Kapitel 82 - Korero
Jankó beobachtete seine Cousine, wie sie selbstbewusst und lächelnd auf den Kutschbock stieg und die Zügel in die Hand nahm. Dann beugte sie sich hinunter und drückte Jared einen Kuss auf die Wange, der sich daraufhin mit einem unecht wirkenden Schmunzeln zu seinem eigenen Pferd begab.
Bedauern stieg in ihm auf, als er an das Gespräch mit ihm gestern Abend zurück dachte. Morgen früh würden ihre Gäste sie also wieder verlassen.
Der Zug setzte sich in Bewegung, Räder aus Holz holperten über den Boden, Pferdehufe, Gelächter und ausgelassene Gespräche begleiteten sie ebenso wie die Stimmen der Vögel, die ihre fröhlichen Melodien zum Besten gaben. Jankó ritt einige Meter hinter Jared, der sein Pferd neben Lucida gelenkt hatte. Ein wehmütiger Zug spielte um dessen Mundwinkel und ein leidvoller Ausdruck ließ sich in seinen Augen wiederfinden, wenn sein Blick auf Lucida ruhte.
Jankó ahnte, dass es Jared nicht leicht fiel, sich wieder verabschieden zu müssen. Jedem der Familie war aufgefallen, wie einfach sich gerade er in das Gefüge eingelebt hatte. Vorsichtig lenkte er sein Pferd neben Jareds.
Er warf einen nervösen Blick auf Lucida, ehe er sein Wort an ihn richtete.
"Korero mau te rongo." Lass uns reden. Ungestört.
Ein langer durchdringender Blick traf ihn, ehe Jared nickte und sein Pferd anhielt, um den Zug an sich vorbeiziehen zu lassen. Die ganze Prozession bewegte sich im Schritttempo und kam nur sehr langsam voran, was der schieren Masse an Wohnutensilien und Menschen geschuldet war.
„Ihr werdet uns fehlen..." Jankó lächelte wehleidig.
Jared schwieg einen Moment lang.
„Ihr uns auch."
„Ihr habt frischen Wind hierher gebracht." Jankó verstummte einen Moment. „Was habt ihr nun vor? Wohin wollt ihr?"
„Nun..." Jared zögerte. "Wir reisen nach Saragossa."
„Saragossa, die Wasserstadt am Fluss Ebro... Wollt ihr mit dem Schiff weiter? Ich kann mir kaum vorstellen, dass ihr euch da niederlassen wollt."
„Das werden wir sehen, wenn wir da sind, denke ich... Offen gesagt, reicht unsere Planung noch nicht so weit." Jankó beobachtete, wie Jared gedankenverloren nach einem Blatt griff, dessen Ast in den Weg hineinragte und es mit einem kleinen Ruck abriss.
„Wollt ihr nicht noch einmal darüber nachdenken? Ich würde mich freuen und die anderen natürlich auch!" Er warf einen Blick auf Lucidas Wagen, der in der Ferne dahin rumpelte. Lange hatte er am Abend zuvor mit der Familie darüber geredet. Und alle waren sich einig gewesen.
Jared schwieg eine ganze Weile und drehte das Blatt zwischen seinen Fingern hin und her.
„Es ist nicht so, dass ich es nicht bereits in Erwägung gezogen hätte, aber... Unser Weg ist ein anderer."
Jankó nickte resigniert.
„Glaubst du? Meinst Du nicht, dass Dannielle und Daemon sich auch mit unserem Leben anfreunden könnten? Selbst sie scheint Anschluss gefunden zu haben." Er blickte zu Dannielle herüber, die etwas weiter vorne ritt. Neben ihr ging ein junger Mann, der sich angeregt mit ihr unterhielt.
„Ich weiß nicht, wie Lucida es verkraften wird, und ganz ehrlich: Ich könnte es nicht mit ansehen. An deiner Seite lacht sie so unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Und das haben wir dir zu verdanken..."
Jared schüttelte entschieden den Kopf.
"Mit mir ist sie ebenso unglücklich wie noch nie", widersprach er. Es schien, als würde ihm noch etwas auf der Zunge liegen. Es kostete ihn Überwindung, es schließlich auszusprechen. „Wir werden verfolgt. Wir halten uns ohnehin schon lange genug bei euch auf, um euch ebenso in Gefahr zu bringen. Das ist nicht richtig!", flüsterte er. "Ihr müsst vergessen, dass wir jemals mit euch gereist sind, wenn wir euch verlassen haben."
Jankó nickte. Lucida hatte bereits heute Morgen einige Andeutungen gemacht, aber ihm dann entschieden zu verstehen gegeben, dass es eine alleinige Sache zwischen ihr und Jared bleiben würde.
„Gut." Es tat ihm leid für seine Cousine. Er mochte Jared wirklich und sein Herz würde lächeln, wenn Lucida in ihm endlich jemanden gefunden hätte, bei dem sie hätte bleiben wollen. Er machte sich ein wenig Sorgen um sie, sie war längst alt genug und er hätte sie gerne verheiratet gesehen. Jared hätte er Lucida anvertraut.
„Jankó, es fällt mir nicht leicht... Ich würde nur zu gerne bleiben." Ein lang gezogener Seufzer zog sich durch Jareds Worte.
„Nun... Ich möchte dich auch zu nichts zwingen."
„Das tust du nicht. Ich hoffe darauf, dass eure Feuer mir für die Zukunft offenstehen!"
"E hika, Jared. Natürlich. Ihr seid jederzeit willkommen!"
***
„Buh!" Seine Arme schlossen sich von hinten um ihre Taille, seine Hände berührten sanft die Haut unter ihrem Nabel und seine Lippen streiften wie zufällig ihr Ohr.
Seine Nähe und seine Berührungen jagten ihr einen intensiven Schauer über den Rücken.
„Da bist du ja endlich...", wisperte sie sanft, während sie ihre schweren Bronzeohrringe ablegte. „Ich hatte schon gedacht, du kommst nicht mehr."
„Lass mich dir helfen." Wie ein Windhauch berührten seine schlanken, geschickten Finger ihre Hände und ehe sie sich versah, lagen ihre Ringe und Armreifen vor ihr auf dem Tisch.
„Besitzt du in anderen Bereichen deines Lebens genauso viel Geschick wie bei dem, was du gerade tust?" Sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Hals.
„Urteile selbst...", hauchte er. „Um deine Erinnerungen aufzufrischen..." Seine Lippen landeten auf der nackten Haut ihrer Schulter wie ein vorsichtiger Vogel auf einem dünnen Ast. Behutsam aber mit Bestimmtheit.
Langsam wandte sie sich zu ihm um und zog ihn so nahe wie es ging an sich heran. Sie wollte ihn spüren, sie wollte ihm so nahe sein, wie es nur möglich war. Sie wollte mit ihm eins sein und mit ihm verschmelzen.
Sie drückte sich seinen Lenden entgegen, umschlang seine Hüfte mit ihren Beinen und genoss die Hitze seiner Haut an ihrem Körper. Es war ihr letzter Abend, den sie hatten, den sie vielleicht jemals haben würden. Er wurde ein Teil von ihr und für einen kurzen Moment war sie sich sicher, dass die Welt um sie herum nur ihnen gehören würde.
***
„Verschwendung!"
Jared hob träge den Kopf von ihrem Kissen. Fast wäre er eingeschlafen. In ihrer wärmenden Umarmung versunken. Seine Stimme fühlte sich heiser an und er brachte nicht mehr als ein krächzendes: „Was meinst du?" zu Stande.
„Es ist pure Verschwendung dich an sie zu verlieren, sie wüsste deine Talente gar nicht zu nutzen." Mit verschmitztem Blick sah sie zu ihm herüber, ehe sie sich mit einer eleganten Geste eine Strähne ihres dunklen glatten Haares aus dem Gesicht strich.
"Meine Talente?", wiederholte er irritiert. "Das meinst du? Meine Talente?" Er sah ungläubig an sich hinab, als wollte er sich vergewissern, dass Lucida wirklich seine rein physikalischen Fertigkeiten meinte.
Sie nickte.
"Si, ich muss wohl über eine angemessene Bezahlung nachdenken." Sie machte eine Pause, in der sie mit dem Fingernagel provozierend über seine Brustmuskeln, über seinen Bauch und schließlich zu dem Tattoo auf seiner Seite fuhr. "Immerhin warst du für mich nicht viel mehr als ein angenehmer Zeitvertreib."
Jared richtete sich auf seinen Ellbogen auf.
"Stimmt, fragt sich wirklich, wer von uns wessen Hure war." Sein Tonfall war kühl, doch Lucida kicherte verschwörerisch. Und für einen Moment wünschte er sich tatsächlich nichts mehr, als der unbedeutende Schausteller sein zu können, der als Mitglied einer Whanaufamilie über das weite Land zog, eine schöne Frau an seiner Seite hatte und sein Geld und was er zum Leben brauchte mit Musik und Kunststückchen verdiente.
"Vielleicht will ich keine Bezahlung von dir, vielleicht will ich viel mehr ein Andenken an dich." Die liebevolle Zuneigung in ihrem Blick brachte ihn fast um den Verstand. Er lächelte wehmütig.
"Was wünscht du dir? Betrachte es als Dein."
Sie legte den Kopf schief, als müsste sie über sein Angebot nachdenken. "Deinen Dolch", antwortete sie dann.
Er nickte. "Und was würdest du mir geben, das mich für meine Dienste ausreichend entlohnt?" Herausfordernd hob er eine Augenbraue.
Lucida grinste breit. Nackt wie sie war stand sie auf und griff in eine kleine Schatulle, die fest an einem Holzregal angebracht war. Schmunzelnd kehrte sie zu ihm zurück, griff nach seiner Hand und ließ etwas hinein gleiten. Jared öffnete seine Finger und erkannte eine einzelne winzige Kupfermünze, die nicht einmal danach aussah, als hätte sie eine ordentliche Prägung erhalten.
"Oh du Biest!", entfuhr es ihm. "Zuerst redest du von Verschwendung und dann sowas. Ich warne dich." Lucida lachte aus vollem Hals, als er sie am Arm zu sich zurück auf das Bett zog und mit sanfter Gewalt in die Kissen zurück drückte.
***
Ein letzter Kuss traf ihre Lippen, ehe sie sich von ihm löste und mit verschränkten Armen einige Schritte zurück ging. Ein Lächeln zierte ihre roten Lippen, das keiner zu deuten vermochte.
Sie beobachtete, wie Jankó Jared einige Münzen in die Hände drückte und hörte ihn Worte flüstern, die wie "Ich bin sicher ihr werdet es brauchen können" klangen.
Der Morgen brachte süße Vogelstimmen und reinsten Sonnenschein mit sich, doch Lucida hatte sich am liebsten Regen gewünscht.
Sie sah Jared dabei zu, wie er sich mit einer letzten formvollendeten Verbeugung bei Jankó bedankte und dann behände auf sein Pferd schwang.
Noch einmal streifte sie Dannielles Blick. Sie glaubte Triumph in ihren Augen zu sehen. Sie konnte nichts mehr tun, konnte ihn nicht mehr aufhalten. Sie hatte ihre Chance verspielt, wenn sie je eine gehabt hatte. Jetzt war er fort und mit ihm die Wärme in ihrer Mitte.
Lucida sah sie von dannen reiten. Sie wurden immer kleiner und näherten sich immer mehr dem Horizont, die aufgehende Sonne zu ihrer Linken, die lange Schatten auf den Boden warf.
Schweren Herzens haftete ihr Blick noch lange Zeit auf Jared, sie spürte Jankós tröstende Hand auf ihrer Schulter.
„Lass mich...", wisperte sie und wandte sich um. Erneut, wie schon einmal an diesem Morgen, kämpfte sich Übelkeit in ihr hoch und ihr wurde schwindelig, doch sie versuchte dagegen anzukämpfen. Sie hätte niemals gedacht, dass es sie so hart treffen würde.
Erneut legte sie ihre Hand auf ihren Unterleib, wie so oft in den letzten beiden Tagen. Eine unbeschreibliche Gewissheit erfüllte sie. So leer ihr Herz sich anfühlte, so sicher war sie sich, nie wieder alleine zu sein.
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