Kapitel 8 - Überfall
TW: Blut, Tod, Verlust, Trauer, Angst, Gewalt
Jared war am nächsten Morgen schon früh auf den Beinen. Er hatte tatsächlich jemanden gefunden, der sich seiner angenommen, ihn mit Getränken und Essen versorgt und schließlich lange lange Zeit darauf verwendet hatte, seine Extremitäten zu massieren. Was zu Anfang tatsächlich nur als heilsame Einfühlsamkeit begonnen hatte, hatte seine Wirkung keineswegs verfehlt und zuletzt auch noch Früchte getragen. Jared war guter Dinge gewesen, dass auch das letzte taube Kribbeln in seinen Finger- und Zehenspitzen bald vergehen würde. Er hatte sich mit einem Kuss von ihr verabschiedet und ein Lebe Wohl in ein Niemals Wiedersehen verwandelt.
Sein Pferd hatte ihn mit freudigem Schnauben erwartet und er hatte sorgfältig damit begonnen, dessen Fell zu striegeln, die Mähne zu entwirren und die Hufe zu säubern. Der Vorbesitzer des Wallachs war wahrlich ein Idiot gewesen. Gut, das große schwarze Tier wirkte vielleicht etwas extravagant für jemanden wie ihn, aber er hatte eine so gute Ausbildung genossen, dass seine Fähigkeiten auf dem Gut des schottischen Lairds tatsächlich verschwendet gewesen wären. Er lief ohne zu zögern durch Feuer, erschreckte sich nicht beim metallischen Klingen von Schwertern und seine Reaktion auf den lauten Knall von Pistolenschüssen waren höchstens ein missbilligendes Schnauben. Außerdem war er schnell und wendig. Und Jared hatte ein Pferd gebraucht. Schulterzuckend erinnerte er sich an den toten Laird, der nicht einmal mehr sein Schlafgemach verlassen hatte, um ihn und Daemon zu verabschieden. Vielleicht war ihre Flucht vor dem Clan etwas heikel gewesen, aber dennoch erfolgreich.
„Wer will schon in einer einsamen, langweiligen Burg sitzen, wenn es überall auf der Insel Abenteuer zu bestehen gibt, nicht wahr?", murmelte er dem Tier ins Ohr. „Vielleicht brauchst du auch noch einen anderen Namen. Black Saphire klingt ein bisschen hoch gegriffen, findest du nicht?" Er blinzelte ihm verträumt entgegen, während Jared sein Kinn kraulte. „Spanisch vielleicht. Das versteht hier keiner. Altivo. Gefällt dir das?"
Er bekam keine Reaktion.
„Ich nehme das als ein Ja. Wir sind überheblich, daran besteht gar kein Zweifel." Er musste lachen.
„Ihr seid wahnsinnig gut mit Pferden, wisst ihr das eigentlich?"
Dannielles Stimme riss ihn aus seiner einseitigen Unterhaltung mit seinem Pferd. Sie stand, in ihren dicken dunkelblauen Mantel gehüllt, am Eingang des kleinen Unterstandes und beobachtete ihn lächelnd.
„Das ist keine Zauberei, Mylady. Kommt." Er bot ihr seine Hand, die sie unsicher ergriff. Sie ließ sich von ihm an die Seite des Pferdes führen. „Keine Angst." Er drehte ihre Hand mit der Handfläche nach oben, sodass der Wallach ihren Geruch aufnehmen konnte. Das schwarze Tier atmete tief ein und aus und hob interessiert den Blick.
„Seht ihr, er mag euch." Jared ließ einen halben Apfel in ihre Hand gleiten, den er in der Tasche gehabt hatte. Altivo nahm das Obst vorsichtig mit weichen Lippen auf und kaute geräuschvoll.
Die Lady lächelte.
„Er ist so wunderschön." Anerkennend ließ sie ihre Hand über das glänzende Fell am Hals gleiten.
Jared schwieg. Das Gefühl, das ihre Haut auf der seinen hinterlassen hatte, als er ihre Hand gehalten hatte, traf ihn tief irgendwo in seinem Innern. Sie wandte den Kopf und der sanfte Duft ihres Haars erfüllte die Kälte der Luft mit einer Erinnerung an blühende Rosen. Sein Blick wurde weich.
Dann, als wurde er sich bewusst, dass er sie anstarren musste, blinzelte er. Ein spontanes Gähnen überkam ihn.
Langsam schwand ihr Lächeln. „Ich mache mich besser daran, dem Jungen Bescheid zu geben, die Pferde zu satteln. Jean-Jacques will bald aufbrechen", sprach sie mit einem Mal rauer Stimme. „Danke, Mylord." Sie lächelte höflich und schlenderte weiter auf der Suche nach dem Stalljungen.
„Bitte, Mylady", antwortete er leise. Natürlich kümmerte sich der hohe Adel nicht selbst um seine Pferde. Seine Kiefermuskulatur zuckte. Wäre Daemon hier und hätte er diesen noch länger als seinen Vertrauten anerkannt, hätte er ihn darum gebeten, ihn mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen. Er hatte keine Zeit, der Tochter einer armen Grafenfamilie vom Lande zu verfallen.
Er fluchte leise vor sich hin und beschäftigte sich damit, seinen neu getauften Altivo für die Weiterreise fertig zu machen. Er hatte nicht wirklich Lust, dem Grafen oder seiner Schwester für den Moment in die Augen zu sehen und so trödelte er etwas herum, sodass die beiden längst aufgesessen waren, als auch er sich endlich in den Sattel schwang. Dem Grafen entfuhr ein ungehaltenes: „Na endlich." Als Jared sich den beiden schließlich anschloss.
Sie ritten nach Süden, die aufgehende Sonne zu ihrer Linken. Jared versuchte, sich auf die Umgebung zu konzentrieren und nicht auf Dannielles rotes offenes Haar, das sich lang über ihren Rücken ergoss, während sie vor ihm ritt.
Die Landschaft veränderte sich nur langsam. Hier und dort wurden die weißen Hügel unterbrochen von Bachläufen, einigen Büschen und Sträuchern, die sich nach und nach zu kleinen Baumgruppen formten. Schließlich teilten sich die Hügel und gaben den Blick auf eine weite Ebene frei, die zu einer Seite mit Wald bedeckt und außerdem von einem großen Fluss durchquert wurde. Ein zugiger Windstoß ließ ihn frösteln und wehte ihm das Haar ins Gesicht, sodass er seine Kapuze aufzog, um sich vor der Kälte zu schützen.
Sie folgten dem Weg, der sie quer über die Ebene führte und schließlich an einer schmalen Brücke über den Fluss leitete. Das Gewässer hatte sich durch den Niederschlag in einen tosenden Abgrund verwandelt. Und die Brücke war so schmal, dass höchstens ein Mann sie passieren konnte. Es war nicht abzuschätzen, ob sie Reiter und Pferd gleichzeitig tragen würde. Und Umdrehen schien mit einem Pferd ganz und gar unmöglich.
Der junge Graf war abgesessen und hatte einen abgebrochenen Ast in die Fluten des Flusses getaucht. Das Ergebnis schien ihn nicht glücklich zu machen. Die Strömung war zu stark, das Wasser zu tief und zu kalt, um hindurch zu waten.
„Überqueren wir diesen Fluss, verlassen wir unser Land", sprach er laut gegen den Wind, damit jeder ihn verstehen konnte. „Die Brücke ist nicht besonders vertrauenerweckend, wir werden sie nächsten Sommer reparieren lassen. Ich spreche mit dem Lord. Es ist unsicher für jeden, der hier passieren muss." Er wollte sich umwenden, doch Jared unterbrach ihn in seiner Bewegung.
„Gibt es noch eine andere Stelle, um den Fluss zu überqueren, Mylord?", fragte er laut. Es war nicht die Brücke, die ihm Sorgen bereitete, eher beschäftigte ihn der dichte Wald auf der anderen Seite des Flusses und das dichte Gebüsch, das die letzten paar Meter beide Seiten des Weges gesäumt hatte.
„Gibt es, aber die Stelle ist zwanzig Meilen von hier entfernt. Würde uns mindestens zwei Tage kosten." Erwartungsvoll sah der junge Graf zu ihm auf. Jared hielt seinem Blick ohne Mühe stand. Er wusste, dass ein Einwand von ihm erwartet wurde. Dennoch sagte er nichts.
„Dannielle", wandte sich der junge Graf schließlich an seine Schwester, die sich zum Schutz gegen den kalten Wind fest in ihren Mantel gewickelt hatte. „Ich werde als Erster gehen, du als Zweites. Wenn es mich trägt, wird es dich zweimal tragen." Mit diesen Worten setzte er einen Fuß auf die unterste Stufe, während er sein Pferd am Zügel führte. Vorsichtig machte er einen Schritt nach dem anderen. Das alte Holz knarrte unwillig unter der ungewohnten Last, als auch das Pferd die Brücke betrat.
Halb wünschte sich Jared, dass der dicke Graf einfach einbrechen oder auf den eisbedeckten Bohlen ausrutschen würde, dann konnte er sich mit seiner Schwester davonmachen und später in aller Ruhe Daemon verprügeln.
Doch nichts dergleichen geschah.
Er beobachtete, wie Dannielles Hände gefaltet vor ihr auf dem Sattelknauf lagen, als würde sie beten, bis ihr Bruder samt Pferd heil auf der anderen Seite der Brücke angekommen war. Er hätte ihr die Frömmigkeit zu gerne ausgetrieben.
Nun war es an ihr, den Fluss zu überqueren. Elegant schwang sie sich aus dem Sattel und nahm ihr Pferd am Zügel. Die Augen konzentriert auf die Bretter vor sich gerichtet, machte sie einen Schritt nach dem anderen. Der Wind wehte ihre flatternden Röcke zur Seite, doch sie setzte ihre Füße ohne Zögern weiter.
Ein winziger Ruck durchfuhr den warmen Körper seines Pferdes und er folgte der gerichteten Aufmerksamkeit seines Tieres sofort. Jared beobachtete das Spiel der Ohren des Tieres, die sich abwechselnd nach hinten und vorne auszurichten schienen. Langsam legte er seine Hand auf seinen Schwertgriff.
„Mylady!", rief er ihr gegen den Wind an zu. „Ihr dürft euch nicht erschrecken."
Irritiert blieb sie stehen und wandte sich zu ihm um.
„Wovor sollte ich mich erschrecken?", fragte sie verwundert.
„Dannielle, mach schon, bleib nicht stehen!", Die Worte ihres Bruders ließen sie wieder in Bewegung setzen, doch in dem Moment, da sie zu ihm aufsah, erkannte sie es.
„Jean!"
Ihre Warnung kam zu spät.
Als wären sie zuvor unsichtbar gewesen, traten aus dem Wald und dem angrenzenden Unterholz plötzlich Gestalten auf den Weg und umzingelten sie. Der Schnee lag wie Flecken auf ihrer dunklen Lederkleidung und lies die Gestalten mit ihrer Umwelt verschmelzen, solange sie sich nicht bewegten.
Jared sah sich um und zählte insgesamt elf bärtige, verwahrloste Gestalten, die sie umstellt hatten, drei davon hinter ihm, auf seiner Seite des Flusses. Ihre hageren Gesichter waren vom Hunger entstellt, der wie aufgeweckte Flammen in ihren Augen brannte. Es waren allesamt Männer mittleren Alters, keine Jungen. Einem fehlte eine Hand, dem anderen ein Auge. Es waren Gesetzlose. Sie trugen keinerlei Waffen, lediglich Knüppel, Mistgabeln oder Stöcke.
Bis auf einen.
Ein stämmiger Kerl mit langem dunklem Bart und verfilzten Haaren trat an den jungen Grafen heran. Er hatte kleine Augen, die hinterlistig funkelten und grobe Gesichtszüge, die genauso viel Gewaltbereitschaft verrieten, wie die große Axt, die in seinem Gürtel steckte. Außerdem trug er eine Armbrust, in welcher ein Bolzen gespannt war, die er auf den jungen Grafen richtete.
„Seid gegrüßt, Fremde", sprach der Bärtige.
„Verdammt noch mal, was erlaubt ihr euch?", entfuhr es dem jungen Grafen.
Die Antwort der Männer war ein unsicheres Lachen. Jared beobachtete, wie manche ihre Waffen fester umfassten. Das war furchtbar! Wenn die Räuber die gräflichen Geschwister der benachbarten Ländereien entführten und auch noch begriffen, dass sich mit wenig Aufwand viel Lösegeld erpressen ließ, würde es nicht nur zu einem Zwist der Grafschaften kommen, sondern er würde auch noch Daemons Spur verlieren, wenn sein Kopf überhaupt länger als nötig auf seinem Hals bleiben würde.
„Auch euch einen guten Tag", ergriff Jared laut das Wort. „Wenn ihr so freundlich wäret, den Weg für uns frei zu machen." Es klang nicht nach einer Bitte, eher nach einem Befehl. Er würde hier und jetzt bestimmt nicht ein Opfer von Seinesgleichen werden.
Doch der Bärtige schüttelte nur überheblich den Kopf.
„Zunächst Mylord", begann er. „Sollten wir uns alle auf diese Seite des Flusses begeben. Ich sehe keinen Sinn darin, dass wir uns anschreien müssen, wenn wir auch wie zivilisierte Menschen miteinander reden können." Er winkte seinen Leuten, die den Kreis hinter Jared enger schlossen. Sein Tier blieb jedoch vollkommen ruhig.
„... Und natürlich den Weg für euch freigeben. Wir sind Hüter dieser Brücke. Wenn ihr sie überqueren und diesen Weg benutzen wollt, müsst ihr uns einfachen Landleuten lediglich ein wenig von eurem Reichtum abgeben."
„Dannielle!", bellte Jean-Jacques. Seine Stimme klang zu laut, zu nervös in Jareds Ohren. „Komm!"
Dannielle, die mit einem Mal wie vor Schreck an Ort und Stelle fest gefroren gewesen zu sein schien, setzte sich nun bei den simplen Worten ihres Bruders unsicher wieder in Bewegung. Als sie das andere Ufer samt ihres Pferdes erreicht hatte, fiel sie ihm ängstlich in die Arme. Stumm stellte sie sich neben ihn und sah zu Boden, um nicht irgendeinem der Räuber ins Gesicht blicken zu müssen, die den Kreis um sie immer enger schlossen und sie gleichzeitig weg vom Fluss drängten. Tiefer in den Wald hinein. Tiefer in ihr eigenes Gebiet. Fort vom sicheren Weg und der offenen Ebene.
Schließlich setzte sich auch Jareds Pferd in Bewegung und überquerte furchtlos die Brücke samt seines Herrn. Es hatte kaum die Hufe auf sicheren Erdboden gesetzt, als Jared sein Schwert aus der Scheide zog.
Einer der Männer hielt plötzlich ertappt in seiner Bewegung inne, als er Jareds Klinge an seinem Hals fühlte.
„Wagt es!", zischte er, „Wagt es, und ihr verliert euren Kopf!"
Erschrocken drehte Dannielle sich zu dem Gesetzlosen um, dessen Hand keine zwei Zentimeter von ihrer Schulter entfernt gewesen war. In der anderen Hand hielt er ein kleines, scharfes Messer. Es sah unschuldig aus, fast wie ein Küchenmesser. Sie hatte seine Anwesenheit nicht einmal bemerkt. Die Zügel, die sie noch immer in den Händen gehalten hatte, entglitten ihren Fingern und ihr entfuhr ein kleiner angstvoller Schrei. Hastig stolperte sie ein paar Schritte zurück und prallte gegen etwas Stämmiges. Jareds schwarzer Wallach stand ruhig wie ein Fels in ihrem Rücken, sodass sie nicht fiel, sondern die Balance behielt.
Der Anführer gab ein schallendes Lachen von sich, in das seine Getreuen unsicher mit einstimmten.
„Das wollt ihr doch nicht wirklich versuchen, oder?", fragte er erheitert. „Elf Männer gegen eine Lady und ihre Knechte? Das kann nur schlecht für euch ausgehen."
„Nun, offensichtlich habt ihr keine Ahnung, mit wem ihr es zu tun habt", sprach Jean-Jacques ungehalten an den Anführer der Räuber gewandt.
Jared schaffte es, ihm ins Wort zu fallen.
„Aber mein Herr. Wie auch ihr sind wir bloß arme Tagelöhner. Über Reichtum verfügen wir nicht, solltet ihr eure Kräfte doch eher für die nächsten Händler sparen. Da könntet ihr erfolgreicher plündern."
Der Anführer der Räuberbande sah interessiert vom jungen Grafen zu Jared, der noch immer auf seinem Pferd saß und wieder zurück.
„Warum sitzt ihr nicht auch ab, Mylord, hm? Und gesellt euch zum anderen Fußvolk." Als würde er überlegen, strich er sich mit der Hand über den ungepflegten Bart. „Und wir sind im Moment nicht besonders wählerisch. Und es interessiert uns auch nicht besonders, wer ihr seid. Im Winter gibt es nicht viele Reisende hier in dieser Gegend. Also entweder, ihr gebt uns, was wir haben wollen oder wir nehmen es uns ohne eure Erlaubnis!"
Die anderen drei Räuber hatten inzwischen die Brücke überquert und schlossen den Kreis um sie.
Missmutig atmete Jared geräuschvoll durch die Nase aus, ließ sein Schwert jedoch sinken. Es stimmte. Elf gegen drei, von denen eine auch noch eine Frau war, bedeutete einen nicht ganz fairen Kampf.
"Nun", begann Jared. „Wir können euch einen Handel vorschlagen." Er hoffte, dass ihm sogleich etwas Passendes einfallen würde, außer Dannielle an die Räuber zu verkaufen. Den fetten Grafen hätte er zu gerne gegen sein Leben eingetauscht.
Der Anführer der Räuber nickte zustimmend.
„Ich sehe, ihr versteht meine Argumente gut", antwortete er.
„Also, das geht zu weit! Was erdreistet er sich..." Die Worte des jungen Grafen waren von Ärger erfüllt und hallten im Wind nach.
Es gab ein kurzes Klacken. Dann ein surrendes Geräusch. Etwas schlug in menschliches Fleisch. Ein kurzer Aufschrei ertönte.
Dannielle beobachtete wie in Zeitlupe, wie sich die Sicherung der Armbrust löste. Die Sehne schnellte zurück und der Bolzen setzte sich drehend in Bewegung. Er befand sich nicht lange in der Luft. Er drang leicht durch feste Winterkleidung, durchbohrte Haut und Gewebe und blieb schließlich in menschlichem Knochen stecken. Rotes Blut, das auf der Kleidung so dunkel wirkte, trat hervor.
Dannielle stieß einen keuchenden Schrei aus.
„Jean!" Mit aller Kraft stieß sie die zwei Männer, die ihr im Weg standen, beiseite und ließ sich atemlos neben ihrem Bruder sinken, der zu Boden gegangen war. Der gefiederte Schaft des Armbrustbolzens steckte in seiner Leiste. Mit schmerzverzerrtem Gesicht presste er seine Hand auf die Stelle, aus der das Blut trat. Viel zu schnell und viel zu viel. Eine wichtige Arterie musste getroffen worden sein.
Dannielle wurde panisch.
„Nein! Nein, nein, Jean!" Hektisch versuchte sie die Blutung mit ihren bloßen Händen zu stoppen. Der Schnee unter ihr begann sich rot zu färben.
„Dannielle, es... Ist zu spät... Ich..." Die Farbe wich aus seinem Gesicht. „Geh... zurück... nach Hause!"
Sein Bewusstsein schwand.
Seine Augen konnten die ihren nicht länger halten.
Langsam wich die Spannung aus seinem Körper.
„Jean!", jämmerlich sank sie in sich zusammen, „Jean, verlass mich nicht, Jean!" Schluchzend krallte sie ihre mit Blut benetzten Finger in seinen Mantel, als könnte sie ihn damit hier behalten. Doch er entschwand ihr. Seine Hand auf ihrem Rücken gab die Kraft auf. Ein letzter Atemzug durchfuhr seinen Körper.
Dann Stille.
Stille, die nur von Dannielles Schluchzen durchbrochen wurde.
Lange Zeit wagte keiner der Anwesenden, die Trauer zu stören.
Ein Leben zu nehmen, war niemandes Absicht gewesen.
„Seid ihr von Sinnen, Mann!" Jareds Stimme klang klar und verärgert durch den leiser wehenden Wind.
Er hatte sich aus dem Sattel geschwungen und trat sicheren Schrittes auf den Anführer der Räuber zu, der sich in einer Art bewegungsloser Schockstarre zu befinden schien. Die Armbrust lag nutzlos neben ihm im Schnee. Sie musste ihm aus der Hand gefallen sein, als er begriffen hatte, welche Tragödie er zu verantworten hatte.
Als Jared auf ihn zu gestürmt kam, hob er nur verständnislos den Blick.
Jared schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, hielt ihn aber am Kragen fest, sodass er nicht umfiel.
Das schien zu helfen. Der Anführer der Räuber sah nicht länger durch ihn hindurch, sondern fixierte ihn mit leichtem Ärger.
„Wisst ihr, wen ihr da tot geschossen habt? Wisst ihr wessen Blut jetzt an euren Händen klebt?"
Der Räuber zog die Augenbrauen zusammen.
„Nun, ihr sagtet doch, ihr seid einfache Tagelöhner, die..."
Jared verdrehte ungeduldig die Augen.
„Na klar, und ihr seid der König von England!", antwortete er dennoch ironisch. „Das da ist der Graf von Caramount, der Besitzer all der Ländereien jenseits dieses verfluchten Flusses und der Hälfte eurer verteufelten Brücke. Und nun liegt er auf dem Land dieser Grafschaft und verblutet, während ihr seine Schwester zur Vollwaise gemacht und jeglicher Vormünder und Verwandtschaft beraubt habt!" Mit diesen Worten deutete er aufgebracht hinter sich auf die noch immer weinende Dannielle.
Der Räuberhauptmann folgte ihm mit dem Blick. Dann gab er ein unwilliges „Nein!", von sich.
„Bitte sagt mir, dass das ein makaberer Scherz ist", hauchte er kraftlos.
„Wohl kaum!"
Jared fixierte ihn mit durchdringendem Blick. Er suchte etwas in den Augen seines Gegenübers, das er nach ein paar Sekunden fand. Er zog ihn ein wenig näher zu sich heran und sprach leise in dessen Ohr.
„Wir werden ungestört reden. Eure Männer werden der Lady nichts tun, bis wir eine Lösung gefunden haben. Gebt eure Befehle."
Der Räuberhauptmann nickte, bellte ein paar Worte und winkte Jared, ihm zu folgen.
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