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22 - Was für eine Sauerei!

Sa. 13.1. a.d. 1571

Früh am nächsten Morgen wache ich auf von lautem Gekicher. Ich schaue mich kurz um in meiner Kate und stelle fest, dass Jakob nicht mehr im Bett ist. Da er sich in den letzten Tagen schon öfter die Leiter nach oben gewagt hat, wird er wohl auch jetzt oben bei Hannes sein. Aus dem Kichern wird wildes Toben, und bald schon bettelt Jakob um Gnade. Hannes kitzelt ihn wohl mal wieder so richtig durch. Die beiden haben solch eine Freude aneinander, dass mir immer das Herz aufgeht.

„Jakob? Hannes? Kommt zum Frühstück!"
Oben poltert es, beide kichern noch einmal, und dann steigt Hannes mit Jakob auf seinen Schultern die Leiter hinunter.
„Gut'n Morg'n, Frau Adam!"
„Guten Morgen, Mutter!"
Ich habe derweil die Ziegen gemolken und den Morgenbrei angesetzt. Nun bereiten die beiden Männer das Frühstück vor, während ich das Peterchen füttere und Susanna anziehe für den Tag. Allmählich reicht das Nähren nicht mehr, um den Kleinen satt zu bekommen, und so steigen wir beim Pederchen auf richtige Nahrung um. Es wird eine Erleichterung sein, wenn er nicht mehr nur auf mich angewiesen ist. Er ist auch nicht mehr gut still zu halten in seinem Kasten. Wann immer es möglich ist, will er krabbeln oder mit am Tisch sitzen. Er quietscht immer ganz selig, wenn Hannes sich die Zeit nimmt, mit ihm herumzutollen. Aber auch Jakob und Susanna spielen gern mit ihm. Dann sitze ich immer ganz versonnen daneben und freue mich an meinen drei tollen Kindern und meinem liebenswerten „Knecht".

Gleich nach dem Frühstück schnürt Hannes sein Bündel, um zum Pastor zu „ziehen", und der Drebber geht durchs Dorf, um die Steuerdinge umzuverteilen. Auch wenn es wahrscheinlich wie immer bis Mittag dauern wird, bis der Steuereintreiber kommt. Ich nutze die Zeit, um oben in Hannes Dachstube ein bisschen aufzuräumen und sauber zu machen. Er selbst hat schon alle persönliche Habe versteckt und seine Pritsche so verwuschelt, dass es nicht ganz so sehr danach aussieht, als wohnte hier jemand.
Dann bleibt uns nichts als Warten. Und das dauert. Erst nach dem Mittag hören wir die Geräusche von der Dorfstraße her. Mehrere Schlitten fahren zum Dorfplatz. Der Steuereintreiber steigt aus und geht zum Vogt, während seine Knechte die Höfe ansteuern. Kurz danach flitzt der Siegfried durchs Dorf und richtet aus, dass alle Männer auf dem Dorfplatz antreten sollen. Wohlweislich rennt er auch den Mühlberg hinauf, denn die beiden Jungs werden ja gebraucht für das Versteckspiel. Ich selbst packe in aller Ruhe Susanna, Peter und mich selbst warm ein, bevor ich mich aufmache. Ich muss mir das Grinsen verkneifen, wenn ich mir vorstelle, wie Hannes aussehen wird, nachdem er aus dem Misthaufen wieder aufgetaucht sein wird. Es würde mich doch einige Überwindung kosten, mich kopfüber in einen Misthaufen zu stürzen, der innen gefroren und außen matschig ist. Und eine Dauerlösung ist es auch nicht. Nun, wir werden sehen, ob das Theater heute seinen Zweck erfüllen wird.

Als ich auf dem Dorfplatz ankomme, sehe ich grade Hannes aus dem Pfarrhaus treten, gebückt, die Gugel tief ins Gesicht gezogen. Demütig schleicht er hinter dem Pastor und seiner Frau her. Und der kleine Jasper verschwindet in dem Augenblick im Stall von Bauer Ferz. Auch die meisten Frauen sind hergekommen aus reiner Neugierde.
Hoch aufgerichtet und mit überheblicher Miene schreitet der Steuereintreiber in die Mitte von dem Kreis aus Dorfbewohnern, der grade entsteht.
„So. Zeig mir den neu'n Knecht!"
Der Drebber läuft neben ihm und stellt ihm umständlich alle Männer vor, an denen sie vorbeischreiten. Der Hauser wird immer ungeduldiger dabei. Als sie sich dem Pastor und Hannes nähern, sehe ich, dass die Aufmerksamkeit des Mannes steigt. Aber da geht die Schweinevorstellung auch schon los.

Ein Schreckensruf von Jasper aus dem Stall, ein langes, lautes Quieken - und schon rast eine durchgedrehte Sau zwischen unseren Beinen hindurch, auf der Suche nach einem sicheren Versteck. Mit angewidertem Gesicht springt der Steuerteufel beiseite, während Siegfried nach dem Knecht Kunz schreit, Kunz Hannes am Ärmel mitschleppt und Siegfried, Mathis und Laurenz ebenfalls losspurten, um dem Schwein den Weg abzuschneiden. Eine wilde Jagd die Dorfstraße hinauf und hinunter, begleitet vom Rufen der Jungs und panischem Gequieke seitens des armen Schweines bringt die ganze Versammlung zum Lachen. Schließlich können die Männer das arme Tier einkreisen und treiben es auf den Misthaufen vom Schmied zu, der hinter der Schmiede am Rande des Dorfplatzes liegt.
Ich falle in das Gelächter der anderen ein. Hannes gelingt es, sich so ungeschickt anzustellen, dass ihm das Tier mehrfach entwischt. Aber gleichzeitig kommt es damit dem geplanten Ziel immer näher. Und als das Schwein schließlich direkt am Misthaufen steht, mit bebenden Flanken und ängstlichem Grunzen, springt Hannes mit Anlauf auf das Tier und wälzt sich mit ihm im Mist, bis beide über und über mit Schlamm beschmiert sind. Kopfschüttelnd schlingt Kunz dem Schwein einen Strick um den Hals und bringt es zurück in seinen Stall. Die vier großen Jungs stehen derweil um Hannes drumrum und lachen ihn tüchtig aus. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Hannes sich sogar beim Aufrappeln noch mit einer Hand voll Mist durchs Gesicht und dann unters Hemd über die rechte Schulter fährt. Schlau! So ist auch die Narbe nicht zu erkennen, falls der Mann wirklich unser Feind ist und tiefer forschen will.

Unter dem Gefeixe des ganzen Dorfes, der gespielten Verzweiflung des Pastors und dem angeekelten Blick des Steuermannes kommt Hannes wieder auf die Füße, sucht seine Holzklompen beisammen und schleicht mit hängenden Schultern zurück zum Pastor. Der gesamte Kreis öffnet sich an der Stelle deutlich, und auch der Pastor macht daraufhin einen Schritt rückwärts und hält sich die Nase zu. Der Vogt hält sich ebenfalls mit einer Hand die Nase zu, während er mit der anderen auf Hannes zeigt.
„Dat, werter Herr Hauser, is der neue Knecht des Pastors. Die Papiere habt Ihr ja angekiekt. Er stammt aus Duderstadt."

Aus sicherer Entfernung, aber mit stechenden, suchenden Augen mustert Falck Hauser den vor Dreck starrenden Hannes. Der duckt sich und fängt an, in Dialektworten eine Entschuldigung für den Aufruhr zu stammeln. Der Hauser mustert das verschmierte Gesicht, kann aber nichts Gescheites erkennen. Gleichwohl habe ich sehr den Eindruck, dass er ein unnatürliches Interesse an dem neuen Mann hat.
Der ist noch immer auf der Suche. Die Gefahr ist noch nicht gebannt.
Da tritt einer seiner Knechte an ihn heran und flüstert ihm etwas zu.

„Een edles Peerd???"
Der Hauser wird plötzlich laut und bekommt ein gieriges Gesicht. Unwirsch und desinteressiert winkt er die Bauernversammlung vom Platz, während er seinem Knecht zu Klaasens Hof folgt. Rasch verständigen wir uns mit Blicken, der Drebber, Pastor Crüger und auch der stinkende Hannes folgen dem Steuereintreiber auf dem Fuße.
Bald darauf sind sie im Stall von Klaas angekommen. Ich bin still gefolgt und schaue von ferne ums Eck in den Stall. Der Steuereintreiber schaut so unverhohlen gierig auf Hurtig, dass mir etwas bange wird. Aber die Männer bleiben gelassen.

„Wo hat er dat Peerd her?"
Klaas antwortet völlig ruhig.
„Dat gehört'm Herrn Pastor. Der hat ..."
„Aber es steit in dies'm Stall!"
Johann Crüger versucht, in die Situation einzugreifen.
„Es ist mein Pferd. Das Pfarrhaus hat keinen ..."
„Warum weet ik nich, dat dieser Buur een so edles Peerd besitzt. Dat kann er sich doch gar nich leist'n. Dat is gestohl'n!"
Der Vogt nimmt all seinen Mut zusammen.
„Herr, dat is nich Recht. Ihr lasst uns nich ausred'n, un Ihr unnerstellt dies'm Buurn Diebstahl. Dabei hab'n wir schon geseggt, dat ..."
Wenn Blicke töten könnten. Der Hauser starrt unseren Vogt so furchterregend an, dass mir nun doch etwas Angst wird.
„Wer hat dich denn gefragt???"

Jetzt wird es Johann Crüger zu bunt.
„Herr Hauser, ich möchte anmerken, dass ich nicht Eurer Zuständigkeit unterliege, und dass Ihr kein Recht habt, mir den Mund zu verbieten. Das Pferd gehört mir. Ich habe es rechtmäßig erworben, von meinem Erbgeld in Duderstadt. Und weil das Pfarrhaus keinen Stall hat, steht das Tier eben hier. Ich verbitte mir solcherlei Unterstellungen wie die, Bauer Klaas Rand habe das Tier gestohlen. Niemand gibt Euch das Recht, Euch dermaßen aufzuführen. Also beherrscht Euch bitte in Gottes Namen! Der Bischof wird nicht erfreut sein von Eurem Benehmen."
Nun zuckt der Steuereintreiber doch zusammen. Mit dem normalen Dorfpfarrer dachte er, fertig zu werden. Aber wenn der sich auf den Bischof beruft, dann kann es Ärger geben.

Mit einem letzten wütenden Blick auf Hurtig und einem ebensolchen auf den immer noch stinkenden Hannes rauscht er aus dem Stall und zurück zum Dorfplatz. Und hier versucht er nun ein ganz übles Spiel. Schon beim letzten Mal hat er ja dem Bauern Ferz unrechtmäßig ein Schwein genommen. Nun schickt er einen der Knechte in genau denselben Stall und lässt ihn ein Schwein rausholen. Und der - treibt kurz darauf die hochträchtige Zuchtsau aus dem Stall. Das ganze Dorf hält den Atem an.
Aber bevor der Mann auch nur triumphierend grinsen kann, hört er von hinter sich die schneidende Stimme unseres Pastors.
„Das Schwein gehört auch mir. Ich habe wirklich gut geerbt. Und der Bischof ..."
Wütend knallt der Mann seine Peitsche gegen seinen Stiefel.
„Jaja, ik hab verstand'n. Bring dat Swien zurück in'n Stall."
Der Knecht beeilt sich, das Tier zurückzutreiben. Aufatmend geht ihm Kunz dabei zur Hand. Wenige Augenblicke später ist der Spuk vorbei. Der Steuereintreiber Hauser ist mit Karren, Knechten und all seiner schlechten Laune auf und davon gerauscht. Aber jubeln möchte hier niemand. Pastor Crüger hat sich weit aus dem Fenster gelehnt. Und wir alle wissen, dass er uns nicht ewig wird schützen können. Er kann ja schlecht behaupten, das ganze Dorf gehöre ihm.

Ziemlich gerädert und immer noch mit dem Schreck in den Knochen schleichen sich alle wieder nach Hause, durchgefroren vom langen Stehen in der Kälte und bange im Herzen, weil dieser Mann uns alle mit seiner Willkür sooo mürbe macht. Ich gehe als erstes zur Frau Pastor und helfe ihr, den großen Kübel mit heißem Wasser zu füllen, damit Hannes möglichst bald aus der stinkenden Kleidung kommt und baden kann. Als Hannes frisch und sauber gewandet wieder vor uns steht, greift er grinsend nach seinen Kleidern und beginnt - wie versprochen - selbst, sie im Zuber zu waschen.

Still und versonnen spielt Hannes anschließend mit den Kindern. Die gute Laune ist verschwunden. Er rollt sich eine Decke auf, damit er nicht direkt auf dem kalten Lehmboden hocken muss, setzt sich die leise summende Susanna auf den Schoß und spielt mit dem umher krabbelnden Peter Kitzelspiele. Neben ihm auf einem Schemel hockt Jakob, beißt sich auf die Zunge vor lauter Konzentration und versucht, mit dem Griffel A's, E's, U's, O's und I's auf seine Schiefertafel zu kratzen. Denn er hat festgestellt, dass es ganz wichtig ist, dass diese Buchstaben alle da sind. Zick zum Beispiel und Hurtig brauchen dringend ein I. Das U ist auch für Hurtig da. Und Susanna hat auch eins. Im Hannes steckt ein E. Das darf nicht vergessen werden! Ab und zu hält Jakob dem Hannes die Tafel hin, der lobt ihn und korrigiert ihn, und dann kratzt Jakob wieder los.
Währenddessen widme ich mich der neuen Stickarbeit, die mir einer der Knechte zwischendurch in die Hand gedrückt hat. Schon wieder roter Samt mit gelbem Garn. Und der Anweisung, eine Satteldecke für des Verwalters edles Ross zu besticken, die zu seinem neuen Wams passend ist. Ich verkneife mir den Kommentar, dass wohl selbst der Herzog nicht so viel Aufwand und Zurschaustellung betreibt. Aber Auftrag ist Auftrag, und es erhält mir ein Huhn.
Auch das Abendessen verläuft in Stille. Sogar die Kinder scheinen zu spüren, dass heute weder Fröhlichkeit angebracht ist noch wilde Toberei. Anstandslos krabbeln sie gleich nach dem Essen auf die Pritsche und lassen sich in den Schlaf singen.

Kaum ist das Licht aus, steige ich zu Hannes auf den Boden. Der sitzt sehr nachdenklich vor seinen Aufzeichnungen und liest. Dann holt er tief Luft.
„Frau Adam, ich muss hier weg. Bis zum nächsten Steuertag muss ich wissen, wer ich bin und muss hier verschwunden sein."
Verblüfft und erschrocken starre ich ihn an.
„Aber wie wollt Ihr Eure Seele zwingen, sich zu beeilen? Das lässt sich doch nicht planen!"
Hannes atmet tief durch.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass dieses Dorf jetzt noch mehr als vorher im Blick ist. Dass dieser Mann mich beim nächsten Mal nicht wieder in den Misthaufen lassen wird. Und dass selbst der Pastor nun aufpassen muss, dass er keine Schwierigkeiten bekommt."
Zum ersten Mal schaut er mich direkt an, und ich sehe tiefe Trauer in seinen Augen.
„Wenn ich bis zum nächsten Steuertag nicht weiß, wer ich bin oder warum dieser Mann mir nach dem Leben trachtet, muss ich fort. Sonst reiße ich euch alle ins Unglück."
Ungläubig schüttele ich den Kopf, und eine seltsame, graue Schwere erfasst auch mich.
„Ich habe auch gesehen, dass der Hauser zu neugierig war. Aber warum seid Ihr so sicher, dass er Euer Mörder ist?"
„Er hat mir in die Augen gesehen. Er hat mich nicht erkannt. Aber er wusste, wonach er sucht. In meinem Gesicht. ER weiß, wer ich bin! Und solange ich es nicht weiß, wird er mir immer einen Schritt voraus sein."

Und dann fängt Hannes an zu weinen.
„Ich weiß nicht, wie ich es ertragen soll, Euch und die Kinder zu verlassen. Diese Kinder sind mein Leben. Ich weiß nicht mal warum. Aber sie lassen mich lebendig fühlen. Als wären es meine eigenen."
Er lässt den Kopf in die Hände sinken. Er flüstert sehnsuchtsvolle Worte vor sich hin, die ich kaum verstehen kann.
„Komm, Ludo. Komm! Oder schick einen Boten. Einen, der mich kennt. Such mich doch. Ich lebe, aber ich finde nicht nach Haus!"
Dann sackt er in sich zusammen und verstummt. Leise gehe ich zu ihm und nehme ihn einfach in die Arme.
Es wird Nacht draußen. Und auch in uns ist es finstere Nacht, denn die Ratlosigkeit, die Ungewissheit, dieses verzweifelte, fruchtlose Suchen nach Antworten ist erdrückend und ermüdend.

Sechs Wochen noch. Oder etwas mehr? Was seine Seele bis dahin nicht hergegeben hat - das muss er dann wo anders herausfinden. Dann will er nicht mehr hier sein.
„Hannes, als der Mann mir heute die neue Stickarbeit gegeben hat, da hat er gesagt, dass ich sie wieder hinbringen soll, weil der Steuereintreiber erst Anfang März wieder selbst kommen wird. Wenn der Pastor da mit Euch noch einmal nach Duderstadt reist, dann haben wir einiges an Zeit gewonnen. Dann wird es fast Ostern, bis Ihr und Pastor Crüger dem Hauser wieder unter die Augen treten müssen. Bis dahin kann noch viel passieren."
Hannes holt tief Luft und richtet sich auf.
„Soll ich denn bleiben? Ist ... ist Euch das so wichtig, Frau Adam?"
Ich kann nur flüstern als Antwort. Mir selbst erscheint es ungeheuerlich.
„Sehr, Hannes. Sehr."
Es ist totenstill auf dem kalten Dachboden, und wir sehen uns nicht an. Es ist, als halte die Welt für einen Moment den Atem an.

Nun ich verstehe endlich, warum ich so sehr kämpfe um diesen fremden Mann, der schwer verwundet und ohne Gedächtnis eines Nachts durch meine Tür hereingestolpert ist. Es ist mir vollkommen egal, wer er ist, woher er kommt. Hauptsache, er ist da! Denn mein Herz gehört ihm. Und ich fürchte mich jetzt schon davor, dass er herausfinden wird, wohin er gehört - und mich dann verlassen wird. Aber ich weiß ja doch, dass seine Welt und meine Welt sich nie begegnen werden. Also fasse ich mir ein Herz und nehme mir fest vor, einfach immer weiter das zu tun, was ihm dient, damit er eines Tages wieder glücklich sein kann an dem Platz, an den er hingehört. Wo auch immer das sein wird, ich darf ihm nicht im Wege stehen.

Schließlich durchbricht Hannes die seltsame Stille.
„Ich geh schon schlafen, mir ist kalt. Gute Nacht, Frau Adam."
Mit diesen Worten krabbelt er unter seine Decken auf seiner schmalen Pritsche, und ich steige nach einem letzten Gruß zur guten Nacht die Leiter hinunter. Aber schlafen kann ich nicht.
Ist es Eigennutz, wenn ich versuche, seine Zeit hier möglichst zu verlängern? Ist es Eigennutz, wenn ich für mich und auch für meine Kinder versuche, den Moment hinauszuzögern, wo sich Hannes und der Hauser wieder gegenüber stehen werden?
Lange hocke ich auf meinem Schemel und starre in mein kleines Herdfeuer. Eine ehrliche Antwort will sich nicht finden lassen.
Mit wem könnte ich darüber reden? Wer kann mir raten?
Mit einem Ruck stehe ich auf, vergewissere mich, dass die Kinder gut schlafen, wickele mich in meine warmen Tücher und schleiche mit meinen Holzklompen in der Hand zur Tür hinaus. Draußen schlupfe ich hinein und gehe leise über die Straße - in das einzige Häuschen im Dorf, das noch kleiner ist als meines. Ich kratze an der Tür und werde sofort hereingebeten. Gut! Der blinde Jasper ist noch wach.

Schnell schlüpfe ich durch die Tür und schließe sie leise wieder.
„Jasper, ich bins, die Anna. Darf ich deine Zeit in Anspruch nehmen? Ich bin so rastlos und brauche jemand zum Reden."
Jasper dreht seinen Kopf in meine Richtung, auch wenn seine Augen mich nicht sehen können.
„Aber natürlich, Mädchen. Komm zu mir ans Feuer. Du klingst bedrückt."
Eine Weile schweigen wir.
„Du machst dir Sorg'n um Hannes, weil du ihn so gern hast, stimmts?"

Ich habe schon vor sehr langer Zeit aufgehört, mich zu wundern über das, was Jasper alles versteht. Man muss nichts sagen. Sein Herz und seine Ohren hören so fein und gut!
Und ich muss nicht mal antworten.
„Du hast ihn sehr gern. Un deine Kinners lieb'n ihn abgöttisch. Er is schon jetzt fast wie een Vadder für sie. Aber die Posse, die wir heute aufgeführt hab'n, könn'n wir keen zweites Mal zeig'n. Un selbst, wenn Pastor Crüger beim nächst'n Mal wedder mit Hannes nach Duderstadt verschwindet - spätest'ns Anfang März isses vorbei."
Ich schüttele den Kopf. Jasper sieht das zwar nicht, aber ich weiß, dass er es hört.
„Kurz vor Ostern. Der Knecht, der mir die neue Stickerei gegeben hat, hat mir ausgerichtet, dass ich das auch wieder bringen soll, weil der Hauser nicht kommen wird Anfang Februar. Dann kommt er also Anfang März, und Hannes könnte nach einem zweiten Ausflug nach Duderstadt hier ausharren bis Anfang April."
„Aber?"
Jasper weiß so gut wie ich, dass das nur eine Galgenfrist ist.

„Aber Hannes hat seit heute Nachmittag geschwiegen - und mir eben gesagt, dass er bis dahin wissen muss, wer er ist, oder vorher gehen wird, damit das Dorf und der Pastor nicht noch mehr Schwierigkeiten haben werden."
Jaspers Hand sucht nach meiner Schulter, er zieht mich zu sich heran und nimmt mich väterlich in die Arme. Und endlich, endlich kann ich weinen. Lange hält er mich und hüllt mich in sein tröstliches Schweigen.
„Jasper,..."
„SchSch, Mädchen. Lass dir Zeit, du bist noch lang nich fertig mit Wein'n."
Ich habe meine leiblichen Eltern nie kennengelernt, habe keine Ahnung, wer sie einmal waren oder heute sind. Aber in den Träumen des kleinen Waisenmädchens Anna waren sie immer so - wie Freifrau von Lenthe es war, und wie der Jasper jetzt für mich ist. Gütig, freundlich, zugewandt. Ich begreife erst jetzt, wie sehr ich das vermisst habe. Und so lasse ich mich noch eine Weile lang stumm tragen und trösten von diesem weisen alten Mann und seiner Herzenswärme.

„Jasper, was ist es, das seine Seele so zögern macht?"
Einen Moment lang lauscht er meinen Worten nach.
„Wir könn'n uns nich nur een Bein brech'n oder erblind'n. Auch unsre Seele kann brech'n oder erblind'n. Un dat tut furchtbar weh. Wir könn'n dies'n Schmerz zu Gott trag'n, un er heilt unsre Wund'n. Aber wedder geh'n, wedder seh'n müss'n wir selbst. Hannes wird was erlebt hab'n, dat ihn gebroch'n hat. Etwas, dat ihn so sehr quält, ... Vielleicht ist ihm etwas genomm'n word'n, dat er blind geword'n is für dat, was er doch alles hat. Un er hat so viel! Sein ganzes Wes'n is een Geschenk. Er verschenkt aus'n Voll'n. Dat Geld, dat er für uns alle ausgibt, is damit gar nich gemeent. Er verschenkt sich. Dat is der Grund, warum ihn alle im Dorf sofort aufgenomm'n hab'n. Dat is der Grund, warum deine Kinners sich ihm so schnell geöffnet hab'n. Un dat is der Grund, warum du bei dem Gedank'n, er könnte endgültig geh'n, so wein'n musst."
„Er... er ... steht so hoch über mir, ich kann doch niemals an ihn heranreichen. Niemals würde ein feiner Herr eine arme, unfreie Bauerswitwe wählen. Ich bin ein Nichts!"
Leise schüttelt Jasper den Kopf.
„Dat, liebe Anna, hab ik noch nie geglaubt. Du bist vieles. Aber ganz bestimmt nich nischt! Un jetzt geh schlaf'n, Mädch'n. Kommt Tied, kommt Rat. IK bin mir sicher, es wird sich alles find'n."

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28.12.2021

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