Kapitel 47 - Eine unbeglichene Rechnung
TW: Gewalt
Nachdem sie den kleinen Kahn wieder seinem blinden Besitzer überantwortet hatten und wieder und wieder versichert hatten, dass sie weder ein Leck am Kiel noch Risse im Segel verursacht hatten, war es Dannielle gelungen ihn zu überreden, dass sie in der Scheune eines Verwandten übernachten durften. Es war zwar nicht gerade komfortabel, aber um Welten besser als ihre letzte Unterkunft, die keine gewesen war.
Die beiden Diebe waren losgezogen, um noch eine Kleinigkeit zu Essen zu besorgen. Zumindest waren das Daemons Worte gewesen. Dannielle war inzwischen so ausgehungert, dass sie hoffte, es würde sich eher um Sie würden plündern, was immer der Ort für ein Festschmaus hergeben mochte, handeln würde. Jareds Hand hatte in einem stummen Versprechen die ihre berührt. Seine Finger hatten sich für die Dauer eines Atemzugs mit den ihren verschränkt und seine Mundwinkel hoben sich in einem Lächeln, das nur ihr gehörte.
Zufrieden lächelnd betrachtete sie einen großen Haufen Heu, der im Licht der kleinen Laterne regelrecht einladend aussah, als sie eine dunkle, vertraute Stimme vernahm.
„Nicht gerade angemessen für eine Lady, nicht wahr?"
Dannielle erstarrte. Es handelte sich nicht um Jareds Stimme. Oder um Daemons.
Schritte erklangen in ihrem Rücken. Schritte, die sich näherten.
Langsam wandte sie sich um und erschrak, als sie das vertraute Gesicht erblickte. Ihr Magen drehte sich einmal um sich selbst. Sie brachte kein Wort heraus, eine Antwort auf die Frage zu geben, erschien ihr unsinnig.
Die Laterne am Eingang warf ein ruhiges, warmes Licht auf die harten Züge des Iren, als er sich ihr näherte. In seinem Gesicht stand Erleichterung. Und Wachsamkeit.
Dannielle wich einen Schritt zurück. Dann noch einen, bis sie gegen die Wand der Scheune in ihrem Rücken stieß. Tenebros schien nichts von ihrer Unsicherheit zu bemerken, obwohl sie ihr wahrhaftig ins Gesicht geschrieben stehen musste.
Als sie nicht weiter zurück wich, fiel er vor ihr auf ein Knie.
Angst flutete ihren Verstand und Gedanken jagten einander durch ihr Bewusstsein: Sie musste es irgendwie schaffen, Jared und Daemon zu warnen, ehe diese zurückkehrten. Sie hatte ein Messer an ihrem Gürtel, mit dem sie sich verteidigen konnte, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Sie war auf der Flucht. Tenebros wusste das nicht.
Für den Iren war sie noch immer die Tochter seines Herrn.
Seines Auftraggebers.
Seines Herzogs.
Das Opfer einer Entführung.
Dannielle ballte die Hände zu Fäusten.
War er allein?
"Ihr dürft Euch erheben." Ihre Stimme klang rau und kaum wie die Stimme einer Herzogstochter. Eher wie die einer Schankmaid, die zu viel Zeit unter freiem Himmel damit verbrachte gegen den heulenden Wind anzuschreien.
Tenebros erhob sich.
Ihr war entfallen, wie groß der Ire war. Er überragte sie um mindestens einen Kopf und musste auch deutlich größer als die beiden Diebe sein.
Dannielle schwieg. Ihr Fokus wanderten über sein Gesicht, seine grauen Augen glänzten selbst in der dunklen Scheune, Schatten ließen seine markanten Gesichtszüge noch deutlicher hervortreten, das lange blonde Haar war ordentlich in seinem Nacken zu einem Zopf gebunden.
"Ich muss Euch um Verzeihung bitten", sprach er schließlich, als sie weiterhin kein Wort sagte. "Es war dieses Mal nicht einfach Euch zu finden. Eure Spur verlor sich in Concarneau, nur durch Zufall bin ich auf das Kloster gestoßen. Wir können von Glück sagen, dass es so bald..." Er unterbrach sich.
Sie fühlte seinen Blick auf sich ruhen. Er hob die Hand, wie um eine ihrer vom Wind zerzausten Locken zwischen die Finger zu nehmen, doch er wagte es nicht sie zu berühren. Dannielle schluckte hart, als sie sich bewusst wurde, was für einen Anblick sie bieten musste. Ihr Haar fiel ungebändigt über ihren Rücken, ihr Kleid wies Flecken auf, ihre Säume starrten vor Schmutz und sie erinnerte sich kaum noch an das letzte Bad, das sie genommen hatte. Auch wenn lediglich eine knappe Woche vergangen war, seit sie aus Brest geflohen war, fühlte sie sich als hätte sie seit Monaten nicht mehr ausreichend Nahrung zu sich genommen und noch länger nicht mehr richtig geschlafen.
Tenebros machte einen weiteren Schritt auf sie zu.
"Geht es Euch gut?" Ernsthafte Sorge schwang in seinen Worten mit.
Es war ihr nicht möglich noch weiter zurückzuweichen.
Er war ihr so nahe.
Sie konnte unmöglich an ihm vorbei. Die Wand in ihrem Rücken hielt sie davon ab, noch weiter zurückzuweichen. Es gelang ihr nicht, seinen bohrenden Blicken noch weiter standzuhalten. Mutlos senkte sie den Blick. Tenebros wirkte wie eh und je kalt und überlegen. Und doch empfand sie keine Angst.
Eine Weile standen sie so da.
"Es ist in Ordnung. Ihr seid jetzt in Sicherheit", hörte sie seine vertrauensvolle Stimme. "Sie werden Euch nichts mehr tun, Ihr habt mein Wort."
Draußen begann es zu regnen. Erst fielen nur kleine Tropfen auf das Dach, dann immer häufiger immer größere, bis sich das Tröpfeln in ein Trommeln und in ein strömendes Rauschen verwandelte und es schließlich in Bächen schüttete.
"Ich bedaure zutiefst, was ich Euch angetan habe, als ich Euch bei eurem Vater allein ließ", begann er und sah in den Regen hinaus, als läge tatsächlich eine große Schuld auf seinen Schultern. "Man hätte Euch besser bewachen sollen."
„Ja, das bedauere ich auch...", sprach Dannielle leise. Allerdings aus ganz anderen Gründen. „Ich dachte, Ihr wolltet zurück nach Irland, was hält Euch hier in Frankreich?", versuchte sie abzulenken. Tenebros musste noch immer im Kontakt zum Herzog stehen. Sie musste herausfinden, wie viel er wusste und ob draußen vor den Toren weitere Schergen lauerten.
Die Kälte in seinen Augen erschreckte sie.
„Ich konnte mich nicht damit abfinden, Euch Eurem Schicksal mit diesem... Abschaum zu überlassen." Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Außerdem habe ich noch einige ... geschäftliche Sachen, die einer Klärung bedürfen", fügte er hinzu.
Dannielle überlegte fieberhaft, wie sie ihm das Missverständnis erklären konnte. Sie war nicht entführt worden. Es hatte vielleicht so angefangen, aber inzwischen handelte es sich bei ihrer Reise um etwas ganz anderes, das sie selbst nicht so recht betiteln konnte, außer, dass es ihrer vollen Zustimmung entsprach.
„Wo führt Euer Weg euch hin?", fragte sie, doch eine Antwort erhielt sie nicht mehr, denn eine wohl bekannte Stimme unterbrach sie.
„Jared!"
Das war Daemon gewesen.
Er klang furchtbar erschrocken.
Ein markerschütterndes Klirren ertönte, als Metall gegen Metall knallte. Dannielles Ohren klangen nach. Ihr Dieb hatte sich ohne Vorwarnung auf Tenebros gestürzt, welcher den Hieb in letzter Sekunde hatte abblocken können. Der Ton schwebte einen Atemzug lang laut in der Luft, wurde dann abgelöst von weiteren Schlägen.
Der Ire hatte sichtliche Mühe, sich zu verteidigen. Die Klingen der Schwerter kreuzten sich, schlugen so hart aufeinander, dass im dämmrigen Zwielicht metallene Funken sprühten.
Tenebros wehrte sich nach Leibeskräften, doch ihr Dieb war schneller und führte seine Waffe mit einer tödlichen Präzision. Ihr Kampf glich einem Tanz zweier Schatten, dem sie einen Augenblick lang gebannt folgte.
Ein schmerzhaftes Stöhnen mischte sich in den Atem der Kämpfenden.
Entsetzt keuchte sie auf.
Ihr entfuhr ein lautes Hört auf!
Einer der beiden Kontrahenten musste sein Ziel getroffen haben, doch das Duell ging in unverminderter Geschwindigkeit weiter. Unschlüssig machte sie einen Schritt nach vorne, dann noch einen, um die beiden zum Innehalten zu bewegen, doch Daemon hielt ihren Arm fest.
"Bleibt hier!", zischte er. "Geht nicht dazwischen, einer der beiden enthauptet euch sonst aus Versehen." Daemon legte einen Finger auf die Lippen, um ihr zu bedeuten, leise zu sein. Sie verstand. Sobald einer der beiden abgelenkt war, konnte der nächste Hieb tödlich enden. Für sie alle.
Gebannt verfolgte sie weiter das Geschehen. Ihr fiel auf, wie geschickt Jared sich bewegte. Im Vergleich zu Tenebros, dessen Stärke und Größe mit Schwerfälligkeit einherging war er schnell und wendig. Es kostete ihn weniger Kraft, um die harten Schläge des Iren zu parieren und dessen Energie für seine Angriffe zu nutzen.
Es dauerte lediglich zwei weitere Augenblicke und ihr Dieb hatte den Iren entwaffnet und nahe der Laterne am Ausgang mit dem Rücken gegen eine Wand gedrängt. Dessen Schwert lag nutzlos einen Meter von ihm entfernt am Boden.
Dannielle hielt gebannt den Atem an.
Jareds Klinge drückte gegen seinen Hals. Sie fürchtete, sogleich Blut hervortreten zu sehen.
Die Situation schien ausweglos.
Ein Hilfe suchender Blick des Iren kreuzte den ihren.
„Fahr zur Hölle du verdammter..." weiter kam Jared nicht. Daemon stand bereits hinter ihrem Dieb und drohte, ihm die Spitze seines Messers in den Hals zu rammen. Dannielle beobachtete, wie sich zuerst Unglauben, dann reinste Empörung auf seinem Gesicht abzeichneten. Daemon fiel ihm in den Rücken. Erneut.
„Beruhige dich, das bringt doch nichts!", zischte Daemon Jared zu.
"Das wagst du nicht!" Jareds Stimme loderte vor Zorn.
Er versuchte sich aus Daemons Fängen zu befreien, ohne Tenebros eine Möglichkeit zum Entkommen zu geben. Doch Daemon festigte seinen Griff, warf einen Blick auf Tenebros und feixte.
"Stimmt."
Ein Tritt traf Jared in der Kniekehle und dessen Bein knickte weg, sodass er sich sogleich auf Knien vor dem soeben noch unterlegenen Iren wiederfand. Es gelang Daemon, ihn einige Schritte zur Seite zu ziehen, wobei er sich noch immer wutentbrannt wehrte.
Als er Daemon endlich abgeschüttelt hatte, hatte Dannielle sich längst wie zum Schutz vor Tenebros gestellt. Der Ire atmete schwer in ihrem Rücken, als hätte der Kampf ihn sichtlich an den Rande seiner Kondition gebracht. Doch er beruhigte sich zusehends, während er sich den schmerzenden Oberarm rieb, an dem Jared ihn getroffen haben musste.
Jareds Blick glitt von ihr zu Tenebros in ihrem Rücken und wieder zurück. Seine Augen weiteten sich kurz, dann wurde sein Blick mit einem Mal ausdruckslos und gleichgültig.
„Was macht er hier?", war alles, was er hervorbrachte. Zu ihrer Überraschung klang seine Stimme so emotionslos, wie sie es selten von ihm gehört hatte.
Sie wollte sich bereits räuspern, wie um Tenebros Anwesenheit zu rechtfertigen, auch wenn sie noch keine Ahnung hatte, wie sie das tun wollte, als der Ire sie sanft in einer Bewegung zur Seite schob, wie um sich zwischen sie und Jared zu stellen. Verwirrung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.
Unglauben.
Dann ein schmerzliches Begreifen.
„Oh bitte! Sagt mir nicht, dass Ihr Euch freiwillig mit diesem Pack abgebt", sprach er abfällig, als er den Ausdruck in ihrem Gesicht sah. „Man erzählte mir von Eurer Entführung. Ich hatte gehofft, Ihr wäret froh, mich zu sehen."
Dannielle fühlte, wie sie errötete. Sie versuchte fieberhaft nach einer Möglichkeit zu berichten, dass ihr die feine Gesellschaft Brests nicht entsprochen hatte, doch sie hatte keine Ahnung, wie sie das erklären sollte.
Dass sie Thron und Titel kurzerhand über den Haufen geworfen hatte, um sich auf eine waghalsige Schatzsuche zu begeben. Das klang zu absurd. Der Ire würde das niemals nachvollziehen können. Als sie weiterhin schwieg, ergriff Tenebros wiederum das Wort.
„Ich entschuldige mich für mein unerwartetes Auftreten...", ein Blick überflog Jared, er schien über seinen Nachnamen nachzudenken, doch da er zu keinem Ergebnis kam, fuhr er fort, „Ich erklärte der Lady bereits, dass ich noch einige geschäftliche Dinge zu erledigen habe, ehe ich nach Irland zurückkehre. Durch Zufall sah ich Euch vorhin und da ich ebenso wie ihr beabsichtigte hier in diesem Dorf zu nächtigen..."
„Lügner!" Ihr Dieb spuckte das Wort aus, als wäre es verdorbenes Essen. Jared schob Daemons Hand, die er ihm auf seine Schulter gelegt hatte, von sich herunter. „Er verschwindet, jetzt auf der Stelle!" Jared deutete nach draußen in den Regen.
Tenebros nickte ihm zu. Dann wandte er sich an Dannielle.
„Wie ich sehe, ist meine Gesellschaft hier unerwünscht!" Er trat näher an sie heran und sprach leise weiter, sodass Daemon und Jared ihn gerade noch verstehen konnten. „Ich hatte gehofft, mich Euch anzuschließen und Euch auf Eurer Reise zu begleiten, aber wenn ihr deren Gesellschaft vorzieht..."
Er verneigte sich zum Abschied vor ihr und drehte sich dann um, um die beiden Diebe ins Auge zu fassen. Er bedachte Jared mit einem Blick, den sie nicht einzuschätzen vermochte und wandte sich dann an Daemon.
„Wir haben noch eine Rechnung offen stehen, mein Bester..." Seine Worte vermischten sich unheilvoll mit dem Regen, der immer noch auf das Dach der Scheune prasselte. Dannielle erkannte, wie Daemons Kehle sich beim Schlucken bewegte, doch er blieb stumm.
Er sagte auch nichts, als Tenebros sich zum Eingang der Scheune bewegte, wo noch immer sein Schwert auf dem Boden lag.
Er schwieg, als der Ire es aufhob und wegsteckte.
Erst als er sich anschickte, das Gebäude zu verlassen, durchfuhr Daemon schließlich ein Ruck.
„Tenebros, mein Freund! Bleibt doch wenigstens die Nacht hier! Ich habe nichts gegen ein wenig neue Gesellschaft einzuwenden. Ich kann dir zwar kein Bier, Wein oder Schnaps anbieten, aber einen trockenen Schlafplatz!" Daemon schritt lächelnd zu Tenebros herüber, legte seinen Arm um seine Schulter und führte ihn zurück zu den anderen.
Dannielle beobachtete entsetzt, wie Jareds Mundwinkel zuckten, als Tenebros sich ins Stroh fallen ließ und Daemon ihm einen Laib Brot zu schob, sowie ein großes Stück von dem Räucherfisch abschnitt.
Der Schatten eines Schmerzes huschte über seine Züge. Und dann nichts mehr.
Wortlos wandte er sich ab, sammelte sein Schwert auf, schlang sich seinen Mantel um die Schultern, bevor er in die nasse Nacht verschwand.
***
Seine Schritte hallten in der Stille der Nacht von den Hauswänden wieder und unterbrachen das friedliche Plätschern des Regens auf Pflastersteinen und festgetretener Erde. Die Läden der Fenster waren verschlossen und dunkel.
Am Hafen angelangt fiel sein Blick auf das schäumende Meer. Die Konturen der Insel ragten aus dem schwarzen Wasser auf, wie ein Kegel aus tiefster Finsternis. Wut nistete sich in seiner Magengrube ein und seine Mitte fühlte sich seltsam kalt an. Wie von selbst hob sich seine Hand zu seiner Brust und schob sich unter den inzwischen durchnässten Stoff seines Umhangs, als würde es schmerzen.
Pergament knisterte.
Mit einem Mal wandte er sich ab.
Eine einsame Kerze erhellte die Reihen der von Schatten erfüllten Hauseingänge und Fenster. Das hinter einem Schirm verborgene rötliche Licht flackerte unstet. Das abgenutzte Holz der Tür fühlte sich hart und glatt unter seinen Fingern an, als er unnachgiebig dagegen klopfte. Als geöffnet wurde umfing ihn der unverwechselbare Geruch von verkaufter Liebe.
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