Kapitel 54 - Mit den Waffen einer Frau
Liebste Leserschaft, willkommen im zweiten großen Abschnitt dieser Geschichte. Ab hier (noch nicht in diesem Kapitel aber kurz darauf) kommt es zu nicht jugendfreien Handlungen, wie auch zu sehr brutalen und blutigen Szenen. Triggerwarnungen kündige ich an. Hiermit seid ihr gewarnt. Viel Spaß.
***
Irgendwo in Frankreichs Süden, drei Jahre zuvor:
Daemon erinnerte sich noch genau an Jareds Worte, die dazu geführt hatten, dass das Unglück seinen Lauf nahm. Eigentlich waren es unschuldige Worte. Er hatte Daemon gefragt, ob er nicht lieber in einem richtigen Bett schlafen wollte, anstatt einmal mehr in einem Stall, in dem es von der Decke tropfte und nach Schweinemist stank.
Daemons offensichtliche Antwort hatte bewirkt, dass sein Freund sich größte Mühe gegeben hatte dem Franzosen ein guter Freund und Zuhörer zu sein, der zuvor von irgendeinem Mädchen verlassen worden war. Doch eigentlich hatte Jared nur der offensichtlich prall gefüllten Geldbörse des jungen Mannes Aufmerksamkeit geschenkt. Nach einigen Stunden nahezu unerträglicher Heulerei hatten die drei Männer beschlossen den Abend vom Wirtshaus ins Anwesen des Franzosen zu verlagern. Natürlich nur, damit sie aus Nächstenliebe handelnd sicher sein konnten, dass der arme Tropf sicher zu Hause ankam und nicht unterwegs in seinem unzurechnungsfähigem Zustand von Dieben oder Schlimmerem überfallen wurde.
Daemon schüttelte unentwegt den Kopf, während Jared das Blaue vom Himmel log, doch dem Franzosen fiel in seinem umnebelten Zustand nichts Seltsames auf.
Als sie das Anwesen des Franzosen erreichten, blieb Daemon der Mund offen stehen. Der Kerl war stinkreich.
Es dauerte nicht lange und sie hatten außerdem die junge Schwester des Franzosen auf ihrer von Fürsorge und christlicher Nächstenliebe geprägten Seite, die ihnen einen trockenen Schlafplatz und ein reichhaltiges spätes Nachtmahl anbot, das sie dankend annahmen.
In der folgenden Woche freundeten sie sich an, tranken und aßen miteinander, halfen im Hof und bewunderten die Gemälde, Einrichtungen, Wandteppiche, die umliegenden Berge, die voller Weinreben hingen und alle Dinge, die Maurice und seine Schwester Amelie ihnen zeigten. Als Jared schließlich offenbarte, dass sie Angehörige eines unbedeutenden, wenn auch wohlhabenden englischen Adelsgeschlechts waren und quasi auf der Suche nach einem vielversprechenden Handelspartner nach Frankreich gekommen waren und dass ihre Suche womöglich bald zu Ende sein mochte, war der Franzose nicht mehr zu halten gewesen. Ohne eine weitere Frage zu stellen, bot er Daemon zur Besiegelung ihres Bundes seine Schwester mit einer riesigen Mitgift zur Frau an. Daemon hatte nur die Hälfte verstanden, auf Jareds Drängen hin jedoch schließlich eingewilligt.
Daemon vollzog die Ehe, noch bevor diese geschlossen worden war und Jared ihn davon hatte abhalten können. Jared verfluchte seinen Freund und raufte sich die Haare, als er erfuhr, dass Daemon seinen Plan in überaus unschicklicher Weise sabotiert hatte. Sie machten sich mit einem ansehnlichen Teil der Mitgift in der darauf folgenden Nacht aus dem Staub.
***
Brest, Heute:
„WAS? Schon wieder Entkommen? ENTKOMMEN sagst du?"
Der Söldner verbeugte sich stotternd und nestelte an der Naht seines Ärmels herum, während er antwortete.
„J... jah, Seigneur. D.. der eine hatte ein M... Messer und hat Eure Tochter bedroht..."
„Ach verschwinde! Ich kann solche Versager wie dich nicht länger ertragen!" Erbost wedelte er mit seiner Hand, als wolle er den Kerl verscheuchen, wie eine lästige Fliege.
„Sicher... W... Wenn Ihr mir noch erlauben würdet zu sagen..."
„RAUS!!!"
Ermüdet von so viel Unfähigkeit seiner Handlanger massierte er sich die Schläfen. Was war sein Fehler gewesen, dass man sie nicht zu ihm zurückbringen konnte? Hatte er ihnen zu wenig Geld angeboten? Hatte er die Entführer unterschätzt?
Nein nein, sicherlich nicht! Es waren ganz gewöhnliche Entführer. Etwas wie Assassinen oder der Gleichen gab es hier nicht. Nicht, ohne dass er davon in Kenntnis gesetzt worden wäre. Seufzend trank er einen Schluck des Hochprozentigen aus seinem Glas und stellte es auf dem Stapel Hinrichtungen ab, die seiner Zustimmung bedurften. Mit ruhigen Fingern griff er nach einer Feder, tauchte sie in das Tintenfass und begann seinen Namen inbrünstig auf jedes einzelne der Dutzend Pergamente zu setzen.
Lösegeld würde wohl nicht mehr gefordert werden, dafür war schon zu viel Zeit vergangen. Anscheinend wussten die Diebe von dem Reichtum, den sie besaßen, besaßen sie doch seine Tochter. Er würde sich der Sache selbst annehmen müssen, wie es schien. Soweit hätte er es niemals kommen lassen sollen.
***
Tag für Tag ritten sie weiter Richtung Süden an der Küste entlang. Mal durch Wälder oder Felder oder offenes Land.
Sie hatten an den Türen von Bauernhöfen gebettelt, nachdem die Vorräte aufgebraucht waren und hatten ihre restliche Habe gegen Geld, Unterkunft und Essen eingetauscht. Sie waren nicht immer höflich empfangen worden. Sie hatten Fallen gelegt und auf Wurzeln herumgekaut und einmal hatten sie es sogar geschafft ein paar Forellen aus einem kleinen Weiher zu fischen. Jared und Daemon waren nicht trocken davon gekommen und Dannielle hatte vor lauter Lachen Bauchschmerzen bekommen.
Jared hätte sich nur zu gerne in eine größere Stadt begeben, um nach der Herkunft des Wappens zu forschen, das er immer noch bei sich trug. Er betrachtete es oft stundenlang und suchte nach einem Hinweis, der womöglich auf dem Stückchen Pergament zu finden war, doch vergebens.
Die Tage reihten sich zu Wochen, die Wochen bald zu einem Monat und noch mehr Zeit verstrich, bis sie sich endlich wieder in die Nähe von größeren Städten trauten. Es wurde wärmer, die Nächte weniger eisig und die Natur um sie herum wimmelte voller nicht menschlichem Leben.
Eines Morgens weckte ihn Daemon und das nicht gerade sehr sanft. Er trat ihn leicht in die Seite und als er seine Augen öffnete, erkannte er ein Plakat, dass Daemon ihm direkt vor die Nase hielt.
Verschlafen rieb er sich die Augen und gähnte.
"Was zur Hölle?", fragte er, als sein Blick von Daemon zu Dannielle glitt. Beide seiner Gefährten trugen das gleiche aufgeregte Grinsen auf den Lippen.
"Wir wollen dahin! Ob du willst oder nicht!", erklärte Daemon und schob das Papier ein weiteres Mal nachdrücklich unter seine Nase, sodass er nicht umhin kam es sich anzusehen. Es zeigte einen jonglierenden Narren, feuerspuckende Hähne und einen Bären mit einem albernen Hut, der auf einem roten großen Ball tanzte.
Jared hob eine Augenbraue.
"Ein Jahrmarkt? Wo habt Ihr das her?"
Es musste inzwischen Ende Mai sein. So lange hatten sie sich abseits der Zivilisation versteckt und den Standort gewechselt, dass ihm das Zeitgefühl abhandengekommen war.
"Klebte an einem Baum am Weg dahinten", antwortete Daemon. "Dannielle hat es gefunden."
Die Lady setzte sich an seine Seite.
"Meint Ihr nicht, dass wir es wagen könnten? Wir sind so weit gereist. Und wir werden zu jedem Moment achtsam und vorsichtig sein und nach Steckbriefen Ausschau halten!", schlug sie vor. "Außerdem wäre es eine gute Möglichkeit unsere Vorräte aufzufüllen."
Jareds Blick fiel auf ihre Hand, die auf ihrem leeren Bauch ruhte. Er hatte selbst Hunger.
„Wieso fragt Ihr mich überhaupt, Ihr macht beide doch ohnehin, was Ihr wollt! Also wo ist das?"
„Nicht weit. Die Stadt ist höchstens eine Stunde entfernt!", unterrichtete ihn Daemon stolz.
Dannielle war indessen aufgesprungen und klopfte sich den Staub vom Kleid, ehe sie ihm eine Hand reichte. Jared ließ sich bereitwillig von ihr auf die Beine ziehen.
Es dauerte nicht lange, ehe sie sich samt ihrer drei Pferde auf dem Weg befanden, der sie zur Stadt führen würde.
Immer mehr und mehr Leute aus den umliegenden Bauernhöfen schlossen sich ihres Weges an. Dannielle grüßte einige von ihnen höflich und Jared beobachtete erleichtert, dass sich in keinem der fremden Gesichter Misstrauen oder gar Argwohn abzeichneten.
Er musste sich eingestehen, dass das Leben auf der Straße das Äußere seiner Lady extrem verändert hatte. Das wenige Essen hatte sie an Gewicht verlieren lassen und auch wenn sie sich Mühe gab, nicht ganz so heruntergekommen auszusehen, wie er und Daemon war ihr Kleid zerrissen und schmutzig und ihre wilden roten Locken waren teilweise nicht mehr zu bändigen.
Aber auch ihr Wesen hatte sich gewandelt. Sie lachte viel mehr und erschien Jared auf eine erleichternde Weise zufriedener, als er sie je gesehen hatte, auch wenn er sich das manchmal nicht erklären konnte. Wie viel hätte er schon für ein Bett mit Federkissen und ein warmes Feuer im Kamin und ein leckeres Essen gegeben. Sein Blick fiel auf den Saum von Dannielles blauem Wollkleid, der vor Schmutz starrte, zu dem dunklen Fleck an ihrem Ärmel, mit dem sie ihr Blut von ihrer Kehle abgewischt hatte, als er sie verletzt hatte...
„Ihr bekommt ein neues Kleid!", entfuhr es ihm kurzentschlossen.
"Was bitte?" Die Freude in ihrer Stimme überstrahlte sogar das Funkeln ihrer Augen. Doch allzu bald verflüchtigte sich ihr Glück und wurde überlagert von Wehmut. "Nein, das geht nicht. Ich war nie eine gute Näherin und Zeit habe ich dazu schon gar nicht, und erst recht kein Geld, um Stoffe zu kaufen", erklärte sie auf seinen fragenden Blick hin.
„Papperlapapp! Wenn wir da sind, begebt Ihr Euch zu einer Näherin und lasst Euch eines anpassen..."
Sie nickte, als wollte sie seine Worte durch ihre Zustimmung abschütteln. Dann entfuhr ihr ein erheitertes Seufzen.
„Ich glaube eher als ein Kleid könnte ich einen Kamm gebrauchen oder ein Tuch, unter dem ich die hier verstecken kann!" Zum Beweis hielt sie Jared eine Haarsträhne entgegen.
Er grinste amüsiert.
„Ihr könntet sie abschneiden!"
Als könne er in jedem Moment ein Schwert oder seinen Dolch zücken und seinen Vorschlag in die Wirklichkeit umsetzten.
„Ich würde Euch eher umbringen!", entgegnete sie mit einem freundlichen Lächeln, das ihre Worte Lügen strafte.
„Ihr habt schon einmal versucht mich umzubringen und es ist Euch nicht gelungen, wie also wollt Ihr es diesmal anstellen?"
„Mit den Waffen einer Frau!", erwiderte sie in einem seltsamen Tonfall, ehe sie ihrem Pferd die Sporen gab und ihn und Daemon überholte.
Jared hingegen begab sich an Daemons Seite, der zufrieden lächelnd auf seinem Pferd dahin trottete.
„Meinst du, jemand wird dort sein?", fragte er in einem beiläufigen Tonfall, als würde er übers Wetter plaudern. Sie kamen an immer mehr Leuten vorbei, die ebenfalls auf dem Weg in Richtung Jahrmarkt waren. Daemon schüttelte abwesend den Kopf, als er eine Frau mit langen blonden Haaren anlächelte.
„Entweder, sie haben uns aufgegeben oder sie planen einen Anschlag!" Damit gab er seinem Pferd die Sporen und folgte Dannielles Beispiel.
Jared nickte. Man würde nicht wieder den Fehler begehen und versuchen, sie auf offener Straße anzugreifen. Viel wahrscheinlicher war, dass man versuchen würde, sie in eine Falle zu locken.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro