Kapitel 62 - Vor die Hunde
Daemon ließ sich drei Schalen voller dampfendem Eintopf auf einem Tablett reichen, ehe er sich anschickte das Essen über den kleinen Platz zurück zu ihrer Herberge zu balancieren. Die Sonne stand bereits tief. Bald würden erneut Feuerspucker und Akrobaten die Stadt und den Jahrmarkt mit ihren Fertigkeiten unterhalten. Unter dem Baldachin einer gut besuchten Taverne begann soeben ein Jongleur drei bunte Bälle in die Luft zu werfen und eine Gruppe Männer schien so abgelenkt, dass es für ihn ein Leichtes war, nach einer unbeaufsichtigten Flasche zu greifen und diese seinem Tablett hinzuzufügen. Die Flasche war noch mehr als halb voll. Kurz roch er daran, dann probierte er einen Schluck. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er den trockenen Rotwein über seine Zunge gleiten ließ. Die Franzosen hatten ein Händchen für alkoholische Köstlichkeiten, das musste man ihnen lassen. Jared würde sich freuen, wenn er ihm zu seiner Henkersmahlzeit auch noch einen edlen Tropfen kredenzen konnte.
Daemon war eigentlich fest davon überzeugt, dass sein Freund es irgendwie schaffen würde, das morgige Duell zu überstehen. So wie er es immer schaffte, sich aus einfach allem herauszuwinden. Sein Lieblingsbastard war ein so zäher Bursche, der dem Tod bereits durch bloße Willenskraft von der Schippe gesprungen war. Doch trotz alledem konnte es nicht schaden, wenn er für alle Eventualitäten gerüstet war.
Ein trüber Schatten des Bedauerns überkam Daemon, als er dem Mädchen an der Bar ihrer Herberge zuzwinkerte und realisierte, dass sein Freund womöglich von dieser Erde scheiden würde, ohne dass er bei Dannielle gelegen hätte.
Er hatte Jared schon oft mit einem Mädchen gesehen, und immer waren es die schönsten, außergewöhnlichsten oder unerreichbarsten Frauen, an die sein Herz (oder andere Teile von ihm) sich band. Oder die Verrücktesten. Wenn der Teufel mit seinem Freund tanzte, tat er bisweilen die absurdesten Dinge. Daemon erinnerte sich an den Herbst im letzten Jahr, als sie eine Weile in einem sehr seltsamen Bordell in England verbracht hatten. Es hatte keine alte Hure gegeben, die sich als Zuhälterin um die Mädchen gekümmert hätte. Und hilfsbereit, wie sie eben waren, waren er und Jared aufopfernd eingesprungen. Das Geschäft hatte floriert und Jared hatte sein Herz an eines der Mädchen verschenkt, deren Geist in den Wolken weilte. Zumindest hatte sie sich selbst so bezeichnet. Daemon hätte sie eher irre genannt. Sie war bildschön gewesen, das stand außer Zweifel.
Jedenfalls hatte Jared sich tagelang mit ihr in einem Zimmer eingeschlossen und war nur herausgekommen, um ab und an etwas zu Essen zu holen. Nackt. Danach war es Daemon schwergefallen, den Geist seines Freundes auch wieder aus dem Wolkenreich herauszuholen. Manchmal schien es ihm, als wäre ein sehr wichtiger Teil dort oben geblieben.
Doch dieses Mal war es etwas anderes, das spürte er.
Er fragte sich, ob Dannielle an Jared ebenso interessiert war wie er an ihr. Eigentlich ging er stark davon aus, dass Jared sie früher oder später ohnehin verführen würde. Er bewunderte seine Hartnäckigkeit und Geduld.
Noch nie hatte er so lange auf ein Mädchen gewartet, oder zumindest wusste er nicht davon. Er war sich inzwischen ziemlich sicher, dass Jared sich nicht nur selbst etwas beweisen wollte. Es mochte vielleicht so angefangen haben, doch inzwischen steckte weit mehr dahinter.
Er und Jared hatten es mit den Frauen noch nie wirklich ehrlich gemeint, egal, wie oft sie ihnen schon die Treue geschworen hatten. Für Daemon selbst war das vollkommen absurd. Er fragte sich, ob es nicht doch etwas abwegig war, gleich von so etwas Weltbewegendem wie Liebe zu sprechen. Oder war es etwa doch schlimmer, als er erwartet hatte?
Er schob sich, ohne einen Tropfen zu verschütten, die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf und drückte die Klinke hinunter.
„N'Abend!", begrüßte Daemon die beiden fröhlich, dann erstarrte er.
Jared stand da und hielt Dannielle in seinen Armen, die sich eng an ihn schmiegte. Ihre Lippen berührten sich und beide hielten die Augen geschlossen. Daemons Mund klappte auf und er hatte das dringende Bedürfnis, im Erdboden versinken zu wollen. Dannielle zuckte zusammen und brachte hastig ein paar Schritte Entfernung zwischen sich und ihren Dieb. Unsicher begann sie, mit den Händen durch ihre Haare zu fahren.
„N'Abend!", wiederholte Daemon matt. Sein Blick glitt zu Jared, der aussah, als würde ihm der Verlust Dannielles aus seinen Armen körperliche Schmerzen bereiten. Dann wandelte sich sein Ausdruck in etwas anderes, das Daemon als pure Mordlust betitelte, sodass es ihm eiskalt den Rücken hinunter lief. Jared würde ihn umbringen... Wie konnte er das nur wieder gut machen? Nervös stand er da und wusste nicht, was er sagen sollte. Dann erinnerte er sich, dass er ein Tablett voll Essen in den Händen hielt.
"Ihr solltet etwas essen. Alle beide!" Hilflos stellte er das Tablett auf dem Tisch ab, griff nach der Flasche und nahm einen Schluck aus ihr, ehe er sie an Jared weiterreichen wollte. Doch sein Freund ignorierte seine angebotene Geste und bediente sich stattdessen an einer der vollen Schalen, aus der es noch immer dampfte, welche er an Dannielle weiter reichte.
Auch Daemon griff nach seinem Gericht. Unangenehmes Schweigen erfüllte den Raum und überlagerte Daemons geräuschvolles Mahl. Selten waren ihm seine Essgeräusche so laut und penetrant vorgekommen, bis er sich hustend an einem Stück Zwiebel verschluckte. Während die Lady noch immer aussah, als würde sie vor Scham im Erdboden versinken wollen, beobachtete Daemon sie heimlich, wie sie abgelenkt in ihrem Gemüse herumstocherte. Sie biss sich auf die Lippen. Dann warf sie Daemon einen hilflosen und verzweifelten Blick zu.
Daemon begriff schnell. Die Lady musste entgegen Jareds Wunsch von seiner morgigen Konfrontation erfahren haben.
„Wann?", fragte er tonlos, „Soll ich mitkommen?"
Daemon realisierte, wie die Lady schockiert von ihrem Gericht abließ.
„Um neun!", antwortete Jared und fügte hinzu: „Wenn du es schaffst, so früh aufzustehen." Daemon entging nicht, wie hilflos der Versuch seines Lächelns war.
„Für dich, mein Freund, tue ich das. Und..." Er hob den Finger, um seinen folgenden Worten mehr Nachdruck und Wichtigkeit zu verleihen: „Und ich lasse heute Abend die Mädchen der Stadt in Ruhe, damit ich nicht doch in Versuchung komme, die Nacht durchzumachen!"
Er schenkte Jared ein aufmunterndes Lächeln und bedeutete auch Dannielle mit einem Blick, dass alles gut werden würde. Sie sah jedoch keineswegs beruhigt aus.
"Das meint ihr doch beide wohl nicht ernst!", warf sie ein. Ihre Stimme überschlug sich. Daemon kam es so vor, als hätte sie kaum zugehört. "Zum einen sind Duelle verboten, was, wenn ihr erwischt werdet? Und zweitens: Du weißt, dass du morgen deinem Gegner bei weitem überlegen sein müsstest, um nicht bereits an deinen Verletzungen zu scheitern. Du konntest gestern kaum selber laufen und morgen willst du jemanden mit deinem Schwert ermorden. Ich..."
„Keine Angst, ich werde Euren Dieb nicht einfach vor die Hunde gehen lassen!", versicherte er der Lady zuversichtlich.
"Das ist doch überhaupt nicht was ich meine, euer ganzes Vorhaben ist dermaßen..."
Jared fiel ihr ins Wort.
„Fahr zur Hölle, Daemon! Es ist nur ein blödes Duell! Außerdem ist es das Allerbeste, was uns passieren konnte."
Daemon entging seine Atemlosigkeit nicht, auch wenn sein Freund versuchte, es hinter normalen, aber kurzen Sätzen zu verbergen.
Jared stellte seine leere Schale beiseite und nahm sich sein Schwert und einen Schleifstein aus seiner Tasche und machte sich daran, seiner Waffe einen schärfenden Schliff zu verpassen. Das monotone Geräusch von Stein auf Metall erfüllte den Raum und legte sich unter ihre Konversation.
Daemon nickte zustimmend.
„Viel besser, als hätte er uns angeklagt. Nun legst du ihn einfach um und wir sind das Problem ein für alle Mal los." Er hob fröhlich die Hände. „Er hätte auch mit der ganzen Stadtwache vor unserer Tür stehen können, dann hätten wir alt ausgesehen, mein Bester! Obwohl ich daran interessiert wäre, seine Schwester noch einmal zu sehen. Vielleicht können wir sie besuchen, nachdem du morgen gewonnen hast, hm?"
„Glaubt ja nicht, dass auch nur einer von euch mich noch ein einziges Mal in ein Kloster bekommt!" Jareds Kiefer zuckte bei seinen Worten, als müsste er sich anstrengen, die Worte durch zusammengebissene Zähne hervorzubringen.
Daemons Lippen formten ein stummes Oh, woraufhin Jared nachsetzte. „Du hast es doch auch mitbekommen. Sie ist ins Kloster gegangen. Nachdem du ihr Leben zerstört hast und ich Maurice..." Als würde er sich plötzlich daran erinnern, dass Dannielle auch mit im Raum war, unterbrach er sich selbst. Doch Dannielle schien bereits genug gehört zu haben.
"Dann ist es also wahr. Der Herr und seine Schwester sind einst ein Opfer eurer Diebstähle geworden und es traf ihn so tief, dass er persönliche Rache der gesetzlichen Rechtsprechung vorzieht", fasste sie zusammen. "Und ihr glaubt, dass euch das in die Hände spielt." Kopfschüttelnd stellte sie ihr Essen beiseite.
Daemon nickte grimmig.
Sein Freund sah von seiner Arbeit auf.
"Dannielle, es gibt kein Gesetz, das jemals die Wahrheit zu unseren Gunsten verbiegen kann."
Daemon nickte erneut seine Zustimmung.
"Erinnert Ihr Euch an das, was ich Euch über das Glück des Teufels gesagt habe?" Er beobachtete, wie sie die Lippen zusammenpresste. Aufgelöst rang sie sich zu einem Nicken durch.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro