, bin ich schon eine Weile wieder an der Arbeit. Sie setzt sich einen kleinen Augenblick zu mir, und ich nutze die Gelegenheit, sie nach dem Fremden zu fragen. Sofort wird ihr Gesicht wach.

„Er ist gestern hier angekommen. Niemand, auch der Brudenhusen nicht, hat mit ihm gerechnet. Das ist ganz seltsam. Es geht das Gerücht, dass er ein Freund des Lehnsherrn sein soll und auf ihn warten will, weil er in einem Brief hierher eingeladen wurde. Ein Diener hat sowas aufgeschnappt. Das ist ein ganz Vornehmer. Er hat einen echten Kammerdiener, einen eigenen Stallburschen und drei bewaffnete Begleiter dabei. Und der Brudenhusen kocht vor Wut, weil er ihn wohl gerne loswerden will, der Mann aber der Meinung ist, dass er hier auf seinen Freund warten wird."

Bei der Erwähnung des unbekannten Lehnsherrn zucke ich zusammen. Wenn es denn tatsächlich Hannes ist, dann hat er ganz bestimmt weder einen Brief an einen Freund geschrieben, um ihn einzuladen, noch hat er sich einfach so für dieses Treffen hier entschieden.

Wer ist der Mann? Was weiß er? Was nicht? Und warum lügt er das Blaue vom Himmel herunter?
Eine vage Hoffnung keimt in mir auf.
„Frau Hannover? Könntet Ihr mir einen Gefallen tun? Ich habe den Verdacht, dass dieser Fremde uns nützlich sein könnte. Könntet Ihr und Euer Mann versuchen, diesen Mann und seine Begleiter zu beobachten? Wenn er tatsächlich mit unserem Lehnsherr verabredet ist, dann wird der Brudenhusen ganz gewaltige Schwierigkeiten bekommen, weil ihm das in die Hochzeit platzt. Und das bedeutet, dass diesem Fremden vielleicht Gefahr droht, damit genau das nicht passiert."

Ich habe mir redlich Mühe gegeben, die Sache logisch und dringlich und doch nicht zu dramatisch darzustellen, aber dennoch schaut mich Maria Hannover nun sehr misstrauisch an.
„Das will ich wohl tun, Anna. Aber warum sollte ihm Gefahr drohen?"
Mist, Mist, Mist! Wie erkläre ich das jetzt???
„Schaut, Frau Hannover, wir haben auf den Dörfern schon so viel Willkür mit dem Verwalter und dem Hauser erlebt, so viel Ungerechtigkeit und Gewalt. Wir trauen ihm einfach alles zu. Und ..."
Mit einer weit ausholenden Geste über die edle Kleidung, an der ich grade arbeite ...
„... dieser Mann hat wirklich etwas zu verbergen. Er kann nicht wollen, dass sein Lehnsherr oder dessen Freund das aufdeckt und ihn zur Rechenschaft zieht."
Bedächtig nickt Maria Hannover.
„Ist gut, ich rede mit meinem Mann. Wir werden die Männer beobachten."

Sie verlässt mich, und ich arbeite wieder. Ab und zu werfe ich einen Blick aus meinem Fenster. Ein kräftiger, fremder Mann kommt von den Stallungen und geht, sich wachsam immer wieder umblickend, an meiner Seitentür ins Schloss. Nach einer Weile kommt er wieder heraus und verschwindet im Stall. Ich habe den Verdacht, dass ich hier grade einen der Bediensteten des vornehmen Fremden vor mir habe.

In den folgenden Tagen verändert sich die Stimmung im Schloss und auf dem Hof merklich. Der Hauser und der Brudenhusen sind sich auf einmal nicht mehr grün, das merken alle Bediensteten, denn sie kriegen von beiden immer mal wieder ein schlecht gelauntes Donnerwetter ab. Der Fremde und seine Begleiter benehmen sich normal, sind aber gleichzeitig immerzu überall und sehr wachsam. Maria und Jochen Hannover berichten mir, dass der Brudenhusen immer wieder versucht, den Gast fortzuschicken, dass der Gast sich aber höflich lächelnd dumm stellt und einfach immer wieder sagt, er wolle hier auf seinen Freund warten. Dieser Mann heißt von Pagenstecher und kommt direkt aus Salzderhelden, aus der Hauptstadt unseres Herzogtums. Und er scheint nicht so schnell wieder verschwinden zu wollen.

Es macht mich völlig verrückt, dass der Mann auf jemand warten will, der ihm angeblich einen Brief geschrieben hat. Aber wenn unser Verdacht richtig ist, wenn Hannes dieser Lehnsherr ist, dann kann er keinen Brief geschrieben haben, weil er sich ja an sein früheres Leben und damit an Herkunftsort und irgendwelche Freunde gar nicht erinnern kann. Der Brief hätte innerhalb der letzten paar Wochen geschrieben worden sein müssen. Das kann aber gar nicht sein! Mitten in der Nacht wache ich auf und fasse einen waghalsigen Entschluss. Hier muss Bewegung in die Sache, und darum bin ich bereit, für Hannes ein Risiko einzugehen.

Mi. 14.3. a.d. 1571

Ich bitte am Morgen Jochen Hannover, mir ein Stück Papier und einen Kohlestift zu besorgen. Fraglos reicht er mir gegen Mittag beides zur Tür herein. Nun muss ich sorgfältig überlegen, was ich schreibe. Schließlich gebe ich mir einen Ruck.

Ich weiß, wo der Mann ist, der Euch keinen Brief geschrieben hat. Kommt heute Nacht an diese Treppe.

Nun muss nur noch einer der Burschen hier vorbeikommen. Ich muss eine ganze Weile warten. Aber am Nachmittag kehren der von Pagenstecher und zwei seiner Wachmänner von einem Ausflug zur Falknerei des Schlosses zurück. Und nachdem die Pferde im Stall versorgt sind, kommt einer dieser Wachmänner hier auf das Schloss zu, um durch diesen Seiteneingang zu seinem Herrn hinaufzugehen. Als er grade seinen Fuß auf die unterste Stufe der Treppe setzt, öffne ich einfach das Fenster und halte ihm mit flehendem Blick den kleinen, zusammengefalteten Zettel hin. Er schaut erstaunt zu mir auf, zögert einen Moment, will etwas fragen. Doch dann nimmt er einfach den Zettel und geht ins Haus.

Den Rest des Tages verbringe ich in schier unerträglicher Spannung. Denn entweder habe ich mich jetzt dem Brudenhusen ausgeliefert. Oder dem Hauser. Oder einem Fremden, der mich verraten wird. Aber vielleicht bestätigt sich auch mein Verdacht, meine Hoffnung - dass dieser Mann auf der Suche nach dem verschollenen Hannes ist und es gut mit ihm meint.
Ich werde auf eine harte Probe gestellt. Erst lange, nachdem sich Haus und Hof zum Schlafen zurückgezogen haben, öffnet sich die Tür. Ich stehe neben meinem Fenster im Schatten und starre in die Dunkelheit. Erst kommen zwei der Wachmänner heraus. Ich erkenne sie an ihren Umhängen und Gugeln. Sie vergewissern sich um die Ecke und unter der Treppe, dass ihnen hier niemand auflauert.

Dann kommt der Fremde Adelige selbst heraus, bleibt auf halber Höhe der Treppe stehen und schaut direkt in mein Fenster. Ich hole einmal tief Luft und öffne es. Stumm und misstrauisch schauen wir uns in die Augen.
Schließlich gibt er sich einen Ruck und beginnt zu flüstern.
„Woher, Mädchen, weißt du, ob ich einen Brief bekommen habe oder nicht?"
Er ist vorsichtig. Ich antworte ganz leise.
„Ich ... kenne einen Mann, der auf dem Weg hierher war. Er ist überfallen und fast getötet worden. Durch vielerlei Hinweise glaube ich, dass er Euer Freund sein könnte. Aber er hat ganz bestimmt in den letzten Wochen keinen Brief geschrieben."
Jetzt ist es raus. Und nun werde ich erfahren, ob ich uns alle ins Unglück gestürzt habe.

Der Fremde schnappt nach Luft.
„Wo ist er? Er wird so schmerzlich vermisst! Sein Bruder ... Er muss dringend heimkommen!"
Ich taste mich weiter vor.
„Wie heißt sein Bruder?"
Ein misstrauischer Blick trifft mich.
„Er ... nennt ihn Ludo. Und mich nennt er Karl."
Erlöst und befreit schlage ich die Hände vors Gesicht und atme auf. Und nun fällt mir auch auf, dass der dritte Junge in Hannes Träumen Karl hieß.

„Die Träume ... Hannes, Ludo und Karl. Gott sei Dank, endlich ist Hilfe da!"
Fragend schaut er mich an.
„Kommt herein, hoher Herr, dann können wir besser reden. Kurz flüstert er einen Befehl in die Dunkelheit. Dann schwingt er sich auf das Fenstersims und steigt in meine Kammer. Wir lehnen das Fenster an, und ich erzähle ihm das Nötigste von den letzten Monaten.

„Ich wohne im letzten Dorf dieses Lehens vor der Grenze zum Eichsfeld. Hannes ist in einer Sturmnacht Mitte November schwer verwundet in meine Kate gestolpert. Wir haben eine Weile gebraucht, um ihn wieder ins Leben zurückzuholen. Und dann hatte er vollständig sein Gedächtnis verloren. Lange sah es sogar so aus, dass er gar nicht wissen wollte, wer er ist. Er hatte richtig Angst davor.
Er hat nun eine ganze Weile als Knecht in unserem Dorf gelebt, ist Teil unserer Gemeinschaft und gesund geworden. Durch vielerlei Hinweise und Ereignisse sind wir zu dem Schluss gekommen, dass er hierher wollte und der junge Lehnsherr sein könnte, der hier noch nie aufgetaucht ist. Und dass sein eigener Verwalter ihn hat ermorden wollen, weil er mit seinen betrügerischen Machenschaften hier nicht auffliegen will. Zur Zeit ist er auf der Suche nach Menschen, die ihm das erklären und ihm vielleicht sagen können, wer er ist."

„Woher, Mädchen, weiß ich, dass das hier keine Falle von dem Aasgeier ist? Dass du die Wahrheit sagst?"
„Ich kann mir auch nicht sicher sein, dass Ihr wirklich ein Freund von Hannes seid und ich ihn nicht ins Verderben schicke, wenn ich Euch sage, wo er ist."
Er nickt.
„Du hast Recht. ... Er war unterwegs auf einem braunen Pferd, das niemand außer ihm auf seinen Rücken lässt."
Abwartend sieht er mich an.
„Stimmt. Und Hurtig geht es genauso gut wie Hannes."
Karl von Pagenstecher lächelt.
„Das ist gut. Verrätst du mir, wo ich ihn finde? Es wird Zeit, dass er wieder weiß, wer er ist. Wegen dieser unseligen Hochzeit hier haben wir nicht mehr viel Zeit."

Ich gehorche meinem Gefühl und antworte ehrlich.
„Hannes ist im Moment entweder in Duderstadt im Eichsfeld. Oder auf dem Weg zu seinen Verwandten, weil er auf seiner Reise einen Hinweis bekommen hat, wer er ist. Oder er ist so verrückt, dass er wieder in Lütgenhusen ist, weil er gehört hat, dass ich hier gefangen bin, und deshalb wider alle Order sofort nach Hause geeilt ist."

„Order. Nach Hause."
Seine Stimme klingt erstaunt.
„Ja, nach Hause. Ich ... das wird Euch verwirren. Aber Hannes kennt seit seinem Gedächtnisverlust nur ein Zuhause, und das ist mein Dorf, das ist meine Kate. Das sind meine Kinder, die er über alles liebt, das ist das Dorf voller Menschen, die ihn aufgenommen, gesund gepflegt und beschützt haben, obwohl sie damit Freiheit und Leben riskieren. Oh, und das ist Klaas, an dem Ihr erstmal vorbei müsst, wenn Ihr zu Hannes wollt. Und der ist in seiner Treue nicht zu unterschätzen."
Ich habe einen Kloß im Hals, als ich die Kinder erwähne. Aber wegen Klaas muss ich lächeln.

Karl von Pagenstecher richtet sich entschlossen auf.
„Dann will ich morgen einen Ausflug machen und selbst sehen, ob Hannes dort ist. Gibt es etwas, ein Stichwort, was mich als Freund ausweisen kann? Sonst werde ich sicher kein Vertrauen im Dorf gewinnen. Richtig?"
Er lächelt nun auch.
„Ja, da habt Ihr Recht, hoher Herr. Jeder dort würde für ihn durchs Feuer gehen."

Ich denke einen Moment nach, welches Stichwort sich dafür eignen könnte. Und da fällt mir der Ring ein, den ich schon seit Wochen in meinem Beutel trage.
Ich hole ihn hervor und gebe ihn dem Fremden.
„Das hat er bei mir auf dem Dachboden verloren."
Hastig greift er nach dem Ring und bittet um Licht. Ich zünde meine Lampe an. Er hält den Ring ins Licht und schnappt nach Luft.
„Das Siegel! Weiß Hannes, dass er den verloren hat? Und WAS er da verloren hat?"
Ich schüttele den Kopf.
„Es war ziemlich bald, nachdem er aufgewacht war. Er war tief verwirrt und verunsichert. Er hat seinen Beutel durchgesehen in der Hoffnung, dass irgendetwas darin sein Gedächtnis weckt. Aber diesen Ring hat er sofort achtlos beiseite gelegt und dann vergessen. ... Das ... ist ein Siegelring?"

Karl von Pagenstecher zeigt mir ein Wappen, das in den blauen Stein geschnitten ist.
„Ich weiß jetzt, dass der Mann bei euch im Dorf sicher der ist, den ich suche. Aber das Siegel schien ihm nichts zu bedeuten, also hilft mir das nicht weiter."
Er gibt mir den Ring zurück. Ich stecke ihn wieder in meinen Beutel und freue mich über sein Vertrauen.
„Dann bleibt Euch wohl nichts weiter, als dafür zu sorgen, dass Ihr an Klaas Rand geratet. Falls Hannes da sein sollte, steht dort im Stall Hurtig. Und Klaas grüßt Ihr von Anna Adam. Namen helfen auch weiter, Klaas weiß um Hannes Träume. Versucht Euer Glück!"
Karl von Pagenstecher vergewissert sich, dass draußen alles in Ordnung ist, und schwingt sich wieder aus meinem Fenster. Ich schließe es und gehe zum ersten Mal seit Wochen völlig beruhigt ins Bett.
Danke, Gott! Endlich ist Hilfe da ...

Do. 15.3. a.d. 1571

Früh am nächsten Morgen wache ich davon auf, dass im Wirtschaftshof große Unruhe herrscht. Die Stimme des Hausers brüllt Befehle, Pferde werden gesattelt, bewaffnete Landsknechte laufen durcheinander. Es wiehert, schreit und flucht. Und schließlich reitet eine stattliche Truppe unter der Führung des Hauser vom Schlosshof. Für mich besteht kein Zweifel, dass dieser Trupp nun nach Süden abbiegt. Zu den Dörfern.

Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Der Hauser sucht immer noch nach Hannes. Was, wenn er nun mit Waffengewalt das Dorf auseinandernimmt? Ich bete, dass Hannes vernünftig war und nicht nach Lütgenhusen gekommen ist. Und dass der Zorn des Hausers sich nicht in schierer Gewalt an den Dörflern niederschlägt. Ich flehe zu Gott um Bewahrung für meine Kinder, mein Dorf - und für Hannes.

Kaum ist Maria Hannover aufgetaucht, bitte ich sie dringend, einen Weg zu finden, dass ich Kontakt zu Karl von Pagenstecher bekomme. Sie schaut mich höchst irritiert an, aber ich habe weder Zeit noch Geduld, ihr das nun zu erklären. Zögernd geht sie hinaus und lässt mich ungeduldig zurück. Doch irgendwie scheint sie einen Weg gefunden zu haben, den Pagenstecher zu benachrichtigen, denn nur kurze Zeit später steckt der bereits den Kopf zu meiner Türe herein.
„Was gibt es, dass wir dieses Risiko eingehen? Und was war das für eine Unruhe heute früh?"
Ich erkläre ihm, dass der Hauser grade auf dem Weg in die Dörfer ist, dass er vermutlich alles auseinandernehmen wird und dass er selbst darum heute nicht dorthin reiten kann. Ich kann nicht verbergen, dass ich große Angst um die Dörfler habe.
„Wer weiß, was er mit ihnen aufstellt. Egal, ob er Hannes findet oder nicht. Ich mache mir wirklich große Sorgen um alle dort."

Er nickt.
„Das verstehe ich. Ich nun auch. Hannes kann so ein Hitzkopf sein. Ich verstehe zwar noch nicht, warum. Aber dass er in einer Kurzschlusshandlung wieder zurückkommt, statt abzuwarten, dass würde zu ihm passen."
Ich höre seinen leise fragenden Unterton, aber ich gedenke nicht, ihm das zarte Geheimnis zwischen Hannes und mir anzuvertrauen. Ich selbst weiß ja immer noch nicht, wer Hannes denn nun ist. Das hat mir Karl von Pagenstecher nämlich noch nicht verraten. Ich weiß nur, dass er weit über mir steht und darum sowieso unerreichbar für mich ist. Also kann ich dazu auch meinen Mund halten. Nicht, dass Hannes deswegen vielleicht noch Schwierigkeiten bekommt.
Er wartet einen kleinen Augenblick ab. Als er merkt, dass er von mir keine weitere Antwort bekommen wird, redet er weiter.
„Ich sollte nicht länger hierbleiben. Versuche, ganz normal weiter zu arbeiten. Lass dir die Sorge nicht anmerken, hörst du? Ich verschwinde jetzt wieder. Das gibt dann heute wohl einen ausgiebigen Bibliothekstag, damit ich mich beschäftigt zeige."
Er zwinkert mir zu und schlüpft wieder zur Tür hinaus.

Keiner der Tage hier war bisher so lang wie dieser. Ich sticke, ich grübele, ich sticke, ich esse, ich sticke, ich singe gegen die Angst an, ich sticke, ich bete im Stillen um Gottes Beistand und Schutz für die Dörfer, die heute so sehr der Willkür des Hausers ausgeliefert sind.
Als gegen Abend die gespenstische Stille des Schlosshofes zerrissen wird von donnernden Hufen und gebrüllten Befehlen, fahre ich von meinem Schemel hoch und eile ans Fenster. Es dauert nicht lang, bis mir klar wird, dass alle, aber wirklich alle an der Suchaktion Beteiligten so richtig schlechte Laune haben. Der Hauser sieht aus wie das wandelnde Gewitter selbst. Der Vorreiter der Landsknechte brüllt rum wie ein Berserker. Und die Landsknechte selbst ziehen die Köpfe ein, versuchen, unsichtbar zu sein, und machen in Windeseile, was man sie anweist, damit sie der Zorn nicht unmittelbar trifft.

Endlich lässt meine Anspannung nach. Es dauert eine Weile, bis ich merke, dass ich sogar die Luft angehalten habe. Es ist offensichtlich – sie haben Hannes auch diesmal nicht gefunden. Eine große Erleichterung und Dankbarkeit erfüllt mich. Ich weiß zwar noch nicht, ob das heißt, dass er nicht da ist, oder ob er sich gut genug verstecken konnte. Aber er scheint in Sicherheit zu sein. Sonst wäre der Hauser deutlich gelassener. Ich möchte mir allerdings nicht ausmalen, in welchem Zustand jetzt die Dörfer und die Menschen dort sind. Dort kann alles Mögliche geschehen sein ...
Hoffentlich kommt bald ein Bote aus Rhumaspring mit neuen Nachrichten! Sonst werde ich hier noch verrückt vor Sorge!

Heute kann ich mit so einem Boten allerdings nicht mehr rechnen. Stattdessen kommt im Dunkel der Nacht erneut Karl von Pagenstecher zu mir, kratzt an meinem Fenster und schwingt sich in meine Kammer, sobald ich ihm öffne.
„Anna, was hast du inzwischen erfahren? Ich weiß nur, dass der Brudenhusen erst im Arbeitszimmer einen entsetzlichen Wutanfall bekommen hat. Und dann hat er sich beim Abendessen so unglaublich unhöflich mir gegenüber benommen, dass ich ihn am liebsten sofort in den nächsten Kerker gesperrt hätte. Er will mich mit aller Macht loswerden. Aber da beißt er auf Granit. Ich bin mir nur jetzt sehr unsicher, wie ich morgen hier elegant wegkommen soll, ohne dass er Verdacht schöpft."

Ich überlege einen Moment, was er als falsches Ausflugsziel angeben könnte.
„Wie wäre es, wenn Ihr einen Ausflug nach Herzberg drei Stunden weiter nördlich machtet. Und in Wahrheit umgeht Ihr Gieboldehusen und reitet doch nach Süden. Ich denke, ich kann Jochen Hannover dazu bringen, Euch einen Burschen zu besorgen, der Euch den richtigen Weg zeigt, bis Ihr ihn sicher alleine finden werdet."
Der Edelmann überlegt einen Moment lang und nickt dann.
„Gibt es in Herzberg irgendwas besonderes, was man sich dort anschauen sollte? Ich bräuchte einen Grund, warum ich dort hin will."
Ich schüttele den Kopf.
„Es tut mir Leid, ich war noch nie dort. Aber auch das können wir Jochen Hannover fragen."

In diesem Moment kratzt es an meiner Tür. Wie von einer Biene gestochen springt Karl von Pagenstecher hinter die Türe, die sich gleich darauf leise öffnet.
„Anna, Mädchen? Bist du noch wach?"
Ich erkenne die Stimme von Jochen Hannover und bitte ihn flüsternd herein.
„Nicht erschrecken, Herr Hannover. Der edle Fremde ist grade hier."
Natürlich zuckt er doch zusammen. Ich stelle die beiden einander als Verbündete vor, und dann tragen wir unsre Anliegen für morgen an ihn heran.
„Wart, Anna. Da ist ein Bote aus Rhumaspring. Sie haben es sich nicht nehmen lassen, uns Bescheid zugeben, dass der Tag wahrlich ungemütlich war. Aber es ist niemand tot oder verhaftet, es hat nirgendwo gebrannt, sie haben nirgendwo geplündert oder allzu wild gehaust. Du sollst dir keine Sorgen machen."

Neugierig mischt sich der Gast ein.
„Ihr habt Möglichkeiten, Nachrichten zu schicken? Wenn der Bote über Nacht bliebe, könnte er uns doch gleich in die richtige Richtung führen."
Aber Jochen schüttelt den Kopf.
„Der Mann muss ganz früh wieder zurück, er wird bei der Feldbestellung gebraucht. Es geht so schon viel Arbeiteskraft verloren durch das viele Hin und Her. Aber ich finde bestimmt einen Burschen, der Euch um die Stadt herumführt."
Karl von Pagenstecher hakt noch einmal nach.
„Dann sagt dem Boten nichts von mir, es könnte Verwirrung stiften. Wenn ich erstmal den Weg gefunden habe, komme ich schon zurecht."

Er überlegt einen Moment lang.
„Wenn ich das als Ausrede benutze ... Was könnte es sein, was mich in diese Stadt Herzberg lockt?"
Jochen Hannover muss nicht lange überlegen.
„Das Schloss und die Stadtkirche sind sehr schön. Man kann eine Papiermühle besichtigen. Und vom Mühlengraben her gibt es kunstvolle Wasserhebewerke, die das Wasser bis auf den Berg zum Schloss transportieren. Das ist sehr beeindruckend."
„Gut! Das reicht mir. Ich werde ihm beim Frühstück entsprechende Ideen aus der Nase ziehen und mich dann mit zwei meiner Männer aufmachen. Den Dritten lasse ich lieber hier zum Schutz von Kahn und Konrad. Ich hoffe einfach, dass ich Erfolg habe. Ich muss dann noch einmal herkommen, damit ich beim Brudenhusen einen eleganten Abgang machen kann, der den nicht Verdacht schöpfen sondern vielmehr aufatmen und mich vergessen lässt. Betet, dass Hannes so verrückt war zu kommen. Dass ich ihn dort antreffe."

Kurz darauf verabschieden sich die beiden Männer für die Nacht. Ich sehe ihnen nach und schaue dann hinauf an den Nachthimmel. Die noch kahlen Äste der Bäume recken sich nach oben, wo der Mond grade durch ein Loch in den Wolken scheint.
Hannes? Wo bist du? Bist du in Sicherheit? Geht es dir gut? Weißt du jetzt, wer du bist und wohin du gehörst? Ich vermisse dich ...

Und ich stelle mir noch kurz vor, wie Karl von Pagenstecher und Klaas versuchen werden, einander einzuschätzen, bis Klaas Vertrauen genug hat, um den anderen zu Hannes zu lassen. So viel Sorge ich hatte, dass Hannes kommen könnte – nun hoffe ich tatsächlich, dass der Pagenstecher ihn gleich finden und zurück in sein altes Leben bringen kann. Dann kann der Brudenhusen bald abgesetzt und die Hochzeit verhindert werden.
Und ich kann zurück zu meinen Kindern.
Dabei fällt mir auf, dass ich noch immer nicht gefragt habe, wer Hannes denn nun eigentlich ist ... Mit diesem Gedanken schlafe ich schließlich wieder ein.

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9.1.2022

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