
Kapitel 48 - Eingeweidesuppe
Noch vor Morgengrauen hatte es schließlich aufgehört zu regnen. Die klare Sicht war gehindert durch Nebel, der über Nacht aufgezogen war. Das einsame Fischerdorf war in eine stille Atmosphäre gehüllt. Der trübe Dunst schien alle Geräusche bis auf das stete Rauschen der Wellen zu ersticken. Das alte Holz des Stegs knarrte gereizt unter Daemons Schritten, als er sich zu Dannielle begab, die sich am Ende des Weges niedergelassen hatte und verträumt in das endlose Grau hinaus starrte.
Als sie seiner Schritte gewahr wurde, wandte sie sich um. Schreckhaftigkeit lag in ihren Bewegungen, doch der pure Horror, der sich zunächst auf ihrem Gesicht abgezeichnet hatte wich Erleichterung, als sie realisierte, wen sie vor sich hatte.
Daemon fragte sich für einen Moment, ob es Jared oder Tenebros potenzielle Anwesenheit war, dir ihr das Grauen aufs Gesicht gezaubert hätte und entschied sich sodann nicht weiter über diese Frage nachzudenken. (Da er die Antwort, so eindeutig wie sie war, nicht wissen wollte.)
"Kommt ihr dann? Wir wollen weiter!", sprach er gestellt fröhlich und reichte ihr die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Seine Bewegungen waren überschwänglich und er versuchte das nervöse Zittern und die rastlose Eile in übertriebener Motivation zu verbergen.
Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, Tenebros allein mit ihrem Pferd an der Scheune zurückzulassen.
Er hatte keine Ahnung wo Jared sich herumtrieb oder wo jener die Nacht verbracht hatte.
Es behagte ihm erst recht nicht, nicht zu wissen, ob und wann sein Freund wieder zu ihnen stoßen würde und er hatte keinen blassen Schimmer, wie er einen weiteren Mordanschlag auf den Iren verhindern sollte.
Und am allerwenigsten gefiel ihm die Vorstellung, dass Tenebros seine unausgesprochenen Drohungen wahrmachen würde.
Nachdem dieser ihn im Norden Englands dazu gebracht hatte, seinen Freund in eine Falle zu locken, war sein Abschwören dieser Freundschaft und treue Gefolgschaft seinerseits eine der wenigen Bedingungen gewesen, die der Ire ihm gestellt hatte. Dass er sich nun allerdings Jared wieder angeschlossen hatte, alle Schwüre über den Haufen geworfen und dem Dieb auch noch dabei geholfen hatte, die Tochter des Herzogs aus dem Schloss ihres Vaters zu rauben stand ganz sicher nicht auf der Liste der Dinge für die man einen Orden von dem Iren erhielt. Eher das Gegenteil war der Fall.
Daemon wagte es sich kaum einzugestehen, aber er fürchtete den Iren. Er fürchtet seinen Einfluss, seine Macht, seine manipulativen Absichten und seine Verbindungen.
Daemon biss hart die Zähne zusammen.
Vielleicht sollte er Jared einfach gewähren lassen, sodass sie sich des Iren entledigen konnten.
Vielleicht sollte er ihn dabei unterstützen.
Vielleicht wären sie dann ein großes Problem für immer los.
Nur dazu musste Jared ihm zuhören und nicht unbedacht mit seinem Schwert auf ihn losgehen in einer Scheune, in der Blut unmöglich zu verbergen und ein Leichnam noch unmöglicher zu beseitigen wäre.
Er rieb sich mit der Hand über die Stirn. Er stand vor einer nicht lösbaren Aufgabe.
Daemons Blick fiel auf Dannielle, die neben ihm ging und in ihm formte sich eine ganz andere Idee.
Sie bogen um eine Ecke und Daemons Blick fiel auf Jareds Gestalt. Und als er die Stimme des Iren aus dem Inneren der Scheune erklingen hörte, erlaubte er sich ein erleichtertes Ausatmen.
Mit einem Blick auf Jared legte er zwei Finger an die Lippen.
Reden.
Jared ignorierte sowohl seine Geste, als auch die Worte des Iren. Er sah überaus gelangweilt aus. Als würde ihn all das gar nichts angehen, als würde sich seine trügerisch desinteressierte Aufmerksamkeit nicht vollständig auf Tenebros fokussieren. Auch wenn er sich größte Mühe zu geben schien sein Unbehagen zu verbergen. Daemon hätte es ihm beinahe abgenommen.
Er spürte seine Anspannung, seinen konzentrierten Gesichtsausdruck, seine Hand ruhte wie beiläufig auf dem Griff seines Schwertes.
Tenebros hingegen packte höchst selbstzufrieden seine Habe zusammen.
Daemon klatschte ein paarmal auffordernd in die Hände, um sich die Aufmerksamkeit aller zu sichern.
"Also, werte Lords und Ladys", begann er. "Wir werden in Kürze aufbrechen und damit es auf unserer Reise zu keinen Reibereien kommt, schlage ich Folgendes vor: Da wir nur über zwei Pferde verfügen..."
Er kam nicht einmal dazu seinen Plan zu kredenzen. Tenebros fiel ihm sogleich ins Wort.
„Mein Pferd bekommt Ihr gewiss nicht!", schimpfte er. „Aber wenn die Lady euretwegen laufen muss, stelle ich ihr natürlich mein Pferd zur Verfügung! Wie könnt Ihr einer Herzogstochter nur ein Pferd ohne Sattel anbieten! Es gehört sich vorne und hinten nicht. Nicht einmal ein ordentliches Frühstück könnt Ihr bereitstellen, geschweige denn eine angemessene Unterkunft. Und von Eurem Verhalten muss ich gar nicht erst anfangen." Er bedachte Jared mit einem vernichtenden Blick, den dieser voller Verachtung erwiderte.
"Mylord Tenebros." Seine Stimme klang beinahe mitleidig, als hätte der Ire den Sinn des Lebens nicht verstanden. "Wie Ihr doch sicher wisst, sind unsere Mittel aufgrund der offensichtlichen Umstände begrenzt, an denen Ihr nicht unschuldig seid. Wenn Ihr so viel Wert auf die Umsetzung des Standes legt, müssen wir darauf bestehen, dass Ihr Euch finanziell daran beteiligt. Auch ein einfacher Söldner, wie Ihr es seid, ist sicher kein angemessener Umgang für eine Lady." Er wedelte mit seiner Hand in Tenebros Richtung und legte so viel Geringschätzung in seine Geste wie ein König gegenüber eines Leibeigenen.
„Die Umstände habt Ihr allein zu verantworten!", sprach der Ire mit Bitterkeit in der Stimme, als würde er wahres Bedauern ausdrücken, dass er Dannielle für den Moment nicht die Annehmlichkeiten bieten konnte, die sie verdient haben mochte. "Uns ist doch beiden bewusst, dass unsere Antipathie auf Gegenseitigkeit beruht. Dann stelle ich der Lady bereitwillig mein Pferd zur Verfügung, da Ihr es ja anscheinend vorzieht, die Schuld bei anderen zu suchen, anstatt diesen Missstand zu beheben!" Tenebros bot Dannielle seine Hand um ihr in den Sattel zu helfen. Ob sie lieber Laufen oder Reiten wollte, fragte er nicht.
Daemon beobachtete ein wenig ratlos, wie sie die Lippen aufeinander presste ohne etwas zu sagen. Sie mied ihrer aller Blicke und fügte sich scheinbar stumm in das Schicksal, das Tenebros für sie ausersehen hatte. Dann wandte er sich Jared zu, der die Lady mit einem ebenso finsteren wie sehnsuchtsvollen Blick bedachte.
Er warf auch ihrem Pferd die Satteltaschen über, ehe sie sich in Bewegung setzten, um dem Dannielle-Tenebros-Gespann zu folgen.
Der Nebel hatte sich inzwischen etwas gelichtet und vereinzelt schien es, als würde die Sonne ihre Fühler durch die dicke Wolkendecke strecken wollen.
„Ich werde mir ein Messer nehmen...", begann Jared schließlich, als er langsam neben Daemon hinter den beiden her schritt, „Oder, nein, besser einen Löffel. Und du wirst mich nicht aufhalten, nicht noch einmal."
"Warum zur Hölle einen Löffel, Jared?"
Für den Augenblick einer Sekunde erkannte Daemon Überraschung in seinem Gesicht, als wäre es ihm nicht bewusst gewesen, dass er sein Verlangen laut ausgesprochen hatte.
"Ein Löffel ist stumpf, also tut es mehr weh, wenn ich ihm damit die Eingeweide aus dem Bauch schneide."
Daemon versuchte nicht zu lachen. Es gelang ihm kaum.
"Eingeweidesuppe, Jared. Köstlich. Ich sage doch, du kannst nicht kochen. Lass es einfach!"
Der finstere Blick verschwand für einen Augenblick und machte einem verkniffenen Geräusch Platz, das entfernt an unterdrücktes Lachen erinnerte. Allerdings nur kurz.
Daemon atmete auf. Es gab noch Hoffnung für seinen Freund.
"Du wolltest reden?", fragte Jared schließlich leise, als ein paar Meter Abstand zwischen ihnen und Tenebros entstanden waren.
Daemon nickte.
Das geheime Zeichen für Reden waren zwei an die Lippen gelegte Finger.
"Lass uns Möglichkeiten abwägen", begann er. "Ich verstehe, dass du ihn gestern Abend meucheln wolltest, aber der Ort..." Er schüttelte den Kopf. "Zu auffällig. Nicht mit einer Horde Söldner, die das Land nach uns durchsucht. Irgendwo im einsamen Wald, ja, aber das müssen wir besser planen."
Zu seiner Erleichterung nickte sein Freund.
"Verflucht noch mal. Was tut er überhaupt hier? Allein? Ihn hat doch der Herzog geschickt, oder?"
"Das fragen wir uns alle drei." Daemon kratze sich am Kinn. "Glaub mir, deine Lady ist auch nicht begeistert von seiner Anwesenheit. Ich weiß, es tat mir in der Seele weh, aber wenn wir ihn gestern Abend hätten gehen lassen, wäre er doch schnurstracks zum Herzog gelaufen und hätte unseren Aufenthaltsort verpetzt. Wir dürfen ihn nicht mehr gehen lassen. Nicht mehr lebend."
Jared nickte grimmig.
"Und er weiß das", führte er Daemons Gedankengang fort. "Er weiß in was für einer Gefahr er schwebt und Dannielles Anwesenheit ist das Einzige, was uns davon abhält, ihn über die Klinge springen zu lassen. Er rechnet damit. Er wird sich mit ihr umgeben, sodass wir nicht an ihn allein herankommen."
"Er ist wie eine weitere Geisel, verflucht noch mal. Eine, die es unübersichtlich macht und Brotkrumen verteilt, wenn wir nicht aufpassen, damit jemand anderes uns finden wird."
Erleichtert stellte Daemon fest, dass Jared ihm glaubte. Dass seine einzige Motivation den Iren nicht gehen zu lassen, ihrer aller Sicherheit vor dem Herzog war.
Dass es noch eine weitere Möglichkeit gab, die sich ihm gestern offenbart hatte, sich nicht nur des Iren, sondern auch Dannielles zu entledigen, behielt er für sich. Er hoffte, Tenebros würde seinem Vorschlag später zustimmen.
Er musste Tenebros helfen, Dannielles Interesse für ihn zu wecken, dann würden irgendwann alle glücklich sein.
Dannielle hätte jemanden, der auf sie achtete, Tenebros hatte eine wunderschöne Gefährtin, er selbst hätte seine Schuld bei Tenebros beglichen und hätte seinen Freund zurück und Jared... Er würde Jared ein ebenso schönes Mädchen besorgen, welches ihn Dannielle vergessen ließ. Die Welt wäre wieder normal! Daemon musste bei diesem Gedanken lächeln, sein altes Leben wieder aufnehmen zu können, jetzt musste er sich nur noch einen Plan überlegen, wie es ihm gelingen könnte, seine Vorstellung zu realisieren.
Er war eigentlich kein eifersüchtiger Mensch und er hatte im Grunde genommen auch nichts gegen Dannielle oder irgendeine andere Frau, doch die Art wie sie Männer veränderten, die Art wie Dannielle Jared veränderte, gefiel ihm nicht.
Daemon hatte ein schlechtes Gewissen.
Und gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er das nur zu Jareds Bestem tat. Wenn Dannielle mit Tenebros fort war, würde er seinen alten Freund wiederbekommen.
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