Kapitel 83 - Rehabilitation
Jared fühlte wie Lucidas Armreifen sich warm um sein Handgelenk schloss. Das silberne Metall hatte sich an seiner Haut erwärmt und funkelte in der aufgehenden Sonne wie ein strahlender Stern. Ein wehmütiges Seufzen entrang sich seinen Lippen. Doch dann manifestierte sich in ihm ein Gefühl, dass er lediglich einer Vorstellung von sich selbst hinterher trauerte, die er niemals sein würde.
Allerdings war das, was vor ihm lag, durchaus ein Lächeln wert.
Er blickte nicht zurück.
***
Gegen Mittag hatten sie bereits die gewaltigen Berge und markanten Felsformationen der Pyrenäen hinter sich gelassen und folgten dem mäandernden Canyon des grünen Flusses Ebro, der sich seit Jahrtausenden gewaltig und tosend, dann wieder gemächlich und geduldig durch den roten Sandstein fraß.
Als die Sonne im Zenit stand, ritten sie über den bewaldeten Kamm eines weiteren Hügels. Unter ihnen am Hang breiteten sich Weinplantagen aus. So weit das Auge reichte wuchsen Reben, die langsam begannen sich um die Stöcke zu ranken. Das Wetter war so angenehm, dass Dannielle ihren Mantel ausgezogen und vor sich über den Sattel gelegt hatte und die kühle staubige Brise genoss, die ihr um die Nase wehte.
„Seht mal!", rief sie erfreut. „Ist der Ausblick nicht herrlich? Lasst uns hier rasten." Ohne die Antwort ihrer beiden Gefährten abzuwarten schwang sie sich leichtfüßig aus dem Sattel und ging noch ein Stück weiter den Weg entlang, bis sie eine Stelle fand, von wo aus sie besonders schön in die Ferne schauen konnte. Nachdem sie eine Weile alles in sich aufgenommen hatte, die Sonne, den Himmel, die hügelige Landschaft, und all die Geräusche, ging sie leichten Fußes zu den beiden zurück. Auch wenn sie die Gesellschaft der Whanau mehr als genossen hatte, war am heutigen Morgen in dem Moment eine Last von ihrem Herzen gefallen, als sie in wildem Galopp frei über die Hochebene gejagt waren. Seitdem ließ sich das Lächeln nicht von ihren Lippen wischen.
Als sie zu ihren beiden zurückkehrte, hatte Daemon bereits ein kleines Mahl für sie auf einem der Steine angerichtet. Sie schnappte sich ein Stück Flammkuchen, bei dessen Zubereitung sie noch heute in den frühen Morgenstunden geholfen hatte und biss herzhaft hinein. Es würde wohl etwas dauern, bis sie wieder so gutes Essen zwischen die Zähne bekommen würde, also genoss sie die liebevoll hergestellte Speise umso mehr. Ihr Blick fiel auf Jared, der sich noch immer bei den Pferden zu schaffen machte.
Sie kam nicht umhin zu bemerken, dass er seit ihrem Aufbruch noch kein Wort mit ihr oder Daemon gewechselt hatte und ihrer beider Blicke mied. Für einen kurzen Augenblick war sie sich sicher, dass ein freundliches Gespräch mit ihm für lange Zeit unmöglich sein würde.
"Komm essen, Jared. Wir wollen nicht ewig auf dich warten. Wir müssen heute noch weiter!", fasste Daemon ihre Gedanken in Worte, die ihr offenbar ins Gesicht geschrieben standen.
Sie vernahm einen leisen Fluch, ehe Jared sich zu ihnen gesellte. Sein Blick wechselte misstrauisch zwischen ihr und Daemon hin und her. Dannielle schwieg.
"Hier!" Daemon drückte ihm ein Stück des Flammkuchens in die Hand. "Keine Sorge, ist nicht vergiftet. Also iss."
Jared machte ein abfälliges Geräusch.
"Sagt der, der mir einen keltischen Giftpfeil in den Hals rammt und mich zum Sterben zurücklässt."
"Ich hatte ja wohl auch allen Grund", ereiferte sich Daemon.
"So wie du jetzt auch jeden Grund hast, also verzeih mir gefälligst mein Misstrauen, du alter Heuchler!"
"Oh, ich bin mit Sicherheit nicht nur derjenige, den du auf Knien um Verzeihung anbetteln solltest, Jared!", fluchte Daemon weiter. "Es wäre zwar mal eine ganz nette Abwechslung, aber die Lady hat eine Entschuldigung viel mehr verdient, als ich." Dannielle beobachtete fasziniert, wie sich auf dessen Stirn eine Ader abzeichnete. Hatte sie richtig gehört? Daemon stellte sich so offenkundig auf ihre Seite?
"Werde ich bestimmt nicht so einfach..."
"Du verfluchter Bastard!"
Instinktiv wich Jared einen Schritt vor Daemons verbaler Attacke zurück, jedoch keineswegs weit genug, um seinem Freund zu entkommen, der sich gnadenlos auf ihn stürzte. Staub wirbelte auf, als die beiden zu Boden gingen und Daemon Jared unter sich begrub.
"Zur Hölle, du bist fett geworden!", brachte Jared atemlos hervor, als Daemon sein ganzes Gewicht einsetzte, um ihn an Ort und Stelle zu halten. Dannielle sah ihm erheitert dabei zu, wie er versuchte, sich unter Daemon herauszuwinden, doch jener fixierte gekonnt alle Extremitäten seines Freundes. "Du hast in den letzten drei Wochen nichts getan außer Fressen und Saufen. Geh runter... Verdammt!"
Doch Daemon rührte sich nicht, sondern gab sich größte Mühe, auf ihm liegenzubleiben. Schließlich hörte Jared atemlos auf, sich zu wehren.
"Ich habe mich eben nicht mit so zweifelhafter Gesellschaft abgegeben, wie du und bin vielleicht ein bisschen schwerer, als deine Hure, aber wenn du willst stehe ich auf. Wenn du mir die Pfunde wieder abtrainierst, jetzt sofort."
"Um was soll's geh'n?", brachte Jared mit erstickter Stimme hervor.
„Na", begann Daemon, als wäre die Antwort selbsterklärend. "Um den Preis, der jedem ehrenvollen Kampf geziemt, die Gunst der holden Lady!" Mit diesen Worten rollte er sich gönnerhaft von seinem Freund hinunter und erhob sich, um ihm die Hand zum Aufstehen zu reichen. Ein undeutliches Gemurmel kam über Jareds Lippen, als er sich an Daemons Hand hochzog.
"Bist du damit einverstanden, Mylady?", fragte Daemon in ihre Richtung gewandt.
Dannielle musste lachen. Dann machte sie ein paar Schritte auf Jared zu, der sie mit finsterem, schuldbewussten Blick ansah. Sein Atem ging immer noch schnell. Obwohl er sich Mühe gab, es zu verbergen, bemerkte sie wie unwohl er sich unter ihrem anklagenden Blick fühlte.
"Du meinst, du vermöbelst ihn und danach ist Jared in unserer Achtung wieder rehabilitiert? Das ist doch kein so einfaches Spiel, Daemon." Zweifelnd runzelte sie die Stirn.
"Das musst du wissen, Mylady", antwortete er ihr. "Aber irgendwo musst du hin mit deinen Emotionen. Es liegt an dir zu entscheiden, wie du mit ihm weitermachen willst. Ich helfe dir." Daemon ballte vorfreudig seine Hände zu Fäusten und ließ die Knöchel knacken.
Sie hob die Hand zum Kinn, als müsste sie über seine Worte nachdenken. Dann fiel ihr Blick zurück auf Jared. "Du hast mein Herz gebrochen", sprach sie leise. Seine Lippen öffneten sich, als würde er etwas erwidern wollen, doch sie schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. "Ich werde mich entscheiden, wenn der Sieger feststeht." Sie machte eine Pause, in der sie beobachtete, wie Jared die Zähne zusammenbiss und seine Kiefermuskulatur zu zucken begann. Die Sanftheit in ihrer Stimme war trügerisch. "Lass ihn bluten, Daemon."
Sie wandte sich ab und begab sich zu ihren Pferden, um den Kontrahenten nicht im Wege zu sein. Daemon hatte sich bereits mit seinem Schwert bewaffnet. Jared wollte es ihm gleichtun und seine Waffe aus seinem Gepäck herauskramen, doch Daemon hob ihm bereits die Klinge entgegen.
"Komm schon." Sein Tonfall klang inzwischen flehend. So kleinlaut hatte Dannielle den Dieb noch nie erlebt. "Du musst mir wenigstens die Möglichkeit eingestehen, mich angemessen zu verteidigen", wandte er ein.
Doch Daemon blieb stur.
"Ich glaube nichts von dem, was du getan hast, war angemessen. Dir steht keine Waffe zu, oder Mylady?"
Dannielle betrachtete ihn kühl.
"Nein."
Jared entfuhr ein verachtendes Geräusch.
"Euer Ernst? Ich bin euch keine Hilfe, wenn ihr mir die Knochen brecht, ich nicht mehr Laufen kann und jemand uns angreift", gab er zu bedenken. "Dann stehen wir wieder genau so da wie in Frankreich."
"Das sehen wir dann, Jared. Es hat sich herausgestellt, dass Dannielle und ich auch wunderbar alleine zurechtkommen", beschloss Daemon und wies ihn mit einem Kopfnicken an, sich bereitzumachen.
Dannielle versuchte ihre aufkeimende Nervosität zu verbergen. Ja, Jared hatte sie so tief verletzt, wie sie niemals geglaubt hatte, dass es möglich wäre. Sie wollte, dass Daemon ihn in ihrem Namen zur Rechenschaft zog. Doch gleichzeitig erschrak sie vor sich selbst, der aufrichtigen Reue in Jareds Blick und dem kampfeslustigem Ausdruck in Daemons Augen.
Daemon ging auf Jared los, noch ehe Dannielle überlegen konnte, ob sie ein Zeichen zum Beginn des Kampfes geben sollte. Es gelang ihm nur knapp, Daemons Attacke auszuweichen und er hechtete über den Weg, wo er sich hastig zwischen den Bäumen umsah, um etwas anderes zu finden, das er zu seiner Verteidigung einsetzen konnte. Daemon setzte ihm augenblicklich nach.
Jared nutzte den Stamm einer Pinie als Deckung, in den Daemon seine Waffe so heftig hineinschlug, dass die Klinge eine Kerbe in der Rinde hinterließ und für einen kurzen Moment darin steckenblieb.
Doch nur für eine Sekunde, dann hatte Daemon das Metall wieder befreit. Allerdings hatte es mehr nicht gebraucht und Jared hielt einen knorrigen Ast hoch, an dem sich noch Zapfen befanden.
Daemon entfuhr ein abfälliges Lachen.
"Na gut, mein Lieber. Dann zeig mal, was dein Zahnstocher da kann." Er holte erneut aus. Dannielle hielt den Atem an. Jared hob seine neu gewonnene Waffe. Er wich geschickt aus und drehte das Holz des Stockes so, dass Daemons Klinge daran abrutschte, während dieser ihn zurück über den Weg in Richtung der Pferde trieb. Beim vierten Hieb zerbrach der Stock.
Dannielle entfuhr ein entsetztes Geräusch.
Doch die Waffe fuhr ins Nichts.
Stattdessen war es Jared gelungen in der gleichen Bewegung seine Waffe aus der Scheide zu ziehen, welche an seinem Sattel befestigt gewesen war.
"Bravo Jared", Daemon war außer Atem. "Ganz große Klasse", knurrte er. "Glaubst du, ich habe noch nicht gesehen, wo dein Schwert liegt?" Er hob seine Waffe.
"Hast es trotzdem nicht geschafft, elender Versager!"
"Sei nicht so ein verflucht schlüpfriger Hurensohn, Jared und stelle dich endlich!" Er fuhr sich mit dem Ärmel seines Hemdes über die Stirn, um sich den Schweiß abzuwischen.
Es schien Dannielle, als würde der Kampf erst jetzt richtig losgehen.
Die beiden Kontrahenten schenkten sich nichts. Kein Zögern, kein abschätziger Blick keine weiteren aufwiegelnden Worte. Jared wehrte gekonnt eine von Daemons Attacken ab und schlug elegant zurück. Es sah so leicht aus, wie er sich bewegte, wie schnell er sich drehte.
Aber auch Daemon bewies mehr als nur Geschicklichkeit mit seiner Waffe.
Dannielle erinnerte sich an vergangene Zeiten, als sie auf höfischen Festen Zuschauerin solcher Duelle gewesen war. Die adelige Gesellschaft ergötzte sich an solchen Torheiten. Doch langsam fand sie Gefallen daran, wie gekonnt die beiden ihre Bewegungen ausführten, sie wussten genau, was sie taten. Und es wirkte um Welten eleganter als die Kämpfe der Ritter, die in voller Rüstung ausgefochten wurden.
Daemons Atem ging inzwischen stoßweise und sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet.
„Du bist längst nicht mehr so gut in Form wie früher, woher mag das wohl kommen?", fragte Jared irgendwann herablassend.
„Daher..." Daemon musste unterbrechen, um Jareds Hieb auszuweichen, „Dass du die letzten Wochen nichts anderes zu tun hattest, als dich auf andere Weise in Form zu halten. Alles deine Schuld."
Dannielle biss sich auf die Lippe. Daemon hatte recht. Jared war viel besser in Form und geübter im Kampf. Er würde viel länger durchhalten und irgendwann würde Daemon ein Fehler passieren. Sie musste sich etwas ausdenken.
Sie machte ein paar Schritte nach Links, sodass sie in Jareds Rücken stand und Daemon sich ihr gegenüber befand. Dann schrie sie aus vollem Hals. Als würden die Schergen des Herzogs in vollem Galopp den Hügel erstürmen.
Jared erstarrte in seiner Bewegung und fuhr zu ihr herum.
Erkenntnis schlich sich auf seine Züge.
Sie lächelte siegessicher. Ihre Täuschung war gelungen.
Daemon trat ihm von hinten in die Kniekehlen und er fiel zu Boden. Sein Schwert entglitt seinen Fingern.
Daemon griff nach seinem Schopf und zog seinen Dolch, den er ihm gegen die Kehle hielt. Ein schmerzerfüllter Laut entrang sich seinen Lippen.
"Das ist nicht fair. Ihr mogelt. Einigen wir uns auf unentschieden...", wehrte Jared sich, verstummte jedoch jäh und Daemon entlockte ihm mithilfe seines Dolches nur ein weiteres schmerzerfülltes Zischen.
"Mylady...", sprach er atemlos, während er sich den Schweiß aus den Augen blinzelte. "Der Sieg. Er gehört Euch."
Dannielle trat langsam an den knienden Dieb heran und sah voller Kälte auf ihn hinab. Unendlich viele Gefühle stiegen gleichzeitig in ihr auf, dass sie sie überforderten. Da war Schmerz und da war Liebe. Eifersucht und Zorn. Vergebung und Sehnsucht. Ein innigster Wunsch. Doch was sich am aller machtvollsten nach vorn drängte, war Wut.
Er wehrte sich nicht länger. Ergeben senkte er den Blick.
Ohne die Entscheidung zu treffen holte sie aus und schlug ihn mit der flachen Hand ins Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite. Ihm entfuhr ein überraschtes Keuchen. Sie spürte das Brennen auf der Innenseite ihrer Hand kaum.
Daemon zwang ihn zurück in die Ausgangsposition und noch ehe er zu ihr aufblicken konnte, traf ihre Hand seine Wange erneut. Und erneut. Dann holte sie mit der Linken aus.
Daemon stieß Jared von sich und der Dieb krümmte sich zu ihren Füßen zusammen, die Stirn in den Staub der Straße gedrückt. Sie wollte nach ihm treten, doch es gelang ihr nicht.
"Du elender Bastard!" Ihre Stimme brach. Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Kraftlos sank sie neben ihm auf die Knie. "Du hast mir das Herz gebrochen", wiederholte sie wimmernd. "Ich habe dich so gehasst, ich habe dich..." sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.
Seine Arme schlossen sich um sie. Erst wollte sie sich wehren, sich aus seinen Armen hinaus winden. Doch er ließ es nicht zu.
"Es gibt keine Entschuldigung, die wiedergutmachen könnte, was ich getan habe", begann er. Seine Stimme klang rau. "Ich bin ein dummer Idiot. Ich..."
Sie sah zu ihm auf. In seinen Augenwinkeln schimmerte es. Mit erstickter Stimme sprach er weiter.
"Ich habe geglaubt, wenn ich dir das Herz breche, wirst du dich von mir fern halten. Ich wollte dich vor mir schützen, Dannielle. Du siehst mitten in mich hinein und weißt, was ich bin. Ich verdiene dich nicht. Aber nie hätte ich für möglich gehalten, dass es sich so stark anfühlt."
Dannielle zwang sich, tief durchzuatmen.
"Es ist meine alleinige Entscheidung, ob du gut genug für mich bist oder nicht." Ihre Stimme bebte. "Und bis ich diese Entscheidung getroffen habe, wirst du mich nie wieder anlügen. Oder fallenlassen. Oder einer anderen die Treue schwören, so wahr ich auf dieser staubigen Straße sitze."
Er drückte sie fest an sich, dass ihr beinahe die Luft zum Atmen wegblieb. Seine Stimme war ein eindringliches Flüstern an ihrem Ohr.
"Egal, wie deine Entscheidung ausfallen wird. Meine Treue gehört nur dir, Dannielle, für immer. Ich schwöre es."
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