55 | In optima forma
Die nächsten Tage zogen sich weit weniger, als ich angenommen hatte. Die Qualifikationsrunde für die kompetitiven Duelle am Dienstag hielt mich auf Trapp, auch wenn ich es diesmal nicht unter die besten sechzehn schaffte. Direkt am nächsten Tag folgten dann die finalen Runden der Einzelkämpfe.
Den Mittwochmorgen verbrachte ich sehr entspannt. Thea und ich waren lange liegengeblieben und hatten dann spät gefrühstückt, sodass wir mehr Zeit füreinander hatten. Und selbst zwischen Tina und Leonie hatte sich die Stimmung verbessert. Leonies hauptsächlich, weil sie im Elementarschach ziemlich gut abschnitt, und Tinas, weil Leonie dadurch auch friedensbedürftiger war.
Ein weiterer Grund zur Freude war, dass ich schon heute um neun Lukas' Informationen zum Stein der Weisen bekommen würde. Ich hatte ihm gestern ein wenig Feuer unterm Hintern gemacht und somit meiner Frustration über unsere Handlungsunfähigkeit Luft gelassen. Was ihm gegenüber womöglich ein wenig unfair war, aber so war das Leben.
Nun saß ich wieder mit meinen Freunden auf der Tribüne herum und sah der finalen Runde der Erstklässler zu. Leider war Tina direkt im Achtelfinale ausgeschieden, Leonie schaffte es dafür eine Runde weiter. Nach dem Viertelfinale war allerdings auch für sie Schluss.
„Emilie wird gewinnen, oder?", fragte Max, als es zum Finale kam.
„Höchstwahrscheinlich. Sie ist ja auch fast mit Tom ins zweite Jahr gewechselt." Ich betrachtete ihre Gegnerin, eine zierliche Luftbändigerin. Von dem, was ich bisher von ihr gesehen hatte, war Emilie ihr bei Weitem überlegen.
Und so war es schließlich auch. Emilie schaffte es innerhalb einer halben Minute, das Mädchen in den goldenen Ring zu treiben. Als wäre das nicht schon genug gewesen, spiegelte sich ihr Sieg auch deutlich in der Wertungsdifferenz von ganzen zwanzig Punkten wider.
„Sowas solltest du nachher auch machen", sagte Max beeindruckt.
„Wenn du dich erbarmst, schaffe ich auch zwanzig Sekunden", entgegnete ich.
Thea kicherte. „Das würde ich gerne sehen."
Max warf uns einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ihr seid doch beide gemein."
Ich schaute ihn unschuldig an. „Was denn, es war nur ein Vorschlag."
„Sicher", grummelte er.
***
Wie es sich herausstellte, ging Max' Wunsch tatsächlich in Erfüllung. Ich hatte Glück gehabt und musste gegen eine weit weniger starke Wasserbändigerin antreten. Sie arbeitete hauptsächlich mit Illusionen, doch wenn ich im letzten Monat etwas gelernt hatte, dann war es, mit Illusionen umzugehen. Es dauerte nicht mal eine Minute, bis ich sie an den Rand gedrängt und das Duell beendet hatte. Die Leistung brachte mir allerdings auch eine satte doppelte 95 ein.
Das Viertelfinale hingegen brachte mich wieder auf den Boden der Tatsachen. Ich hatte einen Luftbändiger bekommen, dank dem ich am Ende des Kampfes einen Testflug hinlegen durfte. Der kostete mich zwar zehn Punkte, aber da mein Gegner seine Kräfte ab einer bestimmten Menge an Magie kaum mehr unter Kontrolle hatte, brachte ihm das auch nichts. Trotzdem wurde es unangenehm knapp, ich kam nur mit einer Differenz von fünf Punkten weiter.
Im Halbfinale traf ich auf ein sehr bekanntes Gesicht. Es war Elaine, gegen die ich erneut antreten musste. Und leider wusste ich genau, dass ich keine Chance hatte. Zumindest nicht, wenn ich es wie das letzte Mal anging.
Als wir den Ring betraten, lächelte sie mir aufmunternd zu. Ich starrte ausdruckslos zurück, mich dazu zwingend, mir eine Strategie zu überlegen. Auf Zeit zu spielen hatte nicht geklappt. Womöglich sollte ich es nun aggressiver angehen. Ich musste nah genug an sie drankommen, um meine Affinität zu nutzen. Sie würde zwar versuchen, mich möglichst weit von sich fernzuhalten, aber für den Fall hatte ich bereits Pläne.
Es würde schon irgendwie funktionieren. Es musste. Das versuchte ich mir einzureden, bis ein goldener Blitz erschien. Und es erneut mit einer Feuerflut startete. Diesmal jedoch reagierte ich nicht wie zuvor. Ich konnte es mir nicht leisten, in den Verteidigungsmodus zu fallen. Also stürzte ich direkt durch die Flammen hindurch, die Verbrennungen auf der Stelle heilend.
Für einen Moment sah ich deutliches Erstaunen in Elaines Gesicht. Und das nutzte ich, indem ich ihr den Boden unter den Füßen wegriss. Leider schaffte sie es gerade noch, nicht in den Abgrund zu fallen und mir stattdessen einen erneuten Angriff entgegenzuschießen. Ich ließ vom Boden ab und konzentrierte mich darauf, mich auf keinen Fall nach hinten drängen zu lassen.
Nun war ich also wieder an dem Punkt angelangt, dass ich bloß ihre Attacken abwehrte. So würde das ganz sicher nichts werden. Doch es gab nur einen Weg hinaus. Einen schmerzvollen Weg. Ich biss die Zähne zusammen und stoppte meine Verteidigung.
Blitzschnell suchte ich die Wiese nach dem ab, was ich haben wollte, holte es aus der Erde, pflanzte es direkt zu Elaines Füßen. Lodernde Objekte streiften meine Haut, hinterließen knallrote Flächen, machten mich beinahe blind vor Schmerzen. Ich ignorierte es dennoch so gut es ging und griff nach den Samen, die ich gepflanzt hatte. Sie wuchsen in rasender Geschwindigkeit, schlangen sich um Elaines Beine. Sie schien davon kaum etwas zu bemerken, war eher darauf konzentriert, mich mit diversen Geschossen zu treffen.
Als ein Feuerball meine Hand frontal traf, schrie ich auf. Das reichte. Ich spaltete ein wenig Energie von den Pflanzen ab, heilte die schlimmsten Wunden und schickte einen Sandsturm los. Er tat gleich drei Dinge: Elaines Feuerbälle ausbremsen, sie selbst angreifen, und verstecken, was ich drauf und dran war, zu tun.
Denn als ich an ihren Bewegungen merkte, dass sie die Pflanzen um ihre Beine bemerkt hatte, zog ich an den winzigen Ästen. Und während sie mit ihrem Gleichgewicht kämpfte, begann ich, zu rennen. Immer nur vorwärts, ihren kläglichen Angriffen ausweichend. Bis ich nah genug an ihr dran war, dass ich meine Magie loslassen konnte.
So schnell es ging, zerstörte ich die richtigen Stellen ihres Körpers, um sie bewegungsunfähig zu machen. Mein Herz schlug wie wild, nicht nur wegen meines eigenen Schmerzes und der Anstrengung, sondern auch aus Furcht. Aus Furcht, ich unterschätzte sie und sie hatte noch irgendein Ass im Ärmel.
Doch nichts passierte. Der Sturm lichtete sich, ich schob sie mithilfe meiner Kräfte an den Rand des Ringes und das goldene Licht erlosch. Tosender Applaus brach aus. Ich hatte es geschafft. Zwar mit unfairen Mitteln, aber ich hatte es geschafft.
Einen Moment genoss ich das das Gefühl des Triumphes. Dann jedoch meldete sich mein schlechtes Gewissen mit voller Wucht zu Wort. Schnell ging ich zu ihr und ließ meine Magie durch ihren Körper fließen. Nach und nach verschwand ihre schmerzverzerrte Miene, bis sie sich wieder aufrichten konnte.
„Danke", sagte sie, leicht errötend. „Das hättest du wirklich nicht tun müssen."
„Ich habe dir übel zugesetzt und Herr Araya wäre nicht schneller gewesen", widersprach ich. Außerdem hätte ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können, sie einfach hier liegenzulassen.
„Es war ein wenig brutal, das stimmt schon." Sie lächelte matt. „Ich glaube, ich hatte noch nie so schmerzhafte Erdbändiger-Verletzungen. Aber deine Strategie war verdammt gut. Würde mich nicht wundern, wenn du das Duell gewinnst."
Sie schaffte es wirklich, genau das zu sagen, was ich hören wollte, und mich gleichzeitig derart schlecht fühlen zu lassen, dass ich mir nicht sicher war, ob es den Sieg wert gewesen war. Ich traute mich nicht einmal, ihr in die Augen zu blicken, als ich erwiderte: „Warten wir es ab."
Viel zum Warten gab es allerdings nicht. Einen Augenblick später erschien die Wertung über uns. Elaine hatte eine Punktzahl von 95 85 minus zehn, ich erreichte 100 100. Ich sog scharf die Luft ein. Niemand bisher hatte die volle Punktzahl erreicht. Nicht einmal Matthias.
Von der Seite fiel mir Elaine um den Hals. „Du hast es wirklich geschafft! Absolut verdient, würde ich sagen."
Ich hatte mich noch nie falscher gefühlt wie in diesem Moment. Ich hätte Frau Schwabs Strategien nicht anwenden dürfen. Nicht gegen sie. Nicht so hinterlistig. Auch wenn es niemand mitbekommen zu haben schien.
Ich verharrte einen Moment auf der Stelle, dann wandte ich mich aus Elaines Umarmung. „Danke", sagte ich lediglich. „Du warst aber auch echt gut. Du hättest viel besser ins Finale gepasst als ich."
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg vom Feld, um es für Matthias und einen Luftbändiger freizumachen.
„Ach, ich glaube nicht", sagte sie, viel zu gut gelaunt. „Ich war schon überfordert, als du einfach so durch die Feuerwand gelaufen bist, als sei sie Luft." Ihr Blick blieb an Frau Schwab hängen, die auf uns zueilte. „Ich glaube, sie möchte mit dir sprechen. Ich lass euch dann mal alleine. Viel Glück schonmal fürs Finale!"
Damit bog sie zur Tribüne ab. Mein Herzschlag wurde immer schneller. Ja, ich glaubte auch, dass Frau Schwab mit mir reden wollte. Ihre Grabesmiene zeigte auch schon, worüber genau. Leider fiel mir so schnell kein Ausweg ein. Und so konnte ich ihr nur folgen, als sie mich an einen abgelegeneren Ort zog.
„Was zur Hölle sollte das werden?", fragte sie mit schneidender Stimme, als die Tribüne aus unserer Sichtweite verschwunden war. So langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich hatte sie noch nie derart wütend und enttäuscht gesehen. Noch nie. Selbst nicht, als Lukas und ich die Wiese abgefackelt hatten. Dabei war es nicht mal so, dass ich Elaines Körper direkt kontrolliert hatte.
„Ich weiß, ich...", begann ich, doch sie unterbrach mich sofort.
„Hast du dir eigentlich irgendetwas dabei gedacht? Es hat genau einen Grund, weshalb ich dir diese Techniken beigebracht habe. Und der war mit Sicherheit nicht, sie in einem fairen, kleinen Schulturnier anzuwenden!"
„Ich weiß!", rief ich. „Ich hatte es nicht unter Kontrolle, die Idee ist einfach gekommen und ich habe nicht darüber nachgedacht."
„Wenn das so ist, hätte ich es dir nicht beibringen dürfen." Ihre Worte waren kühl und schnitten direkt in mein Herz. „Wenn es um Fälle wie die Schwarze Königin geht, ist jedes Können, jede Fähigkeit wertlos, wenn man sich nicht beherrschen kann."
Ich nickte. Es war verständlich, so logisch, dass ich es mir selber hätte denken können. Und genau das machte es umso schlimmer.
„Am liebsten hätte ich das Duell als ungültig erklärt und Elaine ins Finale geschickt", fuhr sie erbarmungslos fort, jedes einzelne Wort ein weiterer Salzkristall in der Wunde. „Du hast es nicht verdient. Aber leider geht es nicht so einfach. Also wirst du diesen Wettbewerb abschließen und zu niemandem ein Wort darüber verlieren, wie du das Halbfinale gewonnen hast."
Sie ließ die Ankündigungen sacken, bevor sie sagte: „Dein Glück, dass es niemand anders bemerkt hat. Sollte es nochmal vorkommen, wirst du diese Schule noch am selben Tag verlassen, ohne dass jemand überhaupt weiß, warum. Ich habe dir in diesen Fällen Verantwortung übergeben."
Meine Unterlippe begann zu beben. Die Schulleiterin ignorierte es.
„Verhalte dich auch angemessen."
Ihre Stimme war glasklar, genauso wie die Bedeutung ihrer Worte. Sie sah mich noch einmal an, dann drehte sie sich um und ging mit weiten Schritten davon. Und sobald sie nicht mehr in meiner Sicht war, ließ ich den Tränen freien Lauf.
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